Matthew Corbett und die Hexe von Fount Royal. Band I (Robert McCammon)

mccammon hexe I

o.O. 2017
Originaltitel: Speaks the Nightbird (1983)
Übersetzung von Nicole Lischewski
Gebunden, 516 Seiten
€ 19,95 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,90
ISBN 978-3-95835-197-4

Genre: Historische Fiktion, Kriminalroman (erste Hälfte)


Rezension

Robert R. McCammon, geboren am 17.07.1952, ist ein aus Birmingham in den USA kommender Schriftsteller, der in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sich einen Namen als Autor insbesondere von Horrorromanen machte. Bereits 1991 hatte er eine Gesamtauflage von rund fünf Millionen Büchern und drei in der New York Times Bestsellerliste aufgeführte Titel, die auch für den Bram Stoker Award nominiert wurden. Für Boy’s Life (1991; dt. Unschuld und Unheil, 2004) erhielt er 1991 den Bram Stoker Award und 1992 den World Fantasy Award in der Kategorie Bester Roman.

Speaks the Nightbird ist der erste Band in der Matthew Corbett Series. Ihm folgten The Queen of Bedlam (2007), Mister Slaughter (2010), The Providence Rider (2012), The River of Souls (2014) und Freedom of the Mask (2016). Ungefähr die erste Hälfte von Speaks the Nightbird ist jetzt als Matthew Corbett und die Hexe von Fount Royal. Band I im Luzifer-Verlag erschienen.

Richter Isaac Woodward und sein Gerichtsdiener Matthew Corbett werden 1699 nach Fount Royal in der Kolonie Carolina geschickt. Sie sollen ein Gerichtsverfahren gegen die junge Witwe Rachel Howarth führen, die der Hexerei und des zweifachen Mordes beschuldigt wird. Außerdem soll sie verantwortlich dafür sein, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung den kleinen Ort verlassen hat. Für die Honoratioren Fount Royals steht ihre Schuld fest, weil ihr Tod ihnen machtpolitische und wirtschaftliche Vorteile verschaffen würde. Sie fordern ein schnelles Todesurteil.

Anfangs ist Woodward geneigt, den Anklägern zu glauben und deren Wunsch nach einem schnellen Prozess zu entsprechen. Aber er schließt sich Corbett an, der Howarths Schuld nach einem Gespräch in Zweifel zieht und vermutet, dass Dritte hinter allem stehen. Woodward überzeugt die anfangs ungehaltenen Stadtoberen, dass ein nicht den gesellschaftlichen Regeln entsprechender Prozess für den Ruf des Ortes von Nachteil wäre. Corbett deckt noch vor Prozessbeginn einige Widersprüche in Aussagen und vordergründigen Schuldzuweisungen auf, die als Zeugenaussagen gewertet wurden. Im Verfahren selbst stimmen die Aussagen jedoch bis in kleine Details überein…

McCammon erzählt eine abenteuerliche Geschichte, die viele historische Informationen enthält und auf geschickte Weise Fakten mit Sensation mischt. Aberglaube trifft auf Aufklärung, Soap Opera auf das Grauen, Politik auf private Dramen, sexuelle Repression auf Sex mit Tieren. Ersetzt man die Hexerei durch modernere Motive, findet man sich in einer Geschichte wieder, die aktuelle Themen behandelt: Auf was sind Menschen für tatsächliche oder vermeintliche Sicherheit zu verzichten bereit? Wieviel von ihrer Würde, ihrer Selbstachtung, ihrer Menschlichkeit suspendieren sie für beispielsweise gesellschaftliche Anerkennung oder nur ihre Zugehörigkeit zu einer repressiven Gemeinschaft.

Die Angeklagte mit portugiesischer Mutter und irischem Vater ist der feuchte Traum verdorrter Puritaner, die kaum eine Gelegenheit auslassen, Howarth in ihrer Nacktheit auf Teufelsmerkmale zu überprüfen und gelegentlich diese Prozedur zu wiederholen, um ihrer Argumentation Beweiskraft zu verleihen. Als Corbett Howarth entkleidet vor sich sieht und den beiden Rechtsvertretern diese Merkmale gezeigt werden, kann der Gerichtsdiener nicht anders, als nur eine nackte Frau zu sehen. Der sich in diesen Szenen manifestierende Sexismus (nicht Corbetts) wird im Weiteren komplementiert durch Intoleranz und Rassismus.

Die dunkelhäutige Portugiesin ist Gegenstand der Ablehnung durch einige Frauen des Ortes, weil sie schön ist und die sexuellen Fantasien der Männer dieser Frauen anheizt, zugleich aber von ihnen als Konkurrentin gesehen wird. Kriegerische Auseinandersetzungen mit den Spaniern, die sich in Florida festgesetzt haben und nach Norden drängen, sind ein weiterer Grund für Ressentiments gegen Howarth: das Nachbarland des Feindes ist Portugal, in Ermangelung von Spaniern gibt man sich auch mit einer Portugiesin zufrieden.

Es gibt also, neben den Bereicherungs- und Machtzielen, hinreichend Gründe, warum Howarth hängen oder brennen soll. Das Wirken des Teufels, an den die Menschen geglaubt haben, wird hier bei aller Angst vor dem Bösen in vielfältiger Weise missbraucht, um persönliche Ziele zu erreichen. Dem Roman gelingt es, Ängste und Paranoia der Hexenprozesse, die wenige Jahre vor der Handlung im realen Salem stattfanden, zu gestalten. Als ein seltsam benamter Wanderprediger nach Fount Royal kommt, legt sein Auftreten den Gedanken nahe, er wolle sich als Hexenjäger betätigen. Jedoch hat er mit Howarth etwas anderes vor.

Matthew Corbett ist in diesem Roman anfangs eine unerfahrene Melange aus Naivität und Intelligenz. Diese gegenläufigen Kräfte bestimmen den Pfad, den die Erzählung geht. Außerdem die Abgrenzung Corbetts gegen die Bewohner Fount Royals in einem wichtigen Punkt: er bezieht Position gegen die Mehrheit und versucht, dem Recht zu dienen. Unterstützt wird er von der Vermieterin Mrs. Nettles. Ähnlich Boy’s Life, erzählt McCammon eine Entwicklungsgeschichte. Es zeichnet sich ab, dass Corbett durch die Auseinandersetzung mit den Ereignissen und Menschen in Fount Royal reift und dass auch er ein persönliches Motiv hat.

Mit diesem Buch legt der Luzifer-Verlag die erste Hälfte des Romans von McCammon vor. Nun ist es natürlich möglich, Teile von Fortsetzungsgeschichten für sich zu bewerten. Da McCammon den Roman jedoch als eine Einheit konzipiert und entsprechend umgesetzt hat, erfolgt eine abschließende Bewertung erst nach Rezension der zweiten Hälfte, deren Erscheinen zum 31.10.2017 angekündigt ist. Dieser Beitrag schließt deshalb mit den Worten: Fortsetzung folgt.