Die Bibliothek der flüsternden Schatten - Bücherstadt (Akram El-Bahay)

Bastei Lübbe (August 2017)
Klappenbroschur, 382 Seiten, 14,00 EUR
ISBN: 978-3-404-20883-8

Genre: Fantasy


Klappentext

Sam ist ein Dieb – aber mit einer List gelingt es ihm trotzdem, in die Palastwache von Mythia aufgenommen zu werden. Er träumt von einem neuen Leben, von großen Aufgaben. Vielleicht wird er gar als Wache des Weißen Königs eingesetzt? Doch statt des Königs soll er nur alte, staubige Bücher bewachen, in der riesigen Bibliothek unterhalb der Stadt. Wie langweilig! Sam kann nicht mal lesen. Bald jedoch erfährt er am eigenen Leib, dass die hallenden Bücherschluchten ebenso gefährliche wie fantastische Geheimnisse bergen …


Rezension

Sam ist das Leben als Dieb leid. Nach seinem letzten großen Coup verlässt er die Diebesbande seines Vaters und tritt in die Palastwache von Mythia ein. Dazu hat er eine falsche Identität angenommen, was jedoch die letzte Lüge in seinem neuen Leben sein soll. Zu seiner Enttäuschung darf er nicht den weißen König beschützen, sondern soll Paramythia, die Bücherstadt unter der Stadt, bewachen. Als Analphabet kann sich Sam Besseres vorstellen, als jede Nacht auf Bücher aufzupassen, doch er ist fest entschlossen, die langweilige Aufgabe mit Bravur zu meistern, um irgendwann einen höheren Posten zu bekommen. Sam erkennt jedoch bald, dass die Bücher gar nicht so langweilig sind und dass seltsame Dinge in Paramythia vorgehen. Als eines Nachts Vogelwesen die Bücherstraßen unsicher machen, beginnt für Sam ein phantastisches Abenteuer voller Geheimnisse und Gefahren …

“Bücherstadt“ ist der Auftakt der neuen Trilogie um „Die Bibliothek der flüsternden Schatten“, in der Akram El-Bahay wieder einmal seine Liebe zum geschriebenen Wort beweist. Denn dieses Mal spielen Bücher die Hauptrolle – umso interessanter ist es, dass Protagonist Sam nicht einmal lesen kann. Er hält nicht viel von Büchern und noch weniger von ausgedachten Geschichten, auch wenn er die Märchenerzählungen seiner Mutter sehr genossen hat. Umso seltsamer ist es für ihn, dass ausgerechnet Märchenfiguren sein Leben auf den Kopf stellen. Sam ist dabei zerrissen zwischen seinem Wunsch, sein Leben endlich in geordnete Bahnen zu lenken, und der Neugier auf die Geheimnisse der düsteren Bücherstadt. Und dann wäre da noch Kani, eine clevere Dienerin, die mehr über die Märchengestalten zu wissen scheint und Sam ein bisschen den Kopf verdreht.

Kani ist dem Leser zunächst unheimlich sympathisch. Sie hat eine starke, geheimnisvolle Ausstrahlung und bestärkt Sam darin, den Geheimnissen um Paramythia auf den Grund zu gehen. Im Verlauf der Handlung verblasst Kani jedoch etwas und sie wird mehr und mehr zur Mitläuferin, die von Sam durch die Geschichte getragen wird. Die zweite starke Frau in „Bücherstadt“ ist die mysteriöse Beraterin des weißen Königs, Sabah. Ihre Worte scheinen Gesetz zu sein, zudem verschließt sie jede Nacht die Tore in das eigentliche Herz Paramythias. Da sie anfangs nur wenige, sehr kurze Auftritte erhält, fragt man sich unentwegt, was Sabah über die Märchengestalten weiß und welche Dunkelheit hinter ihrer erhabenen, ruhigen Fassade lauert. Über den weißen König erfährt man indes nur sehr wenig.

Akram El-Bahay erweist sich in „Bücherstadt“ einmal mehr als großartiger Erzähler, der seine Welt mit vielen Details lebendig malt. Das Setting ist teils orientalisch, teils aber auch europäisch angehaucht, wobei beides wunderbar miteinander harmoniert. Mythia ist eine riesige, multikulturelle Stadt, in der verschiedene Menschen gut zusammenleben, in der es aber auch viele Probleme und Diskriminierung gibt. Die Diebesbande rund um Sams Vater spielt dabei mit dem Feuer, denn sie zeigen sich ganz selbstverständlich unter den Wohlhabenden der Stadt – was nur funktioniert, weil die Diebe untereinander ein Gefühl der Ehre verbindet. Kein Dieb stiehlt einem anderen Dieb etwas und keiner verrät den anderen bei der Stadtwache.

Nachdem der Leser in der ersten Hälfte Vogelwesen und Pferdemenschen begegnet und erlebt, wie diese von der Stadtwache Mythias erbarmungslos gejagt werden, geraten die Märchengestalten ein wenig aus dem Fokus. In der zweiten Hälfte geht es mehr um die Geheimnisse Sabahs und das Herz Paramythias, aus dem die phantastischen Wesen kommen – nur leider sieht man sie kaum noch. Akram El-Bahay baut seine Welt währenddessen weiter aus und fügt schneller neue Elemente hinzu, als man die alten begreifen kann. Am Ende gibt es zu viele offene Fragen, die zwar Vorfreude auf die weiteren Bände schüren, aber auch unbefriedigt zurücklassen.


Fazit

”Bücherstadt“ ist ein phantasievoller und sehr atmosphärischer Trilogieauftakt, der den Leser mit vielen offenen Fragen zurücklässt. Mythia begeistert als spannende, multikulturelle Metropole, faszinierender sind jedoch die Bücherstraßen Paramythias und die Geheimnisse um die Märchengestalten. Auch Protagonist Sam überzeugt als authentischer, facettenreicher Charakter, dessen Entwicklung man gerne weiterverfolgen will.


Pro und Contra

+ orientalische und europäische Elemente Mythias
+ die riesige Bücherstadt unter der Stadt
+ Sam ist ein authentischer Protagonist, den man schnell ins Herz schließt
+ Akram El-Bahay ist ein wunderbarer Erzähler
+ wundersame Märchengestalten
+ tolles, stimmungsvolles Cover

- Kani und die Märchengestalten verblassen in der zweiten Hälfte

Wertung: sterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5


Tags: orientalische Fantasy, Akram El-Bahay, Diebe