Soldierboy (Joe Haldeman)

haldeman soldierboy

Mantikore 2014
Originaltitel: Forever Peace (1997)
Übersetzt von Verena Hacker
Taschenbuch, 561 Seiten
€ 12,95 [D] | € 13,40 [A] | CHF 19,90
ISBN 978-3-939212-57-7

Genre: Science Fiction


Inhalt

Im Jahr 2043 ist der 32-jährige Sergeant Julian Class Zugführer und Operator eines Soldierboy genannten Kampfroboters. Elektronische Schädelimplantate und Jacks (Kontaktanschlüsse) verbinden Operatoren miteinander und mit den Kampfrobotern. Dies bewirkt die simultane Einsatzfähigkeit im Krieg. Die Operatoren können die Gedanken der Gruppe lesen und wie ein Organismus handeln. Julian ist Wehrpflichtiger, arbeitet zehn Tage im Monat mit einem Soldierboy und den Rest der Zeit als Dozent und Mitarbeiter im Jupiter-Projekt an der Universität.

Das Jupiter-Projekt, an dem auch Julians Geliebte, die Physikerin Amelia „Blaze“ Harding, mitarbeitet, ist ein automatisiertes teilchenphysikalisches Experiment zur extraterrestrischen Simulation des Big Bang. Julian und Amelia stellen fest, dass dieser neue Urknall zur Zerstörung der Erde, vielleicht auch des Universums führen könnte. Nachdem die Forscher ihre Erkenntnisse in einem Aufsatz bei einer Fachzeitschrift zur Begutachtung eingereicht haben, geraten sie in den Fokus einer christlichen Sekte, die sich Hammer Gottes nennt und den Weltuntergang herbeisehnt. Deshalb soll eine Auftragskillerin Julian und Amelia töten. Marty Larrin, einer der Entwickler der militärischen Implantat-Technologie, gewinnt Julian und Blaze für sein Vorhaben, diese Technologie zur Beendigung von Kriegen für alle Zeiten zu verwenden.


Rezension

Der Originaltitel des Romans – The Forever Peace – legt den Gedanken nahe, das Buch sei ein Nachfolgetitel zu Haldemans The Forever War (Der ewige Krieg). Beide Romane spielen in der Zukunft und haben kriegerische Auseinandersetzungen zum Thema. Soldierboy ist jedoch keine Fortsetzung von Der ewige Krieg. Es sind unterschiedliche Zukünfte, und Soldierboy spielt ausschließlich auf der Erde, mit anderem Personal und zu einer früheren Zeit als Der ewige Krieg. Haldemans drei Bücher The Forever War, Forever Free (Am Ende des Krieges) und Forever Peace bilden insoweit eine Trilogie, als sie dystopische Szenarien der Science Fiction entwickeln, die thematisch miteinander verbunden sind.

In Soldierboy bekämpft, verkürzt ausgedrückt, die nordamerikanische Allianz Rebellen aus Lateinamerika. Diese gesellschaftliche Konfliktlinie lässt sich erweitern auf die globale Ebene und repräsentiert eine tiefe Kluft zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen, den Reichen und Armen, den Gewinnern und den Verlierern dessen, was sich zu der Zeit, als Haldeman den Roman schrieb, bereits als Globalisierung abzeichnete. Nationalstaatlichkeit dürfte es noch geben, worauf das Konstrukt „Allianz“ einen Hinweis liefern könnte, aber nationalstaatliche Souveränität wird offensichtlich in dieser Konfliktlinie verletzt. Ideologische oder religiöse Differenz scheint es nicht zu geben, oder sie ist in der gegebenen Konfliktsituation bedeutungslos. Anders verhält es sich mit dem Merkmal der Rasse. Die Allianz ist großteils durch Weiße bestimmt, die Rebellion nicht.

Die Allianz hat Zugriff auf technologisch weit überlegene Waffensysteme, es herrscht ein asymmetrischer Krieg. Die technologische Differenz findet ihre Entsprechung in ökonomischer Differenz. Die stattfindenden Kriege sind wirtschaftlich motiviert. In Nordamerika gibt es keine Mittelschicht, sondern nur noch eine (super)reiche kleine Oberschicht und den Rest der Menschen als Unterschicht. Die Masse der Menschen ist ökonomisch bedeutungslos. Die Herrschenden versuchen über eine Art Sozialpolitik mit Hilfe von Nanotechnologie, die die nahezu kostenlose Produktion materieller Güter erlaubt, die Masse stillzuhalten. Die Nanotechnologie erinnert an heutige 3D-Drucker.

Soldierboy ist in einem dystopischen Raum angesiedelt, der Merkmale des Cyberpunks der 1980er Jahre aufweist. Wie Mandella, der Protagonist aus Der ewige Krieg, arbeitet Julian für ein Regime, das zumindest sehr fragwürdig ist. Die Unterdrückten Lateinamerikas werden repräsentiert durch die Ngumi genannten Rebellen, die die nordamerikanische Allianz bekämpfen. Die Allianz verfügt über teilautonome Waffensysteme, entsprechend der Waffengattungen: Soldierboys, Flyboys und Sailorboys. Soldierboys, Stückpreis zehn Millionen Dollar, haben gegenüber autonomen Waffensystemen den Vorteil, dass sie im Fall ihrer Erbeutung für den Gegner wertlos sind und dass sie keine „falschen“ Entscheidungen treffen können – z. B. sich gegen die eigenen Leute wenden.

Soldierboys werden von hunderte Kilometern entfernten Operatoren gesteuert, die mit ihnen verkoppelt sind. Im Regelfall werden zehn Operatoren, Männer wie Frauen, während eines Einsatzes über Körper-Schnittstellen zu einer Kommandoeinheit vernetzt und auf diese Weise zu „einer Kreatur“. Sie handeln wie ein Organismus, mit einem Gruppenverstand und einem Gruppenkörper. Nebeneffekt dieser Vernetzung ist, dass jedes Mitglied einer Gruppe Zugriff auf das Denken und Fühlen, die Erinnerungen und die körperlichen Befindlichkeiten der gesamten Gruppe hat. Dies führt zum Beispiel dazu, dass die männlichen Gruppenmitglieder an der Menstruation der Frauen teilhaben.

Dieses Gruppenkonstrukt verwendet Haldeman auch dazu, über die Konstruktion von Gruppenidentitäten nachzudenken, die sich organisch entwickeln und nicht extern vorgegeben werden, so über Sozialisierung. Auch löst er die geschlechtliche Identität der Gruppenmitglieder auf, die auf sie irritierende Weise sich zu genderneutralen Personen entwickeln. Dies führt im Verlauf der Erfahrungserweiterung zu wachsender Empathie, die wiederum Rückkopplungen auf die Einsatzfähigkeit erzeugen kann „empathisches Versagen“). Dem setzt Haldeman Menschen mit der Mentalität von Jägern und Killern entgegen, die zu speziellen Kommandoeinheiten gefügt werden.

Die Mitglieder der Sekte Hammer Gottes, die aufgrund ihrer Endzeit-Ausrichtung auch Enders genannt werden, bilden eine Organisation mit wichtigen politischen Verbindungen und erheblichem ökonomischem Potenzial. Sie sind keine religiösen Fanatiker, sondern handeln, abgesehen von ihrer Weltuntergangsprämisse, rational und zielgerichtet. Sie sind effektiv, verfügen über so etwas wie eine Killerabteilung, zu der die auf Julian und Amelia angesetzte Attentäterin Gavrila gehört. Später schleichen sich Irrationalitäten in ihr Handeln ein, die bereits vorher im Denken angelegt sein mussten.

Die Handlung wird aus zwei Perspektiven erzählt. Nah am Geschehen befindet sich Julian als Ich-Erzähler, der jedoch über wenig Hintergrundinformationen verfügt. Eine weitere Erzählinstanz, gehalten in der dritten Person Singular, ist in der Lage, nicht nur Julians Erlebnisse und seinen persönlichen Hintergrund zu kommentieren, sondern liefert auch für die Handlung weitere wichtige Informationen. Es gibt in Soldierboy zwei Verschwörungen. Ziel der ersten, die mitbetrieben wird von Julian und Amelia, ist es, den Menschen so zu verändern, dass er nicht anders kann, als friedlich zu sein, ihm irgendwie die kriegerischen Neigungen auszutreiben. Der Humanisierung genannte Vorgang besteht darin, durch Vernetzung aggressive Impulse zu neutralisieren. Ziel der zweiten Verschwörung ist es, die Einstellung des Jupiter-Projekts zu verhindern, damit der seit Ewigkeiten erwartete Weltuntergang endlich eintreten, soll heißen: künstlich herbeigeführt werden, kann. Gegen diese arbeiten Julian und Amelia.


Fazit

Joe Haldemans Soldierboy ist ein interessanter Roman, der im Kern die Frage stellt, ob Krieg eine notwendige Konstante in der natürlichen Ausstattung des Menschen ist und ob der Mensch, um den Krieg vollständig aus dieser Ausstattung zu eliminieren, etwas anderes werden muss.


Pro und Kontra

+ sehr gute Storyentwicklung
+ hoffnungsvoll und verstörend zugleich
+ interessante Fortschreibung von Waffensystemen

- schwache Charakterentwicklung

Wertung:sterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5


Rezension zu Der ewige Krieg

Rezension zu Der ewige Krieg. Gesamtausgabe

Tags: Military-SF