Piper (Mai 2016)
Originaltitel: “The Unleashing”
Übersetzerin: Karen Gerwig
Taschenbuch
416 Seiten, 9,99 EUR
ISBN: 978-3-492-28082-2
Genre: Dark Fantasy
Klappentext
Als Ex-Marine hat Kera Watson gelernt, jederzeit mit allem zu rechnen. Doch das ihre Heimat L.A. – genauer gesagt, das Café, in dem sie arbeitet – regelmäßig von heißen Wikingern im Dienste Odins heimgesucht wird… Mal ehrlich, wer kommt den auf sowas? Vig Rundstrom ist Krieger durch und durch, aber Keras Kurven lassen ihn jede Pflicht vergessen. Deshalb ist er auch zur Stelle, als Kera in einer Seitenstraße ermordet wird. Er verschafft ihr ein neues Leben als Crow, als Todesbotin der Götter. Nur weiß Kera nicht so recht, was sie von ihrem neuen Job, und Vig, halten soll…
Rezension
Die Handlung von „Call of Crows“ setzt jäh ein – Kera erwacht in einem Haus, das von hammerschwingenden Fremden gestürmt wird. Und das, obwohl sie noch Sekunden zuvor tot war, denn die Gottheit Skuld hat sie auf Bitten des Wikingers Vig Lundström hin wieder zum Leben erweckt. Als Crow verfügt Kera nun über übermenschliche Kraft, kann Flügel und Krallen heraufbeschwören und ist verpflichtet, all jene zu vernichten, die dumm genug sind, die Göttin zu bestehlen.
Doch all dies kommt Stück für Stück heraus. Kera fordert überraschenderweise nicht gleich am Anfang eine zusammenhängende Erklärung über die übernatürlich begabten Kriegerclans, die im Verborgenen für verschiedene Götter des germanischen Pantheons arbeiten. So erfährt man im Verlauf des Buches immer mehr über die vielen mythischen Wesen und parallel existierenden Welten, aber die Informationen bleiben bruchstückhaft und die Motivationen vieler Götter unklar. Die Existenz von Konflikten zwischen den Göttern und gefährlichen Wesen, die in der Welt der Menschen drängen, werden angedeutet, aber treten, bis es am Ende zum Kampf kommt, in den Hintergrund.
Vielmehr geht es darum, wie Kera lernt, sich in der Welt der Crows zu orientieren. Anders als die Angehörigen der anderen Clans, die ihre Fähigkeiten erben und von Kindheit an auf ihre Rolle vorbereitet werden, sind die Crows Frauen mit den verschiedensten Hintergründen, die nur eines gemeinsam haben: Sie sind eines gewaltsamen Todes gestorben und sind nun nur noch Skuld und einander gegenüber loyal. Dem Rest der Welt stehen sie gleichgültig bis feindselig gegenüber. Viele von ihnen nutzen ihr zweites Leben, um sich lange gehegte Träume zu erfüllen und sind nahezu unglaubwürdig erfolgreich in allem was sie tun. Selbstbewusst, unangepasst und direkt schubsen sie sich durchs Leben – und geraten natürlich auch ständig aneinander. Es macht durchaus Spaß, ihren permanenten Hick-Hack zu lesen, aber obwohl nahezu alle Dialoge humorvoll sind, fallen sie selten subtil oder ungewöhnlich clever aus. Auch kommen so einige Crows ziemlich unausstehlich herüber und sind als Figuren völlig überzeichnet.
Kera braucht eine Weile, um sich in diese sonderbare Gemeinschaft einzufügen. Dabei steht ihr Vig Rundström zur Seite. Die beiden werden ein Paar, allerdings verzichtet Aiken dankenswerterweise auf einige Urban-Fantasy-Klischees und lässt ihre Beziehung auf eher ungewöhnliche Weise beginnen. Auch vertauscht sie die üblichen Rollen: Vig ist zunächst sehr gehemmt, so dass Kera ihn anfangs völlig falsch einschätzt, dann aber die Initiative übernimmt. Später sind sie dann ein überzeugendes Paar und wirken in ihrer Interaktion locker und natürlich. Ihre Beziehung ist angenehm frei von Melodrama.
Genau wie viele ihrer Crow-Schwestern bringt Kera einiges an emotionalem Ballast mit: Sie ist mit einer psychisch kranken Mutter aufgewachsen, hat Schwierigkeiten, ihr Leben als Marine hinter sich zu lassen und sich an die Selbstverständlichkeit zu gewöhnen, mit der die meisten Crows töten. Dazu blickt sie noch auf eine ziemlich desaströse Beziehung zurück. Aber all diese Probleme spielen nur eine kleine Rolle oder werden im Zeitraffer gelöst. etc. …
Insgesamt ist die Figurenzeichnung teilweise recht oberflächlich geraten. Auch ist der Einstieg des Buches nicht allzu gut gelungen – der Leser wird mit offenen Fragen und verwirrenden Informationen bombardiert und steht dem actionreichen Einstieg in die Handlung gleichgültig gegenüber, weil er die Hauptfigur noch nicht gut genug kennt, um sich für ihr Schicksal zu interessieren. Leider bleiben viele Fragen ungeklärt und es gibt auch keine Einblicke in weniger bekannte Aspekte der nordischen Mythologie. Handlungselemente wollen sich teilweise nicht so recht zusammenfügen und der Kampf am Ende und die Enthüllung des Hauptgegners wirken trotz vereinzelter Andeutungen plötzlich und unmotiviert – tatsächlich erfährt man erst auf den letzten fünfzig Seiten, wo die Handlung sich eigentlich hinbewegt. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Sprache des Buches, die sehr einfach und teilweise umgangssprachlich bis vulgär gehalten ist. Damit bewegt sie sich zwar nahe an der Denk- und Sprechweise der Figuren, aber ist nicht so angenehm zu lesen. Das Ende ist offen und darauf angelegt, Neugier auf den zweiten Teil zu wecken.
Fazit
„Call of Crows“ ist ein leichter, kurzweiliger Urban-Fantasy-Roman, der Gestalten der nordischen Mythologie ins Zentrum stellt und neu interpretiert. G.A. Aiken scheint es gar nicht darauf anzulegen, überzeugende Charaktere und dramatische Auseinandersetzungen darzustellen. Vielmehr geht es um Spaß und Action und die liefert das Buch trotz einiger offensichtlicher Schwächen - allen voran die Tatsache, dass dem Buch ein zugrundeliegender Konflikt fehlt - durchaus. "Call of Crows" ist unterhaltsam, wenn auch in so einiger Hinsicht nicht zufriedenstellend.
Pro und Contra
+ Situationskomik
+ Humor in Dialogen
+ unsentimental
- Sprache sehr einfach bis umgangssprachlich
- Figuren oft mit wenig Tiefe oder ziemlich stereotyp
- viele Crows nervtötend und oberflächlich
- innere Konflikte eingeführt, nur um heruntergespielt oder unrealistisch schnell gelöst zu werden
- Handlungselemente formen kein stimmiges Ganzes
- Konfrontation am Ende nicht genug vorbereitet
- Leser lernt wenig über nordische Mythologie
Wertung:
Handlung: 2,5/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5