Daniel Illger (10.09.2016)

Interview mit Daniel Illger

Literatopia: Hallo, Daniel! Mit Deinem Debütroman „Skargat – Der Pfad des schwarzen Lichts“ hast Du 2016 den Seraph gewonnen. Wie fühlt es sich an, wenn gleich die erste Veröffentlichung solch eine Ehrung erfährt?

daniel illger2016Daniel Illger: Die „Skargat“-Bücher sind ja in mancherlei Hinsicht recht ungewöhnlich, vielleicht auch ein bisschen seltsam und herausfordernd. Beim ersten Band war ich mir doch sehr unsicher, wie er aufgenommen werden würde. Da hat es sehr gut getan, im Gespräch mit Mitgliedern der Seraph-Jury die Begeisterung und Unterstützung für das Buch zu erfahren. Den Preis selbst zu bekommen, war natürlich einfach ein großes Glück. Ich habe bis zuletzt nicht geglaubt, dass „Skargat“ gewinnen würde.

Literatopia: Was erwartet die Leser in „Skargat“? Was genau ist „Der Pfad des schwarzen Lichts“?

Daniel Illger: In „Skargat“ mische ich verschiedene Stile und Genres, die mir Freude machen: klassische Fantasy, Gothic-Horror, hier ein bisschen Lovecraft, da ein bisschen Dostojewski, blutige Action und schräger bis schwarzer Humor. Aber dem zweiten Band kommen dann auch ein paar – hoffentlich berührende – Liebesgeschichten hinzu.

Im Kern geht es bei „Skargat“ aber um Freundschaft und Rache. Einer will nicht zulassen, dass seinem besten Freund ein Unrecht widerfährt. Er tut alles, um das zu verhindern und findet eine Reihe von Weggefährten, die sich ihm aus verschiedenen Gründen anschließen – bis sich dann herausstellt, dass der Freund nicht gar so harmlos ist und im Hintergrund etwas sehr viel Größeres und Furchtbareres lauert.

Was den „Pfad des schwarzen Lichts“ betrifft, möchte ich nicht zu viel verraten, weil im ersten Band tatsächlich eine Frage ist, wer sich eigentlich auf diesem Pfad befindet – und was damit gemeint ist. Das Buch gibt darauf keine eindeutige Antwort; die überlasse ich in diesem Fall gerne den Leserinnen und Lesern.

Literatopia: Zwischen tot und lebendig gibt es in „Skargat“ allerhand Zwischenformen. Inwiefern greifen die Untoten ins Geschehen in Deinem Roman ein?

Daniel Illger: Es gibt in „Skargat“ ein Geisterreich, wo sich – mitunter recht vergnügte – Spukwesen und Nachtgestalten tummeln. Einige der Hauptfiguren haben Zugang zu diesem Geisterreich und verbringen auch schon mal weinselige Nächte in einer Gespensterschenke.

Dann gibt es den Zug der wütenden Toten, die wilde Gespensterhorde des Schwarzen Jägers; das sind eher unfreundliche Gesellen, die Jagd auf Menschen machen, die sich in bestimmten Nächten des Jahres vor die Tür wagen.

Davon abgesehen tauchen gelegentlich Leichenfresser auf, die aber technisch gesehen nicht untot sind, und auch ein paar Zombies schwanken ab und zu durch die Szenerie.

Literatopia: Wer sind die Protagonisten in „Skargat“? Und wie sind Ihre Lebenswege miteinander verwoben?

Daniel Illger: Die wichtigsten Figuren sind:

Mykar, dem als Kind übel mitgespielt worden ist und der für einen Mord gelyncht wird, den er nicht begangen hat. Auf geheimnisvolle Weise gerät Mykar in einen Zustand zwischen Leben und Tod, aus dem er nach Jahren zurückgekehrt, als sein einziger Freund, Cay, des Mordes an einem Adeligen beschuldigt wird.

Er bekommt Hilfe von Justinius von Hagenow, einem versoffenen Adeligen, der von seinem Vater verstoßen wurde und zusammen mit seiner verrückten (oder angeblich verrückten) Magd Scara in einer Ruine haust. Justinius hält sich selbst für einen Versager, schwingt sich aber im Lauf der Geschichte immer mehr zum Helden auf – auch wenn er sich dabei des Öfteren mehr als nur ein blaues Auge holt. Und Scara hat ihre ganz eigene und mitunter recht merkwürdige Art, die „gute Sache“ voranzubringen.

Schließlich ist da noch Vanice Devecraux, eine schöne junge Frau aus bestem Hause, die aber unter einem schrecklichen Fluch leidet: ein unüberwindlicher Hunger nach verwestem Fleisch, am besten Menschenfleisch, quält sie. Vanice gibt sich selbst die Schuld an ihrem Fluch und hat sich deshalb aus der Welt des Lichts und Wohllebens verbannt. Sie verliebt sich in das Bild, das Mykar von Cay zeichnet, und da sie sonst wenig Hoffnung hat, reicht ihr das, um alles an die Befreiung von Mykars Freund zu setzen.

Literatopia: Obwohl Du drei Protagonisten hast, sind alle Kapitel in der „Ich“-Form geschrieben. Wie hast Du es geschafft, dass man trotzdem gut zwischen den Charakteren unterscheiden kann?

Daniel Illger: Die drei Ich-Erzähler, Mykar, Justinius und Vanice, sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Vanice hat zum Beispiel eine hohe Bildung genossen, Mykar überhaupt keine, und während Justinius oft und gern mitunter recht derbe Flüche ausstößt, sind die beiden anderen da recht zurückhaltend. Auch in ihrer Art, die Welt zu sehen, unterscheiden sie sich sehr: Mykar denkt wenig nach über sie selbst und betrachtet die Welt häufig mit großen, verwunderten Augen; Vanice hingegen ist ständig damit beschäftigt, ihr eigenes Verhalten und alles um sich herum zu analysieren und zu deuten; Justinus schließlich pflegt einen hemdsärmeligen Zynismus, der nicht zuletzt dazu dient, seinen eigenen Schmerz und seinen Hunger nach Gerechtigkeit zu übertünchen.

Ich habe versucht, diese und andere Unterschiede in Sprache zu gießen, also für jede Figur einen ganz eigenen Ton zu finden, der ihr oder ihm entspricht. Ob das gelungen ist, kann man leicht überprüfen: Wenn man „Skargat“ an einer beliebigen Stelle aufschlägt, sollte man eigentlich nach spätestens einem Absatz wissen, wer da spricht.

Literatopia: Wer Fantasy schreibt, ersinnt oftmals ganze Welten mit eigenen Völkern, Kulturen und Mythologien. Wie hast Du den Überblick über Deine Welt behalten?

Daniel Illger: Die Welt von „Skargat“ ist über einen langen Zeitraum hinweg gewachsen. Ihre Wurzeln liegen im Rollenspiel, und als sie begann, Romanschauplatz zu werden, kannte ich mich schon bestens in ihr aus. Meiner Erfahrung nach sind es vor allem die Kleinigkeiten, die einem Kopfzerbrechen bereiten: Was gibt es in einer solchen Gegend um diese Jahreszeit eigentlich zu essen? Welche Bäume wachsen da? Wie sehen die Häuser aus? Womit beschäftigen sich die Leute eigentlich den ganzen Tag, wenn sie gerade keine Abenteuer erleben? Wie lange braucht Mykar, um von den Windmarken nach Donost zu gelangen, und was hat Vanice eigentlich angehabt in der Szene von vor vierhundert Seiten, auf die ich mich jetzt beziehen möchte? Und kann mir irgendjemand verraten, wo Justinius seine Rüstung gelassen hat?

Ab einem gewissen Komplexitätsgrad können einen die Details ganz schön in Schwitzen bringen – auf die Details kommt es aber an, wenn eine Welt lebendig sein soll.

Literatopia: Was reizt Dich an phantastischen Geschichten? Und was macht für Dich richtig gute Phantastik aus?

Daniel Illger: Letztlich haben doch alle Menschen eine Sehnsucht danach, die Grenzen der eigenen Existenz zu überschreiten. Wie alle Literatur, antwortet auch die Phantastik auf dieses Bedürfnis. Aber sie schließt eben eine Tür in unserer Welt auf, die sie auf andere Welten, andere Wirklichkeiten, Zeiten jenseits unserer Geschichte hin öffnet. Wie viel Zauber, wie viel Reichtum liegt darin, diese Welten, Wirklichkeiten und Zeiten zu erkunden! Und wir können so viel mitbringen von diesen Reisen, was unser Dasein im Hier und Jetzt, unseren Blick auf unsere Zeit und unsere Welt bereichert.

Ich denke, im Kern muss jede gute Phantasik – ganz gleich, ob Fantasy, Horror, Sci-Fi oder etwas ganz anderes – diese Entdeckerfreude erwecken; auf je verschiedene Weise und immer wieder aufs Neue.

Literatopia: Wann ist Deine erste Geschichte entstanden? Und was war damals der Grund, selbst zur Schreibfeder zu greifen?

Daniel Illger: Wenn ich nicht irre, habe ich schon als kleines Kind begonnen, eine Leidenschaft fürs Geschichtenerzählen zu entwickeln. In meinem Fall ist es so, dass ich mich niemals recht heimisch gefühlt habe auf der Welt; da war es naheliegend, in anderen Welten nach Heimaten zu suchen.

skargat gesetz der schattenLiteratopia: Was liest Du gerne? Düstere Fantasy, wie du sie schreibst, oder darf es auch mal etwas Humorvolles oder Leises sein?

Daniel Illger: Wenn ich darüber nachdenke, welche Bücher mich in den letzten zwölf Monaten begeistert habe, ist das ein rechter Gemüsegarten: „The Queen of the Tearling“ von Erika Johansen, „Im Frühling sterben“ von Ralf Rothmann, der erste Band des „Hyperion-Cantos“ von Dan Simmons, die Erzählungen von Laird Barron, die Lyrik von Nelly Sachs, „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ von Christoph Ransmayr, „Der begrabene Riese“ von Kazuo Ishiguro, „The Devil All the Time“ von Donals Ray Pollock, „Der Anteil des Teufels“ von Denis de Rougemont, „Flora & Ulysses“ von Kate DiCamillo...

Nun, zugegeben, die meisten Blumen in diesem Garten blühen wohl eher dunkel. Ganz allgemein muss ich mir die Bücher sehr gut aussuchen, weil ich ein ziemlich langsamer Leser bin.

Literatopia: Deine Dissertation widmete sich dem Thema "Heim-Suchungen. Stadt und Geschichtlichkeit im italienischen Nachkriegskino“ – was kannst Du uns darüber erzählen?

Daniel Illger: Das italienische Kino der 40er, 50er, 60er und 70er Jahre ist für mich ein unglaublich aufregender Abenteuerspielplatz; sowohl, was das Autorenkino (Neorealismus und so weiter) als auch, was das Genrekino (Horror, Western, Komödien, Polizeifilm und, ganz wichtig, Giallio) betrifft.

Meine Dissertation geht von der These aus, dass sich eine bestimmte Art, die Stadt zu inszenieren, in nahezu allen Spielarten dieses Kinos findet. Hier tritt der Protagonist eine Reise durch die Stadt an, die häufig vom Zentrum in die Peripherie führt, und in deren Verlauf sich die alltäglichen Räume der Stadt – die Straßen, Plätze, Bars und Cafés – in einen Gerichtshof verwandeln. Was hier verhandelt wird, ist die Frage, ob es der italienischen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg gelang, sich als Demokratie zu erneuern. Die Antwort fällt in den meisten Fällen wenig zuversichtlich aus.

„Heim-Suchungen“ heißt das Buch, weil die Filme, die mich interessieren, in ihren Stadtinszenierungen einerseits nach einer verlorenen Heimat suchen, andererseits selbst heimgesucht werden: nämlich von einer unerlösten Vergangenheit.

Man sieht, ganz ohne Geister und Gespenster komme ich auch in der Wissenschaft nicht aus.

Literatopia: In einem kurzen Interview mit Papiergeflüster empfiehlst Du „Die Bösen Geister“ von Fjodor Dostojewski – warum sollte man diese Geschichte unbedingt gelesen haben?

Daniel Illger: Nun, zunächst einmal ist Dostojewski ganz allgemein einer der großartigsten Autoren, die man lesen kann. Seine Bücher sind auch, obwohl sie dem 19. Jahrhundert entstammen, höchst zeitgemäß; gerade „Die Bösen Geister“ setzt sich mit dem Grauen des Nihilismus auseinander, der ja auch heutzutage in allerlei Maskeraden daherkommt, letztlich aber immer dasselbe meint: Zerstörung. „Die Bösen Geister“ hat auch einige der faszinierendsten und abgründigsten Figuren, die mir je untergekommen sind. Beispielsweise Stawrogin, der – bewundert und verehrt – in sich nur eine unendliche Kälte, Leere und Gleichgültigkeit spürt und gerade darum entsetzliche Verbrechen begeht. Oder Kirillow, der Selbstmord verüben will, um in diesem letzten Akt der Freiheit zu beweisen, dass der Mensch Gott ist.

Auf der handwerklichen Ebene kann man übrigens auch eine Menge von Dostojewski lernen: Er ist beispielsweise unübertroffen in der Kunst, Figuren in den Dialogen zum Glühen zu bringen.

Literatopia: Du pflegst regelmäßig Deine Facebookseite und bleibst so mit Deinen Lesern in Kontakt – kommt da auch mal mehr Feedback als das knappe „gefällt mir“?

Daniel Illger: Nun, die Leute rennen mir nicht gerade die Bude ein, aber es gibt immer wieder schöne, ermutigende und auch spannende Kommentare, und manchmal gar einen kleinen Austausch. Von mir aus könnte es aber noch mehr sein.

Literatopia: In der Otherland-Buchhandlung in Berlin war kürzlich die Buchpremiere von „Skargat – Das Gesetz der Schatten“ – wie hast Du den Abend erlebt? Und was schätzt Du am persönlichen Kontakt mit den Lesern besonders?

Daniel Illger: An dem Tag waren es in Berlin über 35 Grad und gleißende Sonne. Ich hatte befürchtet, unter diesen Umständen würde überhaupt niemand kommen, und war dann angenehm überrascht, dass sich doch ca. zwei Dutzend tapfere Leserinnen und Leser einfanden. Die zwei Stellen, die ich vorgelesen habe – eine mit Justinius, eine mit Vanice – sind nach allem, was ich höre, recht gut angekommen, und mein Autorenfreund Martin Alexander, der gerade mit seiner „Chimäre“ einen wirklich schönen Roman veröffentlicht hat, hat mir das nette Kompliment gemacht, die Lesung sei wie ein Rockkonzert gewesen: zuerst die wilde Up tempo-Nummer, dann die melancholische Ballade.

daniel illger20162Was ich am Kontakt mit den Lesern besonders schätze? Wenn man erfährt, dass die eigenen Geschichten und Figuren jemand anderem etwas bedeuten und im Kopf dieser Person ein Eigenleben entwickelt haben, das sie vielleicht noch mal auf völlig neue Pfade führt, ist das ein großartiges Erlebnis.

Aber ganz im Ernst: Ich freue mich über jede Frage zu meiner Arbeit.

Literatopia: Wie viele Ideen warten nach „Skargat“ darauf, verwirklicht und veröffentlicht zu werden? Und kannst Du uns schon verraten, wo die Reise ungefähr hingeht?

Daniel Illger: Der Ideen sind da viele. Einige gehen in Richtung Urban Fantasy, Sci-Fi oder Horror. Auch für Kinder- und Jugendliteratur interessiere mich.

Die zum gegenwärtigsten Zeitpunkt am weitesten ausgereifte Idee ist aber doch eher der klassischen Fantasy zuzuordnen. Sie würde in derselben Welt wie „Skargat“ spielen, aber einige hundert Jahre vor der Geschichte um Mykar, Justinius, Scara und Vanice. Ganz allgemein möchte ich versuchen, eine gewisse Einfachheit in mein Schreiben zu bringen: einfach in dem Sinn, wie die Geschichte am Lagerfeuer einfach ist. Das erfordert einen eigenen Ton, eine eigene Erzählweise.

Aber zunächst mal muss der dritte „Skargat“-Band fertig gestellt werden ...

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!


Autorenfoto: Copyright by Noëmi Vollenweider

Autorenhomepage: www.danielillger.de

Rezension zu „Skargat – Der Pfad des schwarzen Lichts“


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.