Hotel Alpha (Mark Watson)

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
352 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-453-26964-4
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 26,90

Genre: Belletristik


Inhalt

Seit den Sechzigerjahren ist das Hotel Alpha eine regelrechte Institution in London, was nicht zuletzt an dem Besitzer des Fünfsternehauses liegt: Howard York ist smart und charismatisch, mit der wunderschönen und klugen Sarah-Jane verheiratet und ein gefeierter Held, seit er 1984 bei einem Brand den kleinen Chas rettete und ihn adoptierte, nachdem dessen Mutter in den Flammen umkam. Obwohl seit diesem Unglück blind, ist der Junge ein aufgewecktes und fröhliches Kerlchen, das allerdings die Öffentlichkeit scheut, die Tage im Hotel verbringt und sich zum Computerexperten entwickelt. Und da ist Graham Adam, der seit der Eröffnung im Hotel Alpha als Concierge tätig ist und zu Chas’ väterlichem Vertrauten wird. Er ist das gute Gewissen des Hotels, doch der schöne Schein ist nicht ganz ohne trügerisches Licht.


Rezension

Das Londoner Nobelhotel Alpha ist kein gewöhnliches Hotel – schnell wird das dem glück- und arbeitslosen Graham klar als er dem ebenso charismatischen wie exzentrischen Besitzer des Hotels – Howard – bei einem Bewerbungsgespräch für den Posten des Chefportiers begegnet und er wider alle Erwartungen eingestellt wird.
Und so lernen wir einen der Protagonisten kennen: Graham – der wahrscheinlich lahmste Ich-Erzähler seit Langem. Dass dies freilich so gewollt ist, kann kaum über die unfassbare Farblosigkeit dieser Figur, die Watson dem Leser für immerhin mehr als die Hälfte der Erzählzeit zur Seite stellt, hinwegtrösten. Als traditionsbewusster Mitarbeiter stellt er künftig so etwas wie den Gegenpol zu Howard dar, dem keine Neuerung schnell genug im Hotel eingeführt werden kann.
Was im ersten Teil noch gut funktioniert – die Aura althergebrachter Würde, die für den Posten des Chefportiers eines Fünfsterne-Hauses sicherlich nicht verkehrt ist, bringt Watson mit dem eigentlich nur als spießig zu bezeichnenden Getue Grahams schön herüber. Nur gibt es leider darüber hinaus keinerlei Entwicklung – der Roman spielt immerhin von den 60er Jahren bis in die heutige Zeit –, wodurch die Figur Graham im Verlaufe der Geschichte empfindlich an Glaubwürdigkeit einbüßt. Welcher glaubwürdige Charakter etwa würde über Jahrzehnte hinweg nach Feierabend jeden einzelnen Tag dasselbe zu Abend essen wollen? Die wichtigste Figur des Romans und durch die Ich-Perspektive gleichzeitig der wichtigste Bezugspunkt des Lesers bleibt somit statisch, vorhersehbar, trocken.

Immerhin nimmt die Geschichte aber mit fortschreitender Zeit und dem damit einhergehenden Eintritt des Hotels in die Moderne an Fahrt auf; neue Charaktere wie etwa Howards Adoptivsohn Chad betreten die Bühne und geben der Handlung eine neue Richtung - man könnte sagen: Überhaupt erst eine Richtung. Das zentrale Ereignis der Geschichte etwa, ein Brand im Hotel, in dessen Folge Chad erblindet, stellt fortan ein wichtiges Motiv dar – was ist wirklich passiert und wer hat Chad denn nun eigentlich gerettet? Diese unterschwellig mitschwingenden Rätsel reichern die Handlung weiter an – zusätzlich zu den neuen Schwerpunkten, die durch das Auftauchen Chads in der Geschichte gesetzt werden. Dessen Entwicklung ist schön beschrieben und spannend zu beobachten: Als schüchterner und zurückgezogener Junge profitiert er vom Modernisierungswahn seines Vaters und wird so zum Computercrack. Stimmig zeichnet Watson das Bild eines Einzelgängers, dessen in sich geschlossener Mikrokosmos das Hotel darstellt und vor dessen Türen er niemals einen Fuß zu setzen beabsichtigt.
Dass es natürlich anders kommt, überrascht zwar nicht, verschafft dafür aber der Handlung einen spürbaren Schub. Und so bildet Chad schließlich die Schnittstelle zwischen der traditionellen Welt des Hotels und der Moderne, sodass denn auch viele Spielarten des altbekannten "Früher war alles besser" gegen "Fortschritt als Chance" durch dekliniert werden.


Fazit

Auch wenn die Handlung zu Beginn etwas Zielstrebigkeit vermissen lässt, kann Watson doch im weiteren Verlauf mit einem schönen Setting – wenn auch mit Kammerspiel-Atmosphäre – und einigen schönen Ansätzen aufwarten. Die überzeichneten Charaktere sind sicherlich nicht jedermanns Sache, auch wenn sie hier ihren Zweck erfüllen.


Pro & Kontra

+ interessante Ideen und schönes Setting
+ "Einzug der Moderne" als Thema gut umgesetzt

o Erzähltempo recht moderat

- Handlung wirkt mitunter ziellos
- überzeichnete Figuren und insbesondere der Ich-Erzähler überzeugen nicht vollends

Wertung: 

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5