Norbert Stöbe (18.03.2017)

Interview mit Norbert Stöbe

Literatopia: Hallo, Norbert! Kürzlich ist Dein neuer SF-Roman „Kolonie“ erschienen – was erwartet die Leser?

norbert stoebeNorbert Stöbe: Der Leser findet sich mit 39 überlebenden Kolonisten und deren Nachkommen auf dem Planeten Corazon wieder, dem ersten extrasolaren Planeten, der von Menschen besiedelt wurde. 30 Jahre nach der Landung ist die Station teilweise verfallen, die Erforschung des Planeten ist weitgehend zum Erliegen gekommen. Die ‚Kinder‘ sind mutiert und gelten als ansteckend, weswegen sie im so genannten ‚Kindertrakt‘ eingesperrt sind. Die Roboter haben sich verselbstständigt, werkeln an einer merkwürdigen Stadt und warten auf die Ankunft ihrer Erschaffer. Die Kolonisten sind in einem aussichtlos erscheinenden Überlebenskampf gefangen, als unerwartet ein weiteres Kolonistenraumschiff eintrifft, allerdings mit nur 5 Personen an Bord. Daraufhin eskalieren die Spannungen.

Literatopia: Erzähl uns etwas über Deine Protagonisten – im Klappentext erfährt man leider gar nichts über sie …

Norbert Stöbe: Nun, es gibt die ‚Alten‘, die ‚Kinder‘ und die Bots. Ich habe versucht, auch die Nebenfiguren lebendig zu zeichnen, aber im Zentrum der Handlung stehen Hank, der Captain, und Irina, die Exobiologin. Beide kämpfen gegen das Alter und den Verfall der Station. Als Irina die Station verlässt, um mit den Bots zu verhandeln, wird sie nicht nur mit der Natur des Planeten konfrontiert, sondern auch mit ihrer ganz persönlichen tragischen Geschichte. Daneben kämpfen die ’Kinder‘ um ihre Freiheit. Die Roboter wiederum werden repräsentiert durch MIAU, eine Mega Intelligent Advanced Unit, die das Gruppenbewusstsein der Bots bündelt.

Literatopia: Wie sieht der Planet Corazon aus? Worin unterscheidet er sich von der Erde?

Norbert Stöbe: Corazon ist erdähnlich, mit zwei großen Kontinenten. Das Leben auf dieser Welt weist einige Merkwürdigkeiten auf. Es gibt da vergleichsweise hoch entwickelte Spezies wie die wandernden Bäume, die Trane oder die Morsel, es gibt Würmer, Sacksegler, Erdschweiß und Phlorogyten, auch Mikroorganismen, Bakterien und Viren, aber es mangelt an Vielfalt. Irina bezeichnet die Ökosysteme als ‚unterkomplex‘. Was es damit auf sich hat, stellt sich im Laufe der Geschichte heraus.

Literatopia: Zu den evolutionären Begleiterscheinungen in Deinem Roman gehören die „Externorgane“ - was ist das? 

Norbert Stöbe: Das sind Auswüchse an der Kopfseite. Über ihre Bedeutung sind sich nicht einmal die betroffenen Kinder im Klaren. Einerseits scheinen sie die Sinneswahrnehmung zu erweitern, andererseits lösen sie bei manchen auch Anfälle aus.

Literatopia: Die neuen Kolonisten sind mit speziellen Implantaten ausgestattet. Was bewirken diese?

Norbert Stöbe: Das sind elektronische Erweiterungen mit biologischer Schnittstelle, die tief ins Bewusstsein eingreifen und eine Art persönlichen Assistenten simulieren.

Literatopia: Die Maschinen in „Kolonie“ warten auf die Schöpfer. Wie sind die Roboter zu Bewusstsein gelangt? Und wie stellen sie sich diese Schöpfer vor?

Norbert Stöbe: Die Roboter selbst sprechen vom Autonomen Code. Das heißt, sie haben sich aus der Beschränktheit ihrer Programmierung gelöst. Jeder, der viel mit Rechnern zu tun hat, weiß, dass es jederzeit zu spontanen Fehlern kommen kann.

Ich fand die Vorstellung interessant, Softwarefehler als Ausgangspunkt einer Code-Evolution zu nehmen. Wie die Bots die Vorstellung der ‚Schöpfer‘ entwickelt haben, weiß ich nicht. Aber offenbar können sie mit ihrer neu gewonnenen Freiheit wenig Sinnvolles anfangen.

Literatopia: Wie stellst Du Dir die Besiedlung des Alls vor? Wird es überhaupt jemals dazu kommen?

Norbert Stöbe: Dagegen stehen die gewaltigen Entfernungen und die damit verbundene Flugzeit. In der SF-Literatur zaubert man das Problem häufig mit Hyperraumantrieben, Wurmlöchern oder Dimensionstoren weg. Ich gehe davon aus, dass die Lichtgeschwindigkeit die natürliche Grenze ist. Trotzdem halte ich es für möglich, dass Menschen irgendwann unser Sonnensystem verlassen werden – sei es an Bord eines Mehrgenerationenraumschiffs, als Bewusstseinskopie oder wie im Falle von ‚Kolonie‘ in einer Art Konservierungstank.

Literatopia: Du hast bereits über 100 Bücher übersetzt. Wie gehst Du beim Übersetzen eines Romans vor? Und wie lange braucht es durchschnittlich, bis die deutsche Fassung fertig ist?

Norbert Stöbe: Ich fange einfach an zu übersetzen, und nach 3 bis 4 Monaten ist das Buch fertig.

Literatopia: Beeinträchtigt Deine Tätigkeit als Übersetzer Deinen Schreibprozess? Arbeitest Du überhaupt an eigenen Werken, während Du andere übersetzt?

Norbert Stöbe: Ich habe zwei Arbeitsplätze, einen fürs Übersetzen, einen fürs Schreiben. Tagsüber übersetze ich, am Abend schreibe ich. Die beiden Tätigkeiten sind bei mir strikt getrennt und beeinflussen sich nicht.

morgenroeteLiteratopia: 1986 ist Dein erster Roman „Spielzeit“ erschienen – wie denkst Du rückblickend über Dein Debüt? Hättest Du etwas anders gemacht? Oder war es genauso richtig?

Norbert Stöbe: Sorry, aber die Frage macht für mich keinen Sinn. Ich schreibe jedes Buch, so gut ich kann. Damals war ‚Spielzeit‘ das, was ich konnte und wollte. Von der heutigen Warte darüber zu urteilen, bringt nichts.

Literatopia: Du hast als Chemiestudent mit dem Schreiben begonnen – gab es einen konkreten Auslöser? Und wann war für Dich klar: Ich will etwas veröffentlichen?

Norbert Stöbe: Mir ging eine Geschichte im Kopf herum, die ich gelesen hatte, und daraus ist das Bild einer Szene geworden, die ich aufschreiben wollte. Dabei habe ich entdeckt, wie magisch es sein kann, Vorstellungen in Sprache umzuformen. Ans Veröffentlichen habe ich zunächst nicht gedacht, aber nach einer Weile ist mir klargeworden, dass ich an einem Roman schreibe, und als er fertig war, habe ich ihn an Heyne geschickt. Zwei Monate später kam dann der Vertrag.

Literatopia: Du verfasst auch Kurzgeschichten. Welche besonderen Anforderungen stellt eine solche an einen Autor? Und was schreibst Du lieber: Kurzgeschichten oder Romane?

Norbert Stöbe: Ich schreibe lieber Romane. Romane sind ein Abenteuer. Die Handlung entwickelt sich bei mir organisch, bis irgendwann das Ganze zu erahnen ist. Das heißt, ich muss beim Schreiben herausfinden, wohin die Reise geht. Bei Storys steht die Idee im Vordergrund. Sie ist da und wird ausgearbeitet. Das ist ein völlig anderer Prozess, der auch seine Reize hat, aber weniger Freiraum bietet.

Literatopia: Was liest Du selbst gerne? Hast Du ein Lieblingsbuch / einen Lieblingsautor?

Norbert Stöbe: Ich habe kein Lieblingsbuch und keinen Lieblingsautor. Auf dem Gebiet der SF schätze ich die alten Klassiker, Ursula LeGuin, Stanislav Lem, die Strugatzkis, Frederik Pohl, Samuel R. Delany. In letzter Zeit hat mich VanderMeer mit seiner Southern-Reach-Trilogie sehr beeindruckt. Ansonsten lese ich sehr breitgefächert, zum Beispiel liebe ich Dostojewskij und Hamsun, aber auch Frantzen und Jennifer Egan. Im Moment lese ich Paul Auster (4321) und Voskuil (Das Büro).

die nacht der froescheLiteratopia: Wie wichtig ist es heutzutage für einen Autor, im Internet präsent zu sein? Was tust Du, um Deine Werke zu bewerben?

Norbert Stöbe: Eigenwerbung liegt mir nicht. Ich halte meine Website aktuell und poste hin und wieder was in meinem kleinen Blog (https://nstpost.wordpress.com/). Das ist es auch schon.

Literatopia: Auf Deiner Website findet sich unter anderem eine Fotogalerie mit schönen Landschafts- und Detailaufnahmen. Was fotografierst Du am liebsten?

Norbert Stöbe: Ich fotografiere, was ich sehe, und durchs Fotografieren sehe ich es ein bisschen besser. In letzter Zeit habe ich eine Vorliebe für Lost Places entwickelt: alte Bahnhöfe, verfallene Häuser. Und immer wieder Wasser, das Meer.

Literatopia: Kannst Du uns schon etwas über Dein Romanprojekt „Kleiner Drache“ verraten?

Norbert Stöbe: In ‚Kleiner Drache‘ geht es um einen tibetischen Mönch, einen Klon und einen Roboter. Mehr möchte ich nicht verraten.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Norbert Stöbe: Ich bedanke mich auch!


Autorenfoto: Copyright by Norbert Stöbe

Autorenhomepage: www.n-stoebe.homepage.t-online.de


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia.de geführt. Alle Rechte vorbehalten.