Die Elfen (Bernhard Hennen, James A. Sullivan)

Heyne (Januar 2009)
Sonderedition mit Bonusmaterial
Paperback, 928 Seiten, 10,00 EUR [D]
ISBN-13: 978-3453722699

Genre: Fantasy


Klappentext

Klirrende Kälte herrscht im Land am Fjord, als Mandred Torgridson mit seinen Gefährten auszieht, die Bestie zu jagen, die nahe seinem Dorf ihr Unwesen treibt. Doch während am Himmel das Feenlicht tanzt, bricht aus dem Unterholz ein Wesen, halb Mann, halb Eber, und beschert den Jägern einen schnellen Tod. Allein Mandred rettet sich schwer verletzt in einen nahen Steinkreis, aber seine Wunden sind zu tief und die Kälte zu grimmig. Als er wider Erwarten erwacht, die ihm ihre wundersamen Heilkräfte zu teil werden lässt. Mandred erkennt, dass er in die wundersame Welt der Elfen hinübergewechselt ist. Und der Verdacht beschleicht ihn, die Bestie könne von hier gekommen sein. Unerschrocken tritt er vor die ebenso schöne wie kühle Elfenkönigin und fordert Rache für die Opfer des Mannebers. Die Königin beruft daraufhin die legendäre Elfenjagd ein, um die Bestie unschädlich zu machen. Mit Mandred reisen auch Nuramon und Farodin in die Gefilde der Menschen, zwei Elfen, die so manches Geheimnis umgibt und die in der Tradition der Minnesänger um die Gunst der Zauberin Noroelle werben. Bald jedoch ist die Jagd von Tod und Täuschung überschattet. Der Manneber entpuppt sich als Dämon aus alten Zeiten. Er lockt Mandred und die Elfen in eine Eishöhle, und während die Gefährten schon meinen, über ihn gesiegt zu haben, versiegelt er die Höhle, raubt Nuramon seine Gestalt und dringt in die Welt der Elfen ein, um sie für immer zu vernichten …


Inhalt

Der Dämon ist ein Devanthar, ein Gestaltenwandler, der in Form des Elfen Nuramon dessen Minneherrin Noroelle aufsucht. Er erklärt ihr, dass alle Gefährten tot seien und er dem Tod eine Gnadenfrist abgerungen habe, um seine Geliebte noch einmal in ihren Träumen zu besuchen. Doch als Noroelle erwacht, stellt sie fest, dass ihr nächtlicher Besucher durchaus real gewesen ist - sie ist schwanger.

Fast ein Jahr vergeht. Die Gefährten sitzen noch immer in der Eishöhle fest, ohne zu wissen, dass außerhalb ihres Gefängnisses die Zeit rasend schnell vergeht. Sie selbst denken, es handle sich nur um wenige Tage. So bekommen sie nicht mit, dass Noroelle einen Halbdämon zur Welt bringt, der von Königin Emerelle sofort als Bastard erkannt wird. Als sich die Mutter weigert, ihren Sohn der Königin auszuliefern, damit diese ihn töten lässt, und ihn stattdessen bei den Menschen versteckt, wird sie an einen Ort verbannt, an dem es ihr unmöglich ist, ihre Bestimmung zu finden oder wiedergeboren werden - die schlimmste Strafe für eine Elfe.

Fast dreißig Jahre vergehen, bis es den Gefährten gelingt, ihrem eisigen Gefängnis zu entkommen und sie feststellen müssen, wie dramatisch sich ihre Welt verändert hat. Farodin und Nuramon haben ihre Geliebte verloren, Mandred seine Frau. Er beschließt, seinen Gefährten, in deren Schuld er steht, bei der Suche nach Noroelles Verbannungsort zu helfen, denn in seiner Heimat hält ihn nichts mehr. Und während die drei die Jahrhunderte durchschreiten, entwickelt sich um den Sohn Noroelles und des Devanthars ein Märtyrerkult von erschreckendem Ausmaß, der die alte Ordnung auf den Kopf zu stellen droht.


Rezension

Dem kundigen Leser wird nicht entgehen, dass mythologische Vorstellungen vieler Kulturkreise die Welt der Elfen stark beeinflussen. Die germanische Vorstellung von den Alben, die die Elfen in die Nähe der Licht- und Zwerge in der Nähe der Dunkelalben sieht, ist dafür ein auffälliges Beispiel. Hennen und Sullivan orientieren sich bei der Erschaffung ihres Szenarios stellenweise mehr an den eigentlichen Elfen als Tolkien.
Doch nicht nur germanische Einflüsse gilt es unterzubringen. Mit Faunen, Kentauern, Nymphen und Gorgonen begegnen dem Leser Wesen aus dem klassischen Altertum. Zu den Nymphen werden aber auch Apsaras gezählt, göttliche Jungfrauen, die vor allem in Kambodscha verehrt werden. Lamassu, Dschinne und andere Wesen verweisen dagegen eindeutig auf den Nahen Osten, und das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Bernhard Hennen vorderasiatische Altertumskunde studiert hat. Die Devanthar scheinen dagegen von den zoroastrischen, altpersischen Daeva inspiriert worden zu sein.
Mit Ausnahme der Devanthar, der Menschen und des einen oder anderen weiteren Volkes werden sie alle, ob Zwerge oder Faune, Trolle oder Feen, Elfen oder Kentauern, den Albenkindern zugerechnet, denn die Alben genießen göttlichen Status, auch wenn sie die Welt verlassen haben. Die Religion ihrer Nachkommenschaft ist buddhistisch beeinflusst, die Vorstellung von Tod, Wiedergeburt und der Suche nach der Bestimmung entspricht dem Glauben an das Nirvana.
Die Devanthar waren einst ihre Erzfeinde und wurden von ihnen in einem grausamen Krieg besiegt und getötet. Ein einziger Devanthar überlebt und wird von Rachegelüsten getrieben. Im Wissen, alleine nichts gegen die "Mörderbrut" der Alben ausrichten zu können, spinnt er eine Intrige, die fast ein Jahrtausend lang Zeit hat, sich in all ihrer Tragweite zu entfalten.

Zwei Besonderheiten prägen das Buch: Die Geschichte spielt in drei Welten. Diese wären namentlich die Albenmark, das Reich der Elfen, Kentauern, Feen, Kobolde und der meisten anderen Albenkinder, die Welt der Menschen, in der Noroelle ihr Kind versteckt, und die Zerbrochene Welt, in der der Kampf zwischen Alben und Devanthar tobte und tiefe Spuren hinterließ. Verbunden sind diese Welten durch magische Pfade, so genannte Albenpfade, an deren Knotenpunkten ein Eintritt in das komplexe Pfadsystem möglich ist.
Diese Pfade bergen eine Gefahr, die zweite Besonderheit. Unsichere Pfade können nicht einfach beschritten werden. Stets besteht die Gefahr, Zeitsprünge zu machen. Eine Gefahr, die für die Protagonisten allgegenwärtig ist und sie die Jahrhunderte auf der Suche nach Noroelle durchschreiten lässt, während sich die Welt um sie herum dramatisch verändert, denn die Saat des Devanthars geht auf.

Die Protagonisten sind, wie bereits genannt, der Mensch Mandred und die Elfen Farodin und Nuramon. Mandred ist ein sympathischer, grobschlächtiger und ungehobelter Krieger, der den Leser mit seiner einfach Art zu denken und seinem aufbrausendem Temperament immer wieder zum Lachen bringt. Obgleich ihm das Schicksal übel mitgespielt hat, ist er zuversichtlich und gibt den Elfen keine Schuld. Er wird zu einem wahren Freund, der für seine Gefährten einsteht und keinen Zweifel daran lässt, dass sein Herz am richtigen Fleck sitzt.
Bei Farodin kann man sich da nicht ganz sicher sein. Er ist ein undurchschaubarer, kühler, strategisch denkender und schneidiger Krieger, der nicht mehr sagt als unbedingt nötig und dessen Alleingänge legendär sind. Der Schmerz eines schweren Verlustes hat ihn verbittern lassen, seine Verbitterung treibt ihn zu Taten, denen man skeptisch gegenüber stehen sollte. Getreu der Maxime „Der Zweck heiligt die Mittel“ ist er dem Leser nicht sofort sympathisch, doch Hass und Liebe liegen bei ihm nahe beisammen. Zuletzt kann man Hochachtung für seine aufopferungsvolle Liebe empfinden, selbst wenn sie ihn zu zwielichtigen Taten treibt.
Nuramon ist das Gegenteil. Zu oft wiedergeboren, wird er von seinen Verwandten trotz seiner liebenswerten und bescheidenen Art gering geschätzt. Als Elf, der seine Bestimmung nach Jahrhunderten noch immer nicht gefunden hat, brüskiert er die Elfenwelt, als er von der Königin als eines der Mitglieder der Elfenjagd auserkoren wird und sich später gegen sie wendet, um nach seiner Geliebten zu suchen. Seine Vergangenheit ist ein großes Geheimnis, denn an seine früheren Leben kann er sich nicht erinnern. Erst allmählich lüftet sich der Schleier seiner Vergangenheit.

Auf Schwarz-Weiß-Malerei wird verzichtet. Wenngleich die Ziele des Devanthars nicht gutgeheißen werden können, so ist er doch kein typischer Bösewicht, der die Welt aus purem Größenwahn unterwerfen oder aus blanker Bosheit vernichten will. Die Haupthandlung kann man auch zugespitzt als gezielte Kritik an der intoleranten Weltanschauung der mittelalterlichen Kirche ansehen. Das Schwarz-Weiß-Denken wird als Gefahr dargestellt.
Auch auf Schubladendenken wird größtenteils verzichtet. Die Trolle, die die Rolle der fehlenden Orks perfekt übernehmen, sind keineswegs dumme und grundlos böse Scheusale, sondern listige, wenn auch barbarische Individuen, denen man Respekt zollen sollte, nicht nur in Bezug auf ihre Stärke. Auch die Elfen sind Individuen und wirken stellenweise recht menschlich, denn wer will schon ein neunhundertseitiges Buch aus Sicht überlegener Lichtgestalten lesen? Das würde nicht nur auf Dauer langweilig werden - es wäre auch unrealistisch. Nun lässt sich natürlich über Realismus in der Fantasyliteratur streiten. Doch die Autoren haben ganz offensichtlich und gekonnt realistische, stimmige Inhalte in den Vordergrund gestellt. Das wird am Beispiel der Menschenwelt deutlich, deren Kulturen starke Einflüsse altweltlicher Völker wie etwa der Germanen oder der Karthager aufweisen.

„Die Elfen“ ist nicht, wie oft geglaubt wird, der erste Teil einer Trilogie. Das Buch stellt den Auftakt einer großen Reihe dar, in deren Fortlauf nicht mehr die ursprünglichen Protagonisten stehen werden, sondern ihre Kinder, Enkel, Freunde und Gegner. Auch Randpersonen, die nur an einigen Stellen erwähnt werden, werden bedeutende Rollen übernehmen.


Fazit

Die Handlung ist spannend, vielschichtig, durchaus detailliert und nicht immer offensichtlich. Der überwiegend flüssige und elegante Schreibstil der Autoren, geprägt durch kurze Sätze, treffende Formulierungen und die richtige Wortwahl, befördert den Leser ins Geschehen, das er intensiv miterlebt, als sei er ein Teil der Handlung. Der Schreibstil überbrückt im Übrigen auch gekonnt weniger spannende Passagen wie etwa den Mittelteil, denn dort scheint es zunächst, als haben die Autoren den Faden verloren. Tatsächlich werden jedoch neue Fäden gesponnen und allmählich zu einem überaus interessanten Handlungsstrang mit einem überraschenden, bewegenden Ende verwoben. Hennen und Sullivan beweisen ihr Können als Autoren in großen See- und Feldschlachten wie auch in der facettenreichen Schilderung einer sich ändernden Welt. Auf Action wird nicht verzichtet, doch sie steht nicht dominant im Vordergrund. Spannung ergibt sich meist aus der Dramatik einer Situation.

„Die Elfen“ ist ein lesenswertes Buch für Fantasy-Neulinge wie auch für Leser, für die Tolkiens „Herr der Ringe“ nicht der Maßstab aller Dinge ist, da viele Klischees nicht erfüllt werden. Die Individualität der Charaktere, die nicht exemplarisch für ihr Volk stehen, ist ein großer Pluspunkt der gesamten Reihe.


Pro und Kontra

+ Verzicht auf Schubladendenken und Schwarz-Weiß-Malerei
+ gelungene Gratwanderung zwischen klassischen Motiven und neuen Ideen
+ sympathische, interessante und glaubwürdige Protagonisten, die in den Herzen der Leser weiterleben
+ unvorhersehbare Wendungen und geschickte Verknüpfung vieler verschiedener Handlungsstränge
+ leicht verständlicher, eleganter Schreibstil
+ facettenreiche, magische und dynamische Welt
+ epische Handlung voller Spannung und Dramatik

o pathetische Liebesgeschichte, die Geschmackssache ist
o offenes Ende

- unterschiedliche Höhe des Sprachniveaus der beiden Autoren
- Mittelteil etwas langatmig
- Beschreibungen stellenweise etwas oberflächlich

Extras:

- Karte
- Interview mit den Autoren

Beurteilung:

Handlung 5/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 5/5


Dies ist eine Gastrezension unseres Lesers Max - vielen Dank!

Literatopia-Links zu Bernhard Hennen:

Interview mit Bernhard Hennen (April 2012)

Interview mit Bernhard Hennen (März 2009)

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Tags: James A. Sullivan, Elfen, Bernhard Hennen