Marco Polo – Bis ans Ende der Welt (Oliver Plaschka)

Droemer Knaur (November 2016)
Hardcover
864 Seiten, 24,99 EUR
ISBN: 978-3-426-28138-3

Genre: Historischer Roman


Klappentext

Ein heldenhafter Abenteurer? Ein geistreicher Berater der Mächtigen? Oder doch nur ein einfacher Betrüger? Die einzige Romanbiografie über eine der schillerndsten Figuren des Mittelalters: Marco Polo.

Ist dieser Mann ein Held, ein Genie oder nur ein Lügner? Diese Fragen gehen dem Geschichtenerzähler Rustichello durch den Kopf, als er der Erzählung seines Mitgefangenen Marco Polo lauscht. Hat dieser Marco es wirklich bis an den Hof des Kublai Khan geschafft? Doch diese Fragen verblassen mehr und mehr, je stärker der geschickte Geschichtenerzähler Marco seinen Zuhörer mit seinen Schilderungen gefangen nimmt. Und so reist Rustichello mit Marco zurück in die Vergangenheit, bestaunt mit ihm die Wunder Asiens, hört von dem Geschick, mit dem der Venezianer alle kulturellen Gräben überwinden und zu einem der wichtigsten Männer Chinas aufsteigen konnte ...


Rezension

In einem genuesischen Gefängnis begegnen sich zwei Männer: Rustichello, ein Kriegsgefangener, den die Welt vergessen hat, und Marco Polo, den ein weitaus jüngerer Konflikt dorthin verschlagen hat. Marco Polos Geschichten erweisen sich für den seit mehr als Jahrzehnten isolierten einstigen Geschichtenerzähler Rustichello als Rettung und schlagen bald noch mehr Menschen in ihren Bann. Stück für Stück entfaltet sich eine außergewöhnliche Geschichte: Marco Polo berichtet von seiner Kindheit und Jugend in Venedig und wie er erst als junger Mann seinen Onkel und seinen Vater – den zynischen Maffeo und den melancholischen Niccoló – kennengelernt hat. Denn sie sind erst nach Jahren von einer außergewöhnlichen Reise zurückgekehrt, die sie bis nach China an den Hof des Mongolenherrschers Kublai Khan geführt hat. Nun beabsichtigen sie, zu Kublai zurückzukehren und im Namen des Papstes mit ihm zu verhandeln. Marco schließt sich ihnen an.

Marco schildert die lange, abenteuerliche Reise nach Xanadu, wo der Khan residiert. Zwischen ihm, Niccoló und Maffeo scheint es eine für Marco unerklärliche Schuld zu geben, die die beiden Männer nur tilgen können, indem sie in seine Dienste treten – und Marco dieselbe Entscheidung aufzwingen. Ihm ist eine Rolle in der Verwaltung des gewaltigen Reiches zugedacht, das Kublai errichtet hat, und das der Geschichte einen faszinierenden Schauplatz bietet, weil sich hier so viele Kulturen begegnen. Aber Marcos Geschichte ist auch auf vielfache Weise mit der des Khans und seiner Familie verwoben. So rettet er dem Prinzen Chinkim das Leben, verliebt sich in dessen stolze Schwester Kokachin und wird zum Hüter eines brisanten Geheimnisses. Zusammen mit ihnen muss er es mit einem sehr gefährlichen Gegner aufnehmen und sich am Hof des Khans behaupten.

Neben Marcos Erzählstrang gibt es noch einen weiteren aus der Perspektive Niccoló Polos, den der erzählende Marco Polo sich zusammengereimt hat. Das und vieles anderes lässt Rustichello am Wahrheitsgehalt von Marcos Erzählung zweifeln, insbesondere, da ihm sein Zellengenosse ihm eher mehr als weniger Rätsel aufgibt, je näher er ihn kennenlernt. Immer wieder werden in der Rahmenerzählung, aber auch in Marcos Bericht (in den ihrerseits ein paar Geschichten eingebettet sind) die Frage der Wahrheit, aber auch die Magie des Erzählens, die diese irrelevant erscheinen lässt, thematisiert.

Die zweite Hälfte des Buches ist etwas ruhiger und melancholischer: Die erste Verzauberung durch die neue Welt ist verflogen, auch wenn es noch immer atmosphärische Beschreibungen der verschiedensten Orte gibt, und Kublais persönlicher Niedergang droht alle in seiner Umgebung mitzureißen. Marco muss sich einigen unangenehmen Wahrheiten stellen, die in Frage stellen, was er über sich und seine Familie zu wissen glaubte (falsche Identitäten sind im ganzen Roman ein stetig wiederkehrendes, vielleicht sogar etwas überstrapaziertes Motiv) und sich fragen, ob er in Kublais Reich noch eine Zukunft hat – aber auch, ob er je wieder in Venedig heimisch werden kann. Dennoch gibt es nach wie vor einige dramatische Szenen und überraschende Enthüllungen.

Das Buch ist durch die Erzählungen in der Erzählung geschickt konstruiert und in einer schönen Sprache geschrieben, die die Schauplätze und Personen zum Leben erweckt, auch wenn nicht alle Charaktere gleichermaßen plastisch geworden sind. Die in der ersten Person geschriebenen Passagen, in denen Marco Polo erzählt, laden sehr zur Identifikation mit dem jungen Mann ein, der seine vertraute Umgebung verlässt, um eine Welt zu betreten, die er nur aus Legenden kennt und die größer, vielfältiger und komplexer ist, als er sich je hätte träumen lassen. So kommt beim Lesen ein „sense of wonder“ auf, der mit dem bei der Lektüre eines Fantasyromans vergleichbar ist. Auf den Roman folgt ein langes Nachwort, in dem Oliver Plaschka gewissenhaft darlegt, wo er von den wenigen überlieferten Fakten abgewichen ist und wo es Interpretationsspielraum gibt.


Fazit

In „Marco Polo – Bis ans Ende der Welt“ lässt Oliver Plaschka seine Leser zusammen mit Marco Polo das mittelalterliche Asien entdecken und bettet seine Geschichte gekonnt in eine Erzählung ein, die nicht nur Rahmen ist, sondern auch eine interessante Dynamik zwischen den Figuren und einige überraschende Wendungen bereithält. Ein atmosphärischer und sprachlich schöner historischer Roman.


Pro und Contra

+ faszinierendes, atmosphärisch geschildertes Setting
+ geschickte Konstruktion
+ Entwicklung der Beziehung zwischen Marco Polo und Rustichello
+ spannende, aber auch nachdenkliche Geschichte
+ viele differenzierte Figuren
+ interessantes und informatives Nachwort

o sehr freier Umgang mit überlieferten Fakten

- unglaubwürdige Häufung von Menschen mit falschen Identitäten

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 3,5/5


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