Girl on the train (Paula Hawkins)

Hawkins P-Girl on the train

Blanvalet Verlag, 4. Auflage, Juni 2015
Taschenbuch Brochiert, 448 Seiten,
OT: The Girl on the Train
aus dem Englischen von Christoph Göhler
12,99 Euro [D] | € 13,40 [A]
ISBN-13: 978-3-7645-0522-6

Genre: Thriller


Klappentext

Auf alle anderen in diesem Abteil wirke ich völlig normal; ich tue was sie tun: zur Arbeit pendeln, Termine machen, Dinge erledigen. WIE MAN SICH IRREN KANN.

Jeden Morgen pendelt Rachel mit dem Zug in die Stadt, und jeden Morgen hält der Zug an der gleichen Stelle auf der Strecke an. Rachel blickt in die Gärten der umliegenden Häuser, sieht ihre Bewohner. Und eines Tages beobachtet sie etwas Schockierendes …


Die Autorin

Paula Hawkins wuchs in Simbabwe auf. 1989 zog sie nach London, wo sie heute lebt. Sie arbeitete 15 Jahre lang als Journalistin, bevor sie mit dem Schreiben von Romanen begann.


Rezension

Rachel fährt Zug. Jeden Arbeitsmorgen. Immer um die gleiche Zeit. Und am Abend wieder zurück. Nicht selten hält der Zug dabei auf der Strecke an einem roten Signal. Ist dies der Fall beobachtet Rachel mit Argusaugen ihr altes Haus, in dem nun ihr Exmann und dessen neue Frau leben. Noch mehr angetan hat es ihr aber ein Paar nebenan: Jess und Jason. Rachels Traumpaar. Mit Hilfe der kleinen geklauten Einblicke in deren Leben lässt Rachel in ihrem Kopf eine perfekte Beziehung entstehen. Es ist ihr Trost, ihr Rettungsanker, denn ihre eigene Welt ist schon lange entgleist. Als sie eines Tages Jess im Garten mit einem fremden Mann erblickt, küssend, bricht sie zusammen. Kurz darauf verschwindet Jess, die in Wirklichkeit Megan heißt, spurlos. Rachel weiß, dass sie an dem Tag ihr altes Viertel aufgesucht hat. Erinnern kann sie sich an den Abend jedoch nicht, denn sie hat ein schweres Alkoholproblem, und wie so oft einen Filmriss. Mit Hilfe der Wunden, die ihren Körper zieren, und ihren wenigen Erinnerungsfetzen versucht sie dennoch, die Frage um Megans Verschwinden aufzuklären. Ein Unterfangen, das ihr Leben verändern wird.

Girl on the Train ist zurzeit in aller Munde. Der internationale Bestseller wird in Deutschland groß angepriesen und muss sich daher gewissen Erwartungen stellen. In der Tat besticht der Thriller mit ungewöhnlichen Ideen. Dies beginnt beim Erzählstil. Neben Rachel, die aufgrund ihrer Alkoholsucht eine äußerst unzuverlässige Erzählerin ist, wird die Geschichte von Anna, der neuen Frau an der Seite von Rachels Exmann, und Megan selbst erzählt. Um Megans Schicksal im Dunkeln zu halten, wird hierbei auf Zeitsprünge zurückgegriffen. Rachel befindet sich in der Gegenwart, Anna rekapituliert oftmals Rachels Geschehenes aus ihrer eigenen Perspektive, während wir Megan vor ihrem Verschwinden kennenlernen. Dies ist auf der einen Seite spannend, da der Leser verschiedene Szenen aus unterschiedlichen Perspektiven erlebt. Auf der anderen Seite fällt es leicht in den Sprüngen den Überblick zu verlieren, und so mag sich mancher Leser dazu genötigt sehen, zum vorherigen Kapitel zurückzublättern, um die Datumsangaben abzugleichen.

Ebenfalls ungewohnt sind Erzählstil – Präsens und Ich-Perspektive – sowie die Gestaltung der Erzählerinnen. Weder Rachel, noch Megan oder Rachel sind wirkliche Sympathieträger. Protagonistin Rachel versinkt in Selbstmitleid und ist in ihrer Art manchmal kaum zu ertragen. Sie trinkt sich regelmäßig in die Besinnungslosigkeit, hat keine Selbstachtung und kein Rückgrat. Zwar ist ihr Verhalten zum Teil nachvollziehbar – immerhin wurde sie von ihrem Mann wegen einer anderen Frau verlassen. Während Rachel ihrer Freundin und Mitbewohnerin auf den Teppich kotzt, ihren Exmann mit Telefonanrufen belästigt und der Polizei Lügengeschichten auftischt, um sich wichtig zu machen, fällt es allerdings schwer, sich mit ihr zu identifizieren. Der leidenden Verlassenen steht Anna entgegen. Anna ist zwar grundsätzlich sympathischer angelegt und zeitweise hat man auch Mitgefühl mit ihr, wenn sie unter Rachels Telefonterror zu leiden hat. Auf der anderen Seite hat sie Rachel aber auch mit Absicht den Mann ausgespannt, betrachtet sich als etwas Besseres und verliert sich ab und an selbstgefällig in ihrem Leben mit Tom, Rachels Exmann, und dem gemeinsamen Kind. Hier wäre ein positiver Gegenpol interessant gewesen, und in der Tat beginnt Megan, die Dritte im Bunde der Erzählerinnen, recht einnehmend. Während ihr beschauliches Leben in Rückblenden nach und nach entblättert wird, werden neben einer kaputten Vergangenheit mehrere Charakterschwächen offengelegt, die das Mitgefühl mit ihrem ungewissen Schicksal schmälern.

Zu Beginn begeisterten mich die Charaktere abseits der Norm. Ebenfalls interessant fand ich Rachel, die zugleich Opfer wie auch deutlich erkennbar ein Stalker ist. Ihre durch den Alkohol getrübte Sicht und Annas ambivalente Figur faszinierten. Zunehmend verwirrten mich aber die vielen Wechsel und Zeitsprünge. Zudem entwickelte die Geschichte Längen. Anstatt sich dem Thriller zu widmen, verliert sich Hawkins in endlosen Szenen, die Rachels Alkoholsucht oder Annas Hysterie über Rachels Anrufe und Besuche in der Straße thematisieren. Die sorgfältig gestalteten Charaktere werden ad absurdum geführt. Der Thriller wird zum zwischenmenschlichen Drama, das an seinen eigenen Figuren scheitert. Erst gegen Ende plötzlich greift Hawkins die Fäden wieder auf. Die Auflösung mag kaum zu überraschen, da sie durch Megans Erzählstrang schon zu früh angedeutet wurde.


Fazit

Ein ungewöhnlicher Erzählstil, frische Charaktere sowie eine interessante Geschichte sind das Salz in Girl on the Train. Paula Hawkins Thriller über eine alkoholsüchtige Frau, die in einen Mord involviert wird, wird dennoch seinem Hype nicht gerecht. Die Charaktere gehen einem schnell auf die Nerven, die Geschichte tröpfelt träge dahin und die Entscheidung, das Opfer selbst seinen Werdegang erzählen zu lassen, ist zwar interessant, greift aber der Auflösung voraus. Girl on the Train ist nicht schlecht, aber es ist auch nicht mehr als ein mittelmäßiger Thriller, der an seinen eigenen Ambitionen scheitert.


Pro/Contra

+ Grundidee
+ Gestaltung der Hauptfigur
+ Perspektivenwechsel

o Erzählperspektive und gewählte Zeitform

- zu viele unnötige Szenen, die Handlung unnötig in die Länge ziehen
- Charaktere insgesamt zu unsympathisch
- Perspektiv wechselt zu schnell
- Megans Perspektive deutet Täter an

Bewertung: sterne3.5

Charaktere: 3/5
Handlung: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5