Interview mit Peter Goldammer
Literatopia: Guten Tag, Herr Goldammer! Kürzlich ist Ihr Debütroman „Der Zirkus der Stille“ erschienen. Auf was für einen Zirkus können sich die Leser freuen?
Peter Goldammer: Auf einen leisen Zirkus ohne Artisten- und Tiernummern, aber indem man dennoch das Staunen lernt.
Literatopia: Thaïs Leblanc verkauft Hochzeitsmode und führt eigentlich ein „normales“ Leben. Warum hält sie zunächst so sehr an der scheinbaren Normalität fest? Und inwiefern verändert der Tod ihrer Großmutter ihre Lebenseinstellung?
Peter Goldammer: Menschen sehnen sich nach Kontinuität, die wir als Normalität begreifen. Aber wir sehnen uns auch nach Abwechslung, suchen die Besonderheit. Das Glück liegt scheinbar immer auf der anderen Seite des Flusses.
Für Thaïs ist Kontinuität – nach Ihrer Jugend bei Ihrer Grußmutter, die mit dem Zirkus umherreiste – etwas Besonderes. Sie sehnt sich danach. Nach der Normalität, die sie zu haben glaubte, als ihre Mutter noch lebte. Beim Tod ihrer Großmutter will sie endgültig mit diesem ungeliebten Teil Ihres Lebens abschließen, aber das misslingt. Thaïs kann den Drang zum Besonderen in ihr selbst nicht einfach abschütteln.
Literatopia: Was für ein Mensch war die unvergleichliche Victoria? Und wie hätte sie Ihnen als Großmutter gefallen?
Peter Goldammer: Exzentrische Menschen, wie Madame Victoria, faszinieren oft Fremde mehr, als die eigenen Familienmitglieder, für die sie ziemlich anstrengend sein können. Wenn so ein Mensch auch noch ein Alkoholproblem hat, wird es sehr aufreibend für die Familie.
Literatopia: „Der Zirkus der Stille“ zeigt unter anderem auf, wie wichtig es ist, sich selbst treu zu sein und zu werden. Gilt das auch für Sie? Ziehen Sie die Entscheidungen des Herzens denen des Kopfes vor?
Peter Goldammer: Ich misstraue dem Gedanken, dass man sich selbst treu bleiben sollte. Ich glaube, dass unsere Persönlichkeit auch eine Selbstkonstruktion ist. Überspitzt könnte man sagen: wir erfinden den „Roten Faden“ unseres Lebens permanent neu. Sich selbst treu zu bleiben heißt für Thaïs, und das gilt sicher auch für mich, nicht das zu tun, was andere sich für einen wünschen, sondern seinen eigenen Weg zu gehen und an diesem Lebensweg zu wachsen.
Literatopia: Anhand von Thaïs‘ Lebensweg wird im Roman auch das Schicksal der Zigeuner thematisiert: Beliebt als unterhaltsame Gaukler und gleichzeitig verpönt als Diebe und Taugenichtse. Wie sind Sie dazu gekommen, sich in Ihrem Buch mit diesem fahrenden Volk zu beschäftigen?
Peter Goldammer: Seit sechshundert Jahren leben diese Menschen unter uns in Europa – müsste die Frage nicht eher lauten, warum nie über sie geschrieben wird?
Literatopia: Mögen Sie persönlich Zirkusse? Was zeichnet eine gelungene Zirkusvorstellung aus?
Peter Goldammer: Ich mag Zirkus. Aber, ich sehe die Vorstellungen mit anderen Augen. Das geht mir nicht nur im Zirkus so, sondern auch in der Oper und im Theater so. Ich sehe Menschen, und im Zirkus auch Tiere, die etwas aufführen, die Texte aufsagen, Kostüme tragen, die schwitzen, die Energie verströmen. Mich faszinieren die Geschichte hinter der Geschichte oftmals mehr, als das, was aufgeführt wird.
Literatopia: Fließen Ihre Erfahrungen als Werbetexter in Ihre literarische Arbeit ein? Denken Sie während dem Schreiben darüber nach, ob sich dies und das den Lesern gut „verkaufen“ lässt? Oder geben Sie sich eher ganz dem Gefühl des Schreibens hin?
Peter Goldammer: Wenn ist etwas verkaufen wollte, wäre ich in der Werbung geblieben. Oder ich hätte zumindest ein Bestseller-Genre bedient. Bestimmt aber wäre ich nicht auf die Idee gekommen, einen Roman über ein junges Mädchen zu schreiben, dass auf der Suche nach einem Wanderzirkus ist.
Literatopia: Wie gut sind Sie darin, sich selbst zu vermarkten? Und denken Sie, ein Autor muss heutzutage mehr tun als „nur“ ein Buch zu schreiben?
Peter Goldammer: Ich nutze meine Website, bin bei Pinterest, Twitter, Instagram und Facebook. Aber ich weiß trotzdem nicht, wie man sich als Autor gut oder schlecht verkauft. Und ich bezweifle, dass es andere Leute besser wissen. Wäre ich ein cooler Burger-Laden, ein angesagter Coffeeshop oder eine trendiger Smoothie-Laden – okay, dann hätte ich ein paar Ideen. Aber wie präsentiert man sich als Autor? In Cordjacke und mit Pfeife? Irgendwie verhuscht? Möglichst sensibel? Grundsätzlich schwarzweiß fotografiert? Mit Kaffee in der Hand und viel Zigarettenrauch? Ich weiß es nicht. Ich schreibe und poste Dinge, die mich interessieren, die mir auffallen, die ich sonderbar, schön, irritierend oder beglückend finde. Ob das dem Verkauf der Bücher nutzt? Keine Ahnung. Doch wahrscheinlich ist es besser, als nichts machen. Obwohl ich mir nicht mal dabei sicher bin. Viele Weltbestseller-Autoren sind im Netz nicht zu finden. Gute Bücher schreiben, das ist wohl das einzige, was am Ende wirklich hilft.
Literatopia: „Der Zirkus der Stille“ ist Ihr erster veröffentlichter Roman – ist er auch der erste geschriebene? Oder tummeln sich allerhand Manuskripte in Ihrer Schublade?
Peter Goldammer: Ich habe noch eine Kurzgeschichte und ein halbes Theaterstück in der Schublade.
Literatopia: Wie hat sich die Verlagssuche bei Ihnen gestaltet? Haben Sie lange nach dem Atlantik-Verlag Ausschau halten müssen?
Peter Goldammer: Die Verlagssuche hat meine Agentin, Karin Graf für mich übernommen. Es ging erfreulich schnell.
Literatopia: Was halten Sie von eBooks? Praktisch, weil man sehr viele Bücher jederzeit mit sich herumtragen kann? Oder geht das einzelne Werk auf einem eReader eher unter?
Peter Goldammer: Ich bevorzuge Papier. Das ist sinnlicher.
Literatopia: Was lesen Sie selbst gerne? Haben Sie vielleicht ein Lieblingsbuch, das Sie unseren Lesern empfehlen möchten?
Peter Goldammer: Zurzeit lese ich das großartige „M Train“ von Patti Smith. Und ein wundervolles Sachbuch: Unser mathematisches Universum von Max Tegmark. Es beginnt mit einem Zitat des Nobelpreisträgers Richard Feynmann: „ … Bäume bestehen hauptsächlich aus Luft. Verbrennt man sie, werden sie wieder zu Luft, und in der lodernden Glut wird die lodernde Glut der Sonne freigesetzt, die mitwirkte, um die Luft in den Baum zu verwandeln. Und in der Asche finden wir den kleinen Überrest des Anteils, der nicht aus der Luft, sondern aus der festen Erde kam.“
Literatopia: Arbeiten Sie bereits an Ihrem nächsten Roman? Und können uns vielleicht schon einen kleinen Ausblick darauf geben?
Peter Goldammer: Ja, ich arbeite am nächsten Buch. Nein, ich rede nicht über den Inhalt. Alle Projekte, über die ich im Frühstadium viel geredet habe, egal ob Bücher oder sonst etwas, erblickten nie das Licht der Welt. Ich hab sie totgequatscht – noch bevor sie das Licht der Welt erblickt haben.
Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!
Autorenfotos: Copyright by Peter Goldammer
Rezension zu "Der Zirkus der Stille"
Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.