Roter Mars (Kim Stanley Robinson)

Verlag: Heyne (Oktober 2015)
Taschenbuche: 816 Seiten, € 9,99
Sprache: Deutsch
Originaltitel: Red Mars
ISBN-13: 978-3453316966

Genre: Science-Fiction


Klappentext

Wir schreiben das Jahr 2026: Fünfzig Männer und Frauen treten sie gefährliche Reise zum Mars an. Sie sind die ersten Menschen, die dauerhaft auf dem roten Planeten leben werden. Ihre Mission ist es, aus einer kalten Steinwüste eine neue Welt zu formen. Eine Welt wie die Erde. Das größte Abenteuer der Menschheit beginnt ...


Rezension

Die ersten 100 Menschen auf dem Mars: Das ist eine Gruppe sorgfältig ausgewählter Wissenschaftler, die den Weg bereiten und beginnen sollen, den Roten Planeten für die Menschheit bewohnbar zu machen. Das Unternehmen lässt sich vielversprechend an, doch sehr bald werden die frischgebackenen Marsianer mit neuen Problemen konfrontiert. Dinge wie politische Verwicklungen, ökologische Bedenken und Ähnliches lassen sich nicht so ohne weiteres auf der Erde zurücklassen, auch das Eintreffen weiterer Kolonisten macht die Situation nicht einfacher. Hat die neue Welt, die hier erschaffen werden soll, überhaupt eine Zukunft?

Das erste Kapitel setzt unmittelbar an einem Punkt der Story ein, an dem die Kolonisierung des Mars schon weiter fortgeschritten ist. Die neuen Bewohner haben mit diversen Schwierigkeiten zu kämpfen, die nichts mit der lebensfeindlichen Umgebung zu tun haben; die Lage ist angespannt und eskaliert. Aber wie ist es überhaupt so weit gekommen? Um diese Frage zu beantworten, nimmt sich Robinson alle Zeit des Universums. Mit dem zweiten Kapitel macht er einen gewaltigen Sprung zurück zur Anreise der 100 Wissenschaftler, ihrer Landung auf dem Roten Planeten und ihren ersten Schritten in der neuen Heimat.

Als Leser schließt man jetzt Bekanntschaft mit der Liebe des Autors zu ausufernden und sehr detaillierten Schilderungen der dortigen Landschaft. Diese lesen sich wunderbar anschaulich, manchmal schon beinahe poetisch, und sie ziehen sich durch das gesamte Buch. Es ist schon etwas speziell und man muss so etwas mögen, eine Aussage, die sich auch auf die komplette Story anwenden lässt. Der Science-Fiction-Fan sei deswegen an dieser Stelle zum ersten Mal vorgewarnt.

Auch wenn die Charaktere, aus deren Sicht abwechselnd die Kapitel erzählt werden, als starke Persönlichkeiten auftreten, sie bleiben dennoch erstaunlich blass und distanziert. Ein Mitfiebern mit ihren Erlebnissen ist schwierig, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen, nahezu unmöglich. Dieses Phänomen scheint gewollt, denn der Mars ist hier die Hauptperson. Ihm sind alle weiteren Figuren untergeordnet. Es dauert nicht lange, bis sich unter den ‚ersten Hundert‘ unterschiedliche Interessengruppen herausbilden, von denen jede ihre eigenen Vorstellungen hat, wie die künftige Gesellschaft auf ihrem neuen Planeten aussehen soll. Sie alle auf einen Nenner zu bringen scheint kaum möglich, doch damit ist die Überleitung zur eigentlichen Thematik geschaffen.

Die Geschichte handelt nicht primär von Einzelschicksalen, es geht auch nicht um die ganzen technischen Einzelheiten, obwohl davon durchaus vieles zur Sprache kommt. Der Autor hat sich vielmehr das sehr ambitionierte Ziel gesetzt, die politischen, ökologischen, ökonomischen, soziologischen und kulturellen Faktoren herauszuarbeiten, die eine derartige Kolonisierung mit sich bringen würden.  Wo liegen die Loyalitäten der Kolonisten, die zwangsläufig zwischen den Werten der alten Erde und den Zielen der neuen Heimat hin- und hergerissen sind? Wie schaffen es die Großkonzerne ‚unten‘ auf der Erde, die in erster Linie die Rohstoffe des Mars ausbeuten möchten, ihre Interessen durchzusetzen und wer versucht, die Terraforming-Projekte systematisch zu sabotieren? Das sind nur einige Fragen, die angesprochen und sehr konsequent weitergedacht werden; die Bandbreite reicht dabei bis hin zu religiösen und philosophischen Aspekten.

Dass bei einem derart komplexen Stoff die eine oder andere Länge nicht ausbleibt, erscheint kaum verwunderlich, vor allem, weil der Erzählfluss beinahe vollkommen auf jegliche Action verzichtet. Es geschehen durchaus spannende und interessante Dinge, jedoch werden diese eher aus der Distanz betrachtet und auf eine zwar anspruchsvolle, aber sehr unaufgeregte Art und Weise erzählt. ‚Roter Mars‘ zählt weder zur klassischen Science-Fiction, noch ist es leichte Kost, die sich gemütlich nebenbei zur Unterhaltung lesen lässt, darauf sei hier noch einmal ausdrücklich hingewiesen. Das Buch stellt Ansprüche, es verlangt, dass man sich darauf einlässt, und es verlangt einiges an Mitdenken. Das spätere darüber Nachdenken passiert dann von ganz alleine.

Nicht immer gelungen liest sich die deutsche Übersetzung, deren Satzbau man an einigen Stellen die englischsprachige Herkunft klar anmerkt. Trotz des beachtlichen Umfangs ist die Geschichte mit diesem Buch noch lange nicht zu Ende. Der Folgeband ‚Grüner Mars‘ erscheint in diesen Tagen ebenfalls im Heyne Verlag und der Abschluss der Trilogie, ‚Blauer Mars‘, ist für Februar 2016 geplant.


Fazit

‚Roter Mars‘ von Kim Stanley Robinson dürfte selbst unter eingefleischten Science-Fiction Fans nicht jedermanns Sache sein. Weitab vom Mainstream lässt sich das Buch als einen echten Geheimtipp bezeichnen, man muss bereit sein, sich darauf einzulassen - und man muss es mögen. Wenn man allerdings den Zugang zu diesem Werk findet, bekommt man einen außergewöhnlichen Science-Fiction Roman, dessen komplexe Thematik neue Wege beschreitet und anspruchsvoll und ausgezeichnet nachvollziehbar beschreibt, dass man bei der Kolonisierung einer neuen Welt bei weitem nicht nur mit technischen Problemen zu kämpfen hat.


Pro & Kontra

+ überaus komplex und facettenreich
+ sehr folgerichtig und gut durchdacht
+ viele realistische Elemente
+ spannend auf seine eigene Art
+ völlig anders als die gängige Science-Fiction
+ anspruchsvoller Schreibstil

o so gut wie keine Action
o extrem detailverliebte Landschaftsschilderungen
o sehr spezielles Konzept, was man mögen muß

- es hat Längen
- Übersetzung stellenweise etwas holperig
- Charaktere eher blass

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 4/5

Tags: Hard SF, Mars