Anders geht immer (Mirjam Müntefering)

Muentefering M-Anders geht immer

Ulrike Helmer Verlag, 1. Auflage, September 2015
Taschenbuch, 280 Seiten,
14,95 Euro [D]
ISBN-13: 978-3-89741-375-7

Genre: Liebesroman


Klappentext

Die siebzigjährige Charlotte will nur ihren Lebensabend in Ruhe genießen, doch da muss sie ihrer Großnichte Lotta Unterkunft bieten. Der quirlige Teenager erweist sich als echte Nervenprobe. Um in ihrer Mädchenclique mithalten zu können, gräbt Lotta einen Referendar an. Als Charlotte prompt Besuch von der Lehrerin erhält, staunt sie sehr: Eben jene Irene hatte ihr einst Kopf und Herz verdreht! Und verrückterweise hat Irene nichts an Charme eingebüßt. Lotta ihrerseits macht Bekanntschaft mit Nachbarstochter Jill, die wesentlich cooler ist als alle Mädels der Schulclique zusammen ...


Die Autorin

Mirjam Müntefering, geboren 1969, Filmwissenschaftlerin und Fernsehredakteurin, arbeitete fürs Fernsehen und für Printmedien, bis sie im Jahr 2000 eine eigene Hundeschule eröffnete, die sie seitdem leitet. Seit 1998 ist sie als Autorin von Romanen für Jugendliche und Erwachsene erfolgreich und war im Fernsehen u.a. bei Beckmann, Biolek, Böttinger, Maischberger und in der NDR-Talkshow zu Gast. Die Trägerin des »Augspurg-Heymann-Preises« setzt sich für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sowie für den Tierschutz ein.


Rezension

Für die 17-jährige Lotta bricht eine Welt zusammen. Nicht nur, dass ihre Eltern für eine Weile zur älteren Schwester ziehen, die Drillinge geboren hat, nein, da sie sich mitten im Schuljahr befindet und ihre Eltern sie nicht unbeaufsichtigt lassen wollen, muss sie zu ihrer Großtante aufs Land ziehen. Die siebzigjährige Charlotte, engagierte Tierschützerin und Vegetarierin, lebt mit ihrem Hund in einem alten Haus auf dem Dorf. Sie sieht den Einzug ihrer Nichte mit gemischten Gefühlen entgegen – zum einen freut sie sich auf Gesellschaft, zum anderen sieht sie ihre Ruhe gefährdet. In der Tat gestaltet sich das Leben mit der launischen Lotta Recht schwierig. Der Teenager ist in einer oberflächlichen Mädchenclique, die sich über Streiche und Herausforderungen zu profilieren sucht. Lottas neueste Aufgabe: mit dem hübschen Referendar anbändeln. In der Tat scheinen ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt. Die zarte Beziehung kommt allerdings zu einem raschen Ende, als die „olle Schubert“ – Lottas Biologielehrerin – die blicke zwischen den beiden bemerkt. Neben einer Standpauke für die Turtelnden wird auch Charlotte über die Ereignisse informiert. Diese staunt nicht schlecht, denn weder hätte sie Lotta solch ein Verhalten zugetraut noch ist ihr die Biologielehrerin ihrer Großnichte unbekannt. Vor Jahren hatten die beiden einmal eine kurze, stürmische Beziehung. Wie es scheint, ist Irene nicht abgeneigt, diese Beziehung wiederzubeleben. Doch Charlotte hat über ein Internetportal die interessante Niagara kennengelernt und ist unschlüssig. Während sie grübelt, für wen sie sich entscheiden soll, lernt Lotta im Zuge ihres Hausarrests die Nachbarstochter Jill näher kennen. Jill ist so anders, als die Mädchen aus der Schule. Selbstbewusst und künstlerisch begabt, ohne affektiert zu sein. In gemeinsamen Sitzungen für ein Portrait kommen sich die beiden Teenager näher.

Mit Anders geht immer versucht sich Mirjam Müntefering an einem interessanten Experiment: Sie vereint nicht nur zwei Protagonistinnen, sondern versucht vielmehr, zwei Erzählerinnen zusammenzubringen, die unterschiedlichen Bereichen des Alterspektrums entstammen: Charlotte (70) und Lotta (17). Charlotte liest sich hierbei deutlich angenehmer, als ihre junge Verwandte. Die rüstige Rentnerin steht mitten im Leben, ist engagiert im Tierschutz und trifft sich regelmäßig mit ihren Freundinnen zum Nordic Walking. Einziges Problem ist ihr Liebesleben. Das ist nämlich seit Jahren nicht existent. Über 10 Jahre führte sie eine geheime Beziehung mit einer verheiraten Frau. Seitdem Helga die Beziehung beendet hat, um ihren Mann zu pflegen, ist Charlotte allein. Daher sucht sie nun online nach einer Gefährtin. Es mag dem Leser überlassen sein, ob eine 70-jährige und ihr Liebesleben fesselnd. Sind. Auf jeden Fall lesen sich Charlottes Kapitel ruhig und flüssig; die Sprache ist angenehm gepflegt, ohne Schlenker und Ausflüge in Jargon oder Dialekt.

Anders liest sich Lotta. Hier hat sich Müntefering sehr bemüht, das Alter ihrer Protagonistin sprachlich zu unterstreichen. Dies ist auf den ersten Blick eine gute Idee, denn sicherlich hebt sich die Jugendsprache von der Alltagssprache ab. Leider wird der Jugendjargon aber nicht nur in der wörtlichen Rede gezielt gesetzt, sondern zieht sich konsequent durch Lottas Kapitel. Formulierungen wie „Ich brech zusammen“ und Füllwörter a la „oder so“, „völlig“ „total“ lesen sich auf Dauer anstrengend. Zudem beschimpft Lotta ihre Nichten und Neffen durchgehend als Kälber oder Bälger. Insgesamt wirkt sie, trotz ihrer siebzehn Jahre, sehr unreif und naiv. Das Mädchen in diesem Alter eine gewisse Oberflächlichkeit und Geltungsdrang besitzen können, soll hier nicht angezweifelt werden. Aber Lottas Weltsicht ist erstaunlich schwarz und weiß. Sie sieht weder ihre Verfehlungen ein noch ist sie über Homosexualität informiert. So geht sie zum Beispiel davon aus, dass die Schauer, die sie überlaufen, wenn Jill sie berührt, ein spezieller Lesbentrick sind und nutzt sogar ein Internetportal, um danach zu suchen. Zwar durchläuft ihr Charakter im Laufe der Geschichte eine Wandlung. Insgesamt fällt es aber schwer, ihre Figur ernst zu nehmen.

Inhaltlich deckt Müntefering auf den 280 Seiten ein erstaunlich breites Spektrum ab. Die Liebe hält sowohl bei Charlotte als auch bei Lotta Einzug. Lotta schwärmt zuerst für ihren Referendar, dann für Jill, während Charlotte fleißig mit Niagara flirtet und sich privat mit der Lehrerin Irene trifft. Gleichzeitig werden auch die Arbeit der siebzigjährigen als Tierschützerin, die Beziehung zu ihren Freundinnen sowie ihr fehlendes Coming Out thematisiert. Ein Coming Out steht auch auf Lottas Agenda. Gleichzeitig muss sie sich aber mit ihren oberflächlichen, manipulativen Freundinnen auseinandersetzen und Erwachsen werden. Bei dieser Fülle kann Vieles nur angerissen werden, so wirkt Entwicklung Lottas etwas sprunghaft und auch Charlottes Entscheidungsfindung hätte etwas Zeit gut getan. Die kurzen Kapitel sowie die raschen Wechsel zwischen der soliden Siebzigjährigen und der sehr jugendlich gezeichneten Lotta sorgen beim Lesen zudem für Identifizierungsprobleme.


Fazit

Anders geht immer erzählt, wie die siebzigjährige Charlotte und ihre Großnichte Lotta (17) unerwartet zur Liebe finden. Im Alltag zwischen Tierschutzverein und Schule, Freundinnen Auf der einen Seite charmant und heiter, auf der anderen, bedingt durch einen überstrapazierten jugendlichen Jargon und eine sehr naive Lotta, recht anstrengend ist der neue Roman von Mirjam Müntefering sicherlich nicht für die breite Leserschaft geeignet. Wer allerdings Lust hat an, den Liebeswirrungen einer 70-jährigen und eines Teenagers zu folgen, ist mit diesem Buch gut bedient.


Pro/Contra

+ Idee
+ teilweise recht heiter

o starker Kontrast der beiden Erzählerinnen

- Lottas Jargon wird mit der Zeit anstrengend

Bewertung: sterne3.5

Charaktere: 3/5
Handlung: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5