Singularität (Charles Stross)

Heyne (März 2005)
Originaltitel: Singularity Sky
Originalverlag: Liza Dawson Ass.
Taschenbuch, Broschur, 496 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
€ 8,95 [D] | € 9,20 [A] | CHF 16,90
ISBN: 978-3-453-52016-5

Genre: Science-Fiction


Rezension

Die Kolonie Rochards Welt im Outback der Galaxis steht Kopf: Eine fremde Macht namens Das Festival erscheint und lässt Telefone regnen. Aus diesen ist immer dieselbe Ansprache zu hören: Unterhaltet uns und euch wird gegeben. Und zwar alles, was sich die Menschen der rückständigen Kolonie wünschen, und das alles im Austausch gegen Geschichten und Sagen.
Nun gehört Rochards Welt aber zu einem Sternenreich mit Namen Neue Republik, und die feudale Führung ist alles andere als erfreut über den Umstand, dass da eine der Kolonien unter den Einfluss einer fremden Macht gerät. Schnell wird ein militärischer Gegenschlag vorbereitet und ein seniler Admiral übernimmt das Kommando. Mit an Bord sind Rachel Mansour, eine Agentin der Erde, die ein Fiasko der Strafexpedition verhindern soll, und Martin Springfield, ein Ingenieur, der ein Geheimnis mit sich herumträgt. Beide blicken der Fahrt mit gemischten Gefühlen entgegen.

Der Konterplan der Neuen Republik birgt in der Tat ein großes Risiko: Um die Zeitschuld beim lichtschnellen Raumflug zu umgehen, soll ein Zeitsprung in die Vergangenheit durchgeführt werden, der die Flotte wenige Tage nach der Ankunft des Festivals zum System von Rochards Welt bringen soll. Doch dies verbat das Escherton, eine fremde Macht, die schon in der Vergangenheit gewaltige Macht zeigte, als sie zwei Drittel der Erdbevölkerung auf ferne Planeten versetzte und die Menschen auf der Erde und in den Kolonien mit Füllhörnern ausstattete, die in der Lage sind, den Menschen alles zu geben, was sie verlangen.
Während Rachel Mansour und Martin Springfield von einem übereifrigen Sicherheitsoffizier auf dem Flaggschiff der Flotte zur Flucht getrieben werden, stellt sich die Lage auf Rochards Welt inzwischen ganz anders dar: Die Ordnung in der Kolonie ist ob der vielen erfüllten Wünsche zusammengebrochen und Anarchie hat die rückständige Welt vollkommen im Griff.

Das Ganze liest sich wie eine sehr interessante Geschichte. Charles Stross bringt gute Ideen aufs Papier und baut eine gute Grundlage auf. Doch was er am Ende daraus gemacht hat, ist ein wirrer Mix aus allen Stilrichtungen der SF: Das Thema um das Escherton und das Festival, also jene Themen, die wirklich großes Potential aufweisen, werden zur Hintergrundhandlung degradiert. Statt also großartige SF mit phantastischen Themen zu verfassen, versucht Stross den Roman als Militäry-SF-Roman aufzuziehen. Doch ergeht er sich in seitenlangem Technobabble und überfrachtet den Leser mit Fachausdrücken, die sich der Autor irgendwo angelesen hat. Die Übersetzerin war um Schadensbegrenzung bemüht und versuchte auf unorthodoxe Weise, dem Leser mit über einem Dutzend Fußnoten zur Seite zu stehen.
Aber auch der Militäry-SF-Ansatz funktioniert nicht, denn Stross will gleichzeitig eine humorvolle Handlung erzählen. Zu viele spannende Momente werden durch flapsige Kommentare zunichte gemacht, wie man sie wohl am ehesten von Bud-Spencer-und-Terence-Hill-Filmen der 70er gewöhnt war. Ein Beispiel gefällig: "Wenn das Ding ein Kausalkanal ist, dann bin ich ein Bananenstecker". Ja, das ist wirklich sehr witzig. Man kann nichts mehr ernst nehmen, und der Humor von Stross konnte mich zu keiner Zeit ansprechen. Das ist aber in Ordnung, denn er dürfte eher eine Leserschaft ins Visier genommen haben, die einen einfacheren Humor bevorzugt, wie ihn Adam Sandler mit wiederkehrender Regelmäßigkeit im Kino präsentiert. Andererseits: Eine solche Leserschaft wird wenig Freude am Technobabble und den faszinierenden Beschreibungen des Eschertons Freude haben. Kurzum: Stross versucht es allen recht zu machen und scheitert. Wie heißt es so schön: Everybody's darling is nobody's darling.

Schwerwiegender sind aber die Defizite in der Beschreibung der Personen. Die meisten seiner Protagonisten kommen über ein Dasein als Klischee nicht hinaus. Tiefergehende Beschreibungen von Gefühlen, die seine Hauptfiguren etwas handfester hätten werden lassen, fehlen bis auf wenige Ausnahmen völlig. Bis zum Ende konnte ich kaum einen Bezug zu den Protagonisten aufbauen, und hätte sich Stross entschlossen, einige seiner Akteure zu meucheln, hätte mich das auch nicht gestört. Warum auch: Man hat das Gefühl, das ganze Geschehen aus der Vogelperspektive zu betrachten.

Zum Ende hin in den letzten beiden Kapiteln zeigt Stross dann, dass er mehr bieten kann, und die Beschreibungen von Rochards Welt unter dem Einfluss des Festivals können als gelungene Unterhaltung angesehen werden. Obwohl das Universum interessant ist und die Frage, wer oder was das Escherton genau ist, werde ich dennoch bei der Fortsetzung passen. Ein Stuss, äh Stross, reicht mir. Schade eigentlich, denn auf dem Buchumschlag wurde uns Singularität als Meilenstein der SF verkauft - verfasst vom neuen Superstar (Hm, Superstar muss wohl eine neue Augenkrankheit sein) der SF (New York Times). Ja, dies soll sogar einer der originellsten Science-Fiction-Romane sein, die je geschrieben wurden. Angesichts solcher Aussagen kann ich nur noch verständnislos den Kopf schütteln.

Ein Lob will ich aber noch aussprechen (allerdings nicht in Richtung Charles Stross): Das Titelbild ist wirklich wunderbar - ein echter Eye Catcher. Dennoch: Das Titelbild reißt weder den Roman heraus noch hält es mich davon ab, das Buch gleich wieder bei Ebay zu verhökern. Diesem Erstlingswerk kann ich nur 3 von 10 Punkten geben.


Diese Rezension stammt von Rupert Schwarzmehr Rezensionen von ihm findet ihr bei fictionfantasy!