Ein Spiel für die Lebenden (Patricia Highsmith)

highsmith spiel

Zürich, Diogenes 2005
Originaltitel: A Game for the Living (1958)
Übersetzung von Bernhard Robben
Nachwort von Paul Ingendaay
Taschenbuch, 398 Seiten
€ 10,90 [D] | € 11,30 [A] | CHF 17,90
ISBN 978-3-257-23406-0

Genre: Mystery, Thriller


Inhalt

Als der 33jährige Maler Theodore Wolfgang Schiebelhut nach vierwöchiger Abwesenheit nach Mexico City zurückkehrt, entdeckt er die verstümmelte Leiche seiner schönen Freundin Lelia Ballestero in ihrem Schlafzimmer. Er informiert sofort die Polizei. Capitan Sauzas findet einiges sehr merkwürdig: kurz nachdem Theodore die Leiche gefunden hatte, war jemand an der Tür, der überstürzt davonlief; Lelias Wohnungsschlüssel ist verschwunden, auf dem Tisch liegt ein Strauß weißer Nelken. Sauzas Verdacht richtet sich zunächst gegen Theodore. Der hat allerdings ein Alibi, denn der Mord fand statt, als er gerade mit dem Flugzeug ankam. Der zweite Hauptverdächtige ist Ramon Otero, Lelias anderer Geliebter. Auch Theodore glaubt zunächst, dass Ramon der Mörder ist.


Rezension

Highsmith deutet nur dezent an, dass Carlos der Mörder sein könnte. Der Roman beginnt damit, dass Theodore vom Flughafen direkt zu Carlos und Isabel Hidalgo fährt, die eine Party geben. Carlos, wie üblich schon stark angetrunken, begrüßt Theodore freudestrahlend und überschwenglich. Nichts in seinem Verhalten deutet darauf hin, dass er kurz zuvor Theodores Geliebte getötet haben könnte. Theodore weiß, dass Carlos ein Lebemann und Frauenheld ist, der sehr hartnäckig und drängend sein kann. Es ist ein offenes Geheimnis, dass er es auch auf Lelia abgesehen hat. Aber keiner macht sich deshalb Sorgen. Es gibt keine Auseinandersetzung zwischen ihnen, jeder scheint die Situation so zu akzeptieren. 

Am Tag des Mordes hat Carlos einen geschäftlichen Termin mit Lelia. Sie soll für ihn Zeichnungen anfertigen, die er für seine Arbeit als Ausbilder von Theaterregisseuren braucht. Carlos erzählt Theodore, Lelia habe ihm telefonisch abgesagt. Das zweite und letzte Mal treffen wir Carlos auf Lelias Beerdigung. Danach wird er zu einer Figur im Hintergrund, von der die Leser und Theodore nur noch durch Dritte hören. Was wir von seiner Frau und seinen Freunden über ihn erfahren, ist nicht positiv: er trinkt zuviel, wirkt überreizt und gestresst. Dies und sein plötzlicher Rückzug sind Indizien für ein schlechtes Gewissen. Selbst am Romanende taucht er nicht persönlich auf. Am Ende steht eine überraschende und bittere Erkenntnis für einige der Figuren.

Carlos ist nur eine Nebenfigur. Im Zentrum des Geschehens hat Highsmith Theodore und dessen Beziehung zu seinen Freunden gestellt. Sie geht der Frage nach, wie belastbar eine Freundschaft ist und wann sie an ihre Grenzen gelangt. In diesem Zusammenhang interessiert sie auch die Schuldfrage, deren Verbindung zu Glaube und Religion. Oder wie Kierkegaard es auf religiösem Gebiet erklärt hatte: "Der Glaube hat alle Zufälle berechnet...wenn du verstehen willst, dass du lieben sollst, dann ist deine Liebe auf ewig gesichert". Dieses Zitat hat Highsmith dem Roman programmatisch vorangestellt. Theodore weiß nicht, ob Ramon der Mörder ist. Aber da Ramon sein Freund ist, fasst er den Entschluss, ihn für unschuldig zu halten. Damit entscheidet er sich für die Freundschaft mit Ramon. Das fällt ihm nicht leicht, denn es besteht immer noch die Möglichkeit, dass Ramon Lelias Mörder ist. Sauzas bewundert Theodore dafür, dass er an Ramon festhält.

Highsmith nimmt eine exakt kalkulierte Mordgeschichte zum Anlass, die Hauptfiguren über ihre Anschauungen nachdenken zu lassen, über Katholizismus und Existentialismus, über Hoffnung und Selbstverleugnung, Lebensmut und Märtyrertum. Sie postuliert mit Theodore als Sprachrohr den unbedingten Glauben an die Freundschaft und bestätigt diesen überkommenen, veralteten Ethos. Theodore weiß nicht einmal, ob er Atheist oder Agnostiker ist. Er wird es vielleicht niemals erfahren. Seine Religion ist, so zu tun, als könne man glücklich sein. Er nennt es ein "segensreiches So-tun". Dieses "So-tun" ermöglicht es ihm, überhaupt positiv zu handeln und nicht in Untätigkeit und Unentschiedenheit zu erstarren. Highsmith beschreibt Theodores inneren Konflikt und seine Entscheidung für die Freundschaft ohne Pathos oder Sentimentalitäten, sondern in ihrem bekannten kühlen und sachlichen Stil.

Ungewöhnlich dagegen ist die Perspektive. Normalerweise erzählt Highsmith aus der für sie viel interessanteren Täterperspektive. Diesmal liefert sie eine "Wer war's"-Story, orientiert sich also an einem konventionellen Schema, weshalb sie Ein Spiel für die Lebenden auch für einen ihrer schwächsten Romane hielt. Konventionell ist der Roman keineswegs, denn Highsmith konfrontiert den Leser nicht bloß mit einer simplen Verbrecherjagd, sondern sie verlagert den Schwerpunkt auf lebensnah und nachvollziehbar gestaltete Konflikte im Umgang der Menschen miteinander und behandelt das sehr sensible Thema vom Wert einer Freundschaft.

Der Roman erschien in gekürzter Fassung 1969 bei Rowohlt unter dem Titel Tod im Dreieck und 1979 in vollständiger Fassung bei Diogenes unter seinem aktuellen Titel, beide übersetzt von von Anne-Marie Uhde. Diogenes legte 2005 eine Neuübersetzung von Bernhard Robben vor.


Fazit

Ein Spiel für die Lebenden, im Gesamtwerk von Highsmith ungewöhnlich, ist ein Mystery-Thriller, in dem es um die Frage nach einem Mörder geht. Die psychologische Beschreibung ihrer üblicher Weise beschädigten Hauptfiguren tritt hier zu Gunsten von Morduntersuchungen in den Hintergrund. Ein typisches Highsmith-Thema. Am interessantesten ist die Beziehung zwischen den beiden Männern, die Faszination, die sie aufeinander ausüben.


Pro und Kontra

+ eine Ermittlungsgeschichte in einer als sinnlos angenommenen Welt
+ ein Pessimist versucht sich zurechtzufinden

Wertung:sterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 5/5


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