Die verborgene Kriegerin (Lynn Flewelling)

Otherworld (April 2009)
Reihe: Die Tamír-Triad, Band 2
Originaltitel: Hidden Warrior
Übersetzer: Michael Krug
Taschenbuch, 610 Seiten, 15,95 EUR
ISBN: 978-3902607096

Genre: Fantasy


Rezension

Sein ganzes bisheriges Leben hat der jugendliche Tobin in dem Glauben verbracht, ein Junge zu sein. Nun hat ihm die Hexe Lhel seine wahre Gestalt offenbart: Tobin ist in Wirklichkeit ein Mädchen. Um einer Prophezeiung in die Hände zu spielen, haben ihr Zauberer bei der Geburt das Aussehen ihres Zwillingsbruder verliehen. Dieser musste dafür sein Leben lassen. Dadurch, so hofften die Zauberer, würde Tobin eines Tages das von den Göttern verfluchte Land Skala befreien und ihren eigenen Onkel, der zu Unrecht die Krone an sich gerissen hat, vom Thron stoßen.

Als würde Tobin dieses neu erworbene Wissen nicht ohnehin schon übermässig belasten, muss sie – immer noch in die geborgte Gestalt eines Jungen gehüllt – in die Hauptstadt zurückkehren, um direkt vor der Nase des Königs und unter den wachsamen Augen dessen sinistren Hofmagiers ihre Ausbildung beenden. Es ist eine Scharade, die Tobin einiges abverlangt. Sie hat nur wenige Verbündete, das Land scheint auf einen Krieg zuzusteuern und die rastlose Seele ihres ermordeten Bruders hört nicht auf, sie heimzusuchen.

Mit “Die verborgene Kriegerin” setzt Lynn Flewelling ihren beispiellosen Roman "Der verwunschene Zwilling” auf hohem Niveau fort. Den ersten Band der Trilogie um die Königin Tamír habe ich ja bereits mehrfach als mein Lieblingsbuch angepriesen und es auch als “das beste Buch, was ich bisher gelesen habe” bezeichnet. Die Messlatte lag für “Die verborgene Kriegerin” dementsprechend hoch. Würde es Flewelling gelingen, die Qualität des ersten Bandes beizubehalten? Erfreulicherweilse ist die Antwort: Ja! Mit dem Mittelteil der Trilogie ist Flewelling dankenswerterweise erneut ein intensiver Roman geglückt, der den Leser packt und nicht mehr los lässt. Die Autorin fängt die Zerrissenheit ihrer Hauptfigur, ihr Innenleben und ihre Entwicklung unglaublich gut ein. Die Szenen, in denen sich Tobin/Tamír mit ihrer eigenen Identität auseinandersetzt – oder es schrittweise zumindest versucht – sind beängstigend lebendig … und mitunter aufgrund Flewellings Erzähltalent auch für den Leser sehr schmerzhaft. Dadurch, dass Tobin nun weiß, wer sie in Wahrheit ist und sie sich mit den Auswirkungen dieser Tat anderer Leute auseinander setzen muss, erleben wir ganz nah am Charakter, was für Folgen es für ein Individuum hat, wenn andere Leute es recht kompromisslos wie einen Spielstein benutzen. Das tut weh, macht manchmal sprachlos. Und manchmal möchte man Tobin einfach nur in den Arm nehmen und trösten. Selten habe ich in einem Fantasy-Roman solch gute Charakterentwicklung erlebt!

Auch die äußere Handlung um die prophezeite Königin kann sich sehen lassen. Sie ist zwar nicht weltbewegend, lenkt dadurch aber auch nicht von der inneren Handlung ab. Der zweite Teil der Saga lebt zudem von vielen düsteren Momenten, wenn diese auch im Vergleich zum Vorgänger etwas rarer gestreut sind. Zudem macht es Spaß, ein paar alten Freunden aus dem Auftaktband wieder zu begegnen (natürlich auch ein paar alten Feinden) und neue Figuren kennenzulernen. Das über sechshundert Seiten starke Werk weist keine Längen auf.

Ganz klar: Wer auf charakterorientierte Fantasy mit Tiefgang steht, kommt an “Die verborgene Kriegerin” (und ihrem Vorgänger) nicht vorbei. Lynn Flewelling hat mit ihrer ungewöhnlichen, mutigen Geschichte neue Maßstäbe gesetzt.


Diese ausführliche Rezension stammt von Darkstar von http://www.fantasy-news.com!

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