475 Seiten, 19,90 €
ISBN: 978-3-8321-8089-8
Genre: Thriller
Klappentext
Kolyma – das ist der Vorhof der Hölle. Am äußersten Rand von Sibirien gelegen, Tausende Kilometer von Moskau entfernt, gibt es hier nur Steine, Schnee, Permafrost – und Lager. Die schlimmsten Gulags der Sowjetunion. In diese eisige Wüste lässt Leo Demidow sich einschmuggeln, denn es geht um das Lebern seiner Tochter. Doch als einer der Mithäftlinge ihn als ehemaligen KGB-Mann enttarnt, sitzt Leo plötzlich in einer tödlichen Falle ...
Rezension
Mit „Kind 44“ hat Tom Rob Smith bewiesen, dass er Talent besitzt für geschichtliche Ereignisse, Spannungsaufbau und puren Nervenkitzel. Er verzauberte, entführte und entließ den Leser kaum mehr in die Realität. „Kolyma“ setzt nun die Geschichte von Leo Demidow fort, auf dessen kalte Fährte sich der Leser begibt.
- In eine Hölle aus Eis, Kälte und stinkendem Schuldgefühl!
Moskau 1956 – Leo Demidow hat dem KGB den Rücken gekehrt und ist nun Leiter eines Morddezernats. Nach allen Regeln der Kunst bemüht er sich nun ein Leben zu führen, das seiner Existenz wieder einen Sinn gibt, und versucht, damit auch einen Teil seiner Reuseeligkeit zu stillen. Doch lässt sich die Vergangenheit so einfach verdrängen?
Für Soja, seine Pflegetochter, in keinem Fall! Nacht für Nacht ist sie geplagt von dem Wunsch, Leo zu ermorden, und kauert mit einem Messer neben seinem Bett. Als Leo diese Tatsache herausfinden muss, ist er schwer verstört, doch immer noch bereit, alles für sie zu riskieren, als das Mädchen Opfer eines Verbrechens wird.
Eine Hatz beginnt, deren verräterische Züge Leo vorerst nicht erahnen kann.
Das zweite Buch des amerikanischen Schriftsteller Tom Rob Smith beleuchtet erneut die Vergangenheit Russlands. Diesmal jedoch zu einer späteren Zeit nach Stalins Tod. – Racheakte gegen ehemalige Regierungsbeamte und Denunzianten scheinen an der Tagesordnung zu stehen und erschüttern weite Landesteile. Jede freie Meinungsäußerung, die öffentlich kundgetan wird, facht den Hass der Menschen auf die Regierung weiter an. Schnell wird klar: Mit Stalins Tod ist nichts, wie es war. Doch ebenso wenig ist besser oder gar friedlicher geworden!
Auch den ehemaligen KGB-Agenten Leo Demidow scheint die Vergangenheit immer wieder einzuholen. Um seine Tochter Soja zu retten, sieht er sich diesmal gezwungen, nach Kolyma zu reisen und sich damit erneut seinem früheren Leben zu stellen. Nur wenn er einen unschuldigen Priester aus dem Gulag befreien kann (dessen Inhaftierung er vor Jahren verschuldete), bekommt er seine nächste Chance, glücklich zu sein. Denkt er jedenfalls. Denn was vorerst wie ein geradliniger Racheakt erscheint, gewinnt Seite um Seite an Tiefe. Eine, die der geneigte Leser zwar vorerst nicht fassen kann, doch die gerade zum Ende hin tückischer und überzeugender wird.
Weniger ansprechend als der aufkeimende Facettenreichtum der Grundidee ist hingegen die inhaltliche Zerrissenheit dieses Romans. Ständig lähmt den Leser das Gefühl, dass der Autor zu viel wollte und ihm keine Zeit blieb, es zu erreichen. Auch sprachlich trübt dies die Leselust in aller Form. Wortwiederholungen unterstreichen den Eindruck der Unausgegorenheit, und das aufkommende Gefühl der Vielschichtigkeit, um das sich Tom Rob Smith auch diesmal bemüht, scheitert damit zum Teil. In keinem Fall aber emotional, was man dem Roman wiederum zugute halten kann.
Charakterlich bestechen die bekannten Protagonisten mit Tiefe und Entwicklung so wenig, wie sie sich in "Kind 44" hervorgetan haben. Sie alle bleiben diesmal großteils stur liebende Eltern, leidende Kinder oder von Reue geplagte Personen. Nicht unbedingt ein großes Manko, wenn man „Kind 44“ gelesen und lieben gelernt hat. Jedoch für Neueinsteiger, die das ganze Potenzial von Tom Rob Smith Talent auskosten möchten, absolut ungeeignet.
Zum Ende hin darf man sich schließlich über einen passenderen Ausklang freuen, der dem des Vorgängers zwar ähnlich ist, jedoch nun zufriedenstellt. Dieser Umstand tröstet einen aber leider nur wenig darüber hinweg, sich umsonst auf einen Roman gefreut zu haben, der Kolyma und dessen Gulags ins Zentrum stellt.
Fazit
Erneut schafft es Tom Rob Smith, den Schrecken der Stalin-Zeit und deren Folgen in Worte, Gedanken und Gefühle zu verpacken. Sprachlich nicht ganz sauber, jedoch teilweise sehr spannend, überzeugt er diesmal vorwiegend durch das Thema an sich und durch die aus dem Vorgänger bekannten Charaktere. Dadurch ist „Kolyma“ zu einem Buch geworden, das tatsächlich „nur“ als Nachfolger von „Kind 44“ betrachtet werden kann. Leser, die es ohne Vorwissen zur Hand nehmen, werden weder dessen politische Tiefe verstehen noch großes Gefallen an den Protagonisten finden.
Pro und Kontra
+ packender Hintergrund
+ authentisch
+ wunderschönes, hochwertiges Hardcover
+ stimmungsvolle Detailarbeit
o Protagonisten meist ohne Entwicklung
- teilweise langatmig
- sprachlich nicht überzeugend
Bewertung:
Handlung: 3,5 / 5
Charaktere: 3,5 / 5
Lesespaß: 3 / 5
Preis/Leistung: 4 / 5