Auf dass uns vergeben werde (A.M. Homes)

Taschenbuch 672 Seiten
ISBN: 978-3-453-43817-0
€ 11,99 [D] | € 12,40 [A] | CHF 16,50

Genre: Belletristik


Inhalt

Zeit seines Lebens hat Harry im Schatten seines jüngeren Bruders George gestanden, einem erfolgreichen Fernsehproduzenten mit zwei Kindern, Traumhaus und begehrenswerter Ehefrau. Doch George hat ein gefährliches Temperament, das ihm und seiner Familie zum Verhängnis wird. Als er einen Autounfall verschuldet, bei dem die Eltern eines kleinen Jungen ums Leben kommen, ist es plötzlich der stille Harry, der in dieser Situation über sich hinauswächst und die Dinge in die Hand nimmt.


Rezension

Familiengeschichten faszinieren seit langem; spätestens seit Franzens gefeierten „Korrekturen“ ist dieses Subgenre der Belletristik aus den Nischen der Bücherhändler auf den Präsentiertischen angekommen. Und was Franzens großer Roman für das vergangene Jahrzehnt war, könnte „Auf dass uns vergeben werde“ für das jetzige sein.

Harry ist ein durchschnittlicher Typ, der besonders zu Beginn des Romans an der schmalen Linie zum Versager entlang balanciert: Als leidlich motivierter Uni-Professor, dessen Forschungsgebiet – Ronald Reagan – wirklich niemanden mehr interessiert, bestreitet er seinen Alltag mit einer dumpfen Gleichgültigkeit, die nur durch den fast schon leidenschaftlichen Hass und Neid auf seinen jüngeren Bruder durchbrochen wird. Als dieser jedoch einen Nervenzusammenbruch erleidet – mit ungeahnten Konsequenzen – sieht Harry sich schlagartig in der Rolle des neuen Familienoberhaupts. Was nun folgt, ist eine mit viel Humor und doch sehr einfühlsam vorgetragene Odyssee durch die menschliche Gefühlspalette, durch große und kleine amerikanische Themen, die Homes pointiert und teilweise stark überzeichnet, jedoch nie vollkommen unglaubwürdig vorträgt.

Plötzlich aus seinem normalen Alltag gerissen, sieht sich Harry fortan mit vielen Dingen konfrontiert, die für ihn vollkommen neu sind: Scheidung, Entlassung, Online-Dating, das Sorgerecht für seine Nichte und seinen Neffen. Einen Haushalt managen. Die Besuche in der Psychiatrie bei seinem Bruder. Neben diesen fast schon normalen Dingen flechtet Homes dabei auch immer wieder vollkommen abstruse Episoden ein, die den Roman so zu einer Achterbahnfahrt der Kuriositäten machen und dabei geheime Gelüste, Ängste und Hoffnungen der Amerikaner aufdecken. Nicht selten bewegt Homes sich hierbei an der Grenze zur Parodie. Darauf muss man sich einlassen – allerdings versteht sie es, dies auf eine so sympathische Art zu beschreiben, dass man gerne das Auf- und Ab in Harrys Leben verfolgt.
Jede dieser teils brüllend komisch, teils tragischen Episoden vermittelt ihre ganz eigene Pointe ¬– und so verbergen sich hinter einer größtenteils ironisierenden, beinahe schon flapsigen Erzählweise viele tiefe Wahrheiten. Die hierfür gewählte Erzählweise macht es einem übergeordneten Handlungsbogen schwer, wirklich deutlich zu Tage zu treten: Überlagert durch besagte Episoden tritt dieser eher in den Hintergrund. Immer wieder begegnet man hierbei den unterschiedlichsten Nebencharakteren; mit Fug und Recht kann man dabei behaupten, dass wirklich jeder hiervon auf seine ganz persönliche Art und Weise durchgeknallt ist. Auch hieran zeigt sich: Auf diese Buch muss man sich einlassen. Ganz gewiss ist diese Gratwanderung zwischen Albernheit und Erkenntnis nicht jedermanns Sache. Wer sich jedoch darauf einlassen kann und will, bekommt unterhaltsame Lesestunden geboten.


Fazit

„Auf dass uns vergeben werde“ ist eine tragikomische und nicht selten durchgeknallt-liebenswerte amerikanische Familiengeschichte. Auf pointierte, teils überspitzte Art zeichnet Homes das Bild eines ebenso aufregenden wie beängstigenden Amerikas.


Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5