Revolver Tarot (R.S. Belcher)

Papierverzierer (März 2015)
Übersetzer: Dennis Frey
Cover: Raymond Swanland
Smartcover, 416 Seiten, 14,95 EUR
ISBN: 9783944544304

Genre: Fantasy / Steampunk / Western / Horror


Klappentext

Nevada, 1869: Am Rand der gnadenlosen Vierzigmeilenwüste liegt Golgotha, eine kleine Stadt, in der hinter verschlossenen Türen große Geheimnisse verborgen liegen. Der Sheriff trägt die Narben des Stricks am Hals und manche sagen, er sei ein toter Mann, dessen Zeit noch nicht gekommen ist. Golgotha ist der Ort, an dem sich die Gesegneten und die Verdammten sammeln.
Schwärze flutet über die Welt und wenn der Sheriff und seine Leute sie nicht aufhalten, hat Golgotha seinen letzten Sonnenaufgang gesehen … und mit ihr die gesamte Schöpfung.

Ein außergewöhnliches Abenteuer zwischen Western, Steampunk und Fantasy, das die Leben verschiedenster Persönlichkeiten auf einen gemeinsamen Kampf zuführt, dessen Wurzeln viel tiefer liegen, als sie sich vorstellen können.


Rezension

Jim Negrey strandet mit seiner Stute Promise in der erbarmungslosen Vierzigmeilenwüste. Eigentlich wollte er in Virginia City Arbeit suchen, doch seine Kräfte verlassen ihn – er ist dem Tode geweiht, als der Indianer und Deputy Mutt ihn aufsammelt und nach Golgotha bringt. Eine Stadt, die durch Silber reich und später zum Sammelbecken für gescheiterte Existenzen und Menschen mit Geheimnissen geworden ist. Auch Jim hat Geheimnisse: Er hat einen Menschen getötet. Und er trägt ein seltsames Artefakt bei sich, ein Auge, das einst seinem Vater gehörte. Jim ahnt nicht, dass dieses Auge ihn nach Golgotha geführt hat – und er ahnt nichts von der Dunkelheit, die unter der alten Silbermine lauert …

„Revolver Tarot“ nimmt sich zunächst einige Kapitel Zeit, um Jims Situation darzustellen, ehe die Perspektiven wechseln. Nachdem man Jim kennen und mögen gelernt hat, verblasst er vorerst zu einer Randfigur in einer Stadt voll skurriler Gestalten. Dem Sheriff wird beispielsweise nachgesagt, dass er ein Toter sei, dessen Zeit noch nicht gekommen ist. Sein Deputy ist ein Indianer, der von einem Coyoten abstammt. Ein düsterer Priester führt die enttäuschten und gescheiterten Silbergräber auf den Pfad der Finsternis, während ein Ladenbesitzer seine eigentlich tote Frau in einem seltsamen Apparat am Leben erhält. Und dann gibt es da noch die Nachfahrin der legendären Piratin Anne Bonnie, die von eben dieser in exotischen Kampftechniken ausgebildet wurde.

In der Vorstellung des Lesers erwacht Golgotha binnen kürzester Zeit zum Leben. „Revolver Tarot“ ist wunderbares Kopfkino und überzeugt mit derber Westernatmosphäre. In diese fügen sich die phantastischen Elemente beinahe natürlich ein. Für viele Bewohner Golgothas ist der Umgang mit übernatürlichen Phänomenen scheinbar normal. Manch einer hat sich sogar sein Leben lang auf den Kampf gegen das Dunkel vorbereitet. Neben der düsteren Fantasystory nimmt sich der Autor viel Zeit für die verschiedenen Beziehungsgeflechte innerhalb der Stadt und gewährt immer wieder Einblicke in die Vergangenheit der handlungstragenden Charaktere. Manches Mal schweift er dabei zu sehr ab, dennoch wirken die Figuren gerade durch die vielen Rückblenden sehr lebendig – und die spannendsten Details hebt sich R.S. Belcher meist bis zum actionreichen Finale auf.    

In der ersten Hälfte liest sich „Revolver Tarot“ wie ein Fantasywestern mit Steampunkelementen, während in der zweiten Hälfte ein Horror á la Lovecraft dominiert. Denn während die Bewohner Golgothas ihrem Tagwerk nachgehen und sich bemühen, ihre Geheimnisse geheim zu halten, erwacht etwas in der alten Silbermine. Etwas, das älter als der Tod ist und das nicht einmal Gott töten konnte. Das Grauen schleicht sich in die Geschichte ein und als Leser schaut man zu, wie alles unweigerlich auf eine Katastrophe hinausläuft. Doch es gibt auch Hoffnung, denn die Schicksale der vom  Leben gezeichneten Charaktere scheinen auf merkwürdige Weise miteinander verbunden. Ein wenig erinnert „Revolver Tarot“ an „Das Buch ohne Namen“ oder auch "Cowboys & Aliens", wobei hier recht viel Platz für pseudophilosophische/-religiöse Fragestellungen bleibt, die das Buch ein bisschen verschroben machen.

Passend zum Titel wurden die Kapitel nach Tarotkarten der großen und kleinen Arkana benannt, wobei der Roman 34 Kapitel umfasst (dagegen gibt es 78 Karten).  Meist lässt sich auch für einen Laien ein Bezug zwischen der Bedeutung der Karten und dem Inhalt der jeweiligen Kapitel erkennen, wobei Karten wie „Das Ass der Schwerter“ schwieriger zu interpretieren sind.  „Revolver Tarot“ ist als sogenanntes Smartcover erschienen – einer Mischung aus Paperback und Hardcover. Der Einband ist dünner und flexibel als bei einem echten Hardcover, aber die Bindung ist äquivalent. Somit hält man ein qualitativ hochwertiges Buch in den Händen und vor allem bilden sich keine unschönen Risse im gewölbten Buchrücken. Preislich kann man dabei nicht meckern – der Verlag sollte mehr Bücher in dieser wahrlich „smarten“ Form herausgeben.  


Fazit

„Revolver Tarot“ ist ein schauriger Fantasywestern mit Steampunkelementen, der maßgeblich von seinen skurrilen und derben Charakteren lebt. Diese müssen sich einer Bedrohung stellen, die älter als die Welt und Gott ist. Während das Grauen immer tiefer in die Geschichte dringt, lernt man Golgotha und seine Bewohner kennen und lieben. Das Phantastische scheint in der Wüstenstadt beinahe alltäglich – doch als Leser staunt man über die vielen originellen Ideen, die sich mit Genreklischees zu einem höchst unterhaltsamen Roman vermischen.


Pro & Contra

+ skurrile Charaktere mit reichlich Ecken und Kanten
+ diverse Rückblenden, die die Figuren lebendig zeichnen
+ ungeschliffene Westernatmosphäre
+ allerhand Phantastisches und Okkultes
+ unheilvolles und uraltes Grauen
+ atmosphärischer Schreibstil
+ geniales Cover / schöne Ausgabeform

- manchmal schweift der Autor ein wenig ab

Wertung: sterne4.5

Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5