Ein Fremder liegt in meinem Grab (Margaret Millar)

millar einfremder

Diogenes, Zürich 28.1.2015
Originaltitel: A Stranger in My Grave (1960)
Übersetzung von Elizabeth Gilbert
Taschenbuch, 400 Seiten
ISBN 978-3-257-20646-3
€ 11,90 [D] | € 12,30 [A] | CHF 18,90

Genre: Kriminalroman, Mysterythriller


 

Inhalt

Daisy Fielding Harker, eine schöne, dunkelhaarige Frau von neunundzwanzig Jahren, führt mit ihrem Mann Jim, einem Grundstücksmakler, ein ruhiges, geordnetes Leben in San Félize an der kalifornischen Küste. Eines schönen Morgens erleidet sie am Frühstückstisch eine Panikattacke. Langsam erinnert sie sich wieder an den Traum der vergangenen Nacht, als sie ihren eigenen Grabstein mit dem Todesdatum 2. Dezember 1955 gesehen hat. Sie will herausfinden, was ihr an diesem Tag vor vier Jahren passiert ist. Jim hält das für eine fixe Idee und versucht es ihr auszureden.

Doch Daisy ist besessen von dem Gedanken. Sie engagiert heimlich den Privatdetektiv Pinata, den sie von früher kennt. Pinata hatte ihren Vater mit einer Bürgschaft aus dem Gefängnis geholt, wo er wegen einer Prügelei einsaß. Auf dem örtlichen Friedhof finden Daisy und Pinata das Steinkreuz aus dem Traum. Es trägt die Inschrift „Carlos Theodore Camilla 1907-1955“. Aus dem Zeitungsarchiv erfahren sie, dass man den Mexikaner Camilla neben den Bahngleisen erstochen aufgefunden hatte, unterernährt und abgerissen, aber mit zweitausend Dollar bei sich. Seinen Mörder hat man nie gefunden.

Daisy entdeckt, dass Jim jeden Monat einen Scheck an Adam Burnett, den Anwalt und Freund ihrer Familie, schickt. Adam leitet die Schecks weiter an eine Mrs. Rosario, die sich wiederum als Camillas Schwester erweist. Angeblich handelt es sich bei den Schecks um Unterhaltszahlungen für das Kind von Mrs. Rosarios Tochter Juanita. Juanita wiederum war die Frau, deretwegen sich Daisys Vater seinerzeit geprügelt hatte.


Rezension

Es geht um Mord und Erpressung, Liebe, Hass und Schuldgefühle, Lügen und gute Absichten, die sich ins Gegenteil verkehren, und schließlich um ein dunkles Familiengeheimnis – eine toxische Mischung mit großer Sprengkraft.
Margaret Millar ist Expertin im Erbauen und mehr noch im Einreißen von Scheinwelten. Daisy führt ein idyllisches Leben als Hausfrau der gehobenen Mittelschicht. Zumindest scheint es so. Sie hat einen liebenden Ehemann und eine fürsorgliche Mutter. Niemand stellt Anforderungen an sie, sie hat Geld und Zeit im Überfluss, kann ihrem Hobby nachgehen – alle paar Monate einem neuen. Sie fühlt sich ganz glücklich, „auf eine schläfrige Weise“. Man mag sich fragen, was geschieht, wenn sie wach wird.

 

Jim, ein pragmatischer, kühl denkender Mann, gefällt Daisys Art, die er für impulsiv und sentimental hält. Ein wenig fürchtet er ihre Stimmungsschwankungen. Er hat „die vage Idee, dass gerade die Eigenschaften, die er an Daisy bewunderte, den Umgang mit ihr bisweilen schwierig machen könnten und dass Mrs. Fielding, die genauso pragmatisch wie Jim war, eine Hilfe sein könnte.“

Etwas stimmt nicht im Heim der Harkers. Jedenfalls deutet Millar schon zu Beginn an, dass es ein Problem in der Beziehung gibt. Als Daisy eine Panikattacke hat, möchte sie Kaffee, doch Jim will ihr Tee machen, bringt ihr schließlich Milch. Man erfährt, dass er ihr ein Vogelbuch geschenkt hat, obwohl sie gar keine Vögel mag: „Der Kontrast zwischen ihrem fröhlichen freien Herumfliegen und ihrer furchtbaren Verletzlichkeit am Boden erinnerte sie zu sehr an sie selbst.“ Morgens setzt Daisy ein Lächeln auf, das nichts bedeutet. Aber Jim gefällt es, er bildet sich ein, dass er Daisy glücklich macht.

Daisy wird wie ein Kind behandelt, ihr Mann und ihre Mutter bestimmen über ihr Leben – mehr als ihr bewusst ist. Mit dem Traum ändert sich alles, denn Daisy beginnt Fragen zu stellen und leistet Widerstand. Stück für Stück bröckelt die Lügenfassade, bis sie am Ende einstürzt. Als Daisy die Konsequenzen zieht, tritt ironischerweise genau das ein, was ihr Mann und ihre Mutter die ganze Zeit verhindern wollten.

Vordergründig werden Jim und Ada Fielding von ihrer Liebe zu Daisy getrieben. Dahinter verstecken sich Motive wie Selbstschutz, Eigennutz, menschliche Schwäche. Differenziert und mit Fingerspitzengefühl lotet Margaret Millar die Psyche ihrer Protagonisten aus, legt ihre Wünsche, Ängste und Motive bloß, meidet Schwarzweißmalerei. Übernatürlich ist in diesem Roman jedenfalls nichts, auch wenn Daisys Traumerlebnis darauf hindeuten mag. Am Ende gibt es eine nachvollziehbare psychologische Erklärung für ihren Traum. Der Roman beginnt mit einem Brief an Daisy, bricht nach den ersten Worten ab und wird im letzten Kapitel, als man ihn schon längst vergessen hat, beendet. Er ist der Schlüssel des eigentlichen Rätsels.


Fazit

Margaret Millars Ein Fremder liegt in meinem Grab ist ein verschachtelter Psychothriller über ein tödliches Familiengeheimnis, intelligent verbunden mit der Emanzipation einer Frau und dem Trauma Rassismus. Die Handlung ist sorgsam konstruiert, mit einem überraschenden Ende und einer Auflösung buchstäblich mit den letzten zwei Worten.


Pro und Kontra

+ spannend erzählter Mystery der leisen, intensiven Töne
+ komplex, voll falscher Fährten, dezenter Anspielungen
+ Kritik an gesellschaftlichen Normen, Heuchelei, Vorurteilen
+ düstere Atmosphäre

Wertungsterne5

Handlung 5/5
Charaktere 5/5
Lesespaß 5/5
Preis/Leistung 5/5


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