Heyne Hardcore (2016)
Aus dem Amerikanischen von Jan Schönherr, Harriet Fricke
Taschenbuch, 464 Seiten, 9,99 EUR
ISBN: 978-3-453-67712-8
Genre: Autobiografie
Klappentext
“Ich bin hoffnungslos gespalten zwischen dem Licht und der Dunkelheit, dem Mönch und dem Sexbesessenen, dem Priester und dem Dichter, dem Populisten und dem Demagogen. All das schreibe ich jetzt schwarz auf weiß nieder, direkt aus meinem Herzen aufs Papier. Ich lehne mich hier ziemlich weit aus dem Fenster, also gebt mir Rückendeckung“ (Billy Idol)
Rezension
In den 80ern war Billy Idol ein Weltstar, der im Geist dieser Zeit mit Genrekonventionen brach und seine Fans mit seiner provokanten, wasserstoffblonden Punk-Attitüde begeisterte. Tatsächlich war Billy Idol mit seiner früheren Band Generation X Teil der Punkbewegung in England, siedelte allerdings Anfang der 80er nach Amerika über und begann seine Solo-Karriere, die ihre Kraft auch aus der brillanten Zusammenarbeit mit Gitarrist Steve Stevens schöpfte. Der Musiksender MTV stand in den Starlöchern und war von Billy Idols extravaganten Musikvideos begeistert. Innerhalb kürzester Zeit stieg der Punk aus England zum Star auf, wobei seine massiven Drogenprobleme im Verlauf seiner Karriere zunehmend sichtbarer wurden. Doch nicht etwa eine Überdosis, sondern ein schwerer Motorradunfall 1990 markiert den Beginn eines positiven Lebenswandels. In „Dancing with myself“, benannt nach seinem ersten großen Erfolg als Solokünstler, schildert Billy Idol sein bewegtes Künstlerleben und wie es sich zu einem steten Tanz am Abgrund entwickelte …
Idol eröffnet seine Autobiografie mit seinem Motoradunfall, der sich an einem wunderschönen Morgen in Los Angeles ereignete. Das Album „Charmed Life“ war endlich fertig, als der Musiker beinahe aus dem Leben gerissen wird. Seine Beschreibungen des verheerenden Unfalls sind eindringlich und erschreckend, zeigen aber auch, wie verdammt viel Glück Idol damals hatte. Dabei blickte er dem Tod bereits zuvor mehrmals ins Gesicht, auch wenn es ihm damals nicht bewusst war.
Nach dem schockierenden Prolog beginnt Idol mit seiner Kindheit und Jugend, in der sich früh seine Begeisterung für Rock’n’Roll abzeichnete. Der junge Billy Idol durchlebt das, was viele junge Menschen seiner Generation durchlebten: Die kriegserfahrenen Eltern finden sich mit ihrem einfachen Leben ab, während ihr Sohn William (Idols bürgerlicher Name) sich mehr vom Leben erhofft. Es graut ihm davor, im Alltagstrott zu ersticken. Früh begeistert er sich für Musik, wird als Jugendlicher Teil der Punk-Bewegung in England. Bastelt seine Klamotten selbst, flüchtet vor Skinheads und gibt nahezu jeden Cent, den er mit Nebenjobs verdient, für Platten aus. Mit der Gründung seiner ersten eigenen Band Generation X feiert Idol erste Erfolge. Der Leser erlebt mit, wie sich aus einer kleinen Gruppe Punks eine Bewegung entwickelt und ist fasziniert davon, wie viele bekannte Namen sich in Idols Freudes- und Bekanntenkreis tummeln.
Bereits als Jugendlicher macht Idol seine ersten Drogenerfahrungen und bis in die 90er Jahre hinein werden Substanzen wie Heroin und Kokain sein Leben bestimmen. Im Folgenden erlebt man, wie Idol seine Solokarriere startet und Welthits schreibt und gleichzeitig an seinem Drogenkonsum zu Grunde zu gehen droht. Auf jeder Seite spürt man dabei, wie wichtig Idol seine Musik ist und es ist ungemein faszinierend zu lesen, wie seine größten Hits entstanden. Teils sind es absurde Anekdoten, aus denen sich einzelne Songs entwickelten, teils eigene Erfahrungen und immer wieder die Liebe zu Perry, die Idol als die Liebe seines Lebens bezeichnet. Eine Liebe, die aufgrund seiner Drogenprobleme und Sexsucht in die Brüche ging. Idol beschreibt seine Untreue teils mit unappetitlichen Details, die anschaulich zeigen, in welch verrücktem Umfeld der damals junge Musiker unterwegs war.
„Idol, 28, ist arrogant, aggressiv und häufig beißend sarkastisch, dabei aber durchaus sympathisch. Seine Intelligenz, und man höre und staune, Sensibilität gleichen die anderen Eigenschaften aus, doch das hervorstechende Merkmal ist seine glühende Leidenschaft. Redet er über etwas, das ihn begeistert, steigert er sich so sehr hinein, dass man meint, er könne jeden Moment explodieren“ (Dennis Hunt, L.A. Times, zitiert auf Seite 286)
Dennis Hunt charakterisiert den jungen Billy Idol sehr gut und der Musiker selbst stellt sich genauso in seiner Biografie dar. Dabei blickt er ohne falsche Reue auf seine Drogenexzesse zurück, sagt heute noch, dass er damals verdammt viel Spaß hatte. Gleichzeitig macht er klar, dass er manches Mal zu weit ging und dass er sein Verhalten gegenüber Freunden und insbesondere gegenüber seiner damaligen Liebe Perry zutiefst bereut. Oftmals waren es Familie und Freunde, die Idol vor dem Sturz in den Abgrund bewahrten und als Leser ist man insbesondere von der Ehrlichkeit des Musikers beeindruckt. Hier wird nichts beschönigt, aber auch nichts schlecht geredet. Idol berichtet von aggressiven Ausbrüchen seiner "Drogenpersönlichkeit", von seinem schlechten Benehmen gegenüber Journalisten und Kollegen, aber auch von der großartigen Zusammenarbeit mit anderen Musikern und jeder Menge toller Momente.
Die Biografie konzentriert sich stark auf die Punkbewegung der 70er und die wilden 80er Jahre, die Idol mit zahlreichen Anekdoten lebendig werden lässt. Spannend ist jedoch auch das Kapitel über das unterschätzte Konzeptalbum „Cyberpunk“ aus den 90ern, mit dem Idol damals neue Wege beschritt und scheiterte. In den letzten Kapiteln klingt er geläutert, aber nicht in dem Sinne, dass er sein Leben negativ betrachtet. Rückblickend versteht Idol, was für ihn wirklich wichtig ist und wo er sich Chancen verbaut hat. Er hat seine inneren Dämonen erkannt und man nimmt ihm ab, dass er inzwischen mit ihnen umgehen kann – und versteht, warum es ihm lange Zeit so schwer fiel.
Fazit
”Dancing with myself“ ist eine schonungslose, extrem unterhaltsame Autobiografie eines leidenschaftlichen Punks, der mit einer eigenwilligen Mischung aus Rock und Pop riesige Erfolge feierte, während er sich gleichzeitig selbst zu Grunde richtete. Billy Idol wirkt unheimlich sympathisch und authentisch, während er von der Entstehung seiner Songs, von Drogenexzessen und den ausufernden Partys der 80er erzählt. Für Fans ist das Buch ein Muss, doch es sei auch all jenen ans Herz gelegt, die die Anfänge der Punk-Bewegung miterleben oder sich einfach nur von skurrilen Anekdoten aus den wilden 80ern unterhalten lassen wollen.
Pro und Contra
+ die Anfänge der Punk-Bewegung in England
+ der kreative Rausch der 80er Jahre
+ Billy Idol ist ein eloquenter, humorvoller Erzähler
+ schonungslos und reflektiert geschrieben
+ Details über die Entstehung einzelner Songs
+ zahlreiche unterhaltsame Anekdoten
+ ein paar Fotos runden den positiven Eindruck ab
- über die letzten beiden Alben wird leider wenig erzählt
Wertung:
Aufbau: 4,5/5
Erzählstil: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5