Rowohlt (September 2017)
Originaltitel: The Silk Roads: A New History of the World
Übersetzer: Michael Bayer, Norbert Juraschitz
Taschenbuch
944 Seiten, 19,99 EUR
ISBN: 978-3-499-63167-2
Genre: Sachbuch (Geschichte)
Klappentext
Peter Frankopan lehrt uns, die Geschichte neu zu sehen – indem er nicht Europa, sondern den Nahen und Mittleren Osten zum Ausgangspunkt macht. Er erzählt von den ersten Hochkulturen und den drei monotheistischen Weltreligionen, die von dieser Region aus ihren Siegeszug antragen; von den Heeresführern der Antike, für die der reiche Osten seit jeher verheißungsvoller war als der Westen; von den Seidenstraßen, auf denen kostbare Ware, aber auch wegweisende Ideen Verbreitung fanden. Diese Geschichte führt bis in die Gegenwart: Denn nicht umsonst entscheidet sich noch heute die Weltpolitik in Staaten wie Syrien, Afghanistan und Irak.
Rezension
Wie der Klappentext verspricht, konzentriert sich Peter Frankopan in „Licht aus dem Osten“ auf Zentralasien und Nordafrika – zugleich aber ist sein Buch eine Weltgeschichte. Das muss es sein, denn die Welt, die Frankopan schildert, ist bereits von der Antike an verblüffend vernetzt und mit der Zeit nehmen diese Tendenzen nur zu. Während Westeuropa nach dem Fall des römischen Reichs eine Zeit der Stagnation erlebte, blühten im Osten Handel und Kultur – der Austausch ging sogar so weit, dass es im Mittelalter einen Erzbischof von Peking gab.
Im englischen Original heißt das Buch „The Silk Roads“ – ein Titel, der noch besser passt als der deutsche, denn Frankopan erzählt seine Weltgeschichte vor allem als eine Wirtschaftsgeschichte. Das Zentrum der Welt sucht er dort, wo sich bedeutende Handelsrouten kreuzen oder wichtige Rohstoffe zu finden sind. Er führt auch politisches Handeln meist auf wirtschaftliche Motivationen zurück, beschreibt das Ringen von Herrschern um wichtige Handelsstädte oder die verzweifelten Bemühungen von Briten und Amerikanern im 20. Jahrhundert, möglichst viel Kontrolle über die Ölreserven im Nahen Osten zu behalten.
Diese ökonomischen Aspekte spielen durchgängig eine große Rolle, aber gerade am Anfang geht es auch viel um Religionen, darum, wie Judentum und Manichäismus, Islam und Christentum aufeinander aufbauen, aber auch durch ihre Konkurrenz und ihr Bemühen um Abgrenzung geformt wurden. Frankopan fordert auch ein paar lange gehegte Annahmen heraus, z.B. stellt er die Mongolen keineswegs nur als Zerstörer, sondern auch als geschickte Verwalter der eroberten Territorien dar.
„Licht aus dem Osten“ bewegt sich mit großen Schritten durch die Geschichte und deckt die gesamte Zeitspanne von der Antike bis zur Gegenwart ab. Natürlich ist es hierbei unvermeidlich, dass es gewisse blinde Flecken gibt. Australien und Südafrika finden nahezu keine Erwähnung und gerade zum Ende hin verengt sich der Fokus auf den Irak und den Iran, die westliche Einflussnahme dort und die Wurzeln der Konflikte, die den Nahen Osten heute noch erschüttern. Zugleich sind dies sehr spannende Kapitel, die helfen, Ereignisse der Gegenwart besser einzuordnen.
Gerade am Anfang ist aber von vielen Orten die Rede, die trotz ihrer großen historischen Bedeutung aufgrund eurozentrischer Tendenzen der Geschichtsschreibung lange von dieser vernachlässigt worden sind. Als Leser wird man von einer Flut von Informationen bombardiert, die zwar verständlich dargestellt sind, aber es durch ihre schiere Fülle dennoch schwermachen, sich nach der Lektüre an alles zu erinnern. Gerade am Anfang erschwert dies den Einstieg ein wenig – gerade, wenn man beginnt, sich für eine Epoche und einen Ort zu interessieren, geht es schon weiter. Gleichzeitig liefert diese weniger detaillierte, aber dafür sehr breite Darstellung von Geschichte in der ersten Hälfte Kontexte für viele historische Ereignisse und Entwicklungen und zeigt auf, wie sie miteinander verbunden sind, und auch hier sind spannende, teilweise überraschende Details eingebunden.
„Licht im Osten“ ist in einer angenehmen, gut verständlichen Sprache geschrieben und mit einem umfangreichen Anhang aus Fußnoten und Bildern ausgestattet. Der starke Fokus auf Wirtschaftsgeschichte führt vielleicht dazu, dass andere wichtige Gründe für bestimmte Entwicklungen außer Acht gelassen werden, aber Frankopans Argumentation ist stets plausibel und wird von einem enormen Wissen und sorgfältigen Recherchen gestützt.
Fazit
Wer „Licht aus dem Osten“ liest, wird von einer Fülle an Informationen bestürmt und kann eine neue Perspektive auf die Geschichte der Welt entdecken. Hier stehen der nahe Osten und Zentralasien im Zentrum und die treibende Kraft der Geschichte sind der Handel und das Bemühen aller Herrscher, wichtige Handelsrouten und Rohstoffe unter ihre Kontrolle zu bringen. Natürlich handelt es sich nicht um eine vollständige Geschichte der Welt, aber auf jeden Fall eine sehr umfangreiche, die der Tatsache Rechnung trägt, dass Handel und kultureller Austausch weit zurückreichen und sich die Geschichte eines Landes oder einer Region daher nicht wirklich isoliert betrachten lässt. Die Lektüre erfordert eine gewisse Konzentration und Interesse an Geschichte, aber lohnt sich.
Pro und Contra
+ Fokus auf Region mit spannender Geschichte und großer Bedeutung für das Weltgeschehen
+ Interessanter Ansatz: Weltgeschichte als Wirtschafts- und Handelsgeschichte
+ großes historisches Wissen, umfangreiche Recherchen
+ angenehm zu lesende Sprache
+ liefert Kontexte und Erklärungen für historische Ereignisse, aber auch Konflikte der Gegenwart
o umfangreiches Buch, sehr hohe Dichte an Informationen
- Fokus auf Wirtschaftsgeschichte und gerade zum Ende hin immer mehr auf Nahen Osten führt zu gewissen (aber wahrscheinlich unvermeidbaren) blinden Flecken
Wertung:
Lesespaß: 4/5
Informationsgehalt: 5/5
Aktualität: 4,5/5
Verständlichkeit: 4,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5