Die Ermordung des Commendatore I - Eine Idee erscheint (Haruki Murakami)

commendatore 1

DuMont (Januar 2018)
Hardcover
480 Seiten, 26,00€
ISBN: 978-3832198916

Genre: Belletristik / Phantastik


Klappentext

Allein reist der namenlose Erzähler und Maler ziellos durch Japan. Schließlich zieht er sich in ein abgelegenes Haus, das einem berühmten Künstler gehört, zurück. Eines Tages erhält er ein äußerst lukratives Angebot. Er soll das Porträt eines reichen Mannes anfertigen. Nach einigem Zögern nimmt er an, und Wataru Menshiki sitzt ihm fortan Modell. Doch der Ich-Erzähler findet nicht zu seiner alten Fertigkeit zurück. Das, was Menshiki ausmacht, kann er nicht erfassen. Wer ist dieser Mann, dessen Bildnis er keine Tiefe verleihen kann? Durch einen Zufall entdeckt der junge Maler auf dem Dachboden ein meisterhaftes Gemälde. Es trägt den Titel ›Die Ermordung des Commendatore‹. Er ist wie besessen von dem Bild, mit dessen Auffinden zunehmend merkwürdige Dinge um ihn herum geschehen, so als würde sich eine andere Welt öffnen. Mit wem könnte er darüber reden? Da ist keiner außer Menshiki, den er kennt. Soll er sich ihm wirklich anvertrauen? Als er es tut, erkennt der Ich-Erzähler, dass Menshiki einen ungeahnten Einfluss auf sein Leben hat.


Rezension

Wer Haruki Murakamis Werke kennt, weiß, dass sie in der Regel Elemente enthalten, die sich in fast jedem seiner Romane, wie auch diesem, wiederfinden: klassische Musik und Jazz; Whiskey; ein Mann mittleren Alters, der sich meist allein in Tokio (oder zumindest in dessen Nähe) versucht selbst zu finden; eine neue innige Liebe oder eine vergangene. Variierend hingegen ist der Grad der phantastischen Elemente. Manchmal fehlt Phantastik wie im wunderschönen Roman „Naokos Lächeln“ oder in „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ komplett, mal ist es nur ein mysteriöser Hauch wie in „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“ (auch unter dem alten Titel „Gefährliche Geliebte“ zu finden) und ein anderes Mal erschlägt einen die Phantastik, dass man kaum noch weiß, was eigentlich geschieht wie in „Hard-boiled Wonderland und Das Ende der Welt“. Mit „Die Ermordung des Commendatore I: Eine Idee erscheint“ arbeitet sich Murakami von einem Extrem ins andere.

Nach einem winzigen Prolog, der einen Vorgeschmack auf all die „merkwürdigen Dinge“ – wie es der Klappentext formuliert – bietet, beginnt „Die Ermordung des Commendatore“ klassisch, beinahe vertraut unaufgeregt. Der 36-jährige, namenlose Mann glaubt zu wissen, wie es um sein Leben steht, als ihm plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Seine Frau eröffnet ihm, dass sie die Scheidung will. Überrumpelt, aber sich dessen bewusst, dass eine Weigerung nichts bringen würde, willigt er ein und zieht, seinem eigenen Wunsch entsprechend, unmittelbar aus. Zunächst fährt er in seinem Auto durch Japan, lebt von seinem Ersparten, das er als Porträtist verdient hatte, bis er irgendwann im Haus eines Freundes unterkommt.
In der Einsamkeit des Hauses und der Berge will der junge Mann zu sich selbst finden und wieder Bilder nur für sich malen und nie wieder porträtieren. Allerdings will das nicht so recht gelingen und als dann der geheimnisvolle Herr Menshiki eine Unsumme für ein Porträt von sich bietet, nimmt er den Auftrag an.

Bereits mit dem ersten Satz zieht Haruki Murakami den Leser in seine Welt und lässt ihn nicht mehr los. Die phantastischen Geschehnisse sind ein Teil davon und so gekonnt in die Geschichte verwoben, als sei es das normalste der Welt, wenn sonderbare Wesen auftauchen. Gleichzeitig ist sich der junge Porträtist nicht immer ganz sicher, ob ihm sein Gehirn in seiner bergigen Einsamkeit einen Streich spielt, oder ob das, was ihm widerfährt, real ist. Als Leser bewertet man mit Spannung jedes noch so kleine Detail, das Aufschluss darüber geben könnte.

Murakamis Sprache ist sehr einfach. Die Sätze sind kurz und nüchtern und irgendwie steril, sie sind aber auch das perfekt gewählte Maß. Murakami verliert sich nie in umschweifigen Erklärungen und Beschreibungen sondern bringt es trotz der Kürze genau auf den Punkt. Mit schönen lebensnahen Metaphern zeichnet er ein Bild von der Natur, des Zimmers, des Wetters, der Personen und ihrer Stimmung. Besonders beeindruckend ist, wie selbst die kleinsten Randfiguren mit nur kurzen Dialogen oder einer Handvoll beschreibender Sätze lebendig werden. Murakamis Fingerspitzengefühl für seine Charaktere ist schlichtweg bewundernswert. Noch bewundernswerter und mit ein Grund, warum Murakami gerne in Verbindung mit einem lang überfälligen Literaturnobelpreis gebracht wird, sind die Weisheiten, die der 69-jährige fast schon beiläufig verarbeitet. An manch einen Satz wird man sich sein Leben lang erinnern.
Ebenfalls typisch für Murakami ist es aber auch, dass er zwar sprachlich nie abschweift, sich inhaltlich aber gerne in Wiederholungen verliert, die das Geschehene Revue passieren lassen. Und er kann einen geradezu langweilen, wenn sein Protagonist das zehnte Mal vor einer leeren Leinwand sitz, grübelt und Opern hört, deren Hintergründe erörtert werden.

"Im Rückblick auf diese Ereignisse erscheint mir das Leben als etwas sehr Geheimnisvolles."

Wie erwähnt, steigert sich die Zahl der phantastischen Elemente immer mehr. Immer wenn man meint zu erahnen, wohin die Handlung steuert, passiert etwas Neues, das scheinbar mit den anderen Geschehnissen nichts zu tun hat. Über allem steht aber auch der Gedanke, dass aller Zufall kein Zufall sein kann. Oder eben doch …
Wie genau oder ob überhaupt letztlich alles zusammenlaufen wird, bleibt leider offen, denn „Eine Idee erscheint“, ist lediglich Band 1 von 2 und bricht abrupt ab. Das ist wirklich schade und auch ärgerlich hinsichtlich des stolzen Preises von 26 € pro Hardcover. Die Entscheidung zur Vermarktung des Romans in zwei Teilen ist allerding in Japan zu suchen und somit nicht dem deutschen Buchverlag geschuldet. Zusammen muss man als Buchfreund, der nicht auf das Taschenbuch warten möchte, also 52 € für einen Roman bezahlen, was eine bittere Pille zu schlucken ist. Bereuen wird man es aber im Nachhinein wohl nicht, dafür ist das Buch einfach zu gut und man muss sagen, dass die Buchgestaltung wirklich sehr schön ist. Die schwarzen Seiten mit gleichfarbigem Schutzumschlag aus dicker Plastikfolie und das farbenfrohe Design darunter machen sich sehr schön in der Hand und dem Bücherregal.

Es ist schwierig ein Buch zu bewerten, dessen Ende man nicht kennt, denn Band 1 ist nicht in sich geschlossen und bietet lediglich einen Cliffhanger für Band 2, sondern bricht tatsächlich einfach ab, als schaue man einen Film und nach der Hälfte der Spielzeit fliegt die Sicherung raus für 3 Monate. Aber selbst wenn Band 2 nie erscheinen würde (erscheint aber zum Glück am 16. April), wäre „Die Ermordung des Commendatore I“ absolut lesenswert.


Fazit

Die Ermordung des Commendatore I – Eine Idee erscheint“ ist ein wunderbar sonderbares Buch voller Weisheiten, kurioser Geschehnisse und lebendiger Figuren, geschrieben in einer einmaligen Sprache, wie sie nur Haruki Murakami beherrscht. Für Murakami Neulinge womöglich nicht der Ideale Einstieg, für Kenner aber ein (teures) Geschenk.


Pro und Contra

+ einmalige Art zu erzählen
+ wunderbar lebendige Figuren
+ viele mysteriöse Geschehnisse
+ Buchgestaltung

- teures Vergnügen
- harter Bruch am Ende
- manch eine Länge

Wertung:sterne4.5

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5


Rezension zu Die Ermordung des Commendatore II - Eine Metapher wandelt sich (2)

Rezension zu 1Q84  (Erstes und zweites Buch)

Rezension zu 1Q84 - Drittes Buch