Du sagst es (Connie Palmen)

palmen dusagstes

Zürich 24.08.2016, Diogenes
Originaltitel: Jij zegt het (2015)
Übersetzung von Hanni Ehlers
Leineneinband, 288 Seiten
€ 22,00 [D] | € 22,70 [A] | CHF 30,00
ISBN 978-3-257-06974-7

Genre: Belletristik


Rezension

Die Schriftstellerin Sylvia Plath (27.10.1932-11.02.1963) ist weltberühmt, Teile ihrer Biographie sind bekannter als ihr Werk. Während ihres Studiums am Smith College begeht sie im Alter von zwanzig Jahren einen Suizidversuch mit Schlaftabletten. Nachdem sie sich zumindest physisch erholt hat, wird sie Fulbright-Stipendiatin in Cambridge. Dort lernt sie 1956 Ted Hughes (17.08.1930-28.10.1998) kennen, vier Monate später heiraten sie. Sie arbeiten an ihrer Karriere als Dichter und bekommen zwei Kinder. Plath leidet unter Depressionen, auch, weil sie glaubt, ihren eigenen Ansprüchen nicht genügen zu können. Im Oktober 1962 trennt sich Plath von Hughes, weil dieser eine Affäre mit Assia Gutmann Wevill hat. Vier Monate später begeht sie Suizid. In der Folge wird sie eine Ikone der Frauenbewegung und er ein berüchtigter Dichter. Er schweigt Jahrzehnte. Kurz vor seinem Tod veröffentlicht er 1998 den Gedichtband Birthday Letters, in dem er lyrisch seine Beziehung zu Sylvia Plath aufarbeitet.

Connie Palmen wurde 1955 im limburgischen Sint Odiliënberg geboren, studierte nach einer Ausbildung zur Pädagogin Philosophie und Niederländische Literatur in Amsterdam. Ihr Debüt De Wetten (dt. Die Gesetze, 1993) erschien 1991. In De Vriendshap (1995; dt. Die Freundschaft, 1996) lotet sie das Verhältnis von Macht, Abhängigkeit, Liebe und Freundschaft zwischen zwei Freundinnen aus. Palmen beschäftigt sich in ihrem Werk offenbar gerne mit Biographien von Menschen in extremen Situationen. 1998 veröffentlichte sie I.M. (dt. I.M. - Ischa Meijer. In Margine. In Memoriam, 2001), einen Roman über ihre Beziehung zu ihrem verstorbenen Lebensgefährten Ischa Meijer, einen Journalisten und Schriftsteller.

Im Jahr 2007 folgte Luzifer (dt. Luzifer, 2008), in dem sie den Tod der Schauspielerin Marina Schapers, Ehefrau des Komponisten Peter Schat, thematisiert, der bis heute nicht aufgeklärt wurde. Raum gibt sie besonders der Todesnachricht und ihrer Wirkung sowie der Trauer über den Verlust. Mit dem Tod ihres zweiten Ehemannes, des Journalisten und Politikers Hans von Mierlo, setzt Palmen sich literarisch in Logboek van een onbarmhartig jaar (2011; dt. Logbuch eines unbarmherzigen Jahres, 2013) auseinander. Mit ihren in realen Biografien verwurzelten Romanen ruft Connie Palmen oft genug widerstreitende Reaktionen hervor, zu denen der Vorwurf gehört, sie sei voyeuristisch. Palmens Roman über Plath und Hughes ist somit ein Buch, welches in ein thematisch kontinuierliches Werk der Autorin gehört.

Connie Palmens Du sagst es deutet bereits im Titel an, dass sie als Autorin eine andere Person zum erzählenden Ich macht. Ted Hughes erzählt nach Veröffentlichung seines Gedichtbandes Birthday Present über seine Zeit mit Plath und bezieht zugleich Stellung, insbesondere zum öffentlichen Bild, das die Medien von ihm nach Plaths Tod erzeugt haben. Hughes schreibt aus der Rückschau, und es wird deutlich, dass er Hinweise auf Plaths Suizidgefährdung zwar wahrnimmt, aber nicht versteht. Nach ihrem Tod ist er der Böse in der Beziehung, für die Umwelt, für die Medien. Sogar als Mörder wird er bezeichnet. Trotz seiner Ehe mit Weville, die sich und die gemeinsame Tochter sechs Jahre nach Plaths Suizid tötet, bleibt er dauerhaft Sylvia Plath verbunden, findet keine Möglichkeit oder hat kein Interesse, sich gegen die medialen Vorwürfe zu wenden.

Während der Lektüre vergisst man die Autorin und hat den Eindruck, Hughes würde tatsächlich seine Memoiren erzählen, weshalb sich Fragen an ihn ergeben, die eigentlich Fragen an die Autorin sind. Diese perspektivische Verschiebung nimmt dem Titel des Romans die obige Bedeutung, zumindest in der Eindeutigkeit. Du sagst es nimmt Bezug auf den Schlusssatz des Romans und umgekehrt, ist nicht zuletzt die Antwort von Christus an Judas im Matthäus-Evangelium (26:25) auf die Frage nach dem Verrat und kann schließlich auch als Aufforderung an Connie Palmen verstanden werden, aus dem Hintergrund als erzählende Instanz zu wirken. Aber aufgefordert von wem? Von Ted Hughes sicher nicht. Vielleicht eine Art Selbstaufforderung. Connie Palmen positioniert sich nicht wertend. Allein, sie gibt Ted Hughes eine Stimme, die es ihm ermöglicht, posthum seine Sicht der Dinge mitzuteilen.

Die Randposition eines Ich-Erzählers in einem typischen biographischen Roman, in dem die Biographie einer anderen Person erzählt und durch Bewertungen und Kommentare die subjektive Sicht verstärkt wird, gibt es in dieser Offenheit bei Palmen nicht. Wer sich hervorragend mit der Biographie von Hughes und Plath auskennt, auch die Texte beider kennt, vermag vielleicht festzustellen, was in Palmens Roman biographische Fakten sind, was die Perspektive Hughes‘, dessen Primärschriften entnommen, und was Palmens Perspektive. Leser, die nicht über diesen Bezugsrahmen verfügen, lesen den Roman ohne die Möglichkeit, den Inhalt jeweils zuzuordnen.

Die werksunabhängige Lektüre von Du sagst es bietet den Roman der Liebe eines leidenschaftlichen Schriftstellerpaares. Einer Liebe, die nicht nur erfüllt, sondern zugleich das Selbst und das Gegenüber zerstörerisch angreift. Connie Palmen webt auf komplexe Weise Realität und Fiktion ineinander, während der fiktionale Ted Hughes seine Autobiografie erzählt, die natürlich auch Selbstinszenierung ist.


Fazit

In Connie Palmens Roman Du sagst es wird die Ikone, zu der Sylvia Plath in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt wurde, in das Format einer menschlichen Tragödie überführt. Der Ton, in dem Palmen ihre Romanbiografie erzählt, die konstruiert ist als einseitige, persönliche Analyse einer Beziehung durch Ted Hughes, ist überzeugend. Ein kraftvolles und lesenswertes Buch.


Pro und Kontra

+ sprachlich kontrolliert
+ intelligent in zwei Schichten erzählt
+ emotional aufwühlend und ohne Kitsch

Wertung: sterne4.5

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5