Es muss nicht immer amerikanisch sein IV

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"Alishas Lit-Talk"

Es muss nicht immer amerikanisch sein IV

VAMPIR - die neue Reihe mit Biss

In „Es muss nicht immer amerikanisch sein“ stelle ich ja sporadisch Vampir-Literatur von deutschen Autoren vor, die sich ihren US-Kollegen gegenüber nicht verstecken müssen. Dieses Mal möchte ich auf die neue VAMPIR-Reihe im Fabylon-Verlag hinweisen, die im August diesen Jahres gestartet ist. Das Logo verrät es – aber längst nicht alles! Es geht nicht um Kuschelvampire und sanfte Klischee-Nackenbeißer, und auch nicht um Glitzertypen mit gegelten Haaren.

Gabriele Ketterl, Sophie Oliver, Norma Feye, Nadine Stenglein, Andrea Weil, Ladina Bordoli und weitere Autorinnen und Autoren erzählen stimmungsvolle Geschichten mit Spannung, manchmal auch Witz und natürlich Romantik über dunkle Geschöpfe ganz besonderer Art – Heiler, Wanderer durch die Zeiten, Assassinen, Hüter, aber auch finstere Serienmörder und viele mehr. Manche trinken Blut, andere rauben Seelen, einige Lebenskraft oder Gedanken. Sie geben und nehmen, sie lieben und hassen, sie unterliegen Flüchen und Bestimmungen und haben unversöhnliche Feinde. Sie existieren durch vielfältige Traditionen, sind Teil einer langen Historie und vieler Mythen – und sie leben hier, mitten unter uns.

Mittlerweile sind die ersten vier Titel erschienen, über die ich berichten möchte.

Als Erstes eine Dilogie von Sophie Oliver, eine Newcomer-Autorin, die mittlerweile bei mehreren Verlagen unter Vertrag steht.


immortal blood11IMMORTAL BLOOD I
Sophie Oliver
Roman / Vampir-Romance
Fabylon
Covergestaltung: Shikomo
Taschenbuch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-927071-98
August 2016, 14.90 EUR

Ihr Ursprung geht zurück auf die Zeit, da Kain seinen Bruder Abel tötete. Seither existieren die »Zeitjäger«, die das Böse im Menschen vernichten sollen. Haben sie Erfolg, erhalten sie die Lebenskraft der Verurteilten und somit die relative Unsterblichkeit.
Eine Jagd durch die Jahrhunderte.
London, 1899. Der geheimnisvolle Nathaniel Turner schenkt der jungen Emmaline Grant die Unsterblichkeit, um sie aus den Fängen ihres sadistischen und brutalen Ehemannes zu retten. Emmalines Freiheit kostet einen hohen Preis.
Sie muss sich den strengen Regeln der Jahrtausende alten geheimen Bruderschaft der Zeitjäger unterwerfen. Ihre Aufgabe ist es, das Böse in den Menschen zu vernichten. Haben sie Erfolg, erhalten sie die Lebenskraft der Verurteilten und werden dadurch unsterblich.
Doch Emmaline fällt es schwer, sich einzufügen, und auch die Beziehung zu Nathaniel wird auf eine harte Probe gestellt. Sie verlässt ihn mit gebrochenem Herzen und beginnt als Assassine ein einsames Leben in Rom.
Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs verliebt die unglückliche Emmaline sich in den jungen italienischen Soldaten Daniele.
Mit ihrer verbotenen Beziehung zu einem Sterblichen tritt Emmaline eine Welle von Ereignissen los, die in einer Katastrophe mit weitreichenden Konsequenzen gipfeln.

*

LESEPROBE

Prolog

2003, Istrien, Kroatien

Das Messer durchstieß kühl und glatt die Haut, glitt an einem Rippenbogen ab und bohrte sich dann tief in ihre Lunge.
Schon oft hatte sie sich gefragt, wie sich eine Stahlklinge anfühlen würde, im eigenen Fleisch. Ob sie wohl schmerzte, oder ob sie barmherzig den Tod brachte? Einmal hatte sie sogar versucht sich selbst zu schneiden, nur um zu sehen, wie es war. Aber dann hatte sie es doch nicht geschafft, das harte Metall in ihrem weichen Arm zu versenken.
Nun wusste sie es. Beinahe überrascht schnappte sie nach Luft. Der Schmerz war unerträglich. Plötzlich wurde ihr heiß und das Messer wirkte nicht mehr wie etwas Festes, Solides, sondern eher wie eine Flamme oder ein Stromstoß. Der wuchtige Aufprall, mit dem der Angreifer den Schaft der Klinge in ihre Haut gerammt hatte, nahm ihr den Atem. Sie sank auf die Knie und er mit ihr. »Es ist vorbei«, flüsterte er ihr beinahe sanft ins Ohr. »Es ist zu Ende und du weißt es. Stirb mit Würde.«
Bereits jetzt, als der Stahl noch in der Wunde steckte, fiel es ihr schwerer und schwerer zu atmen. Sobald er die Waffe herauszog, würde sie noch weniger Luft bekommen. Der Stich in der Lunge war nicht ihre einzige Verletzung, sie blutete bereits aus vielen Wunden, wie auch ihr Gegenüber. Aber dieser erneute Blutverlust, zusammen mit ihrer Atemnot, machte sie müde und schwach. Es war also tatsächlich vorbei und sie würde sterben. Wieso nicht?
Mit einer Hand wischte sie eine blutige Haarsträhne weg, die ihr ins Auge gefallen war und sah sich ein letztes Mal um. Die vom Mittelmeer rund gewaschenen Kieselsteine des schmalen, einsamen Strandes drückten in ihre Knie. Der Vollmond ließ das still daliegende Wasser der Bucht wie einen silbernen Spiegel glänzen und in der Ferne sah sie die Lichter des kleinen Fischerdorfes, die sich aneinanderschmiegten und wie aufgereihte Lampions bis weit in die See hinausschwammen. Es war ein wunderschöner Ort.
Ihr Gegner hielt sie noch immer in tödlicher Umarmung, auf ihre Antwort wartend. Sie hatte gewusst, dass er ihr ebenbürtig war, geahnt, dass er ihr vielleicht sogar überlegen sein könnte und es war von Anfang an klar gewesen, dass nur einer von ihnen diesen Kampf überleben würde.
Langsam nickte sie in stummer Zustimmung und mit einem Ruck zog er das Messer aus ihrer Seite. Heißer Schmerz verbrannte sie, aus ihrem Mund sprudelte schaumiges Blut und sie schnappte rasselnd nach Luft. Mit der rechten Hand tastete sie nach oben, um zu fühlen, wie schnell sie ausblutete. Sie nickte ein weiteres Mal, zu sich selbst, es würde nicht mehr lange dauern. Mit letzter Kraft richtete sie sich auf den Knien auf und verbeugte sich, ihm die linke Handfläche mit einer eleganten Bewegung zuwendend, sodass im klaren Licht des Mondes das Zeichen auf der Innenseite ihres Handgelenks zu sehen war. Ihr Gegenüber verbeugte sich auf die gleiche Art und Weise, um ihr Respekt zu erweisen, auch auf seinem Handgelenk befand sich das Zeichen. Dann stand er auf, trat hinter sie und sie spürte, wie er die kalte Stahlklinge des Messers an der linken Seite ihres Halses ansetzte.
Sie wusste, er würde ihr nicht nur die Kehle durchschneiden, sondern ihren gesamten Kopf abtrennen.

*

1.

1961, Las Vegas, USA

Unter der stechenden Wüstensonne erschien das ausgehobene Grab kühl, schattig und einladend. Die mit Kunstrasen abgedeckten Ränder, unter denen sich der Erdaushub wölbte, wirkten wie saftige Hügel, grün leuchtend gegen die rostfarbene Erde und den azurblauen Himmel. Es war windstill.
Der kleine Friedhof lag wie ein Trugbild in der staubigen Landschaft am Rande der Stadt. Mit großem technischen Aufwand hatte man der Wüste noch ein weiteres Stück Land abgerungen, welches nun vollkommen abhängig von den fleißigen Händen der Gärtner, den Bewässerungssystemen und den Geldern der Steuerzahler war, um ein amerikanischer Garten Eden zu bleiben.
Nur wenige Menschen waren zum Begräbnis gekommen.
Ursache dafür war sicherlich die unbarmherzige Hitze, denn es war der heißeste Tag des Jahres. Ein anderer Grund mochte das hohe Alter der Toten gewesen sein und die Tatsache, dass sie keinerlei Familie mehr hatte. Ihr Mann war bereits vor Jahren verstorben, die Ehe war kinderlos geblieben und Louise hatte nicht lange in der Stadt gelebt. Als sie nun ihren letzten Weg antrat, standen lediglich eine Handvoll Personen um den Sarg, allesamt nicht jünger als die Verblichene, und lauschten den Worten des Priesters, wohl wissend, dass einer von ihnen bald als Nächster der Armen ins Grab folgen würde. Mit unbeteiligter Stimme erzählte er von Louises langem Leben, von ihrer Jugend, von ihrem Ehemann.
Als ob er irgendeine Ahnung davon hätte, wie sie damals war. Er kannte sie doch gar nicht. Was weiß er schon, er war noch nicht einmal geboren als wir … John schüttelte unwirsch den Kopf, wie um seine Gedanken zu verscheuchen und trotz der Hitze schauerte er. Mit sechsundachtzig Jahren war er vier Jahre älter als Louise. Es schmerzte ihn, am Grab seiner Jugendfreundin stehen zu müssen. Sie kannten sich schon damals in der Heimat, vor der Jahrhundertwende, in England. Seit über dreißig Jahren lebten er und seine Frau Charlotte jetzt in den USA, aber in ihren Herzen waren sie immer Engländer geblieben.
Was für ein glückliches Paar sie doch waren, dachte John. Robert und Louise. Sie hatten sich während der Sommerfrische in der Schweiz kennengelernt. Louise war Amerikanerin gewesen. Robert hatte sie direkt mit nach Hause gebracht, seinen Eltern und Freunden vorgestellt und umgehend geheiratet. Wie ein Wirbelwind war sie über sie hereingebrochen und wurde von allen sofort ins Herz geschlossen. John konnte sich nicht erinnern, jemals einen fröhlicheren, positiveren Menschen getroffen zu haben, der das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen lachend umarmte und jeden Tag glücklich annahm, egal was er brachte. Die jungen Jahre waren die schönsten ihres Lebens gewesen. Sie stammten aus privilegierten Familien, Aristokratie oder Geldadel, waren finanziell unabhängig, gebildet, attraktiv und das ganze Leben lag vor ihnen. Die einzigen Gedanken, die sie sich machten, waren dahin gehend, welches Fest der Gesellschaft sie mit ihrer Anwesenheit schmücken sollten und wohin man in die Sommerfrische fuhr. Bis Jacob nach Hause kam.
Aber John wollte nicht an Jacob denken, stattdessen sah er hinüber zu dem einzigen Baum des kleinen Friedhofs, in dessen spärlichen Schatten eine schwarz gekleidete Frau stand. Neugierig kniff er die Augen hinter den dicken Brillengläsern zusammen. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, denn sie trug einen Hut mit Schleier. Trotzdem wusste er, wer sie war. Ein Geist. Er hatte nicht den geringsten Zweifel daran. Mochte er alt sein, blind war er nicht und ebenso wenig senil. Wahrscheinlich hatte er sie heraufbeschworen, mit seinen Gedanken – war so etwas möglich? Die Frau war groß und schlank und trug trotz der hochsommerlichen Temperaturen einen Mantel und schwarze, lange Handschuhe, die in den Ärmeln verschwanden, sodass kein Stück Haut zu sehen war. Ihre Beine steckten in schwarzen Strümpfen, die in hohen Stiefeln endeten. Sie musste umkommen vor Hitze. Schuldbewusst sah John an seinem weißen, kurzärmligen Hemd und seiner beigefarbenen Hose hinunter. Charlotte hatte gesagt, niemand könne bei diesem Wetter von einem verlangen, Schwarz zu tragen und auch die anderen waren in heller Kleidung gekommen. Charlotte hatte gesagt, man könne in jeder Farbe trauern.
Aber es war nicht richtig. Die Farbe der Trauer war Schwarz und nicht Beige. So schwarz, wie die Kleider der Frau unter dem Baum.
»Emmaline.«
Charlotte neben ihm zuckte bei diesem Namen zusammen. Überrascht schnappte sie nach Luft, als sie die Frau sah. »Das kann nicht sein!«
Auch die anderen drehten sich nun um, niemand hörte mehr dem Priester zu.
»Das ist sie nicht!« Amelia fasste ihren Mann Nicholas am Arm und versuchte ihn wieder in Richtung des Pfarrers zu rücken, der weiterhin seinen Monolog hielt, als ob er nicht bemerkt habe, dass die Aufmerksamkeit der Trauernden längst nicht mehr ihm galt. »Ihr seid unhöflich«, zischte sie ihren Freunden zu.
»Natürlich ist sie das.« Nicholas zog seinen Arm weg. »Das weißt du so gut wie wir alle. Wer sollte es denn sonst sein – heute – hier?«
»Aber das ist absolut unmöglich«, flüsterte Amelia. »Es kann nicht sein! Emmaline ist tot!« Sie stieß ihren hölzernen Gehstock in den Boden. »Gestorben in der Heimat, vor langer Zeit.«
»Ihre Leiche wurde nie gefunden.« Nicholas machte einen Schritt auf die Frau zu, nahm seinen Hut ab und wischte sich mit der Hand über die Stirn. Dann setzte er ihn wieder auf. »Sie wurde für tot erklärt, aber das Meer hat ihren Körper nie freigegeben. Und wir waren alle nur zu bereit gewesen, der Polizei zu glauben …«
»Selbstverständlich ist sie tot!«, beharrte Amelia. »Wenigstens sollte sie das sein.«
In diesem Moment löste sich die Frau aus dem Schatten des Baumes und trat hinaus in den brennenden Sonnenschein. Ihre dunkle Kleidung schien das Licht aufzusaugen, während sie langsam über den Kiesweg auf die kleine Gruppe zuging. Die Trauergesellschaft wich unwillkürlich auseinander und bildete einen weiten Korridor, der den Blick auf das Grab mit dem Sarg darin freigab. Jetzt fiel auch dem Priester auf, dass etwas nicht nach Plan lief. Er verstummte und hob den Kopf, als die Frau vor dem Loch in der Erde stand.
Sie hielt einen Moment inne, sah auf den Sarg hinunter und ließ eine weiße Rose in das Grab fallen, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und flüsterte im Weggehen: »Ich warte am Ausgang auf euch, wir müssen reden.« Als sie die erstarrten Gesichter sah, fügte sie hinzu: »Kommt schon, ihr dachtet doch nicht wirklich, ich sei tot?«
Noch immer bewegte sich keiner der Anwesenden, es schien sogar, als hätten sie aufgehört zu atmen, und in der flirrenden Hitze des Sommertages liefen ihnen kalte Schauer über den Rücken.


immortal blood22IMMORTAL BLOOD II
Sophie Oliver
Roman / Vampir-Romance
Fabylon
Covergestaltung: Shikomo
Taschenbuch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-927071-99
August 2016, 14.90 EUR

Ihr Ursprung geht zurück auf die Zeit, da Kain seinen Bruder Abel tötete. Seither existieren die »Zeitjäger«, die das Böse im Menschen vernichten sollen. Haben sie Erfolg, erhalten sie die Lebenskraft der Verurteilten und somit die relative Unsterblichkeit.

Die Jagd durch die Jahrhunderte endet 2003.

Nathaniel ist verschwunden und hat aufgehört zu jagen. Das bedeutet seinen langsamen, grausamen Tod. Emmaline, die nie aufgehört hat, ihn zu lieben, macht sich auf die Suche nach dem ehemaligen Geliebten und gerät dadurch in eine Verschwörung ungeheuerlichen Ausmaßes.

Tristan, ein verstoßener Zeitjäger, ist zurückgekehrt, um die Patriarchen und auch die ehrwürdigen Ältesten zu vernichten, um sich an die Spitze aller Familien zu setzen.

Ein Krieg unter den Unsterblichen entbrennt, in dem Freund und Feind nicht einfach voneinander zu unterscheiden sind, und jeder Fehler tödlich sein kann.
Da kehrt unerwartet Nathaniel zurück und fordert Emmalines Loyalität. Sie wird zur schwersten Entscheidung ihres Lebens gezwungen.

*

LESEPROBE

Sie setzte sich in Kensington Gardens ins Gras neben die Statue von Peter Pan und sah den Spaziergängern zu. Es war ein warmer Sonntag, kurz nach Mittag, und viele Eltern spielten mit ihren Kindern. Junge Menschen lagen lesend oder schlafend auf der Wiese. Alte Damen und Herren unterhielten sich auf den Parkbänken. Vereinzelt lief ein Jogger vorbei.
Emmaline dachte darüber nach, wie die Leute wohl reagieren würden, wenn sie wüssten, was sie gerade getan hatte. Sie lehnte sich zurück und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen, als plötzlich ein Schatten über sie fiel. Blinzelnd öffnete sie die Augen.
»Victor!« Überrascht setzte sie sich auf. »Was machst du hier?«
»Ich habe dich gesucht. Wir müssen reden.« Er sah sich etwas hilflos um.
Emmaline breitete ihre Jacke neben sich aus und machte eine einladende Handbewegung. Sichtlich dankbar, keine Grasflecken auf seine helle Hose zu bekommen, setzte er sich mit angezogenen Beinen darauf und verschränkte die Arme vor den Knien.
»Oh, Victor!« Sie musste lachen. »Du passt nicht in die freie Natur!« Sie musterte sein blütenweißes Hemd, das Jackett, das er vorsichtig neben sich gelegt hatte, sein sorgfältig gekämmtes Haar. Er fühlte sich unwohl. »Du gehörst in ein Restaurant, eine schicke Bar, irgendetwas Edles und vorzugsweise nach Sonnenuntergang.«
»Nicht wahr?« Er entspannte sich etwas, anscheinend erleichtert darüber, dass Emmaline ihn verstand. »Ich war seit achtzig Jahren nicht mehr in einem Park. Im Laufe der Zeit habe ich mir einen nächtlichen Lebensrhythmus angewöhnt, der mir viel besser entspricht.«
»Weshalb bist du dann hier?«
Er nahm seine Sonnenbrille ab und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken. »Es ist schön, dich zu sehen, Schwester.«
»Ich freue mich auch dich zu sehen, Bruder. Aber du bist sicher nicht den weiten Weg aus Schottland gekommen, weil du mit mir ein Schwätzchen halten möchtest. Also, weshalb bist du hier?«
»Weil wir dachten, dass du am ehesten noch auf mich hören würdest, wenn es um etwas so Wichtiges geht.«
Erstaunt hob sie eine Augenbraue. »Und das wäre?«
»Du.«
»Ich? Ich bin nicht wichtig. Außerdem geht es mir gut.«
Nun glitt der Blick seiner hellen Augen über ihr Gesicht. »Nein, Emmaline, das stimmt nicht. Du bist einsam. Seitdem du in London lebst, hast du an keinem Treffen der Jäger teilgenommen. Du kennst die Familie hier nicht einmal! Du hast weder einen Jagdpartner, noch eine Freundin wie damals Ilaria. Und du kapselst dich von allem ab.«
Emmaline verschränkte ablehnend die Arme. »Das sehe ich nicht so. Ich habe mich der hiesigen Familie vorgestellt und erfülle alle meine Aufgaben. Was wollt ihr mehr?«
»Das ist doch kein Leben, Em! Du richtest dich zugrunde, wenn du so weitermachst! Wir sind beunruhigt, Georgianna und ich. Deshalb bin ich hergekommen. Um herauszufinden, was wir tun können, damit es dir wieder besser geht.«
»Das ist wirklich lieb, Victor, und ich schätze es sehr. Aber glaube mir, es gibt nichts, was irgendjemand für mich tun könnte. Ich lebe genauso, wie ich will.«
»Einsam.«
»Unabhängig. Ohne soziale Bindungen.«
»Weil sie eventuell Komplikationen verursachen könnten – ich verstehe.« Sein silberweißes Haar glänzte, als er es mit der Sonnenbrille aus der Stirn schob. »Die Vermeidungstaktik.«
»Victor! Das ist nicht fair! Ich habe den Tod meines Mannes zu verantworten! Ich kann so etwas nicht noch einmal durchmachen!«
Er kniete sich vor sie und breitete seine Arme aus. »Das ist das Leben, Emmaline«, sagte er eindringlich, nach rechts und links weisend. »Kannst du mir sagen, ob diese junge Mutter dort drüben nächstes Jahr an einem Gehirntumor sterben wird? Oder ob das Kind dort morgen auf seinem Schulweg überfahren werden wird? Ob dieser alte Mann in ein paar Jahren noch immer jeden Sonntag hier spazieren gehen wird? Ob sich das Liebespaar auf der karierten Decke wegen einer Kleinigkeit streiten und sich trennen wird? Ob der Junge dort am See gleich ins Wasser fallen wird? – Wir kennen die Zukunft nicht. Aber wir alle sind Menschen, die miteinander in Verbindung stehen. Sicher, die Zeitjäger fallen etwas aus dem Rahmen, aber auch wir leben in Familien, nicht allein. Weil das nicht gut ist. Weil wir dafür nicht geschaffen sind!«
Emmaline schlug die Augen nieder und presste ihre Lippen trotzig aufeinander.
Unbeirrt fuhr Victor fort. »Aus dem Zusammenleben ergeben sich immer irgendwelche Konflikte, Probleme und Gefahren. Aber auch Freude, Liebe und Glück! Wenn du gewusst hättest, wie es endet, hättest du dann lieber auf Daniele verzichtet? Auf all die schönen Momente, auf die Liebe, die er dir schenkte? Ich denke, er hätte sicher nicht auf dich verzichten wollen und er würde dich auch nicht für schuldig an seinem Tod halten. Massimo hat ihn auf dem Gewissen, nicht du! Hör auf damit, dir Vorwürfe zu machen! Lebe endlich wieder!« Er setzte sich zurück und sah sie an. Emmaline schwieg eine Weile, dann sagte sie: »Ich werde darüber nachdenken.«
»Denke schnell nach, Schwester.«
»Das ist nicht alles, nicht wahr? Da ist noch etwas.«
Er nickte und stand auf. »Ich bitte dich, mit mir zu kommen, nach Edinburgh.«
»Ich kann hier aber nicht weg. Ich versprach, ein Auge auf jemanden zu haben.«
»Auf die Nachkommen deiner Freunde kann die Familie hier aufpassen, das ist kein Problem. Wir brauchen dich in Edinburgh.«
Sie fragte nicht, woher er von Stella und Lilian wusste, er würde es ihr ohnehin nicht sagen. »Wenn es so wichtig ist? Aber nur für ein paar Tage. Und ich will vorher wissen, worum es geht.« »Um Nathaniel. Anscheinend kann keiner von euch beiden ohne den anderen existieren. Oder ihr habt einfach nur Spaß daran, euch miserabel zu fühlen. Er ist jedenfalls verschwunden.« Emmaline fühlte sich, als hätte man ihr einen Faustschlag in den Magen versetzt. »Wieso verschwunden? Seit wann? Und was kann ich tun? Ich habe ihn seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen.« »Darin liegt meiner Meinung nach das Problem. Ich werde dir unterwegs alles erzählen.«
Sie verließen den Park durch den nächstgelegenen Ausgang und stiegen in Victors Wagen, dessen Fahrer dort bereits wartete. Nachdem sie in Emmalines Haus einige Sachen für die Reise geholt hatten, schlugen sie den Weg zum Motorway ein. Es hatte in Emmalines Leben als Kainsjägerin niemals eine Zeit gegeben, in der sie nicht an Nathaniel gedacht hatte. Ohne ihn fühlte sie sich unvollständig. Sie erinnerte sich gut an die letzten Worte, die er zu ihr gesagt hatte: Ich bitte dich, mich nicht mehr zu suchen, solange du nicht vorhast, bei mir zu bleiben.
Zwei Dinge hatten sie davon abgehalten. Zum einen fühlte sie sich, als ob sie Daniele verraten würde. Sie schämte sich für die Gefühle, die Nathaniel in ihr auslöste, seit jenem Tag vor langer Zeit, an Alastairs Brunnen. Sie hatte Daniele aufrichtig geliebt – aber Nathaniel liebte sie noch mehr. Wenn sie damals nicht weggelaufen und großmütiger gewesen wäre … wenn sie ihm verziehen hätte, wäre niemals Platz für einen anderen Mann in ihrem Herzen gewesen. Es war in Emmalines Augen nicht richtig, zwei Männer gleichzeitig zu lieben und es hatte nur geschehen können, weil sie sich absichtlich von Nathaniel distanziert hatte. Die beiden Männer waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Daniele war wie die Sonne gewesen, hell und strahlend, um die sich ihr Leben gedreht hatte. Wenn sie an ihn dachte, hörte sie sein Lachen, sah sie seine zwinkernden Augen und allein der Gedanke an ihn ließ sie lächeln. Er war damals der perfekte Mann für sie gewesen, ein Geschenk des Himmels, mit seiner Stärke und seinem Optimismus. Er hatte sie gerettet und stark gemacht und sie respektierte seine Entscheidung, ihren Weg nicht weiter teilen zu wollen. Stattdessen hatte er den Tod gewählt – und die Unschuld.
Eine Unschuld, die sie freiwillig abgelegt hatte, um zu töten. Und auch um bei Nathaniel bleiben zu können. Sie war zur Mörderin geworden, nicht nur um sich ihres gewalttätigen Ehemannes zu entledigen, sondern um so zu werden wie Nathaniel.
Liebte Nathaniel sie mehr, als Daniele sie geliebt hatte? Immerhin war Daniele den letzten Schritt nicht gegangen, der sie für immer vereint hätte. Emmaline wusste, wäre Nathaniel an seiner Stelle gewesen, er wäre nicht freiwillig gestorben, sondern ein Kainsjäger geworden. Er hätte sie niemals aufgegeben.
Der andere Grund, weswegen sie nicht sofort nach Massimos Ermordung zu Nathaniel zurückgekehrt war, lag darin, dass sie sich zwar nun ihrer Gefühle für ihn absolut sicher war, aber umgekehrt nicht wusste, ob er sie noch liebte. Zuerst hatte er sie verletzt, dann hatte sie ihn noch mehr verletzt. Vielleicht war einfach zu viel passiert? Vielleicht war er längst mit einer anderen Frau zusammen?
Emmaline hatte sich in den letzten Jahren mit allerlei Spekulationen gequält. Aber am Ende des Tages hatte sie schlichtweg nicht den Mut gehabt, sich Nathaniel zu stellen, aus Angst, er könne sie zurückweisen. Mit Sehnsucht lebte es sich leichter als mit Ablehnung.

*

Emmaline dachte zuerst, es wäre der Kellner, der Nathaniels Serviette wieder falten wollte, deshalb sah sie nicht sofort auf, als ein Mann an ihren Tisch trat.
»Du hast sicher nichts dagegen, wenn ich mich für einen Augenblick zu dir setze, Schwester? Nur so lange, bis dein Freund wiederkommt«, sagte eine angenehme Stimme.
Sie erkannte ihn sofort. Das Holz-Bild, das sie gesehen hatte, wurde ihm nicht annähernd gerecht. In Wirklichkeit war sein Gesicht viel faszinierender. Er sah aus, als ob Michelangelo persönlich ihn geschaffen hätte, wie ein junger, wunderschöner David. Alles an ihm war exquisit, die Ebenmäßigkeit seiner Haut, das helle Braun seiner Haare, die langen, dichten Wimpern, die geschwungene Linie seines Kinns. Aber am meisten faszinierten sie seine Augen, sie konnte ihren Blick nicht davon lösen, bis er sagte: »Ich weiß, Emmaline, sie sehen genauso aus wie die deinen. Eisgrau mit einem silbernen Flammenkranz. Unsere Augen sind nicht das Einzige, worin wir uns ähneln, wie ich feststellen konnte.«
Sie wusste, in welch großer Gefahr sie schwebte und erwog einen Augenblick lang, einfach aufzuspringen und davonzulaufen, aber Tristan schien ihre Gedanken zu lesen. »Davon würde ich dir abraten. Meine Männer sind überall. Wir beobachten Nathaniel draußen, während er telefoniert. Es wäre sehr bedauerlich, wenn du ihn durch irgendetwas Unüberlegtes in Gefahr bringen würdest.«
Die Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht. Emmaline nickte und blieb sitzen. »Weißt du«, fuhr er fort, »als ich überlegte, mit wem aus Victors unmittelbarem Dunstkreis ich in Verbindung treten solle, fiel meine Wahl sofort auf dich. Ich denke wirklich, dass wir viel gemeinsam haben.«
»Das glaube ich nicht«, flüsterte sie.
Er lächelte ein unwiderstehliches Kinderlächeln. Ein Mann mit dem Gesicht eines Jungen. »Was würdest du tun, wenn jemand die Person brutal ermordet, die du liebst?« Er legte den Kopf schief, als dächte er nach, bevor er fortfuhr. »Aber das ist ja gar keine Hypothese, nicht wahr? Das ist dir tatsächlich zugestoßen. Genau wie mir. Und ich kenne deine Reaktion darauf. Beeindruckend!«
Emmaline wurde blass. »Woher weißt du das?«
»Es gibt nicht viele Menschen, die man nicht zum Reden bringen kann. Und die Ältesten sind doch am Ende genau wieder das – nur Menschen. Der arme Sisto, er leistete wirklich eine lange Zeit Widerstand, aber irgendwann erzählte er mir alles, was ich wissen wollte. Es stellte sich dann nur bedauerlicherweise heraus, dass seine, sagen wir, Konstitution, nicht so stabil war wie die eines Jägers. Leider hat er sich von meiner Befragung nicht mehr erholt. Er hätte besser früher gesprochen.« Er nahm einen Schluck aus Nathaniels Glas.
»Du bist ein Monster!«
»Auch darin ähneln wir uns, Schwester. Wir sehen beide aus wie Engel, sind aber im Grunde nichts anderes als Killer.«
»Ich bin kein Killer.«
»Ach nein? Was würde wohl Massimo dazu sagen, wenn er noch antworten könnte?« Er lehnte sich verschwörerisch nach vorn. »Einen Zeitjäger zu töten ist unerhört! Es ist das größte Verbrechen, das wir kennen. Also erzähle mir nicht, du wärst auch nur einen Deut besser als ich!«
»Meine Beweggründe waren anders. Ich habe aus Liebe getötet, du tötest aus Habgier.«
»Hat Victor dir das erzählt? Was für ein Unsinn! Ich töte aus genau demselben Grund wie du! Victor war nicht immer so selbstgerecht, wie er sich heute gibt – er war ein wildes, mordendes Tier, ein reißender Wolf, als ich ihn traf! Er ist nicht das väterliche Oberhaupt, das er vorgibt zu sein!« »Tristan. Man kann nicht immer in der Vergangenheit leben. Was geschehen ist, kannst du nicht mehr rückgängig machen – aber du kannst entscheiden, was passieren wird. Es gibt einen anderen Weg als Blut mit Blut zu vergelten. Außerdem glaube ich nicht, dass du ein besseres Oberhaupt wärst als er.«
»Ich bin gekommen, um dir die Wahrheit zu sagen und dich vor eine Wahl zu stellen. Dich und alle, denen du davon erzählst. Wählt, auf wessen Seite ihr stehen wollt. Jeder, der sich für Victor entscheidet, ist mein Feind. Aber es muss nicht so sein.« Er griff über den Tisch und nahm ihre Hand. Trotz ihrer Nervosität empfand sie seine Berührung nicht als unangenehm. Während er sprach, drehte er ihre Handfläche nach oben. »Alles, was ich will, ist Victors Herz und seinen Kopf. Quid pro quo – was er mir genommen hat, werde auch ich ihm nehmen – ich hatte gehofft, damit bei dir auf Verständnis zu stoßen.« Er ließ etwas Kühles in ihre Hand gleiten und schloss ihre Finger darum. »Victors Herz habe ich mir schon geholt – fehlt also nur noch sein Kopf. Und ich betone noch einmal, dass ich nur den seinen will, nicht die Köpfe meiner Brüder und Schwestern.« Damit stand er auf, beugte sich über den Tisch und hauchte sanft einen Kuss auf Emmalines Stirn. Tristan roch nach Verbene und Zedernholz und seine Lippen waren kühl. »Betrachte alle Seiten, bevor du urteilst und wähle klug, kleine Schwester«, flüsterte er, dann war er verschwunden. In Emmalines Hand lag eine ihr nur allzu bekannte Kette, ein schmales, goldenes Band mit einem tropfenförmigen Diamanten. Der Diamant glänzte rot, denn er war, wie auch die Kette, voll mit getrocknetem Blut.
Sie bemerkte Nathaniels Rückkehr erst, als er seine Hand auf ihre Schulter legte.
»Wir müssen sofort gehen, es ist etwas Schreckliches geschehen!«
»Ich weiß«, hauchte sie.


rubinmondRUBINMOND
Nadine Stenglein
Roman / Vampir-Romance
Fabylon
Taschenbuch, 268 Seiten
ISBN: 978-3-943570-68
September 2016, 14.90 EUR

Eine verbotene Liebe durch die Jahrhunderte.
Seit Menschengedenken sind Seelenwächter auf der Jagd nach Wiedergängern, die das Seelenwachstum der Menschen stören und deren Seelen stehlen wollen, um sie für dunkle Zwecke zu missbrauchen oder sie in ihresgleichen zu verwandeln und damit in die Verdammnis zu stürzen. Die junge Faye hat, soweit sie zurückdenken kann, seltsame Träume, in denen stets derselbe junge Mann vorkommt. Sie spürt, dass etwas sie mit dem geheimnisvollen Traum-Mann verbindet und lässt sich in Hypnose versetzen, um mehr über ihre beängstigenden, real wirkenden Träume und den Unbekannten herauszufinden.
Faye ahnt nicht, was sie damit in Gang setzt – denn der Mann ihrer Träume existiert tatsächlich, und die Liebe zu ihm begleitet Fayes Seele bereits durch die Jahrhunderte. Doch er ist nicht wie sie, sondern ein unsterblicher Vampir.
Der für Fayes Schutz zuständige Seelenwächter setzt alles daran, diese Liebe zu zerstören, denn eine Verbindung zwischen Mensch und Vampir ist tabu und zieht schreckliche Konsequenzen nach sich.

Doch Faye bricht die Regeln und nimmt den Kampf um ihre Seele auf.

*

LESEPROBE

Aurelio

Silbern spiegelte sich der Vollmond auf der glatten Wasseroberfläche des Sees, in dessen Nähe wir unsere Zelte aufgeschlagen hatten. Ich ließ meine Blicke durch die grüne Landschaft schweifen. Es war schön und dennoch merkwürdig zugleich, denn je genauer ich sie mir betrachtete, desto bekannter kam sie mir vor. Ein Gefühl von wohliger Wärme durchschlich mich – ich wollte mehr davon und genoss daher jede Sekunde. Es war mir, als wäre ich schon einmal hier gewesen. Ich durchforstete meine Erinnerungen und nach einer Weile wurde ich tatsächlich fündig. Diese war allerdings aus einem Traum geboren und nicht wirklich. Ein Traum, in dem auch er wieder aufgetaucht war. Er, in den ich mich verliebt hatte, den es aber in Wirklichkeit nicht gab und der auch in all den Träumen, in denen ich ihm begegnete, kein gewöhnlicher junger Mann war. Nur, was genau er war, hatte ich irgendwie vergessen. Aber ich kannte seinen Namen – James. Ich sah sein hellhäutiges Gesicht mit den weichen, makellosen Zügen. Die vollen, blassroten Lippen. Und diese markanten Augen, in denen ein tiefblaues Meer wogte, in welches ich jedes Mal eintauchte. Wie ich es doch liebte, mit den Fingern in seinem kurzen schwarzen Haar zu wühlen; und die Art wie er sprach – seine Stimme klang sanft und elegant. Jedes Mal wenn wir uns küssten, musste ich mich auf die Zehenspitzen stellen, so groß war er. Ich presste eine Hand auf meine Brust und fühlte den schnellen Schlag meines Herzens. Aus den Tiefen meines Inneren kroch Sehnsucht empor, die ich mit nichts stillen konnte und die über mich schwappte wie stürmische Meereswogen, in denen ich zu ertrinken drohte.
James war mit keinem Jungen, dem ich bisher begegnet war, vergleichbar. Nach jedem Traum war alles, was mir von ihm blieb, dieses Gefühl der Sehnsucht. Vermischt mit der Hoffnung, ihn bald wiederzusehen, sobald ich die Augen schloss. Ich seufzte. Unsere letzte Begegnung war schon über ein halbes Jahr her.
»James«, flüsterte ich, als würde er sogleich lebendig aus dem Wasser tauchen, was natürlich Unsinn war. Kurz darauf berührte jemand meine Schulter. Ich schrie auf, fuhr herum und blickte in ein grinsendes, mit Sommersprossen übersätes Jungengesicht. »John – bist du irre?«, stieß ich aus.
»Erwischt!«, antwortete er und rannte lachend zu den anderen zurück, die gerade dabei waren, einige Fackeln auf dem Zeltplatz zu entzünden. John ging in unsere Klasse und würde sich wohl nie ändern. Er war und blieb ein Kindskopf.
Ich wollte noch eine Weile meinen Gedanken nachhängen und lief am Waldrand entlang. Dank Dana, meiner besten Freundin, war ich hier mitten in diesem schönen Niemandsland gelandet. Letztendlich hatte sie mich überreden können, mit ihr und einigen anderen aus unserer Schule ins Sommercamp zu gehen, um etwas Abstand von zu Hause zu bekommen. Ich lauschte dem monotonen Zirpen der Grillen in den umliegenden Wiesen und atmete die langsam kühler werdende Luft tief in meine Lungen, während ich den Lichtkegel meiner Taschenlampe in den nahe gelegenen Wald eintauchen ließ. Unaufhaltsam und schnell brach die Dämmerung herein. Fledermäuse überflogen den See und zirpten dabei so laut, dass es mir beinahe in den Ohren schmerzte. Aus dem Wald schwebte mir ein Geruch nach Moos und Tannennadeln entgegen. Unter meinen Schuhen knackten Äste und aus einem Gebüsch drang der Flügelschlag eines Vogels. Meine Gedanken liefen Gefahr, wieder zu James zu wandern und erneut diese irreale Sehnsucht hochzuspülen, da streifte der Kegel meiner Taschenlampe eine dunkle Gestalt, die zwischen zwei Laubbäumen stand. Augenblicklich hielt ich inne. Mein Herz machte einen Satz und die Gedanken flogen durcheinander. Langsam und mit zittriger Hand ließ ich den Lichtkegel zurückschweifen. Da war die Gestalt wieder, ich hatte es mir nicht eingebildet. Schweiß trat aus all meinen Poren. Hitze- und Kältewellen überflossen abwechselnd meinen Körper. Ich war nicht einmal imstande zu schreien, geschweige denn, einen Atemzug zu machen. Nur wenige Schritte trennten mich von der Gestalt, die ihrer Silhouette nach männlich und in etwa so groß wie ich war. Ich musste schlucken und trat leise einen Schritt zurück. Dabei ließ ich das Ding nicht aus den Augen. War es nun gut oder schlecht, dass es sich immer noch nicht rührte? Wahrscheinlich würde es gleich auf mich zuspringen und mich packen. Schwindel überkam mich. Die anderen aus meiner Gruppe waren nicht weit weg, ich hörte ihre Stimmen, ihr Lachen und das Prasseln des Lagerfeuers. Verdammt, reiß dich zusammen und lauf einfach!, rief ich mir innerlich zu, wirbelte herum und rannte los. Hinter einem Haselnussstrauch tauchte plötzlich Dana auf und steuerte direkt auf mich zu. »Du musst mir helfen!«, schrie sie. Taylor, ein Junge aus unserer Parallelklasse, war ihr dicht auf den Fersen und zog sie zu sich.
Ich fuchtelte wie eine Irre mit den Armen und zeigte schließlich hinter mich. »Im Wald, da ...«, brachte ich heraus, wurde aber von Dana unterbrochen.
»Der Typ ist nicht ganz dicht. Halt ihn mir vom Leib, Faye!«, schrie sie, lachte aber gleichzeitig. »Das gefällt dir doch, gib's zu!«, entgegnete Taylor und lachte ebenfalls. Dana konnte sich seiner Umklammerung schließlich entreißen und rannte mir in die Arme. Ich stieß sie von mir und leuchtete mit zittrigen Händen wieder in den Wald. Erstaunt stellte ich fest, dass die Gestalt noch immer an Ort und Stelle stand – reglos, still. Meine Stimme kehrte wieder und ich rief: »Da ist jemand!«
Dana und Taylor hielten augenblicklich inne. »Wo?«, fragte Taylor, nahm mir die Taschenlampe ab und trat vor uns.
»Bestimmt nur ein Schatten. Ich meine ...«, flüsterte Dana, woraufhin Taylor mit einer Hand abwinkte und ihr damit andeutete, den Mund zu halten, was sie seltsamerweise sofort tat. »Psssst. Faye hat recht«, murmelte er. Danas Augen weiteten sich. Gleichzeitig versteckten wir uns hinter Taylors durchtrainiertem Rücken und warfen einen Blick über seine Schultern. Einer Statue gleich, verweilte die Gestalt weiter an ihrem Platz, und es kam mir beinahe so vor, als würde sie sich lustig über uns machen und insgeheim einen Plan aushecken, wie sie uns alle drei am besten gleichzeitig einfangen könnte. »He! Wer bist du, was willst du?«, fragte Taylor und marschierte heldenhaft los. »Nicht!«, rief ich.
Dana versuchte, ihn zurückzuhalten, doch Taylor war schneller.
Ich ergriff sie am rechten Oberarm und zog sie zurück. »Komm, wir holen die anderen«, stammelte ich und machte kehrt. Dana folgte mir sofort. Nach einigen Schritten verfingen sich meine Füße in herumliegendem Geäst, sodass ich den Halt verlor und zu Boden knallte. Gleich darauf spürte ich, wie jemand auf mich fiel. Es war Dana.
»Au! Verdammt«, keuchte ich.
»Sorry«, nuschelte Dana.
Meine Finger bohrten sich in die kühle Erde. Hinter uns hörten wir einen hellen, durchdringenden Aufschrei – es war Taylor. Meine Schläfen begannen zu pochen, und das Blut schien in Lichtgeschwindigkeit durch meine Adern zu fließen, sodass es sich anfühlte, als wären dort unzählige Ameisen unterwegs.
»Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott«, murmelte ich und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Meine Stimme klang wie ein Wispern. Dana war schneller und zog mich hoch. »Taylor? Taylor!«, schrie sie. Aus dem Wald drang ein Rascheln und wenig später ein seltsames Schlürfen und Keuchen, dann war es still.
»Ich hol die anderen«, murmelte ich. Dana klammerte sich an mir fest. »Lass mich hier nicht zurück«, stammelte sie. Wir wollten gerade loslaufen, da hörten wir ein Auflachen, das sich tief in mich bohrte und mir einen imaginären Fausthieb versetzte. Im Schein des Vollmondes trat Taylor, etwas in den Armen haltend, zu uns. Ich brauchte einige Sekunden, um mich zu beruhigen und zu begreifen, dass das alles nur ein dummer, fieser Streich gewesen war. Noch immer zitternd ging ich, gefolgt von Dana, auf Taylor zu und berührte »die Gestalt«, die er ruckartig neben sich abstellte, mit meinen Fingern.
»Eine Pappfigur! Was …?«, stotterte ich, während Dana den Kopf schüttelte und die Hände in die Hüften stemmte. Sie atmete zittrig aus und strich sich mehrfach mit dem Handrücken über die Stirn. »Eigentlich war das anders geplant. Aber so war‘s auch lustig«, sagte Taylor und straffte die Schultern.
»Mistkerl!«, schimpfte Dana. Sie hämmerte mit den Fäusten auf seinen nackten Oberkörper ein. »Das war nicht witzig«, entgegnete ich und kickte mit dem Fuß gegen das Pappmonster.
Taylor lachte, während andere aus der Gruppe zu uns stießen und wissen wollten, was los sei. Die Jungs begannen zu lachen, als sie es hörten.
Dana und ich liefen zum See, um uns zu beruhigen. Die Jungs riefen uns kichernd eine Entschuldigung nach.
»Wir hätten einen Herzinfarkt bekommen können oder so. Ihre blöden Gesichter hätte ich dann mal sehen wollen«, sagte Dana und ich stimmte ihr zu. Die Fledermäuse von vorhin drehten noch immer ihre Runden. Plötzlich musste ich lachen, was Dana merklich seltsam fand.
»Was ist?«
»Die Jungs wollten uns wohl zeigen, was für große Helden sie sind. Stell dir vor, da wäre wirklich einer gewesen. Taylor wäre doch keinen Schritt auf den zugegangen. Keiner von denen. Wetten?« »Stimmt, die hätten sich alle gleichzeitig in die Hosen gepinkelt. Da ist 'ne Revanche fällig«, erwiderte sie.
»Aber hallo!«
Dana und ich ließen uns auf der Wiese nieder und hörten, wie die Jungs zum Lagerfeuer zurückkehrten, während ihnen die anderen Mädchen folgten und ihnen eine Predigt hielten, die sich gewaschen hatte.
Wir waren an die zwanzig Leute. Die meisten unter ihnen kannte ich nur flüchtig aus der Schule. »Lass sie lachen, denen zeigen wir es schon noch«, sagte Dana. Ich streckte die Beine von mir und blickte in den sternenübersäten Himmel. Mein Herzschlag normalisierte sich wieder.
Endlich waren Sommerferien. Nächstes Jahr um die Zeit hatte ich voraussichtlich meinen Abschluss in der Tasche. Dann würde ich die Kleinstadt, in der ich mit meinen Eltern wohnte, verlassen und vielleicht Kunst in London studieren. Auf alle Fälle wollte ich später etwas Kreatives machen. Ich seufzte tief und strich mit den Fingern über das weiche Gras. Wenn ich allerdings an Mathe dachte, sah ich schwarz. Ohne Nachhilfe würde ich in dem Fach sicher durchrasseln. Schließlich schüttelte ich den Kopf über mich selbst. Warum konnte ich nicht einfach mal abschalten und die Freiheit genießen?
»Gehen wir zu den Mädels?«, fragte Dana. Sie konnte nie lange irgendwo still verweilen. »Ich komm nach«, sagte ich. Wenig später hörte ich sie lachen. Sicher ging sie wieder ihrem Lieblingshobby nach – mit Jungs flirten. Ich war kaum auf den Beinen, da kam sie mir bereits entgegen, gefolgt von David, der sie schließlich mit seinen Armen umschloss.
Kreischend löste sie sich aus den Fängen des rothaarigen Typen mit der Figur einer Bohnenstange und den Ohren eines kleinen Schimpansen. Dana rannte zu mir.
»Der hat mich einfach nass gespritzt! Frechheit!«, schrie sie und umgriff von hinten meine Oberarme mit ihren feuchten Fingern. Dabei drückte sie ihren, immer noch nur mit einem quietschgelben Bikini bekleideten, nassen Körper gegen meinen Rücken und sprang dabei leicht auf und ab. Ich zuckte zusammen, als mich die Kälte ihrer Haut durchdrang, und ging zur Seite. David kam näher, stellte sich vor mich und fixierte mich grinsend. Dana kicherte und schüttelte ihre blonden schulterlangen Locken. Den düsteren Scherz von vorhin hatte sie anscheinend vergessen. »Ich glaub, ich hab mich gerade in deine grünen Augen verliebt«, murmelte er mir zu.
Noch so ein Girl-to-Girl-Typ. Mit dem Sommer war zweifelsohne eine Plage ausgebrochen. In letzter Zeit begegnete man solchen Möchtegern-Machos an jeder Ecke. Kein Wunder also, dass einem da – nun, mir zumindest – die Lust auf das Verlieben verging. Meinetwegen konnten sie mich also weiter für hochnäsig, seltsam oder gar frigide halten – aufgrund dieser Auswahl blieb ich lieber Single.
»Schön für dich«, antwortete ich ihm, woraufhin Dana sogleich auf ihn zusprang. Genervt lief ich weiter.
»Tja, David, bei ihr beißt du auf Granit. Da hat noch keiner landen können«, erklärte Dana.
»Dafür bist du so anhänglich wie Honig. Aber auch gut, hab sowieso keine Lust auf Diven.«
»Sag bloß, du hast auch keine Lust zu naschen«, säuselte Dana.
Ich wusste, dass sie Davids lässige Äußerungen nicht ernst nahm, genauso wenig wie den Flirt mit ihm. Sie wollte nur Spaß und obwohl wir nicht nur in Sachen Jungs verschiedener Meinung waren, waren wir dennoch unzertrennlich – beinahe wie Schwestern.
Ich ging ein Stück am See entlang.
»Faye, das Marshmallow-Wettessen fängt bald an. Kommst du?«, wollte Dana wissen.
»Ja, gleich!«, gab ich zurück.
Mein Blick schweifte wieder durch die Umgebung. Das Camp lag etwa hundert Kilometer von unserer Kleinstadt entfernt. In der Nähe gab es ein kleines Dorf mit einer Bäckerei, in der wir in den nächsten sieben Tagen jeden Morgen Brötchen und Gebäck holen wollten.
Ich mochte diese Naturidylle, die ich am liebsten für mich allein gehabt hätte. Es war, als wäre ich in den Traum mit James eingetaucht und er wäre hier irgendwo. Ein Kribbeln durchströmte mich. Ich zwang mich zur Vernunft, war es doch lächerlich, weil unlogisch und verrückt. Wie konnte man Sehnsucht nach jemandem haben, der nur in Träumen existierte?
Ich musste wieder an die letzten Monate denken, die sehr stressig gewesen waren. Die dauernden Zankereien meiner Eltern um viele Unwichtigkeiten, der Schulstress und allgemeine Sorgen hatten mir einige unruhige Nächte und Tage bereitet. Dana hatte recht, ich musste irgendwie runterkommen und abschalten. Ich streckte die Arme von mir, hob den Kopf gen Himmel und atmete ein paar Mal tief durch.
Relaxen, Faye, chillen und relaxen, wiederholte ich für mich. Als ich gerade beschloss, zu den anderen zu gehen, tauchte im Schatten einer nahe gelegenen Lichtung eine männliche Silhouette auf. Was sollte denn das nun schon wieder? Hatten die Jungs nichts Besseres zu tun? Ich stöhnte auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Wenigstens war er dieses Mal lebendig. Mit langsamen Schritten kam er auf mich zu. Genervt tippte ich mit einer Fußspitze auf den Boden. Gleich einem Scheinwerfer tauchte der Mondschein die Gestalt in sanftes Licht. Von der Statur her war er sportlich und mindestens einen Kopf größer als ich. Ich hielt inne und zog die Brauen zusammen. Moment mal … kein Junge aus unserem Camp war so groß. Mein Herz begann heftig gegen die Rippen zu pochen. Der gehörte nicht zur Gruppe des Sommercamps. Die Aura, die ihn umgab, schien Eiskristalle in mein aufwallendes Blut zu streuen und es gefrieren zu lassen. Ich wollte schreien, doch kein Ton entwich meiner Kehle und meine Füße waren wie angewurzelt. Dann schoss mir ein neuer Gedanke durch den Kopf, der mein Gehirn völlig vernebelte. Nein, das konnte nicht er sein. Oder? Ich träumte doch nicht?

In RUBINMOND geht es um eine Liebe zwischen einer jungen Sterblichen, Faye, und einem Vampir, James.

*

Interview mit Nadine Stenglein, geführt von Alisha Bionda am 08. Sep. 2016.

1 Nadine InterviewA.B.: Liebe Nadine, das letzte Mal habe ich im November letzten Jahres mit Dir gesprochen u.a. zu Deinem Roman „Aurora Sea“ (feelings/Knaur).
Nun wurde RUBINMOND, Deine erste Vampire-Romance bei Fabylon publiziert. Was für ein Gefühl ist es, wenn es sich für Dich als Autorin so gut entwickelt?

N.S.: Damit geht ein großer Traum in Erfüllung, der jetzt schon mehr beinhaltet als ich es mir je erhofft habe. Schon als Kind träumte ich davon, Schriftstellerin zu werden. Nun gibt es bereits zwei Bücher, die ich ihn Händen halten kann, mit meinen eigenen Geschichten. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man mit den Geschichten, die von Herzen kommen und aus der eigenen Phantasie entstehen, andere glücklich machen kann. Man will und kann dann erst recht nicht mehr damit aufhören weiterzuschreiben. Schreiben ist einfach meine Leidenschaft.

A.B.: Wie war es für Dich Deine ersten Vampir-Romance zu schreiben?

N.S.: Ich begann in die Geschichte einzutauchen, und sie zu lieben. Es war toll einen Vampir-Roman zu schreiben. Zudem wollte ich den Vampiren etwas Neues einhauchen. Ich liebe es etwas Neues zu erfinden und so machte es mir richtig Spaß dies auch in „Rubinmond“ zu tun.

A.B.: Was erwartet die Leser in RUBINMOND?

N.S.: In Rubinmond geht es um eine Liebe zwischen einer jungen Sterblichen, Faye, und einem Vampir, James. Eine Liebe, die Jahrhunderte durchlebt, unsterblich ist und es mit allem aufnimmt, das sich ihr in den Weg stellt. Das sind einerseits Vampire, die nicht nur eine alte Rechnung mit dem Liebespaar offen haben, sondern auch Seelenwächter, die versuchen, die Seelen der Menschen zu beschützen. Besonders einer von ihnen, Aurelio, sieht Fayes Seele durch die Liebe zu James, dem Vampir, in Gefahr. Aber er hat noch ein anderes, persönliches Geheimnis, das ihn in dieser Sache antreibt. Dafür wird er über alle Grenzen gehen.

A.B.: Welcher Charakter des Romans liegt Dir besonders am Herzen – und warum?

N.S.: Besonders am Herzen liegt mir Faye. Sie ist für mich eine ganz besondere, junge Frau, weil sie weiß, auf was es wirklich im Leben ankommt und die trotz aller Hürden, wie eine Löwin kämpft.

A.B.: Wie kamst Du auf die Idee zu dem Roman?

N.S.: Die Idee zu dem Roman war plötzlich in mir, auch der Titel. Der Rubinmond spielt schließlich eine große Rolle in der Geschichte.

A.B.: Wie kamst Du dazu, eine Vampir-Romance zu schreiben?

N.S.: Eigentlich konnte ich mir anfangs gar nicht vorstellen, auch einmal einen Vampir-Roman zu schreiben, obwohl ich Vampire cool, mysteriös und spannend finde. Nach Twilight wollte vor allem meine Tochter unbedingt, dass ich eine Vampirgeschichte schreibe. Dazu meine Agentin, die meinte, ich könne es doch auch einmal mit einem Vampirroman versuchen. Dann war da plötzlich diese Idee zu „Rubinmond“ in mir.

A.B.: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Lektorat des Fabylon-Verlags?

N.S.: Ich kann nur sagen, dass ich sehr zufrieden bin. Der Austausch klappte hervorragend, auf Wünsche wurde beiderseitig eingegangen. Wir waren da ein tolles Team. Ich arbeite sehr gern mit diesem Verlag zusammen.

A.B.: Wie gefällt Dir das Cover des Romans?

N.S.: Fayes Foto auf dem Cover war mein Vorschlag, James ebenfalls. Patrick Sass (alias James) liebt Rubinmond. Sowie er, als ich, sehen ihn als James. Der Verlag war begeistert von ihm und so kam auch sein Foto aufs Buch, worüber wir uns beide sehr freuen. Der Rest des Covers war eine Überraschung, die ich wundervoll finde.

A.B.: Woran arbeitest Du derzeit? Was wird als Nächstes von Dir erscheinen? Worauf dürfen sich Deine Leser freuen?

N.S.: Zurzeit arbeite ich an einer Fortsetzung meines Debütromans Aurora Sea. Zudem an einem Thriller für Bastei Lübbe und einer Liebeskomödie für den Arunya-Verlag. Als Nächstes erscheint von mir ein Kurzkrimi, auch als Hörbuch, beim KopfKinoVerlag.

A.B.: Wird es weitere Vampir-Romance von Dir geben? Wenn ja wo?

N.S.: Ja, ich habe eine neue Idee mit dem Titel „Under the moon of Roseline“. Wo das Buch nach Fertigstellung erscheinen wird steht aber noch nicht fest.

A.B.: Zum guten Schluss für heute: Wirst Du demnächst irgendwo lesen? Wenn ja wo?

N.S.: Habe ich vor. Wo weiß ich noch nicht. Vielleicht auf der Con in Dreieich, die ich diesen Oktober besuchen werde.

A.B.: Wieder einmal vielen Dank für das ausführliche Beantworten meiner Fragen. Und bis zum nächsten Part des Interviews.

N.S.: Sehr gerne, hat viel Spaß gemacht. Danke! Liebe Grüße, Nadine S.


kinder der dunkelheitVENETIAN VAMPIRES 1: KINDER DER DUNKELHEIT
Gabriele Ketterl
Roman / Vampir-Romance
Fabylon
Taschenbuch, 452 Seiten
ISBN: 978-3-927071-93
August 2016, 16.90 EUR

Andalusien, 15. Jh. In einer einzigen Nacht verliert Mohammed al Hassarin durch ein grausames Massaker seine gesamte Familie. Auch er selbst wird gefangen, gefoltert und schließlich zum langsamen Tod verurteilt.
Doch im letzten Moment wird er gerettet – von den Kindern der Dunkelheit, einem sehr alten Volk, dessen Blut besondere Heilkräfte birgt. Überdies verfügen die Unsterblichen über außergewöhnliche Kräfte. Sie nehmen Mohammed in ihre Reihen auf – er wird zu Luca, dem Venezianer.
2010. Auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Lebensgefährten findet die Münchnerin Sabine sich in Venedig wieder, der Stadt voller Magie und Träume.
Doch die Schatten der Vergangenheit lassen sich nicht so leicht abschütteln – ihr Ex verfolgt sie, um sie zu ermorden. In letzter Sekunde wird die schwer verletzte Sabine von einem geheimnisvollen Mann gerettet und ins Leben zurückgebracht. Der gut aussehende Mann ist der über fünfhundertjährige Luca, der auf diese Weise im eigenen Herzen Heilung erfährt. Er weiht Sabine in sein Geheimnis ein, und sie wird wie ein Teil seiner »Familie«.
Sabine ahnt nicht, dass ihre Entscheidung weitreichende Folgen haben wird – für alle Kinder der Dunkelheit, die von einem tot geglaubten, grausamen Feind der Vergangenheit heimgesucht werden, der seine Identität verborgen hält.
Luca, seine unsterblichen Freunde und Sabine setzen alles daran, den unheimlichen Mörder zu finden und aufzuhalten, doch bis dahin müssen viele Opfer gebracht werden ...

Band 1 der außergewöhnlichen Trilogie um ein faszinierendes Volk, das die Menschheit seit Jahrtausenden begleitet. Spannung pur!

*

LESEPROBE

Prolog

Noch nie war ihm in den Sinn gekommen, dass er sterben könnte. Es hatte keinen Grund gegeben, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Gut, ab und zu hatte er sich in seinen jugendlich-heroischen Tagträumen vorgestellt, wie es wohl wäre, sich wegen einer schönen Frau zu duellieren. Doch in seinen Träumen war nicht er es gewesen, den der Tod ereilt hatte. Wie auch? Es waren schließlich seine Fantasien, deren Ausgang nur er allein bestimmte.
Jetzt aber waren es die Träume eines Fremden, eines Menschen, dem das Leben anderer weder heilig noch in irgendeiner Art wertvoll war. Wie abgrundtief musste der Hass dieses Mannes sein, um ihn so sehr zu quälen? Wann immer Schauergeschichten über Folter oder die Verbrennung von Ketzern in sein behütetes Leben eingedrungen waren, hatte er sie mit einem bedauernden Kopfschütteln kommentiert, doch damit war seine Anteilnahme auch schon erschöpft gewesen.

Seit letzter Nacht wusste er, was es bedeutete, gefoltert zu werden. Wusste, was es hieß, unbeschreibliche Schmerzen zu erleiden, die glühende Speerspitzen, Peitschen mit Widerhaken, in Salz getauchte scharfe Dolche und langsam trocknende Lederriemen hervorriefen.
Als der Don ihn vor einer Weile, die ihm wie eine Ewigkeit erschienen war, hierherbringen ließ, hatte der Gepeinigte den Tod angefleht, Erbarmen zu zeigen. Dieser aber hatte sich taub gestellt. Seit sie ihn an das Kreuz geschlagen hatten, fühlte er, wie er zunehmend schwächer wurde. Weshalb nur konnte er nicht einfach aufgeben, warum kämpfte er mit aller Kraft um sein verfluchtes Leben? Die Antwort war ebenso einfach wie grausam: Sein junger, einst kräftiger Körper, sein starkes Herz, ja selbst sein Verstand, den er kaum mehr zu kontrollieren vermochte – einfach alles in ihm wehrte sich dagegen, zu sterben.
Albtraumhafte Visionen huschten durch seinen wunden Geist. Seine Eltern Hand in Hand, blutüberströmt und doch lächelnd, schritten langsam auf ihn zu. Seine Mutter trug Asma auf dem Arm, deren lockiges Haar von geronnenem Blut verkrustet an ihrem Engelsgesicht klebte. Hör auf! Hör auf zu denken, hör auf zu kämpfen!, flehte er sich selbst in Gedanken an. Ich will endlich sterben, so wie die, deren Tod ich zu verantworten habe!
Trotz der Seile, die ihn hielten, knickten seine Beine weg, und die eisernen Nägel, die von den Folterknechten durch die Handflächen getrieben worden waren, rissen ihm das Fleisch ein. Sein ganzer Körper war eine einzige, lichterloh brennende Wunde.

Endlich, kurz bevor die Schmerzen ihn in den Wahnsinn trieben, breitete sich in seinem Kopf eine dunkelblaue Samtdecke aus, mit einem hellen Schimmer darüber.
Die Stimmen der Folterknechte wurden stetig leiser und verschmolzen zu einem fast nicht mehr wahrnehmbaren Murmeln.
All sein Sehnen richtete sich auf das helle Schimmern und wäre es ihm noch möglich gewesen, so hätte er jetzt gelächelt. Dieses Licht – dorthin musste er gelangen, dann würde endlich alles vorbei sein!
Plötzlich drang aus der dumpfen Geräuschkulisse etwas heraus, das seinen versiegenden Geist noch zu erreichen vermochte. Der Todesschrei eines Menschen, ein wildes Gurgeln, ein lautes Knacken und Reißen, und alles übertönend ein dunkles Knurren.
Er wollte nichts mehr hören und weg von allem Leid, also wandte er sich erneut dem Licht zu, das ihm jetzt heller erschien als zuvor.
Ein kühler Lufthauch strich über seinen gepeinigten Körper und er fühlte den Druck sanfter Hände. Seine Schmerzen wurden leichter, sein Körper löste sich von der Erde und flog dem Licht entgegen. »Halte durch, mein Junge, halte durch! Du hast so lange gekämpft, gib jetzt nicht auf! Lebe, mein Junge, lebe!«


Somit endet mein kleiner Einblick über den Start und die ersten Bände der neuen VAMPIR-Reihe im Fabylon-Verlag. Ich werde natürlich auch über die nächsten Romane, die in dieser Reihe erscheinen, berichten.
Der nächste Band wird »Nachtwanderer« von Norma Feye sein – aber natürlich geht auch die »Venetian Vampire«-Trilogie von Gabriele Ketterl in ihrer sorgfältig überarbeiteten Neuauflage weiter ... und und und ...

Alisha Bionda, Oktober 2016


Rezension zu „Venetian Vampires – Kinder der Dunkelheit“

Interview mit Gabriele Ketterl