Der Räuberbräutigam (Eudora Welty)

Welty E-Der Ruberbrutigam

Klett Cotta Verlag, 1. Auflage, 2015
Gebundene Ausgabe, 155 Seiten,
OT: The Robber Bridgegroom
aus dem Amerikanischen von Hans J. Schütz
14, 95 Euro [D]
ISBN-13: 978-3-608-96028-0

Genre: Märchen / Fantasy


Klappentext

Der Räuberbräutigam erzählt die himmelschreiend komische Liebesgeschichte der schönen Rosamond und des Räubers Jamie Lockhart. Eudora Weltys Roman schlägt eine völlig neue und überbordend einfallsreiche Richtung in der Fantasy ein.


Die Autorin

Eudora Welty, geboren 1909 in Jackson, Mississippi, verstorben am 23. Juli 2001 ebenda, gilt als die große Dame der Südstaatenliteratur. Für ihre Romane wurde sie sowohl mit dem National Book Award als auch mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.


Rezension

Der Pflanzer Clement Musgrove ist auf dem Heimweg vom Verkauf seiner Waren in der Stadt. Auf der Suche nach einer Herberge trifft er so manchen zwielichtigen Herbergsvater. Am Ende findet er jedoch eine vertrauenswürdige Unterkunft – nur muss er sich das Bett mit zwei Fremden teilen. Bevor sich die Drei zu Bett begeben, verstauen alle ihren Geldbeutel unter dem Kissen. Doch aus der erholsamen Nachtruhe wird nichts, denn der Blonde Jamie Lockhart weckt Clement in der Nacht mit einer Warnung. Und tatsächlich versucht der Dritte im Bunde, Mike Fink, der König aller Raufbolde, die beiden anderen kurz darauf zu erschlagen. Durch eine List Lockharts entkommen die beiden nicht nur dem Tod, sondern stehen am Ende auch mit einem Extrabeutel Gold da. Sich seiner Lebensschuld bewusst lädt Clement den goldhaarigen unversehens zu sich nach Hause ein. Dort warten seine zweite Frau Salome und die Tochter aus erster Ehe Rosamond auf ihn. Kaum zurück wird Rosamond im Wald von einem Räuber das Gewand geklaut. Clement bittet Jamie, den Räuber aufzuspüren und bietet ihm seine Tochter zur Frau. Er ahnt nicht, dass Jamie selbst es war, der in Verkleidung seine Tochter beraubte. Einen Tag später verschwindet das Mädchen, und ein Verwirrspiel beginnt.

Der Räuberbräutigam liest sich wie ein modernes Märchen – ein bizarres, schräges Märchen angefüllt mit den typischen eindimensionalen Charakteren. Da ist Clement, der einfältig durch das Leben geht und mit mehr Glück als Verstand zu Reichtum gekommen ist. Gutgläubig vertraut er dem Fremden Jamie seine Lebensgeschichte und seinen Wohlstand an. Weder sieht er, dass er ausgefragt wird, noch erkennt er in seiner Frau die Niederträchtigkeit, die diese umgibt. Denn Salome ist Schneewittchens und Cinderellas Stiefmutter in einer Person: eingebildet, eitel, von Neid zerfressen und auf immer mehr Reichtum aus. Jeden Tag schickt sie die schöne, aber ebenfalls recht simpel gestrickte Rosamond ans andere Ende der Felder, um dort Kräuter zu pflücken, in der Hoffnung, diese würde von Indianern entführt oder von wilden Tieren verschlungen werden. Als dies nicht gelingen will, versucht sie dem Schicksal mit Hilfe eines Nachbarsjungen nachzuhelfen. Dieser ist Gott sei Dank ebenso zurückgeblieben wie geldgierig, so dass die Pläne ein ums andere Mal scheitern. Aus dem Pulk an klischeehaften Charakteren sticht nur Jamie Lockhart heraus, der ein interessantes Doppelleben führt. In der Stadt ist er der edle Jamie Lockhart, in der Wildnis hingegen schmiert er sich Beerensaft ins Gesicht und führt eine Bande von Räubern. Dem Beerensaft ist es letztendlich geschuldet, dass Rosamond, die von Jamie entführt wird, diesen nicht erkennt. Während Jamie seine schöne Frau nicht mit der Tochter Clements in Verbindung bringt, die er nur einmal in wenig vorteilhafter Aufmachung traf.

Der Inhalt und Eudora Weltys Schreibstil, der locker, spitzig und mitunter überdreht daherkommt, wecken alte Erinnerungen an die Märchenstunde im heimischen Bett, diese magischen Momente vor dem Schlafengehen, als man Prinzessinnen und Prinzen traf, mit Zwergen sang und Abenteuer in dunklen Wäldern bestand. Es schiebt die Geschichte aber auch in eine ganz eigene Sparte, die nicht für jedermann ist. Kaum ein Buch verlangt es vom Leser so sehr, sich auf es einzulassen. Wem dies nicht gelingt, der wird wohl kaum Freude haben an einer Geschichte, in der sich zwei Menschen Nacht für Nacht ins gleiche Bett legen, ohne sich zu erkennen, in der sich ein Mann stundenlang prügelt, um dann am Morgen festzustellen, dass er gegen einen Baum gekämpft hat und Räuber zu dumm sind, um sich ihre eigenen Schuhe zuzubinden. So wird die eigentliche Handlung, die durchaus düster ist  und zum Beispiel Vergewaltigung, Mord und Ähnliches enthält durch das gewählte Genre ad absurdum geführt. Am Ende führen dann alle Einzelfäden der Geschichte in einem Indianerlager zusammen. Ganz nach Märchenmanier kommt es aber auch hier nicht zu einem Blutvergießen, sondern jeder erhält seine gerechte Strafe bzw. Belohnung, ganz nach Hänsel und Gretel und Co.


Fazit

Eudora Welty lebte im vorherigen Jahrhundert, und aus einer anderen Zeit scheint auch Der Räuberbräutigam zu stammen. Verspielt locker und äußerst klischeebeladen erzählt Welty die Geschichte einer ungewöhnlichen Romanze. Der Räuber Jamie Lockhart entführt die schöne Rosamond in sein Räuberhaus, wo das Mädchen á la Schneewittchen beginnt für die Räuberbande zu sorgen und sich in ihren Gatten verliebt, ohne seine Identität zu kennen. Ein modernes Märchen für Junggebliebene mit bizarren Wendungen, schrägen Charakteren und einem sehr speziellen Humor.


Pro/Contra

+ schönes Cover
+ ungewöhnliche Geschichte
+ Sprache

o märchenhafter Erzählstil

- eindimensionale Charaktere
- obskure Handlung

Bewertung: sterne3

Charaktere: 2,5/5
Handlung: 3/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 2,5/5