Heyne Verlag, 1. Auflage, August 2015
Gebundene Ausgabe, 600 Seiten,
OT: Dem som inte dödar oss
aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein
€ 22,99[D]
ISBN-13: 978-3-453-26962-0
Genre: Thriller
Klappentext
Mikael Blomkvist steht vor einer Entscheidung. Böse Zungen behaupten, er sei nicht länger der Journalist, der er einst war. Lisbeth Salander hingegen ist aktiv wie eh und je. Die Wege kreuzen sich, als Frans Balder, einer der weltweit führenden Experten für künstliche Intelligenz, ermordet wird. Kurz vor seinem Tod hatte er Mikael Blomkvist brisante Informationen versprochen. Als Blomkvist erfährt, dass Balder auch in Kontakt mit Salander stand, nimmer er die Recherche auf. Die Spur führt zu einem US-amerikanischen Softwarekonzern, der mit der NSA verknüpft ist. Mikael Blomkvist wittert seine Chance, die Enthüllungsstory zu schreiben, die er so dringend braucht. Doch wie immer verfolgt Lisbeth Salander ihre ganz eigene Agenda.
Der Autor
David Lagercrantz, 1962 geboren, debütierte als Autor mit dem internationalen Bestseller Allein auf dem Everest. Seitdem hat er zahlreiche Romane und Sachbücher veröffentlicht, zuletzt die virtuos geschriebene Lebensgeschichte Zlatan Ibrahimovics. Im Dezember 2013 wurde er vom schwedischen Originalverlag und Stieg Larssons Familie ausgewählt, den 4. Band der Millennium-Romane zu schreiben. David Lagercrantz ist verheiratet und lebt in Stockholm.
Rezension
Frans Balder ist ein Genie. Seit Jahren widmet er sich der Entwicklung von künstlicher Intelligenz. Eines Tages verlässt er jedoch ohne Ankündigung den Softwarekonzern Solifon, reist zurück in seine Heimat Schweden und steht vor der Tür seiner Exfrau, um seinen Sohn August abzuholen. August ist Autist, und über Jahre hinweg hat sich Frans Balder nicht um den Sohn gekümmert. Nun aber will er seinem Sohn nahe sein. Gleichzeitig tritt ein ehemaliger Assistent von Balder an den Journalisten Mikael Blomkvist heran. Er behauptet, Frans Balder schwebe in Gefahr, und auch beim schwedischen Sicherheitsdienst läuten die Telefone. Angeblich ist Balder mit seiner Forschung einen gewaltigen Schritt nach vorne gekommen. Die Gerüchteküche brodelt. Mikael, der mit seinem Magazin Millennium in der Flaute steckt, will zuerst nichts von der Sache wissen. Doch dann erzählt ihm Balders Assistent von einer begnadeten Hackerin, die mit Frans Balder in Kontakt steht. Der Forscher selbst meldet sich in der Nacht bei Mikael und bittet ihn um ein Treffen. Die Ereignisse überschlagen sich. Am Ende der Nacht ist Frans Balder tot, sein autistischer Sohn gilt als wichtigster Zeuge und Mikael Blomkvist und Lisbeth Salander tun sich einmal mehr zusammen, um Balders Ermordung aufzuklären. Dabei ist wie immer nichts so simpel gestrickt wie es auf den ersten Blick scheint.
Die Bücher der Millennium-Trilogie von Stieg Larsson sind internationale Bestseller. Wikipedia benennt 63 Millionen verkaufte Exemplare. Nimmt man dazu die populären schwedischen Verfilmungen und den amerikanischen Ableger, so gibt es wohl kaum jemanden, dem die Namen Verblendung, Verdammnis, Vergebung oder Lisbeth Salander nichts sagen. Weniger bekannt ist, dass Larsson zehn Bücher geplant hatte. Es gibt angeblich sogar ein Manuskript des vierten Bandes, das allerdings keiner der Erben freigeben möchte. Der vorliegende Band Verschwörung ist demnach eine unabhängige Fortsetzung, die als Auftrag des Verlags ohne Verwendung eines vorliegenden Skripts entstand. Bessere Fan Fiction sagen die einen. Bösere Zungen sprechen von Profitgier.
Als begeisterter Leser der ursprünglichen Bücher rang auch ich mit mir. Es war letztendlich die Lust, Lisbeth Salander wieder zu begegnen, die mich meine Zurückhaltung vergessen ließ. Und in der Tat räumt Lagercrantz Lisbeth viel Platz ein. Wie in alten Zeiten hackt sie sich durch die Geheimnisse von Privatpersonen und Geschäftscomputern und dringt dieses Mal sogar in die dunkelsten Ecken der NSA vor – aus politischem Unmut, aber auch um eine alte Feindin aufzuspüren. Aber auch andere Figuren erhalten einen Auftritt: Mikaels Dauerfreundin Erika Berger, das Team von Millennium und auch unter den Polizisten sind ein paar bekannte Gesichter zu finden. Dennoch ist nichts wie gewohnt.
Die neue Lisbeth ist mittlerweile Superhackerin und längst nicht mehr so asozial konzipiert. Sie kommuniziert mehr, ist zugänglicher und nachgiebiger, auch im Angesicht von Kinderschändern. Gleichzeitig hechtet sie einer amerikanischen Superheldin gleich unter Kugelhagel hinter Autos oder liefert sich abseits belebter Straßen Schusswechsel mit ehemaligen Elitesoldaten. Alles wirkt etwas überspitzt wie in einem amerikanischen Actionblockbuster. Zwar gibt Lagercrantz Lisbeth auch ein persönliches Motiv, sich in die Geschehnisse um Frans Balder einzumischen, und die Fürsorge, die sie dem jungen August entgegenbringt, ist ihr durchauszuzutrauen. Letztendlich gibt es aber zahlreiche Momente, wo man als Millennium-Kenner verdutzt innehält und den Kopf schüttelt. Dabei hat die Beziehung zwischen Lisbeth und ihrer Gegenspielerin ungewöhnliches Potenzial. Statt auf dieses Drama zu setzen, wird der Hintergrund des Hasses in wenigen Absätzen abgefrühstückt und der Fokus rutscht auf Lisbeth und Mikael, die dieses Mal nicht gegen eine kleine Sondertruppe beim schwedischen Geheimdienst kämpfen, sondern gegen eine kriminelle Gesellschaft, die ihre Finger in zahlreichen Konzernen und eben der NSA hat. Neben all diesen großen Spielern verliert Lagercrantz die Figur des Mikael Blomkvist. Wie so oft steckt der Journalist in einer persönlichen Krise und auch seine Zeitung krankt zusehend am Internetzeitalter. Da kommt Blomkvist die Verschwörung um Balders Tod gerade Recht. Sein Handlungsstrang besteht allerdings kaum aus eigenständiger Recherche. Stattdessen eilt er von Quelle zu Quelle und lässt sich die Geschichte von Lisbeth, Frans und anderen erzählen. Die Charaktere interagieren kaum direkt miteinander, sondern kommunizieren zumeist über Dritte oder per SMS.
Lagercrantz gibt selbst an, dass er nicht versucht habe, Larssons Schreibstil zu kopieren. In der Tat liest sich Verschwörung weniger roh und ungeschliffen als seine drei Vorgänger. Aber kaum besser. Lagercrantz tendiert zu unnötig langen, umständlich verknüpften Hauptsätzen, Lexikonähnlichen Ausführungen zu KIs, Hackvorgängen etc. und führt nahezu jede seiner Figuren über mindestens drei Seiten ein, bevor sie an der Handlung teilhaben darf. Zwischendurch liest sich Verschwörung mitunter wie ein Wikipedia-Eintrag oder ein Stadtplan, wenn Mikaels Weg von seiner Wohnung zur Arbeit oder von dort in seine Lieblingskneipe mit jedem einzelnen Straßennamen beschrieben wird. So dauert es auch knappe 100 Seiten, bis Lisbeth, die eigentliche Heldin, das erste Mal in Erscheinung tritt. Immer wieder dümpelt die Handlung dahin, während die Lebensgeschichten der Nebencharaktere vorgestellt werden. Wichtiges wird meistens nicht aktiv beschrieben, sondern passiv von einem Beobachter oder Teilnehmer im Nachhinein einem anderen Charakter erzählt. Dergestalt wird auch das Ende dargeboten. Lagercrantz beginnt sein Finale in der aktiven Perspektive, um dann plötzlich den Erzähler zu wechseln, der Minuten nach dem Finale am Ort des Geschehens auftaucht und sich mitteilen lässt, was vorgefallen ist. Dies hinterlässt ein schales unbefriedigendes Gefühl, welches noch dadurch verstärkt wird, dass es keinen wirklichen Abschluss gibt. Zwar ist der Fall Frans Balder geklärt und ein paar Schuldige bei der NSA gefunden, doch wie bei einer TV-Serie wird der Subplot um Lisbeths Vendetta nocht zu Ende geführt. Hier wird eindeutig auf einen weiteren Band spekuliert.
Fazit
David Lagercrantz scheitert in seinem Versuch, Stieg Larssons Fußstapfen zu füllen auf ganzer Länge. Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist sind Schatten ihrer selbst, überzeichnet oder zum Laufburschen verkommen. Lagercrantz folgt den Eckpunkten der Figuren, ihm fehlt allerdings das Verständnis. Die an sich gute Idee hinter der Geschichte leidet an klischeehaften Charakteren und einer amateurhaften Umsetzung. Die Geschichte quält sich dahin, um gegen Ende in einem Finale zu münden, das diesen Namen nicht verdient und zudem alles für ein weiteres Buch offenlässt. Entgegen des Hypes entpuppt sich Verschwörung als peinliche und unnötige Forsetzung.
Pro/Contra
+ Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist
+ groß angelegte Verschwörung
+ Wahl des Gegenspielers
O ausgedehnte Einführung aller Charaktere
- Längen
- kompakter anstrengender Schreibstil
- Lisbeth rückt in Richtung „amerikanischer Held“
- Antagonist zu überzeichnet
- Mikael und Polizisten nur Handlanger, die sich die Geschichte erzählen lassen
- Handlung wird passiv über Erzählungen geschildert
- teilweise Lexikonartige Absätze über PCs, KI etc.
- offenes Ende
Bewertung:
Charaktere: 1/5
Handlung: 2/5
Lesespaß: 1/5
Preis/Leistung: 1/5
Rezension zu Stieg Larssons "Verblendung"