Susanne Kliem (12.09.2015)

Interview mit Susanne Kliem

susanne kliem2Literatopia: Hallo, Susanne! Wir freuen uns, dass Du Zeit für uns gefunden hast. In Kürze erscheint Deiner neuer Krimi „Trügerische Nähe“ – was erwartet die Leser?

Susanne Kliem: Eine Landidylle, die sich zum Alptraum entwickelt! Zwei alte Studienfreunde ziehen mit ihren Partnerinnen Nora und Marlis auf einen liebevoll restaurierten Hof ins Umland von Berlin. Sie erhoffen sich einen Neuanfang und freuen sich auf ein harmonisches Zusammenleben. Doch als sich Livia, Marlis’ Tochter aus erster Ehe, bei ihnen einquartiert, setzt sie eine gefährliche Dynamik in Gang. Bald vergiften Misstrauen, Eifersucht und Verrat alle Beziehungen. Dann wird auf einer Waldlichtung eine Leiche gefunden. Und allen ist klar, dass der Täter nur einer von ihnen sein kann.

Literatopia: Welcher Typ von Frau sind Marlis und Nora? Und wie reagieren sie auf das Erscheinen der attraktiven Livia?
     
Susanne Kliem: Nora plagen einige Selbstzweifel, doch sie ist sensibel und einfühlsam. Sie erkennt als einzige, wie verzweifelt Livia ist, die ein Geheimnis mit auf den Hof gebracht hat, über das sie nicht sprechen kann. Gleichzeitig ist die junge Frau eine Gefahr für Noras Ehe. Von daher ist es verständlich, dass Nora sich wünscht, Livia solle bald wieder verschwinden.

Marlis ist lebensfroher, sie genießt ihr hübsch dekoriertes Landleben. Doch Livia und sie haben eine hochkomplexe und schwierige Mutter-Tochter-Beziehung. Obwohl Marlis Livia mit Liebe überschüttet, schaut sie dennoch nicht genau hin, hört ihr nicht zu.

Marlis und Nora sind Frauen in den Vierzigern, und natürlich verletzt es sie, wie die Anfang Zwanzigjährige die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zieht wie ein Magnet. Es geht also in diesem Roman auch um das Altern, um die Beziehung zu sich selbst und zum eigenen Körper – übrigens auch bei den Männern.

Literatopia: Wie äußert sich das bei den Männern? Abgesehen von ihrem Interesse für die deutlich jüngere Livia …

Susanne Kliem: Durch den Kontakt zu Livia nehmen beide, Alexander und Johannes, ihre Ehen, ihren Körper und ihre Sexualität auf neue Weise wahr.  Auch das alte Konkurrenzverhältnis aus Studienzeiten bekommt neue, gefährliche Nahrung.

Literatopia: Dein letzter Roman „Die Beschützerin“ widmet sich emotional schwierigen Themen wie Machtmissbrauch, Stalking und Mobbing. Wie hast Du Dich mit diesen Themen vertraut gemacht?

Susanne Kliem: Mich interessieren die inneren Nöte, die Menschen dazu bringen, Macht über andere gewinnen zu wollen. Oft ist Angst die Triebkraft dazu: Solange ich die Kontrolle besitze, kann ich nicht so leicht verletzt werden. Eine Überlebensstrategie.

Mit Mobbing habe ich eine persönliche, schmerzvolle Erfahrung machen müssen. Und ich höre immer wieder, dass Menschen Mobbing erleben, als Zeugen, als Opfer oder sogar als Mittäter. Aber Mobbing ist ja nur ein Symptom. In „Die Beschützerin“ wollte ich hinter die Fassaden blicken, hinter die der Opfer, aber auch hinter die der Täter. Und vor allem nicht schwarz und weiß malen. Denn die Täter empfinden sich ja selbst auch als Opfer. Sie sind verletzte Seelen und nun verletzen sie andere. Im Job, im Freundeskreis, oder anonym und versteckt. Schleichen sich an, manipulieren, lügen, intrigieren. Die Leserin, der Leser soll sich fragen: Wie gehe ich mit solchen Menschen um? Wo würde ich die Grenze ziehen? Wann sage ich endgültig „nein“, auch wenn ich spüre, dass der andere mich braucht. Oder eher „missbraucht“?

Literatopia: Wo würdest Du die Grenze ziehen?

Susanne Kliem: Ich selbst habe kein gutes Gespür für den richtigen Moment, für diese Grenze - und das war mein Hauptmotiv, diesen Roman zu schreiben. Meine Protagonistin Janne sollte es für mich herausfinden! Gefährlich ist ganz bestimmt, zu glauben, nur man selbst könne der bedürftigen und ausbeutenden Person helfen. Wenn man so denkt, zappelt man schon in der Falle!

Literatopia: Du hast bereits als Pressereferentin für das Theaterfestival „Theater der Welt“ gearbeitet. Wurde Dein Roman „Theaterblut“ davon inspiriert? Wie abgründig ist die Theaterwelt in Deinem Roman?

Susanne Kliem: Meine Inspiration stammt noch viel stärker aus den sieben Jahren, die ich im Bereich Regie an verschiedenen Theatern fest gearbeitet habe. Und ja: der Blick hinter die Kulissen ist abgründig. Vor allem am Theater bin ich auf Menschen getroffen, für die nicht der monatliche Gehaltszettel an erster Stelle steht, sondern die im Job tiefer gehende Bedürfnisse befriedigen wollen –  Liebe, Anerkennung, die Zugehörigkeit zu einer „Familie“ – und daran scheitern.

Da  Künstler ihre Emotionen, persönlichen Verletzungen, Befindlichkeiten in die tägliche Arbeit einfließen lassen, gibt es dort kaum so etwas wie eine „sachliche Arbeitsatmosphäre“. Man gewährt den Kollegen – und später den Zuschauern – einen tiefen Einblick in die eigene Seele, man liefert sich aus. Das funktioniert nur in einem geschützten Raum: Die Künstler rücken zusammen wie eine Familie – Beweise der Anerkennung und Wertschätzung, Geborgensein, das Streicheln der Seele, all das ist ungemein wichtig für die innere Stabilität. Wenn ein Schauspieler, wie in meinem Roman, aus der „Familie“ ausgestoßen wird, verliert er jeden Halt – mit existenziellen Folgen.

die beschuetzerinLiteratopia: Was fasziniert Dich persönlich an Kriminalromanen / Thrillern?

Susanne Kliem: Den „bösen“ Serienkiller, das Monster, das aus dem Dunkel zuschlägt, um für Grusel zu sorgen, finde ich persönlich nicht so spannend. Ich mag es, wenn die Figuren nah an mir und meinem Leben dran sind, etwa so, wie in der „Beschützerin“ das Böse auf dem Bürostuhl gegenüber sitzt. Ich fühle mich gern ein in den Kopf, in das Herz einer Figur. Mich fasziniert der Abgrund, in den ganz normale Menschen wie du und ich stürzen können. Zwischen einer bürgerlichen Existenz und ihrem Scheitern liegt oft nur ein schmaler Grad. Was macht unser modernes Leben mit unserer Psyche? Wohin mit dem ganzen gesellschaftlichem Druck, mit Versagensängsten, mit Isolation? Meine Täterinnen und Täter wissen daraus keinen Ausweg mehr, wenn sie ein Verbrechen begehen.

Literatopia: Deine ersten Romane erschienen bei eher kleinen Verlagen. Wie ist Dir schließlich der Sprung zu carl’s books / Random House gelungen?

Susanne Kliem: Zum Erfolg bei der Verlagssuche gehört sicherlich nicht nur ein ordentlich geschriebener Text, sondern auch eine Portion Glück, damit das Manuskript zur richtigen Zeit am richtigen Ort landet und entdeckt wird. Auch ich musste da viel Geduld haben.

Beim Wechsel zu carl’s books hat mich überdies eine Literaturagentur unterstützt. Solche AgentInnen stehen im ständigen Austausch mit den Lektoren der Publikumsverlage und erfahren als erste, wer was gerade sucht, bzw. welcher Stil gut in den jeweiligen Lektoraten ankommt - und können dann viel gezielter die Stoffe anbieten.

Literatopia: Im Herbst stehen einige Lesungen zu „Trügerische Nähe“ an. Bist Du schon aufgeregt? Wie fühlt es sich an, hinter dem Schreibtisch hervorzutreten und seinen Lesern gegenüber zu stehen?

Susanne Kliem: Am 24. September geht es los mit meiner Premierenlesung in Potsdam und weiteren Lesungen, und ich bin auch diesmal wieder schrecklich gespannt, wie das Buch ankommen wird. Wenn man so lange an einem Text gearbeitet hat, ist die Betriebsblindheit natürlich groß. Dann die Frage, welche Textstellen ich für die Lesungen auswählen soll! Ich darf nicht zu viel verraten, muss aber so viel Spannung aufbauen, dass die Leute unbedingt weiterlesen wollen. Eine echte Gratwanderung! Aufregend ist auch immer das Gespräch danach mit den Zuschauern: Welche Fragen stellen sie? Welches Feedback kommt? Aber bei aller Aufregung freue ich mich auch schon sehr auf den Kontakt zu den Leserinnen und Lesern.

Literatopia: Was fragen die Leser Dich meistens nach einer Lesung?

Susanne Kliem: Die häufigste Frage ist ganz sicher, wie ich auf die Ideen zu meinen Büchern komme (das ist ganz unterschiedlich). Dann wollen viele auch wissen, wie lange ich für einen Roman brauche (ca. 1 Jahr), und wie ich meinen Arbeitstag strukturiere (vormittags von 9-ca. 14:00, der Rest des Tages gehört der Familie.).

theaterblutLiteratopia: Du bist unter anderem Mitglied der Autorenvereinigung „Syndikat“ – was macht man denn in so einer Vereinigung?

Susanne Kliem: Wir sind ca. 700 KrimiautorInnen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Daraus sind viele regionale „Stammtische“ entstanden, aber wir kommunizieren auch über eine Mailingliste und ein Web-Forum. In kleineren Zirkeln tauschen wir uns aus zu Recherchefragen, über unsere Texte, helfen uns über Motivationstiefs hinweg und halten auch einfach privat den Kontakt. Da wir ja alle meist einsam am Schreibtisch hocken, ist es wunderbar, auf diese Weise auch Kolleginnen und Kollegen um sich zu haben. Einmal im Jahr treffen wir uns live zur „Criminale“, dem großen Krimibranchentreff mit Weiterbildungen, Podiumsdiskussionen, vielen Lesungen. Das ist wie ein großes Fest über fünf Tage – und vor allem Nächte – wo wir miteinander quatschen, trinken und tanzen.

Und das Wichtigste am Syndikat: Nur gemeinsam sind wir stark, wird unsere Stimme gehört, sei es in Fragen von Urheber- oder Verwertungsrechten, im Austausch mit Verlagen, in der Neugestaltung von Normverträgen, im Kampf gegen Buchpiraterie ...

Aus dem Syndikat sind bereits wichtige Aktionen hervorgegangen, oder wurden in Vernetzung mit anderen Vereinigungen und Autorengruppen mitgestaltet: die Aktion Fairer Buchmarkt http://www.fairer-buchmarkt.de (u.a. mit einem offenen Brief an Amazon-Gründer Jeff Bezos), die „Aktion Lieblingsbuch“ http://www.aktion-lieblingsbuch.com, die den örtlichen Buchhandel stärkt, sowie diverse Initiativen zum Erhalt des Urheberechts http://www.eyedentities.de/zz/.  

Literatopia: Haben es Autoren in Zeiten des Internets schwerer, weil die Konkurrenz – vor allem auf dem Selfpublishing-Markt – stärker wächst und wahrgenommen wird? Oder ist es eher leichter als früher, weil man selbst mehr für seine Bücher werben kann?

Susanne Kliem: Es stimmt, die Konkurrenz wächst, und E-Book-LeserInnen müssen sich durch riesiges Angebot durcharbeiten, bis sie ihren passenden Lesestoff gefunden haben. Unter den Büchern der Self-Publisher gibt es immer wieder Perlen, die es zu entdecken gilt, und genauso kann man auch mal bei einem Verlagsprodukt schwer daneben greifen. Umso wichtiger sind die Literaturseiten und BloggerInnen im Web, die Anlaufstellen und Wegweiser für VielleserInnen sind.

Ich persönlich glaube nicht so sehr an den Nutzen von Eigenwerbung von Autoren im Internet. Das wird inflationär betrieben und ist deshalb meist wirkungslos. Aber AutorInnen können über die sozialen Netzwerke ein sehr persönliches Bild von sich kreieren, und so bestimmen, wie viel Kontakt sie zu den Lesern entstehen lassen wollen. Kontakt kann eine hohe Bindung erzeugen und echte Fans schaffen. Es kann für den Autor, für die Autorin aber auch zur Belastung werden, wenn einem LeserInnen zu nahe kommen. Das muss jeder für sich selbst abwägen. Ganz ohne geht es sicher nicht mehr. Die meisten Verlage erwarten heutzutage von ihren Autoren eine werbende und kommunikative Präsenz im Internet.

die kalte zeitLiteratopia: Du hast bereits diverse Kurzgeschichten verfasst. Was fällt Dir schwerer: Einen ganzen Roman zu füllen oder Dich kurz zu fassen? Und was zeichnet eine gute Krimi-Kurzgeschichte aus?

Susanne Kliem: Mir geht es beim Lesen wirklich guter Kurzgeschichten oft so, dass ich denke, sie hätten auch einen perfekten Romanstoff hergegeben. Die Welt in einer Kurzgeschichte muss genauso interessant und plastisch, die Figuren genauso vielschichtig und die Geschichte genauso mitreißend sein wie in einem Roman. Aber eben auf 10 Seiten statt auf vierhundert! Ich fühle mich im Schreiben von Romanen viel geübter und technisch versierter als in der kurzen Form. Bisher habe ich Kurzkrimis mehr „aus dem Bauch heraus“ verfasst und bin weit weg von handwerklicher Präzision. Aber demnächst gibt es mal wieder eine Gelegenheit zum Üben: Ich wurde für eine sehr renommierte Anthologie-Reihe angefragt, einen Kurzkrimi zu schreiben, der 2016 veröffentlicht wird.
 
Literatopia: Auf Deiner Homepage schreibst Du, Du bist Autorin geworden, weil Dich jemand dazu überredet hat?

Susanne Kliem: In einer Phase, in der ich einige Ratgeber geschrieben habe, traf ich auf einen Motivationstrainer, einen Coach, der mich überzeugen wollte, als Ghostwriterin seine Methode in Buchform zu bringen. Der Mann war richtig gut! Am Ende des Gespräches war ich topmotiviert, allerdings nicht, seinen Ratgeber zu schreiben. Er hatte mir das großartige Gefühl vermittelt, ich könne alles schaffen, wenn ich es nur wollte. Und mit diesem Gefühl habe ich mit meinem ersten Roman begonnen.

Literatopia: Was liest Du gerne? Vorzugsweise Krimis oder darf auch mal eine Liebesgeschichte oder etwas Phantastisches sein?

Susanne Kliem: Im Alltag komme ich leider viel zu wenig zum Lesen, aber wenn, dann versuche ich, bei den Neuerscheinungen meiner befreundeten Krimikolleginnen und Kollegen up to date zu bleiben. Und die sind so produktiv, dass der Stapel ständig wächst! ;-) Andere Genres wie Liebesromane oder Phantastisches fesseln mich nicht so sehr, dann eher zeitgenössische Belletristik. Und zur Recherche kommt natürlich das eine oder andere Fachbuch dazu.

Literatopia: Was wird uns in Zukunft von Dir erwarten? Schreibst Du bereits an einem neuen Krimi? Und kannst Du Dir einen Ausflug in ein ganz anderes Genre vorstellen?

Susanne Kliem: Der Plot zu meinem nächsten Roman steht bereits, und ich beginne gerade mit dem Schreiben. Es wird wieder ein psychologischer Spannungsroman. Er spielt in einem luxuriösen Apartmentgebäude in Berlin-Mitte, in dem Menschen auf mysteriöse Weise ums Leben kommen. Mehr möchte ich noch nicht verraten. Ausflüge in andere Genres sind nicht geplant - solange mein Verlag mich diese Art von Romanen schreiben lässt, bleibe ich begeistert dabei.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

 

susanne kliem

 


Autorenfoto: Copyright by carl's books (oben) und Robert Bartholot (unten)

Autorenhomepage: www.susannekliem.de 

Lesungen mit Susanne Kliem

"Trügerische Nähe" erscheint am 14. September 2015!


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia.de geführt. Alle Rechte vorbehalten.