Talvars Schuld (Valerie Colberg)

Droemer Knaur (Februar 2017)
Taschenbuch
408 Seiten, 9,99 EUR
ISBN: 978-3-426-51434-4

Genre: Fantasy


Klappentext

Vor fünfzehn Jahren wurde der berühmte Stratege Talvar vom Vorwurf des Mordes an seiner Feldherrin und der Unterschlagung von Kriegsbeute freigesprochen. Aber nun trifft Kadevis, der Sohn der Ermordeten, in der Hauptstadt ein. Dem Familienwillen nach soll er ein Politiker werden, und so führt ihn sein Mentor in die politische Elite ein. Doch Kadevis möchte diesem Berufsweg nicht folgen, denn er will den Mord an seiner Mutter aufklären. Und so sucht er Talvars Nähe, um Beweise für dessen Schuld zu finden. Als er jedoch Talvars schöne und kluge Tochter Lerina kennenlernt, geraten seine Vorsätze ins Wanken.


Rezension

Die Stadt Kessel – benannt nach dem Talkessel, in dem sie gelegen ist – erinnert an Rom: Mitglieder von Oligarchenfamilien bestimmen in einem Rat die Geschicke der Stadt und senden Heere aus, um ihr Herrschaftsgebiet zu erweitern. Bei einem solchen Feldzug ist Kadevis‘ Mutter ums Leben gekommen – angeblich wegen ihrer Inkompetenz als Kommandantin, auch wenn Kadevis‘ Tante, bei der er aufgewachsen ist, stattdessen ihren Strategen Talvar verantwortlich macht. Doch Talvar wurde freigesprochen und Kadevis hat jahrelang nicht an ihn gedacht.

Nach seiner Zeit beim Militär kommt Kadevis nach Kessel, um dort eine politische Karriere zu beginnen. Seine Tante hat den jungen, ehrgeizigen Malkar zu seinem Mentor bestimmt. Von Anfang an ist Kadevis fasziniert von dem selbstbewussten Mann, der mit seinen Reden vor Gericht alle Fälle (unabhängig davon, bei wem die Schuld wirklich liegt) für sich entscheiden kann und deshalb gerne von anderen Adligen für Prozesse engagiert und reichlich entlohnt wird. Zuerst herablassend und kurz angebunden, bezieht er Kadevis schließlich doch mehr und mehr in seine Arbeit ein.

Als sie zufällig Talvar über den Weg laufen, drängt Malkar Kadevis, zum Schein auf das Angebot des melancholischen alten Mannes einzugehen, die Feindschaft zwischen ihren Familien zu begraben und die Gelegenheit zu nutzen, nach einem Beweis für Talvars Schuld zu suchen. Dies scheint Malkar aus Gründen, die er zunächst verschweigt, ein wichtiges Anliegen zu sein. Kadevis lässt sich nur widerwillig darauf ein, denn Talvar ist nicht das Ungeheuer, dass er erwartet hat. Stattdessen lernt er einen einsamen Mann kennen, der antriebslos dem Verfall seiner Güter zusieht, sein von einer Verwundung entstelltes Gesicht selbst vor seiner Frau verbergen muss und auf Kadevis‘ Freundlichkeit mit großer Dankbarkeit reagiert.

Kadevis erhält auch die Chance, Talvars schöner Tochter Lerina näherzukommen, in die er verliebt ist, seit er sie zum ersten Mal gesehen hat. Lerina wird von ihrem Vater übertrieben behütet und Talvar würde es Kadevis nicht verzeihen, wenn er ihr näherkäme. Doch der selbstbewussten Fünfzehnjährigen, die sich selbst als Wissenschaftlerin sieht und zwar naiv ist, aber nach neuen Erfahrungen giert, ist das gleichgültig. Kadevis ist hin und hergerissen. Will er wirklich einen Beweis für Talvars Schuld finden, nun, wo er den Mann kennt und beinahe bemitleidet? Oder spielt Talvar mit seinen Sympathien? Aber manipuliert Malkar Kadevis nicht ebenso?

Kadevis scheint zwar recht intelligent zu sein, aber es ist leicht zu vergessen, dass er bereits Anfang zwanzig ist, weil er in vieler Hinsicht wie ein naiver, gutherziger Junge wirkt, der nur gemocht werden, anderen helfen und ein bisschen Erfolg bei Frauen haben will – vor allem bei Lerina. Er passt nicht in die Welt der Intrigen, in die Malkar ihn einführt.

Die Frage nach Talvars Beteiligung am Tod von Kadevis‘ Eltern wird erst spät im Buch geklärt. Man lernt den Strategen jedoch im Prolog als einen Mann kennen, der sich eindeutig so einiger fragwürdiger Handlungen schuldig gemacht hat – wenn auch womöglich nicht der, derer er beschuldigt wird. Es ist auch leicht, Kadevis‘ Mitgefühl für ihn nachzuvollziehen. Wie Talvar ist auch Malkar eine komplexe Figur. Der geschickte Redner gibt nur von sich preis, was er möchte, und scheut sich nicht, andere zu benutzen oder mit Verachtung zu behandeln. Trotzdem erhascht Kadevis an einer Stelle auch einen Blick auf die tiefe, seelische Wunde, die Malkar zu dem gemacht hat, was er ist. Malkar und Talvar sind, gerade weil sie so schwer zu durchschauen sind, deutlich interessantere Figuren als Kadevis und Lerina mit ihrer jugendlichen (und in Kadevis‘ Fall etwas unglaubwürdigen) Naivität.

Der Fokus von „Talvars Schuld“ liegt auf wenigen Figuren, ihren Beziehungen und der Wahrheit über ein lange zurückliegendes Verbrechen, das jedoch einen langen Schatten auf die Gegenwart wirft. Man bekommt auch ein wenig vom Intrigenspiel der Kessler Elite mit. Die Sprache trägt den Leser gut, aber unauffällig durch die Geschichte. Das Buch ist relativ arm an Action, aber liest sich trotzdem rasch und unterhaltsam und ist, vom Prolog abgesehen, aus Kadevis‘ Sicht geschrieben.


Fazit

Valerie Colbergs Roman spielt in einer an die römische Republik erinnernden Gesellschaft und setzt darauf, eine kleine Gruppe von Charakteren zu beleuchten. Während die eigentliche Hauptfigur von „Talvars Schuld“ das Interesse des Lesers nicht wirklich fesseln kann, treibt die Frage nach den verborgenen Motiven der bedeutenden Nebenfiguren Talvar und Malkar den Leser um und erzeugt Spannung.


Pro und Contra

+ überzeugende, römisch anmutende Gesellschaft
+ Kadevis als sympathischer Protagonist
+ Talvar und Malkar als schwer durchschaubare, moralisch ambivalente Charaktere, die Kadevis und dem Leser Rätsel aufgeben
+ Ungewissheit über die Wahrheit und den Ausgang der Ereignisse bis ganz ans Ende des Buches

o enger Fokus, charakterzentrierte Geschichte
o keine übernatürlichen Elemente

- Kadevis und Lerina sind beide sehr naiv und nicht so interessant wie andere Figuren

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5


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