Die Optimierer (Theresa Hannig)

Bastei Lübbe (September 2017)
Taschenbuch
304 Seiten, 10,00 EUR
ISBN: 978-3-404-20887-6

Genre: Science Fiction, Dystopie


Klappentext

Im Jahr 2052 hat sich die Bundesrepublik Europa vom Rest der Welt abgeschottet. Hochentwickelte Roboter sorgen für Wohlstand und Sicherheit in der sogenannten Optimalwohlökonomie. Hier werden alle Bürger von der Agentur für Lebensberatung rund um die Uhr überwacht, um für jeden Einzelnen den perfekten Platz in der Gesellschaft zu finden.

Samson Freitag ist Lebensberater im Staatsdienst und ein glühender Verfechter des Systems. Doch als er kurz vor seiner Beförderung beschuldigt wird, eine falsche Beratung erteilt zu haben, gerät er in einen Abwärtsstrudel, dem er nicht mehr entkommen kann. Das System legt alles daran, ihn zu optimieren ... ob er will oder nicht.


Rezension

„Die Optimierer“ folgt dem klassischen Schema einer Dystopie: Ein überzeugter Anhänger des Systems begeht einen vermeintlich kleinen, verhängnisvollen Fehler und muss schmerzhaft erfahren, wie der Staat zurückschlägt, wenn jemand nicht angepasst genug ist.

Als „Lebensberater“ weist Samson Freitag Menschen ihren Platz in der Gesellschaft zu. Eine Software, die alle Daten über seine Kunden (und in einer Gesellschaft, wo Kameras, Kontaktlinsen und Roboter Menschen permanent überwachen, sind das viele) auswertet, sagt ihm, ob diese für eine Arbeit geeignet sind oder aber doch nur für die „Kontemplation“ – ein Leben, in welchem sie ein bedingungsloses Grundeinkommen beziehen und sogar durch ein Verbot daran gehindert werden, sich Arbeit zu suchen. Samsons Empfehlungen sind, einmal erteilt, nicht verhandelbar und prägen den weiteren Lebensweg der Beratenen.

Samson ist glücklich mit seinem Leben in der Bundesrepublik Europa, wo Roboter Menschen nahezu alle Aufgaben abgenommen haben und die permanente Auswertung von Daten und „Korrekturvermerken“ von Bürgern den herrschenden Parteien hilft, das Leben immer weiter zu regulieren und optimieren. Als eifriger Sammler von Sozialpunkten, wie man sie für Hilfsbereitschaft gegenüber seinen Mitmenschen, aber auch für das Melden von unerwünschten Aktivitäten erhält, sieht Samson seine Beförderung in greifbarer Nähe. Doch schon bald zeigen sich Risse in seiner heilen Welt. Seine Eltern wollen sich einfach nicht an das Leben im neuen System gewöhnen, seine Freundin fühlt sich überwacht und fürchtet, dass ihr Job bald überflüssig wird, und es stellt sich heraus, dass ein ehemaliger Klient Samsons das System der Lebensberatung ausgetrickst hat.

Als Samsons Eltern sich durch verbotenen Fleischkonsum strafbar machen (Hannigs Figuren sind sonderbar besessen davon, dass alle tierischen Produkte durch pflanzliche Alternativen ersetzt wurden, als würde nichts stärker auf eingeschränkte Freiheit verweisen als vegetarische Ernährung – in einer Welt, wo deutlich alarmierendere Dinge passieren), seine Freundin ihn verlässt und seine Beratung eine Klientin in tiefste Verzweiflung stürzt, bricht alles in sich zusammen. Vom Vorzeigebürger wird Samson zum Ausgestoßenen. Alles, was er je getan und gesagt hat, wird gegen ihn verwendet und dank der allgemeinen Zugänglichkeit der Daten aller Bürger wissen seine Mitmenschen genau darüber Bescheid, wie sich sein Status geändert hat. Gedemütigt, isoliert, vieler Rechte beraubt und wütend auf das System, dass er so lange leidenschaftlich verteidigt hat, sucht Samson Kontakt zum Widerstand – aber es könnte schon zu spät sein.

Das Buch endet mit einer überraschenden Enthüllung darüber, in wessen Händen die wahre Macht liegt, und welches Schicksal Samson schließlich erwartet (wenn das Ende anders ausgesehen hätte, hätte das womöglich mehr spannende Fragen aufgeworfen, aber die Überraschung ist wirklich gut konstruiert und vorbereitet).

Am Anfang von „Die Optimierer“ ist Samson ein mit sich und der Welt zufriedener Mann, der genauso anstrengend selbstgerecht ist wie sein Vorgesetzter und seine Kollegen. Trotzdem ist er sympathisch genug, dass man ihn mit Interesse begleitet und Sorge und Mitgefühl empfindet, als für ihn alles zusammenbricht. Die Nebenfiguren sind eher skizzenhaft und darauf reduziert, dass sie bestimmte Standpunkte und Aspekte der Welt repräsentieren sollen. Ziemlich interessant sind die ziemlich menschlichen Roboter, die eine tragende Rolle für die Gesellschaft spielen und die hoch genug entwickelt sind, um eigene Persönlichkeiten zu haben.

Einige der dystopischen Elemente im Buch erscheinen mir wirklich beängstigend und gut durchdacht: Überwachung, die Art, wie die „wohlwollende“ Einflussnahme des Staates Bürger mehr und mehr entmündigt, die Art, wie Bürger selten durch klare Ge- und Verbote, aber durch Manipulation auf vielen Ebenen dazu gedrängt werden, Angebote zu nutzen, die dem Staat immer größere Kontrolle geben (z.B. ist niemand verpflichtet, eine der Linsen zu tragen, die alles mitschneiden, aber zugleich sind diese eine Voraussetzung, um viele öffentliche Einrichtungen unkompliziert nutzen zu können)… All dies ist spannend geschildert und regt zum Nachdenken darüber an, wie sich gute Absichten ins Gegenteil verkehren können. Allerdings könnte man auch Aussagen in das Buch hineinlesen, die ein wenig irritieren. Beispielsweise wird ein Leben ohne Job im klassischen Sinne als regelrechtes Albtraum-Szenario geschildert und die Übernahme vieler Aufgaben durch Roboter als Bedrohung für die Chance auf eine sinnerfüllte Existenz.

Das Buch ist in einer einfachen, flüssigen Sprache geschrieben und liest sich meist sehr schnell und unterhaltsam. Nur vereinzelt wird das Fortschreiten der Handlung durch detaillierte Beschreibungen ausgebremst, die wenig zur Geschichte und Atmosphäre beitragen, und es gibt auch eine Szene, wo Samson einen jungen Mann über die Entwicklung der Bundesrepublik Europa belehrt und ihm dabei Informationen vermittelt, die deren Adressat eigentlich kennen müsste und die daher offensichtlich für den Leser bestimmt sind. Auch werden einige Sachen (gerade Synth-Fleisch) immer wieder erwähnt, wo es vielleicht interessanter gewesen wäre, andere Aspekte des Lebens in der BEU zu beleuchten. Doch das sind nur Details. Alles in allem gelingt es Theresa Hannig, schon auf den ersten Seiten Spannung zu erzeugen und aufrechtzuerhalten.


Fazit

„Die Optimierer“ ist eine spannende, beklemmende Dystopie, die zwar ein paar Schwächen hat, sich aber auch unterhaltsam liest, zum Nachdenken anregt und schließlich mit einem überraschenden Ende aufwartet.


Pro und Contra

+ liest sich schnell und spannend
+ regt zum Nachdenken an
+ eindringliche Schilderungen der Schattenseiten der vermeintlichen Utopie
+ überraschendes Ende

- anderes Ende wäre eventuell vorhersehbarer gewesen, aber hätte spannendere Fragen aufgeworfen
- sehr „zielgerichtetes“ Erzählen, bestimmte Figuren scheinen nur zu existieren, um klar definierte Rollen für die Geschichte zu erfüllen

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5


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Tags: Dystopie, SF-Autorinnen, Theresa Hannig, deutschsprachige SF