Judith C. Vogt (22.01.2018)

Interview mit Judith C. Vogt

Literatopia: Hallo, Judith! Im Februar erscheint mit etwas Verspätung Euer neuer Fantasyroman „Die 13 Gezeichneten“. Was erwartet die Leser?

judith und christian vogt 2018Judith C. Vogt: Hallo Judith! „Die 13 Gezeichneten“ spielt in einem napoleonesken Setting und dreht sich um die guten alten Themen Besatzung und Rebellion – die Stadt Sygna ist von einer feindlichen Armee erobert, denn nur hier können Handwerker mit Hilfe von auf die Werkstücke eingeprägten Zeichen im Prinzip Magie wirken – etwas, das vom Gildenrat der Stadt streng kontrolliert wird. Die Besatzer sind hinter diesen Handwerkszeichen her. Vor allem die Geheimpolizei strebt nach der Macht der Wortzeichen, über die die Dichter verfügen, und die Menschen manipulieren und beeinflussen können. Gleichzeitig regt sich allerdings auch etwas in der Tiefe unter der Stadt, etwas erwacht, das vor langer Zeit in die Vergessenheit verbannt wurde.

Literatopia: Was zeichnet Euren Protagonisten Dawyd aus? Und wer sind eigentlich diese 13 Gezeichneten aus dem Titel?

Judith C. Vogt: Dawyd war als Teenager ein Taugenichts, der sich in Sygnas krimineller Halbwelt herumgetrieben hat. Seine Eltern haben einen Haufen Geld bezahlt, damit er bei der Goldenen Fechtergilde in die Lehre gehen kann, und er ist zu einem ganz beachtlichen, aber großmäuligen Fechter herangewachsen, weshalb er sich den Beinamen „das Maul“ verdient hat. Leider haben die beiden Fechtergilden der Stadt schon vor langer Zeit das Wissen über ihre Handwerkszeichen, die Blutzeichen, verloren, weshalb sie ein wenig den Ruf als Maulhelden in der Stadt haben, die nicht gegen die besser bewaffnete Armee der Besatzer ins Feld gezogen ist.

Dawyd ist zwar unser Coverboy, aber er ist nicht der einzige Protagonist. Wir haben ein Ensemble aus Protagonisten, eine Widerstandszelle unter der Führung des von der Geheimpolizei verkrüppelten Schreinermeisters Ignaz und der verwitweten Schmiedin Elisabeda. Der letzte Dichter auf freiem Fuß befindet sich ebenfalls unter den Rebellen, dazu noch ein Straßenkind und ein Müllerbursche.

Das sind jedoch nicht die 13 Gezeichneten. Die 13 Gezeichneten … hmm, ob wir das schon verraten sollten? Es hat jedenfalls etwas mit verschwundenen Zeichen und Schatten aus der Tiefe zu tun …

Literatopia: „Die 13 Gezeichneten“ spielt in der Welt des Rollenspiels „Scherbenland“ – wie seid ihr dazu gekommen, einen Roman zum Spiel zu schreiben?

Judith C. Vogt: Dazu müssen wir die Geschichte von Anfang an erzählen. Wir haben innerhalb von einem halben Jahr zwei Exposés bei Verlagen eingereicht: Einmal zu einem Roman namens „Scherbenland“ und einmal zu einem Roman namens „Die 13 Gezeichneten“. Wir haben beim Schreiben der Exposés schon zueinander gesagt: „Das spielt beides auf derselben Welt, aber das verraten wir erst mal keinem.“

Von den beiden Exposés haben es „Die 13 Gezeichneten“ bisher zur Fertigstellung und Veröffentlichung gebracht. Zu „Scherbenland“ hatten wir aber mittlerweile so viele Ideen, dass wir den Plan gefasst haben, eine Art „Fate – World of Adventure“ daraus zu machen, also ein Setting fürs Rollenspielsystem Fate. Das haben wir dann kurz nach der Abgabe von den Gezeichneten fertiggestellt, aber es ist früher erschienen, weil wir es über drivethruRPG.com selbst herausgegeben haben, und dann geht’s natürlich etwas schneller. Deshalb sieht es jetzt so aus, als wären die Gezeichneten der Roman zu „Scherbenland“. Entstanden ist es aber in etwa gleichzeitig.

Literatopia: Wie sieht die Welt von „Scherbenland“ aus? Welche Völker bewohnen es und woran glauben sie? Und habt Ihr Euch eng an die Vorgaben aus dem Rollenspielband gehalten?

Judith C. Vogt: „Scherbenland“ ist nicht der Name der Welt – es ist ein allegorischer Begriff für die Beiden Zarenreiche dieser Fantasy-Welt. Sie befinden sich im „Scherbenstreit“, einer Art Dreißigjährigem Krieg, der die Beiden Reiche in tausend Scherben hat zerspringen lassen. Ehrlich gesagt, wissen wir noch nicht, wie die Welt heißt – eine Karte Beider Reiche ist im Rollenspiel (https://sites.google.com/view/scherbenland/beide-reiche), wir haben auch eine handgezeichnete Karte, wie es im Westen weitergeht (für uns selbst), und da ist dann auch Sygna aus „Die 13 Gezeichneten“ drauf. Die Beiden Reiche sind ja sehr stark an Russland angelehnt, weil wir „Scherbenland“ als slawisch-baltisches Setting erdacht haben. Sygna und Aquintien liegen weit westlich, weshalb wir uns auch an nicht viele eigene „Vorgaben“ halten mussten: „Scherbenland“ spielt regional in den Beiden Zarenreichen, „Die 13 Gezeichneten“ spielt ausschließlich in der Stadt Sygna. Wer beides kennt und aufpasst, kann ein paar Hinweise im Rollenspiel auf den Roman finden und umgekehrt.

Aber zurück zu deinen Fragen! Soweit wir bisher wissen, wird diese Welt ausschließlich von Menschen bewohnt, die kulturelle und ethnische Unterschiede haben. Der Stand der Technik entspricht in etwa dem 17. Jahrhundert, Religion ist vorhanden, aber nicht mehr vorherrschend. Die Menschen in Sygna glauben an den Großen Handwerker und die dreizehn ersten Zeichenträger, die Altmeister, aber die Gesellschaft ist schon recht säkulär. Magie begegnet den Lesern durch die Handwerkszeichen, doch diese werden von den Sygnaern nicht als Magie angesehen. Es ist Handwerk, und Sygna ist durch die Zeichen besonders privilegiert und hütet diese seit Jahrtausenden eifersüchtig.

Literatopia: In dreizehn Blogposts habt Ihr vorgestellt, was die Stadt Sygna so besonders macht – könnt Ihr das für unsere Leser nochmal kurz zusammenfassen?

scherbenland rollenspielJudith C. Vogt: Sygna erstreckt sich auf dem und um den Bleiberg im Vorgebirge der Kuser Berge. Die Befestigungen der Stadt dienten ebenso dazu, Angreifer draußen zu halten, wie dazu, die zeichenkundigen Handwerker drinnen zu halten: Wer einmal ein Zeichen lernt, darf Sygna nie wieder verlassen, sondern muss sich der Stadt voll und ganz verpflichten. Regiert wird Sygna vom Gildenrat, die zwar einen Begriff wie Adel ablehnen, aber im Prinzip genau das sind: eine hierarchisch strukturierte Oligarchie. Für Frauen, unzünftige Handwerker und Menschen außerhalb der alteingesessenen Familien ist es fast unmöglich, die Zeichenkunst zu erlernen, weshalb sich bereits vor einiger Zeit die Vereinigung der Gleichwerker gegründet hat, die gleiches Recht für alle fordert und den Gildenrat stürzen will – diesen Bestrebungen ist allerdings die Besatzungsmacht dazwischengekommen.

Der Bleiberg selbst wird von zahllosen Höhlen und Kavernen durchlöchert – darin befindet sich die Verkehrte Stadt. Und alle Zugänge dorthin sind bereits vor langer Zeit versiegelt worden. Ein weiteres Geheimnis, das der Gildenrat den Sygnaern vorenthält.

Literatopia: Bei „Die zerbrochene Puppe“ hat Christian noch nicht so viel selbst geschrieben, sondern eher mitgeplant. Wie sah es bei den „13 Gezeichneten“ aus?

Judith C. Vogt: Christian kann meist nur am Wochenende schreiben, weshalb er wohl immer einen kleineren Teil schreiben wird als ich – aber er sitzt gerade an Szenen für den zweiten Band, während ich dieses Interview beantworte! Ich würde schon sagen, er hat von Buch zu Buch mehr Kapitel beigetragen.

Literatopia: Von Dir erscheint im Sommer mit „Roma Nova“ ein SF-Roman. Welchen Gefahren muss sich Gladiator-Sklave Spartacus stellen?

Judith C. Vogt: Die Gladiatorenspiele bei „Roma Nova“ sind ein bisschen wie Germany’s Next Top Model, nur dass sich dabei Leute töten. Hauptperson ist der junge Sklave Ianos, der von seinem Herrn in den Ludus, also die Gladiatorenschule, gegeben wird – eigentlich, weil sein Herr ihm einen Gefallen erweisen will. Die drei Stars der Arena heißen Spartacus, Oenomaus und Crixus, und jeder dieser drei hat bereits ein legendäres göttliches Herz errungen, das seinen Träger zum gefeierten Kämpfer macht. Es gibt nur eine Möglichkeit, die Freiheit zu gewinnen: Wenn alle göttlichen Herzen vergeben sind, wird es eine Captura Cardiae geben, bei der einer der Gladiatoren sein menschliches Herz und seine Freiheit zurückgewinnen wird.

Ja, entweder das – oder man könnte einen Aufstand anzetteln.

Literatopia: Basiert Deine Zukunftsvision auf einer alternativen Zeitlinie? Wie sieht ein futuristisches römisches Imperium, das das All erobert hat, aus?

roma novaJudith C. Vogt: „Roma Nova“ ist keine Zukunftsvision und auch keine alternative Zeit. Die Ausgangsfragestellung war: „Was wäre, wenn Rom ein Planet wäre, das Mare Nostrum (Mittelmeer) ein Sternenhaufen und andere Länder ebenfalls Planeten?“ Wie wären die Eroberungsfeldzüge verlaufen, welchen mythologischen Kreaturen sähen den „Aliens“ dieses Settings ähnlich (es gibt zum Beispiel Satyrn, Minotauren etc.). Deswegen ist es wohl eher eine Space Opera. Viele der Personen gab es allerdings tatsächlich, und sie hatten auch die Ämter inne, die sie im Roman inne haben oder sind in die Verwicklungen verstrickt, die im Buch passieren.

Literatopia: Warum hast Du „Roma Nova“ allein geschrieben? Oder hat Christian im Hintergrund kräftig mitgemischt?

Judith C. Vogt: Dazu muss ich auch etwas ausholen: „Roma Nova“ ist schon länger in Arbeit. Ein Filmproduzent aus München hat nach meinen beiden Antike-Fantasy-Romanen „Herr der Legionen / Herrin des Schwarms“ Kontakt zu mir aufgenommen mit der obigen Idee, diesem „Was wäre, wenn Rom ein Planet wäre?“ Er hatte dazu schon Concept Art von Ulrich Zeidler anfertigen lassen, die er mir geschickt hat, und fragte mich, ob ich Lust hätte, einen Roman dazu zu schreiben. In der Concept Art waren bereits die Gladiatoren, die galeerenartigen Raumschiffe mit Rammspornen, die Architektur eines SF-Roms, und ich war total begeistert und habe zugesagt. Dann habe ich den Roman, ich glaube, 2014 geschrieben und Christian war eher „physikalischer Berater“. Und seitdem haben Philip (der Filmmensch) und ich einen Verlag gesucht und sind total glücklich, dass Lübbe nach den „Gezeichneten“ auch daran Gefallen gefunden hat.

Literatopia: Bei unserem letzten Interview 2013 habt Ihr noch darüber nachgedacht, inzwischen ist es Realität: Das Rollenspiel zu „Eis & Dampf“. Wer war alles an der Entwicklung beteiligt? Und habt Ihr selbst schon gespielt?

Judith C. Vogt: Haha, ja, wir haben es schon gespielt, bevor es das Rollenspiel gab. Das Regelwerk von Fate ermöglicht es, alle möglichen Settings mit diesem Regelmechanismus zu spielen, und als wir dann schließlich überlegt haben, „Eis&Dampf“ auszuformulieren, war der Uhrwerk-Verlag zum Glück davon angetan und hat es herausgegeben. Beteiligt sind mittlerweile eine ganze Reihe Autoren und Illustratoren aus der deutschen Rollenspielszene. Uff, wenn ich sie jetzt aufliste, hätte ich Angst, jemanden zu vergessen, denn zusätzlich zum Settingband gibt es mittlerweile auch noch kleine Abenteuer zum Gratisrollenspieltag, einen neuen Abenteuerdoppelband und Online-Content. Auf www.eis-und-dampf.de kann man sich aber einen Überblick verschaffen!

Literatopia: Zwei Romane, zwei Groschenhefte, ein Kurzgeschichtenband und ein eigenes Rollenspiel-Quellenbuch – habt Ihr vor, die Welt von „Eis & Dampf“ noch weiter auszubauen?

Judith C. Vogt: Ja, der Plan ist, das Groschenheft „Die grüne Fee“ jährlich herauszubringen. Das ist ein Liebhaberprojekt, das wir durch steampunkige Werbeanzeigen finanzieren und selbst drucken lassen, in Zusammenarbeit mit dem Künstler-/Autorenehepaar Tobias Junge und Mia Steingräber (und wechselnden Gast-Autoren). Vermutlich wird es auch noch weitere Romane geben, aber dazu kann ich, glaube ich, noch gar nichts Konkretes sagen. Eventuell ist nicht jeder Roman von uns, sondern es wird die Möglichkeit für andere Autoren geben, in der Welt von Eis&Dampf zu schreiben. Was sehr cool ist.

eis und dampf rollenspielLiteratopia: Im Lektorat heißt es für viele Autoren „kill your darlings“ – musstet Ihr auch schon eine Eurer Lieblingsszenen streichen? Wie viel verändert sich vom ersten Manuskript bis zum fertigen Roman?

Judith C. Vogt: Bei den 13 Gezeichneten mussten wir die komplette Einstiegsszene mehrmals umschreiben, bis wir alle damit zufrieden waren. Da haben wir schon einige Darlings gekillt. Grundsätzlich finden wir es total toll, mit einer Situation einzusteigen, die den Leser verwirrt und dann im Nachhinein erst aufzuklären, wie es dazu kam. Das finden Lektoren häufig gar nicht so cool, und da müssen wir auch immer mal wieder nachbessern. Aber wir sind da nicht beratungsresistent, ich denke, sie haben schon recht. Ansonsten verändert sich vom ersten Manuskript bis zum fertigen Roman nicht so viel. Eher Kosmetik, vielleicht noch eine paar erklärende Abschnitte, wenn etwas unklar ist, oder eine andere Reihung der Szenen. Bisher gab es noch nichts im Lektorat, das uns in Verzweiflung gestürzt hätte.

Literatopia: Inzwischen kann man Dich auch für Schreibkurse an Schulen buchen. Was erarbeitest Du da mit den jungen Autoren? Wie waren die bisherigen Kurse?

Judith C. Vogt: Was wir erarbeiten kommt ganz drauf an. Ich mache manchmal eintägige Kurse, da erarbeiten wir eher Grundsätzliches zum Thema Storytelling an bekannten Beispielen wie Harry Potter oder Star Wars. Wenn ich einen Schreibkurs über mehrere Tage geben kann, dann steigen wir auch damit ein – ich finde Storytelling unheimlich faszinierend, und mehr als „Welche goldenen Regeln für eine Kurzgeschichte gibt es?“ oder „Was ist ein starkes Verb?“ oder „Wie viele Adjektive tun einem Text gut?“ interessiert mich die Frage nach den generellen Mechanismen, die uns als Menschen an eine Geschichte fesseln. Was sind die Gemeinsamkeiten von Geschichten, von Charakteren? Warum spricht uns das so an? Was hat das mit unserem täglichen Leben zu tun? Und wenn wir das so ein bisschen erarbeitet haben, dann können die Schüler meist selbst entscheiden, ob sie allein oder in Kleingruppen zum Beispiel eine Geschichte, einen Romananfang, ein Hörspiel etc. schreiben wollen. Meist haben wir uns vorher auf ein gemeinsames Thema geeinigt, zum Beispiel „Der gruselige Schulkeller“. Dann haben die Geschichten einen gemeinsamen Nenner, sind aber trotzdem sehr vielfältig. Mir macht das Spaß, und sollte das hier ein/e Lehrer/in mit schreibwütigen Schüler/innen lesen: Einfach auf meiner Website (www.jcvogt.de) nachsehen und mir eine Mail schreiben!

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Judith C. Vogt: Sehr gern, vielen Dank für die tollen Fragen!


Autorenfoto: Copyright by Yannick Vogt

Autorenhomepage:www.jcvogt.de

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Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.