Alexey Pehov (deutsche Übersetzung - 18.08.2017)

Interview mit Alexey Pehov

alexey pehovLiteratopia: Hallo, Alexey! Wir freuen uns sehr, dass Du Dir Zeit für unsere Fragen nimmst. Aktuell erscheinen in Deutschland Deine „Chroniken der Seelenfänger“, die die Geschichten von Ludwig van Normayenn erzählen. Wer ist er? Und welche Abenteuer erwarten ihn?

Alexey Pehov: Guten Tag.

Ludwig ist zur Hälfte Deutscher und zur Hälfte Holländer, wenn man es sich nach den Maßen unserer realen Welt vorstellt. Er gehört zu der seltenen Sorte von Menschen, die die Fähigkeit besitzen, dunkle Seelen, die nicht zur Hölle gefahren sind, zu sehen, sich ihnen entgegenzusetzen und sie zu zerstören. Er ist einer der Wächter, die in der Welt des mittelalterlichen alternativen Europas leben, wo Magier, Dämonen und Wesen aus früheren Epochen durch die Straßen laufen. Eines Tages trifft er auf dem Feld eine Vogelscheuche und das verändert sein Leben grundlegend, da er in eine Reihe von düsteren und geheimnisvollen Ereignissen verstrickt wird.

Ich verspreche euch – es wird sehr spannend.

Literatopia: Waren „Die Chroniken der Seelenfänger“ von Anfang als Sammlung von Einzelgeschichten geplant? Oder stand am Anfang eine einzige Kurzgeschichte, aus der sich weitere ergeben haben?

Alexey Pehov: Die Entstehungsgeschichte von „Die Chroniken der Seelenfänger“ ist tatsächlich ziemlich amüsant. Wir arbeiteten an der neuen Zusammenstellung aus Geschichten für die Veröffentlichung in Russland, bei der uns eine Erzählung fehlte. Und mir kam überhaupt gar nichts Spannendes in den Sinn. Da sagte meine Frau und Co-Autorin zu mir:

- Arbeite mit Assoziationen

Wir befanden uns in irgendeinem kleinen Modegeschäft, sie nahm sich einen alten, zerrupften und kaputten Strohhut von einem Mannequin, der diesen als Requisite/Dekoration trug und fragte:

- Hier zum Beispiel, was für Assoziationen fallen dir ein, wenn du ihn siehst?

Ich stelle mir sofort ein Bild in dunkelblauen Tönen vor. Tiefste Nacht, der abnehmender Mond, der am Himmel schwebt, ein Roggenfeld, das sich im Wind wiegt, alte Knochen, die am Feldrand liegen, und über all dem steht herrschend die Vogelscheuche. Nur eine Erscheinung. Ein Bild. Doch letztendlich verwandelte sich diese schaurige Geschichte von einer kurzen Horror-Story in die Erzählung „Die Hexenjähe“. Hier setzte ich den Punkt. Doch um die drei Monate später stellte ich fest, dass mich diese Welt nicht loslässt. Und schrieb noch eine Geschichte. Und noch eine. Und bei der sechsten sagte ich „Stopp“. Genau so will ich es beenden.

Nun, wie ihr wisst, hat das nicht wirklich geklappt ☺ und es wurden insgesamt 24 Geschichten, verbunden durch einen Plot, einen Helden und eine Welt. Mit jeder neuen Erzählung wollte ich herausfinden, was sich hinter der nächsten Kurve befand, welches Abenteuer das Schicksal noch für die Protagonisten bereithielt. Hinzu kommt, dass es für mich sehr interessant war, in einem für den russischen Fantasy-Markt eher unüblichen Stil zu arbeiten. Ein Universum zu erschaffen, in dem jede einzelne Erzählung eine in sich vollendete Geschichte darstellt und alle Erzählungen zusammen nochmals ein großes Ganzes bilden.

Literatopia: Deine „Seelenfänger“ bewegen sich in einer phantastischen Welt, in der das Christentum existiert. Inwiefern passt diese Religion in Deine Fantasywelt? Und warum ausgerechnet das Christentum?

Alexey Pehov: Fangen wir damit an, dass ich unbedingt im alternativen Europa zur Zeit der Renaissance arbeiten wollte. Dazu kommt, dass ich dabei vor allem in eben der Region der, man könnte sagen, Patchwork-Decke aus germanischen Fürstentümern, Grafschaften und Ländereien landen wollte. Die Abenteuer finden zwar an vielen verschiedenen Orten statt, doch der Großteil der Helden dieser Bücher sind für mich Deutsche. Der Großteil aktueller Fantasy-Werke setzt auf anglo-sächsische/angelsächsische Namen, Mythen und Gesellschaften, während das Deutschland der Epoche (und sei es nur im Fantasy-Bereich), von den Autoren eher umgangen wird. Völlig unverdient, wenn es nach mir geht.

Als mir dann also klar wurde, mit welcher Epoche ich arbeiten und über welches Volk ich erzählen möchte (tatsächlich handelt das Buch nicht nur von Deutschen sondern auch von Tschechen, Italienern und Holländern), wählte ich ohne jeden Zweifel das Christentum als Element der alternativen Welt. Ich wollte unbedingt auf einer Grundlage aufbauen, bei der keiner der in dieser Welt lebenden Wächter Zweifel an der Existenz von Gott, dem Teufel sowie Engeln und Teufeln hegen würde. Das sind für sie einfach unbestreitbare Fakten. Und die Kirche ist hier nicht nur eine Institution sondern auch eine Waffe, die aktiv gegen das Böse kämpft, indem sie echte Magier und dunkle, übernatürliche Wesen vernichtet, für die Menschen kämpft und sich beim Kampf gegen Dämonen in Gefahr begibt, die nicht nur in gruseligen Gutenachtgeschichten existieren - sie kommen wirklich in die reale Welt und töten reale Menschen. Und neben den traditionellen christlichen Wesen, existieren in dieser Welt auch weitere Kreaturen, die es schon lange vor dem Erscheinen der Kirche gab - das sind Götter, auch wenn keine uralten, die den Anbruch der neuen Welt beobachten, in der der Mensch immer mehr an Platz einnimmt und an Bedeutung gewinnt. Und manchmal mischen sie sich in die Ereignisse ein, die in dieser Welt geschehen.

Literatopia: „Die Chroniken von Siala“ und „Die Chroniken von Hara“ punkten jeweils mit einer großen, spannenden Fantasywelt. Wie gehst Du beim Weltenbau vor? Und was muss eine Fantasywelt bieten, damit sie sich echt anfühlt?

Alexey Pehov: In erster Linie ist es die Kunst des Autors, diese Welten zu sehen, an sie zu “glauben” und selbst die kleinsten Details von ihnen zu sehen. Wenn die Protagonisten für dich nichts weiter sind als schwarze Buchstaben auf weißem Grund - dann kommst du nicht weit. Dir muss klar sein, dass sie ebenso lebende Personen sind, wie die Menschen um dich herum. Sie haben ihre eigenen Freuden, ihr eigenes Leid, ihren Kummer, ihre Hoffnungen, Ziele und Vorlieben. Ebenso wie ihre eigene Vergangenheit.

Nun. Die Vergangenheit - diese ist unglaublich wichtig beim Erschaffen einer guten Geschichte. Man kann nicht einfach eine Figur in eine Erzählung setzen und weglassen, was früher mit ihr geschehen ist. Vor dem Anfang der Geschichte, mit der sich der Leser vertraut macht. Ohne eine Vergangenheit ist ein Protagonist sehr steril/ viel zu glatt. Ebenso wie die Welt, wenn es nach mir geht. Denn diese Welt erwacht nicht nur zum Leben, wenn wir das Buch lesen, sie entstand schon viel früher, tausende von Jahren vor diesem Zeitpunkt. Und erst wenn wir verstehen, dass jede Figur, der wir in einer Geschichte begegnen, neben einer Seele auch ein ganzes Leben besitzt, wird alles erst wirklich glaubhaft.

Literatopia: Was zeichnet gute Fantasy für Dich aus? Muss sie möglichst groß und episch sein oder sind kleine Geschichten mit persönlichen Schicksalen reizvoller?

Alexey Pehov: Gute Fantasy ist Fantasy, die interessant zu lesen ist. Du glaubst an sie, landest augenblicklich in ihrer Welt, durchlebst alles gemeinsam mit den Protagonisten und versinkst mit ihnen gemeinsam im Abenteuer. Das ist meiner Meinung nach das aller Wichtigste. Ein interessantes Buch kann episch sein und die Geschichte von tausenden von Jahren und mehreren Dynastien umfassen. Und es kann ebenso persönlich und eingegrenzt sein und von einem einfachen Bäcker handeln oder einem Geist, der in einem alten Brunnen lebt.

Das heißt, mich zieht in erster Linie eine interessant erzählte Geschichte an und ich wähle ein Buch nicht danach aus, ob dieses ausschließlich von einer Schule voller Magier handelt oder von Söldnern auf dem Schlachtfeld.

Literatopia: Russische Fantasy kommt in Deutschland sehr gut an. Woran liegt das Deiner Meinung nach? Wo siehst Du die Unterschiede zur westlichen Fantasy?

Alexey Pehov: Zuerst möchte ich allen deutschen Leser meinen größten Dank dafür ausrichten, dass sie meine und überhaupt russische Bücher im Genre “Fantasy” so wohlwollend annehmen. Das ist wirklich super und schmeichelhaft.

Als zweites muss ich sagen, dass wir in Wirklichkeit nicht so weit voneinander entfernt sind, wie viele denken oder einige versuchen uns weiszumachen. Und oft überkreuzen sich die Kulturen unserer Länder. In der Musik. In der Malerei. In der Literatur. In der Philosophie … In meiner Kindheit vergötterte ich die Märchen von Wilhelm Hauff. Das ist echte deutsche Fantasy. Ich habe “Das kalte Herz“ und “Der Zwerg Nase” gelesen. Bei uns liebt man Autoren wie Hoffmann, die Brüder Grimm und Goethe, die als Klassiker gelten, die jeder russische Jugendliche noch in der Schule gelesen haben muss, Teile aus “Faust” werden auswendig gelernt… und in den Universitäten werden diese und weitere deutsche (und ebenso weitere europäische) Autoren ausführlich studiert.

Was unterscheidet nun also die russische Fantasy von der westlichen? Um ehrlich zu sein, ist die Antwort schwierig. Ich würde sagen, weil die Menschen in Russland aufwachsen, ohne sich in der Isolation der europäischen Kultur zu befinden. So war es schon zu Zeiten der Sowjetunion und jetzt noch ist es so in Russland. Wir lesen Kinderbücher von ausländischen Autoren und später Bücher für Erwachsene, wir schauen Trickfilme und Filme, kennen allgemeine klassische Musik, das sind Welterrungenschaften, kennen Künstler und Komponisten, Schauspieler. Im Prinzip kennen wir die Kultur aller europäischen Länder ebenso gut wie die Kultur Russlands. Die Weltgeschichte vom antiken Griechenland und Rom (und davor die des alten Ägyptens), Geographie, die Lehren der Physik, Chemie, Mathematik, die der großen Heerführer und Philosophen. Das unterrichtet man alles in der Schule. In den großen Städten Russlands gibt es riesige Museen mit Kopien (und manchmal Originale) europäischer Malen und Bildhauer verschiedener Epochen, grenzenlose Kollektionen und Archive im Eremitage in Sankt Petersburg, in Museen in Moskau… wenn ein russischer Autor dann Fantasy schreibt, ist er dementsprechend dazu in der Lage diese Schichten aus unterschiedlichen Kulturen zu verwenden. Es hängt alles lediglich vom Thema ab, das er sich vornimmt.

Einige sind der Meinung, dass westliche Fantasy mehr neue und originelle Ideen beinhaltet, während russische Fantasy mehr Mut, Freiheit und umfangreiche Welten beinhaltet. Nun… womöglich. In Russland arbeiten einfach nicht so viele und schwächere Werbe- und Marketinginstitute. Und bei uns werden einfach keine finanziellen Mittel investiert, um talentierte und eigenständige Autoren bei der breiten Masse bekannt zu machen. Und erst recht selten werden sie von “benachbarten “ Gebieten unterstützt wie Dramaturgen oder Kinematografen. Was die Klassik betrifft - so ist bei uns in dem Sinne alles gut. Doch sich mit etwas Neuem durchzuschlagen benötigt viel Zeit und ist schwer.

Literatopia: Welchen Stellenwert hat die phantastische Literatur in Russland? Ist sie sehr beliebt? Oder wird sie eher, wie in Deutschland manchmal, als „unrealistisch und kindisch“ belächelt?

Alexey Pehov: Wie überall gibt es Befürworter und Gegner. Einige halten Fantasy für süchtig machend und fesselnd, andere halten solche Bücher einfach für Blödsinn und wieder andere lesen gar keine Bücher und bevorzugen es, Fernsehen zu gucken. ☺ Bei uns wertschätzt man gute Bücher und interessante Geschichten. Und ich zweifle stark daran, dass Fantasy naiv sei. Zumindest nicht alle Fantasy. ☺ Seien wir ehrlich, einige Leser können in ihrer Vorstellung nicht weiter gehen als bis zu einem Elf oder einem Drachen. Sie sehen einen sprechenden Saurier, der Feuer spuckt, schreien: “Was für ein Unfug! Sowas gibt es nicht!” und schlagen das Buch zu, auf ewig einen Haken hinter das Genre setzend, ohne sich mal die Zeit zu nehmen, sich damit auseinanderzusetzen, dass sich hinter diesem sprechenden Saurier die tragische Geschichte von Menschen verbirgt, die ihr Königreich verloren und ihr Leben geopfert haben, um es zurückzugewinnen

Hinter der Fantasy Entourage verstecken sich Freuden, Geschichten, Tragödien und Hoffnungen. Des Öfteren ernster, tiefer und uns allen näher als in der “ernsten” und “großen” Literatur, die man üblicherweise liest. Denn man darf nicht vergessen, dass die Fantasy Entourage letztendlich auch nur einer Symbolik dient.

Ich als Fantasy-Autor halte weder Moralpredigten noch zwinge ich meine Leser dazu, meine Meinung anzunehmen. Ich dränge sie ihnen nicht auf. Ich erzähle lediglich eine Geschichte, in der sichtbar wird, zu was diese oder jene Handlungen führen. Die Leute lesen, sehen und entscheiden für sich selbst - ja, ich würde genauso handeln. Oder sie überlegen - womöglich, wenn ich das im echten Leben genauso tun würde, wären die Folgen für mich ebenso unangenehm, wie für den Protagonisten.

In Russland sind viele der Meinung, dass ein überaus großer Bestandteil der Bücher, die den Schatz der Weltliteratur darstellen (und als grundlegende Klassiker gelten), noch angefangen bei Homer und seiner “Ilias” und “Odyssee”, das seien, was wir heute das Genre “Fantasy “ nennen. Balzac, Goethe, Wilde, Twain, Bulgakow, Gogol… sind etwa diese Autoren welche, die man nicht ernst nimmt und belächelt? Sind das denn Bücher, die kindisch und naiv sind?

Literatopia: Deine Bücher sind vom Sarkasmus geprägt. Woher kommt dieser schwarze Humor?

Alexey Pehov: Ich neige dazu diesen Sarkasmus Ironie zu nennen. Ich gehe sehr ironisch durchs Leben und gelegentlich findet sich diese Ironie auch in meinen Büchern wieder. Natürlich gibt es Momente, in denen diese Ironie etwas auf Abwege gerät und den Humor sehr schwarz gestaltet, doch das ist nicht meine Schuld. Das sind alles der Protagonist, die Romanfiguren und die schlechten Dinge, die ihnen widerfahren. ☺

Literatopia: Wieviel von Dir steckt in Deinen Charakteren? Hast Du Dir schon einmal gewünscht, mit ihnen tauschen und selbst in Deine Fantasywelten eintauchen zu können?

Alexey Pehov: Ich denke, in ihnen steckt ziemlich viel Alexey Pehov, da Alexey Pehov diesen Leuten schließlich Leben einhaucht ☺ Und was den Wunsch angeht, nein , so ein Wunsch kam alleine schon deshalb nicht auf, weil ich die Welt bereits die ganze Zeit gemeinsam mit meinen Protagonisten erkunde. Dafür muss ich definitiv nicht mit Ludwig oder Garret tauschen.

Literatopia: Garret, Dein Held aus „Schattenwanderer“, den „Chroniken von Siala“, erinnert stark an den Protagonisten aus „Thief - The Dark Project“. Inwiefern stand dieser bei der Romanfigur Pate?

Alexey Pehov: Ich denke, er erinnert vor allem durch seinen Namen an diesen Protagonisten. Obwohl ich den Namen Garret als Zeichen meines Respekts vor dem wundervollen Autor Glen Cook nach dem Vorbild von “Thief - The Dark Project” gewählt habe. In meiner Jugend war ich ein großer Fan von dieser Krimi-Fantasy. Wenn der Leser aufmerksam darauf achtet, dann bemerkt er einen sehr deutlichen Unterschied zwischen diesen beiden Protagonisten, die sich im Namen und Beruf ähneln. Der eine ist ein ironischer und charakterlich menschlicher Typ, der andere ein erfahrener Profi und Killer, ein ziemlich düsterer und gefährlicher Typ. Auch der Vergleich zwischen der Welt “Siala” mit ihren Elfen und Goblins und der Welt “Thief” mit ihren Sekten und seltsamen Monstern - Dinge, die sich ziemlich voneinander unterscheiden. Auf jeden Fall denke ich so.

Literatopia: Garret hat einen Gastauftritt in „Die Chroniken von Hara“. Wie kam es dazu? Und planst Du weitere Gastauftritte von ihm in anderen Romanen?

Alexey Pehov: Das war in erster Linie ein interessantes kreatives Experiment. Was würde weiter passieren? Wie spielt es sich auf diesem Feld? Und ich wollte die Leserinnen und Leser überraschen, die so sehr um eine Fortsetzung von Garrets Geschichte gebeten haben. Ich habe in Zukunft aber nicht vor, ihn noch in andere meiner Welten einzubauen.

Literatopia: Wie bist Du zum Schreiben gekommen? Und wie viele unveröffentlichte Geschichten verstecken sich in Deiner Schublade?

Alexey Pehov: Mein eigentlicher Beruf ist Zahnarzt. Kieferorthopäde. Aber ich habe es immer geliebt, Geschichten zu erfinden und sie zu erzählen. Als mir dann eines Tages, nachdem er eine von mir im Internet veröffentlichte Geschichte gelesen hatte, ein Verleger schrieb und mir vorschlug, diese Geschichte in einen Roman zu verwandeln, verstand ich: das ist eine brillante Möglichkeit das als Beruf auszuüben, was mir mehr Spaß macht, als alles andere auf der Welt.

Die meisten unveröffentlichten Geschichten befinden sich in meinem Kopf. Das größte Problem ist: sie alle aufschreiben. ☺

Was die Realität betrifft, so habe ich in Russland 29 veröffentlichte Bücher (einen Teil davon habe ich zusammen mit meinen Co-Autorinnen Elena Bytschkowa und Natalja Turtschaninowa geschrieben, mit denen ich bereits seit ungefähr 15 Jahren immer wieder zusammenarbeite. Ein Großteil dieser Bücher ist für die deutschen Leser bisher “unveröffentlicht in der Schublade versteckt.”

Literatopia: Wie fängst Du ein neues Buch an? Schreibst Du einfach drauf los oder planst Du vorher ausführlich? Und wie behältst Du den Überblick über Deine Figuren und die Welt?

Alexey Pehov: Ich beginne mit Kleinigkeiten. Wie ihr euch durch die Geschichte über den Hut der Vogelscheuche erinnern könnt, kann alles Mögliche den Anfang einer Geschichte bilden. Ein Gegenstand, ein Bild, eine Person, ein Geruch. Sie erscheint einfach in deinem Kopf. Es ist wie ein Sandkorn, das sich langsam in eine kostbare Perle verwandelt. Oder eine Reihe kleiner Inseln, die sich nach und nach miteinander Verbinden und zu einem ganzen Kontinent werden.

Den Vorgang kann man nicht beschreiben. Ich denke mir einen Protagonisten aus und überlege dann einige Jahre, überdenke im Kopf jedes Kapitel, ohne etwas aufzuschreiben. Hin und wieder setze ich mich dann vor den Computer und die Finger fliegen über die Tastatur, mit den Gedanken um die Wette.

Was die Kontrolle angeht - in meinem Kopf spielt sich ein Film ab. Das Bild, die Farbe, das Licht, die Perspektive. Und ich versuche, das, was ich gesehen habe, festzuhalten, indem ich diese visuelle Darstellung in eine Darstellung in Textform verwandelte, aber so, dass der Leser diesen Text wiederum in ein Bild verwandeln kann.

Literatopia: Wo findest Du Inspiration?

Alexey Pehov: Aus dem Wunsch heraus, eine Geschichte zu erzählen. Sich selbst zu erfreuen und ebenso diejenigen, denen gefällt, was du tust. Du verstehst, dass du ein Buch erschaffst und tausende von Menschen unweigerlich in dieser Welt landen, in der sie mit dir gemeinsam dem Weg des Protagonisten folgen. Das ist ein unglaubliches Gefühl. Fast nicht mehr real.

Literatopia: Welche Autoren haben Dich beeinflusst? Was liest Du gerne?

Alexey Pehov: In erster Linie Ray Bradbury. Er ist ein Künstler der Gerüche, ein Komponist der Farben und ein Zauberer der Sphären. Die von ihm verwendete Sprache ist so schillernd und paradox, dass man in den Eindrücken, die dieser Mensch erschafft, förmlich ertrinkt. Glen Cook - ich liebe diesen Autor für seine Ironie und seinen echten Helden Garret. Roger Zelazny - Der Apostel des radioaktiven Ödlands, Amber und der hinduistischen Mythologie. Tolkien natürlich. George R. R. Martin und das nicht wegen “A Game of Thrones” , sondern wegen seinen unglaublichen Erzählungen (zum Beispiel “Sandkönige”).

Von den neuen Autoren lese ich gerne Joe Abercrombie und Robert Jackson Bennett.

Ehrlich gesagt kann ich hier gar nicht alle aufzählen. Es gibt viel zu viele wunderbare Autoren, um sie in eine kurze Antwort zu zwängen. Und was ich gerne lese, sind interessante Bücher mit einem interessanten Protagonisten und einer interessanten Welt, so banal das auch klingen mag.

Literatopia: Du hast bereits mit Deiner Frau Elena Bytschkowa zusammengearbeitet. Wie sah Euer gemeinsamer Schreibprozess aus?

Alexey Pehov: Ich habe nicht einfach nur bei einigen Büchern mit ihr zusammenarbeiten müssen. Wir bearbeiten jedes Buch gemeinsam und das nun schon seit 14 Jahren. Und wenn ich ehrlich bin, kann ich diesen Arbeitsprozess nicht in einfachen zwei oder drei Worten beschreiben. Das ist vollkommenes Teamwork , bei dem jeder von uns ein Stück seines Talents in die Geschichte einfließen lässt. Letztendlich fällt es uns sogar ziemlich schwer zu verstehen und uns daran zu erinnern, was von wem erschaffen und ausgedacht worden ist.

Literatopia: Könntest Du Dir vorstellen, auch mit anderen Autoren zusammenzuarbeiten? Und wärst Du bereit, wie beispielsweise Sergej Lukianenko oder Dmitry Glukhovsky, Deine Buchwelten zu teilen und anderen die Gelegenheit zu geben, eigene Geschichte zu entwickeln?

Alexey Pehov: In meiner derzeitigen kreativen Periode (das sind fast 15 Jahre) arbeite ich mit zwei Co-Autorinnen. Eine davon ist meine Frau - Elena, meine ständige Co-Autorin. Dann gibt es noch Bücher, die wir als Autoren-Trio veröffentlichen: Pehov-Bytschkowa-Turtschaninowa. Die Sache ist die, dass ich zur Zeit meiner kreativen Jugend das Glück hatte, ein Duett aus zwei unglaublich talentierten Autorinnen kennenzulernen. Etwas so Einzigartiges begegnet einem nur selten im Leben. Die beiden waren, natürlich, Preisträger mehrerer literarischer Wettbewerbe, doch das ist alles nicht wichtig, denn wichtig war - Ihre Bücher haben mir persönlich gefallen! Und natürlich habe ich ihnen sofort angeboten und meinerseits das Angebot angenommen, zusammenzuarbeiten. Bisher habe ich auch nicht das Bedürfnis, noch mit jemand anderem zusammenzuarbeiten. Ich sehe darin einfach keinen Sinn und es gab bisher auch keine Herausforderung, die ich mit der bisherigen Konstellation nicht hätte bewältigen können.

Was das “teilen” betrifft - mir liegen meine Welten und Protagonisten sehr am Herzen. Es erscheint mir nicht richtig, einen Fremden in mein Haus zu lassen, der die Figuren dazu bringen könnte etwas zu tun, was ihnen nicht gefallen könnte. Bisher bin ich wirklich nicht bereit dazu. Selbst wenn ich im Autoren-Trio arbeite - wir erfinden jedes Mal eine neue, einzigartige Welt. Man kann sie auf eine Dilogie oder auf einen Mehrteiler ausweiten (was wir auch tun), doch ich gebe “meine früheren” Protagonisten und Welten nicht her, nur damit andere Leute über sie schreiben können.

Literatopia: Gibt es Pläne für Umsetzungen Deiner Bücher als Film oder Comic? Hättest Du überhaupt Interesse daran?

Alexey Pehov: Es kommen andauernd Angebote von russischen Studios, doch bisher haben sie nicht die Möglichkeiten, die Visualisierung der Bücher auf eine zeitgemäße/moderne Weise zu verwirklichen. Deshalb eilt es nicht, doch ich bin immer offen für Angebote. Meine Strategie ist ziemlich einfach: Ein Kinofilm ist etwas sehr schönes, doch er sollte niemals das Buch/die Geschichte verderben.

Literatopia: Kannst Du uns schon etwas über zukünftige Projekte verraten? Woran arbeitest Du gerade?

Alexey Pehov: Zurzeit schreibe ich an einigen neuen Reihen . Düstere Fantasy mit dem Titel “Blaue Flammen” (wörtlich aus dem Russischen). Eine alternative Welt in der Zeit nach dem alternativen ersten Weltkrieg, Steampunk: “Der Betrachter” (wörtlich übersetzter Titel). Gemeinsam mit zwei Co-Autoren ist die Reihe “Master Snow” in Arbeit, die in der Welt einer alternativen Zukunft auf der Basis der sich ausbreitenden antiken Gesellschaft und Kultur spielt.

Was den deutschen Markt betrifft, kann ich sicher sagen, dass bei euch im Herbst der abschließende vierte Band der Reihe „Die Chroniken der Seelenfänger“ erscheint. Als nächstes Projekt erscheint im wundervollen Piper Verlag der Roman “Mocking Bird” (englischer Titel) sowie anschließend die Reihe “Charmer “(englischer Titel), die ich gemeinsam mit Elena Bytschkowa und Natalja Turtschaninowa geschrieben habe.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview, Alexey!

Alexey Pehov: Ich danke euch für die interessanten Fragen! Ich wünsche euch noch alles Gute.


Autorenfoto: Copyright by Evgenyi Garzevich

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Dieses Interview wurde von Markus Drevermann und Judith Madera für Literatopia geführt und von Irina Gildt (irisworldofbooks.wordpress.com) aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt.