Erdsee – Vier Romane in einem Band (Ursula K. Le Guin)

Piper (Mai 2013)
Originaltitel: “The Wizard of Earthsea“/ “The Tombs of Atuan“/ “The Farthest Shore”/ ”Tehanu”
Übersetzerinnen: Margot Paronis (Bd. 1-3), Hilde Linnert (Bd. 4)
Taschenbuch
925 Seiten, 15,00 EUR
ISBN: 978-3-492-26931-5

Genre: High Fantasy


Klappentext

Der junge Zauberschüler Ged ist einer der größten Magier von Erdsee. Eines Tages schafft er eine Verbindung zum Totenreich. Dabei jedoch erkennt er, dass die Welt der Lebenden durch einen Riss im Jenseits bedroht wird. Gemeinsam mit der Hohepriesterin Tenar und Tehanu, der Tochter der Dachten, stellt sich Ged den dunklen Mächten, die Erdsee ins Verderben stoßen wollen…


Rezension

Ursula K. le Guin begann ihre einflussreiche Erdsee-Tetralogie 1968 und man merkt den Büchern ihr Alter an: Anders als zahlreiche zeitgenössische High-Fantasy-Romane, die auf hunderten von Seiten von komplexen politischen Verwicklungen, einer Vielzahl von Figuren, Antihelden und jeder Menge Action erzählen, sind die vier Erdsee-Bücher alle sehr kurz. Sie erinnern in ihrem Fokus auf je einer Figur und einem großen Konflikt und der Art, wie sie Fragen wie die Akzeptanz der eigenen dunklen Seiten oder der eigenen Sterblichkeit behandeln, ein wenig an Märchen. Unterstützt wird dies von der Sprache, deren vordergründige Einfachheit eine bewusste Entscheidung der Autorin zu sein scheint, um eben diese mythisch-märchenhafte Atmosphäre zu schaffen. Ebenfalls fällt auf, wieviel Zeit le Guin sich nimmt, um ihre Geschichten zu erzählen.

Das erste Buch der Tetralogie, „Der Magier der Erdsee“ erzählt die Geschichte des Ziegenhirten Ged, dem es bestimmt ist, ein großer Magier zu werden, der jedoch in seinem Hochmut einen schweren Fehler begeht. Er muss viel lernen, bis er ihn schließlich beheben und weise und gestärkt aus der Erfahrung hervorgehen kann. In den folgenden beiden Büchern ist er nicht mehr die Hauptfigur, aber tritt als Mentor auf und ist Katalysator für die Entwicklung anderer Figuren. Der jungen Priesterin Tenar hilft er zu erkennen, dass sie bloß die Marionette einer lebensfeindlichen Priesterschaft ist. Den Prinzen Arren nimmt er mit auf eine gefährliche Reise, auf der am Ende unklar ist, wer von beiden eigentlich wen führt. Im letzten Buch, „Tehanu“, begegnen er und Tenar sich als alte Menschen wieder, allerdings tragen sie zu diesem Zeitpunkt schwer an ihren jeweiligen Verlusten.

Der Schauplatz der Handlung, Erdsee, ist eine frühmittelalterlich anmutende Welt aus unzähligen Inseln, deren Kulturen sich sehr voneinander unterscheiden, auch wenn sie einige Traditionen teilen. Es gibt Drachen und eine rätselhafte, mit dem Land verbundene Magie, die sich mit der Zeit verändert. Noch im ersten Teil scheint es, als müssten Zauberer sich nicht fragen, wozu sie fähig sind, sondern nur, welche Konsequenzen ihre Zauber möglicherweise haben werden, aber in den Folgebänden stoßen die magisch begabten Figuren mehr und mehr an ihre Grenzen.

Die Art, wie die Figuren und ihre Beziehungen zueinander sich entwickeln, zeugt von großer Menschenkenntnis. Ihrer Innenwelt, aber auch ihrem Alltagsleben wird viel Aufmerksamkeit gewidmet. Es handelt sich bei ihnen allen um prinzipiell gute Menschen, die jedoch auch Fehler machen oder unter den Einfluss des Bösen geraten können. Interessanterweise entstammen die feindlichen Mächte, denen sich die Figuren in der Reihe entgegenstellen müssen, immer dem menschlichen Inneren.

Leider vernachlässigt Le Guin jedoch über diesen inneren Konflikten und – besonders in „Tehanu“ – auch in philosophischen Überlegungen, z.B. zu Geschlechterrollen, das äußere Geschehen. Während die Handlung in „Der Magier der Erdsee“ sich langsam, aber doch stetig entfaltet, gibt es in „Das ferne Ufer“ und noch mehr in „Tehanu“ Passagen, die sich lang hinziehen und auch gerade deshalb unangenehm zu lesen sind, weil die Figuren deprimiert, ratlos und desorientiert ist und nicht klar wird, wo sich die Geschichte eigentlich hinbewegen soll.


Fazit

Ursula K. le Guins „Erdsee“-Tetralogie unterscheidet sich in vielem von zeitgenössischer Fantasy und wird Leser, die nach actionreicher Unterhaltung suchen, wahrscheinlich enttäuschen. In den letzten beiden Bänden balanciert das Erzähltempo gefährlich zwischen langsam und langweilig. Trotzdem haben die vier teilweise fast an Märchen erinnernden Bücher einen sehr eigenen, atmosphärischen Stil, der vielleicht gerade diejenigen Leser ansprechen wird, die sich auch gut mit Tolkiens gemächlicher Erzählweise anfreunden können.


Pro und Contra

+ ganz eigene Atmosphäre
+ feindliche Mächte kommen nicht von außen, sondern aus menschlichen Inneren
+ kunstvoll-einfache, an Märchen erinnernde Sprache
+ Auftauchen von Figuren in mehreren Bänden erlaubt es, ihre Entwicklung über Jahre zu verfolgen

o sehr gemächlicher Erzählstil
o Alltagsleben und Nachdenken der Figuren über das Leben nehmen viel Raum ein

- Handlung wirkt (v.a. in „Tehanu“) stellenweise schleppend und ziellos
- lange, deprimierende Passagen über unzufriedene, ratlose Charaktere

Wertung: 

Handlung: 2/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5

 

Rezension zu "Grenzwelten"

Rezension zu "Die linke Hand der Dunkelheit"