Königsschwur (Joe Abercrombie)

Heyne (Februar 2015)
Originaltitel: „Half a King“
Übersetzerin: Kirsten Borchardt
Klappenbroschur
365 Seiten, 14,99 EUR
ISBN: 978-3-31599-0

Genre: Fantasy


Klappentext

In den kalten Nordlanden regiert das Gesetz des Stärkeren, und für Prinz Yarvi mit seiner verkrüppelten Hand ist dieses Gesetz ein Fluch. Als sein Vater und sein Bruder ermordet werden, muss er dennoch den Schwarzen Thron besteigen. Er schwört blutige Rache an seinen Feinden – und wird kurz darauf selbst verraten und als Sklave verkauft. Aber der Pfad seiner Rache hat gerade erst begonnen…


Rezension

Überzeugt, dass sein älterer Bruder das Erbe seines Vaters als König der an Wikinger erinnernden Gettländer antreten wird, bereitet sich Yarvi auf ein ruhiges Leben als Gelehrter vor. Auffassungsschnell, sensibel und hochintelligent ist er für dieses Leben wie geschaffen und übertrifft bereits in seiner Ausbildung alle um ihn herum an Wissen – nicht, dass er deswegen höher geschätzt würde. Sein Vater und sein Bruder sehen nur, dass er nie zu einem Krieger werden wird, und selbst seine kluge Mutter, die den Wert des Wissens kennt, hält ihn für willensschwach. Als Yarvis Vater und Bruder ermordet worden, traut niemand ihm zu, je ein wahrer König zu werden. Am allerwenigsten er selbst.

Yarvi schwört Rache an den Mördern seines Vaters, doch da wird er von denjenigen, die ihm am Nächsten stehen, verraten. Er entkommt dem Tod, nur um dann in die Sklaverei verkauft zu werden. Er erfährt Entbehrungen, Erniedrigungen und muss immer wieder um sein Leben fürchten. Alles, was ihn aufrecht hält, ist der Schwur den er geleistet hat und der nun auch Rache für den Verrat und die Rückeroberung des Throns miteinschließt. Schließlich wagt er mit einigen seiner Mitsklaven einen Fluchtversuch. Und plötzlich scheint es unwahrscheinlich, aber möglich, dass er nach Hause zurückkehren und seinen Schwur einlösen wird. Doch gerade als die Handlung beginnt, vorhersagbar zu erscheinen, geben zwei überraschende Wendungen ihr noch einmal eine vollkommen andere Richtung.

„Königsschwur“ ist für einen Fantasy-Roman ungewöhnlich kurz, hat nur eine einzige Hauptfigur und vergleichsweise wenige Nebenfiguren. Die lineare Handlung spielt in einer Welt, die sehr an unsere erinnert und daher wenig Aufmerksamkeit auf sich zieht. So ist Abercrombies Roman in mancher Hinsicht deutlich weniger komplex als andere Bücher des Genres und bedient sich auch einiger „Standardzutaten“ von Fantasy-Romanen. Doch diese Einfachheit von Handlung und Hintergrund scheint beabsichtigt, denn es ist Yarvis Entwicklung, die im Vordergrund steht. Und diese ist ausgezeichnet beschrieben:

Yarvi stellt im Laufe der Handlung fest, dass er stärker ist, als er es sich je zugetraut hätte – aber auch bereit, andere zu opfern, um sein eigenes Überleben und den Vollzug seiner Rache zu sichern. Im Laufe der Zeit entwickelt er sich von einem selbstmitleidigen Jungen zu einem Mann, zu dessen hoher Intelligenz sich auch unnachgiebige, rücksichtslose Entschlossenheit und die Bereitschaft gesellt, seine Ziele auf ungewöhnlichen Wegen zu erreichen. Doch auch wenn er viele Entscheidungen trifft, die moralisch alles andere als einwandfrei sind, sind sie vor dem Hintergrund seiner Situation immer verständlich. Abercrombie entwirft eine Welt voller Graustufen, in der es nahezu unmöglich ist, sich nicht in irgendeiner Weise schuldig zu machen. Yarvi akzeptiert die Opfer, die seine Pläne fordern, wird aber dennoch zutiefst von ihnen erschüttert und übernimmt stets die volle Verantwortung für sein Handeln.

Auch wenn es eindeutig Yarvi ist, der im Vordergrund steht, wirkt es nie, als seien Nebenfiguren nur eingefügt, um in irgendeiner Form mit ihm zu interagieren. Stattdessen haben sie ihre eigenen, klar gezeichneten Persönlichkeiten und Vorgeschichten, treffen eigene Entscheidungen und enthüllen gelegentlich verblüffende Geheimnisse. Sie sind zumeist differenziert gezeichnet (eine Ausnahme ist die einseitig abstoßende Kapitänin des Sklavenschiffs) und die Motivation der Antagonisten ist immer klar und teilweise sogar sehr nachvollziehbar. Unrealistisch ist höchstens die Figur eines alten Schwertkämpfers mit einem Geheimnis, dessen Weg sich als Ergebnis einer Reihe unwahrscheinlichster Zufälle mit dem Yarvis kreuzt und dessen Fähigkeiten von Jahrzehnten des Hungers und fehlender Übung unbeeinträchtigt scheinen.

„Königsschwur“ beleuchtet schonungslos die Schwächen seiner Figuren und zeigt, wie leicht Menschen doch Würde und Mitgefühl abhandenkommen können. Dies spiegelt sich auch im Stil des Buches wieder: In Dialogen und Erzählpassagen blitzt immer wieder tiefschwarzer Humor auf. Gleichzeitig gibt es jedoch hin und wieder auch Wendungen in der Handlung, die einen nicht alle Hoffnung für die Menschheit aufgeben lassen. Die Sprache des Buches ist auf den ersten Blick eher einfach gehalten, aber gelegentlich fällt die Präzision und Prägnanz in den bissigen Kommentaren der Figuren oder der Schilderung von Yarvis Beobachtungen über die menschliche Natur auf.


Fazit

Auf den ersten Blick kommt „Königsschwur“ wie eine eher simple Geschichte um Rache und die Rückkehr des rechtmäßigen Königs daher. Beim Weiterlesen stellt sich Abercrombies Werk jedoch als ein unterhaltsamer, aber auch nachdenklicher Roman heraus, der mit differenzierten Figurenzeichnungen glänzt und gerade im letzten Drittel immer wieder überrascht.


Pro und Contra

+ Yarvis Entwicklung
+ Verzicht auf moralische Eindeutigkeit
+ gelungenes Verhältnis von Handlung und Reflektion
+ interessante und überzeugende Nebenfiguren
+ schwarzer Humor

o übernatürliche Elemente nahezu nicht vorhanden
o Handlung ist einfach und linear gehalten

- unwahrscheinliche Zufälle
- eher gewöhnliche Grundidee

Wertung: 

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 3,5/5


Interview mit Joe Abercrombie

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Tags: Grimdark, Joe Abercrombie