Das Buch der Spiegel (E.O. Chirovici)

Goldmann (Februar 2017)
Originaltitel: The Book of Mirrors
Übersetzer: Werner Schmitz, Silvia Morawetz
Hardcover
384 Seiten, 20,00 EUR
ISBN: 978-3-442-31449-2

Genre: Belletristik/ Krimi


Klappentext

Als der Literaturagent Peter Katz ein Manuskript des Autors Richard Flynn erhält, ist er sofort fasziniert. Flynn schreibt über die Ermordung des Professors Joseph Wieder in Princeton. Der Fall wurde nie aufgeklärt, und Katz vermutet, dass der unheilbar kranke Flynn den Mord gestehen oder den Täter enthüllen wird. Doch Flynns Text endet abrupt. Als Katz den Autor kontaktieren will, ist dieser bereits verstorben. Besessen davon, das Ende der Geschichte zu erfahren, versucht Katz, Laura Baines ausfindig zu machen, die als Studentin auf undurchsichtige Weise mit Wieder verbunden war. Doch je tiefer Katz in den Fall eindringt, desto mehr scheint er sich von der Lösung zu entfernen ...


Rezension

Von einem ungewöhnlichen Anschreiben angesprochen liest Literaturagent Peter Katz den Auszug aus einem autobiographischen Manuskript: Richard Flynn erzählt, wie er sich als Student in seine Kommilitonin Laura Baines verliebt und durch sie den charismatischen Psychologie-Professor Joseph Wieder kennengelernt hat. Wieder ist unsympathisch, manipulativ und selbst wenn er nicht in fragwürdige Versuche verwickelt ist, wie hin und wieder angedeutet wird, verwandelt er doch gerne scheinbar harmlose Gespräche in kleine Experimente mit seinen Mitmenschen. Trotzdem – oder gerade deswegen – versteht er es, Flynn und den Leser zu faszinieren.

Zum Ende des Auszuges hin sind immer mehr düstere Andeutungen in das Manuskript eingeflochten, aber es bricht jäh ab. Aus anderen Quellen erfährt Katz, was geschehen ist: Eines Morgens wurde Joseph Wieder erschlagen aufgefunden. Wer der Mörder war, und welche Rolle Flynn, Baines und einige andere Menschen aus Wieders Umfeld bei seinem Tod gespielt haben, konnte nie zufriedenstellend geklärt werden.

Das Rätsel lässt Katz nicht los, doch bevor er Flynn ausfragen kann, erliegt dieser einer Krankheit und der Rest des Manuskripts scheint unauffindbar. Katz bittet seinen alten Freund, den Journalisten John Keller, um Hilfe, der sich wiederum an einen ehemaligen Polizisten wendet, der im Fall Wieder ermittelt hat. Nach und nach suchen die drei Männer die verbliebenen Akteure und Zeugen von damals auf und versuchen, aus ihren Berichten die Wahrheit zu rekonstruieren.

Sehr früh in Flynns Manuskript erzählt Laura Baines ihm von Wieders Forschungen zum Gedächtnis, die vor allem eines ergeben haben: Erinnerungen können trügerisch sein. So ist man als Leser von Anfang an dafür sensibilisiert, dass die Figuren vielleicht bewusst lügen können, vielleicht aber auch felsenfest von einer Version der Vergangenheit überzeugt sein, die es so nicht gegeben hat. Daher ist es nicht weiter überraschend, dass die zahlreichen Zeugen die im Laufe des Buches zu Wort kommen, teilweise vollkommen widersprüchliche Geschichten erzählen und die Figuren, die sich in die Ermittlungen gestürzt haben, ihre Vermutungen oft komplett revidieren müssen.

Genau diese widersprüchlichen Geschichten, in denen sich irgendwo eine flüchtige Wahrheit verbirgt, und die Frage nach der Verlässlichkeit von Erinnerung, machen die zweite Hälfte des Romans sehr spannend, nachdem Flynns Manuskript als Einstieg nicht vollkommen überzeugen konnte – Flynn und Laura bleiben beide eher blass und laden nicht zur Identifikation ein.

Als die Wahrheit schließlich herauskommt, ist sie sehr überraschend. Die Struktur von „Das Buch der Spiegel“ ist ebenfalls interessant: Neben Flynn kommt jeder der „Ermittler“ als Ich-Erzähler zu Wort und man erfährt ein wenig über ihren Hintergrund und erlebt die Zeugen aus verschiedenen Perspektiven. Trotzdem hätte Chirovici noch ein bisschen mehr daraus machen können, indem er seine Ich-Erzähler durch individuellere Stimmen noch klarer voneinander abgegrenzt und in lebhafteren Farben gezeichnet hätte. Sein Stil liest sich flüssig und über weite Strecken eher unauffällig. Dazwischen stechen aber auch einige Sätze und Formulierungen – viele davon über die Natur der menschlichen Erinnerung – heraus, die regelrecht zum Zitiertwerden einladen.


Fazit

Ein rätselhaftes Manuskript, ein Jahrzehnte zurückliegender Mordfall und ein Puzzle aus widersprüchlichen Geschichten… E.O. Chirovici hat „Das Buch der Spiegel“ um eine faszinierende Grundidee herum aufgebaut und sich für eine ungewöhnliche Erzählstruktur entschieden, die ausgezeichnet funktioniert. Leider wirken aber so einige Figuren nicht wirklich plastisch und lebendig.


Pro und Contra

+ Grundidee
+ unzuverlässige Erinnerung als wiederkehrendes Motiv
+ Vielfalt von Perspektiven und widersprüchlichen Geschichten – der Leser wird zum Spekulieren angeregt
+ überraschende Enthüllungen
+ einige sehr schöne, prägnante Formulierungen

- viele eher blasse Figuren
- Ich-Erzähler haben nicht wirklich individuelle „Stimmen“

Wertung:

Handlung: 5/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 5/5