Amerika auf der Couch. Ein Psychiater analysiert das Trump-Zeitalter (Allen Frances)

frances amerika

DuMont Buchverlag, 2018
Originaltitel: Twilight of American Sanity. A Psychiatrist Analyzes the Age of Trump (2017)
Übersetzung von Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger
Gebunden, 480 Seiten
€ 26,00 [D] | € 26,80 [A] | CHF 37,90
ISBN 978-3-8321-9803-9

Genre: Sachbuch


Rezension

Kurz nach dem Amtsantritt von Donald Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika begann eine bis heute andauernde öffentliche Diskussion darüber, ob er geisteskrank und eine Amtsenthebung notwendig sei. Mehr als die Hälfte der US-Bevölkerung hält ihn heute für unfähig, sein Amt zu führen.

Der Psychiater Allen Frances war bis zu seiner Emeritierung am Department of Psychiatry and Behavioral Sciences an der Duke University School of Medicine beschäftigt. Er gehört zu den Verfassern des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (Diagnostischer und Statistischer Leitfaden psychischer Störungen) DSM-III, der Revision DSM-III-R und des DSM-IV, das unter seiner Leitung erschien. Er ist einer der Hauptkritiker des DSM-5. Er betreibt einen Twitter Account, den er fleißig füttert, war eine Zeitlang Blogger für die Zeitschrift Psychology Today (https://www.psychologytoday.com/us/blog/dsm5-in-distress) und schrieb bis 2017 Onlinebeiträge für die Psychiatric Times. Er ist Verfasser einer Reihe von Büchern, von denen 2013 in deutscher Übersetzung Normal. Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen erschien.

In seinem neuen Buch, Amerika auf der Couch. Ein Psychiater analysiert das Trump-Zeitalter, im März in deutscher Übersetzung bei DuMont erschienen, äußert er sich zur politischen Krise in den USA, die mit dem Namen ihres Präsidenten Donald Trump verbunden wird. Frances verortet diese Krise als eine gesamtgesellschaftliche, für die Trump Symptom (einer Welt in Not) ist, und er lässt sich dazu aus, inwieweit die aktuelle politische Lage aus seiner Sicht verschärfend zur Lage der Welt beiträgt. Er versucht zu erklären, warum Donald Trump so viele Wähler in den USA anspricht, und er macht sich Gedanken darüber, wie man diese Wähler für einen stärker durch Rationalität bestimmten Kurs gewinnen kann.

Zu Beginn distanziert sich Frances von der verbreiteten Vorstellung, Trump sei wahnsinnig. Trump erfüllt für ihn keine Voraussetzungen, um auf diese Weise etikettiert zu werden. Trump lebt in geordneten familiären und persönlichen Verhältnissen, ist beruflich zweifelsfrei erfolgreich auf verschiedenen Schauplätzen. Frances gehört zu den Architekten der diagnostischen Kriterien für narzisstische Persönlichkeitsstörungen und legt dar, warum diese Störung bei Trump nicht beobachtbar ist. Gleichwohl hält er ihn für narzisstisch und eine Persönlichkeit, die unfähig ist, ihre Aufmerksamkeit vertieft einer Sache zuzuwenden. Frances mag Trump nicht, warnt aber vor einem häufig diskutierten Verfahren zur Amtsenthebung, weil aus seiner Sicht die möglichen Nachfolger, die Politiker in Trumps Umfeld, gewisser Maßen die in der Warteschleife als Machterben, noch schlimmere Politikvorstellungen haben.

Frances untersucht die vielen Selbsttäuschungen innerhalb der us-amerikanischen Gesellschaft, die dazu geführt haben, dass Donald Trump Präsident werden konnte. Dazu zählt er die weit verbreitete Vorstellung, es gebe einfache Lösungen für komplexe Probleme wie die, die mit den Stichworten Klima und Waffen verbunden sind; auch die vorherrschende Überzeugung, die dramatische Ausbeutung natürlicher Ressourcen ließe sich in den Griff bekommen, indem man auf eine Rettungstechnologie wartet. Und in einem solchen Klima erinnert jemand wie Donald Trump an den aus alten Western und anderen Filmen bekannten Verkäufer von Wunderheilmitteln, dem man allein deshalb glaubt, weil er sagt, was man hören will. Das ist ja auch hierzulande nicht unbekannt.

Die meisten Jobverluste in den USA gehen nicht auf das Konto der Globalisierung, sondern der Automatisierung. Also der Substitution von Arbeit durch Kapital, ein Phänomen, das seit Ewigkeiten bekannt ist. Da helfen dann auch nicht, wie aktuell diskutiert, protektionistische Maßnahmen. Frances warnt davor, Trumps Wähler für dumm zu halten. Er arbeitet heraus, dass sie legitime Vorstellungen von Politik haben, bestimmt durch ihre Haltung zum Leben und zur Arbeit. Sie glauben, dass Trump ihr Leben verbessert. Frances argumentiert, Trump wolle nicht der Mittelklasse, sondern den Reichen helfen. Dass so viele Menschen bereit sind, ihrem Präsidenten gedanklich und politisch zu folgen, begründet er primär mit einer Gehirnwäsche durch Fox News.

Frances hat grundsätzlich pessimistische Vorstellungen von der Zukunft, und er führt reichlich Beispiele an für weltweit schlechte Regierungspolitiken und den Einfluss von Interessengruppen. Aber er liefert auch ein paar Beispiele dafür, wie die Welt eine Entwicklung zum besseren nehmen könnte. Er vertritt die Position, die Welt sei gerechter zu gestalten, die Diskriminierung abzubauen. Der Untertitel des Buches, der dem der Originalfassung folgt, ist ein wenig irreführend. Frances analysiert nicht das Trump-Zeitalter, räumt dies auch zu Beginn ein, wenn er erklärt, er habe die Arbeit am Buch zwei Jahre bevor er an Trump dachte begonnen und ihn nach der Wahl in den Kontext hineingearbeitet.

Dieser Kontext ist am besten beschreibbar als eine Bestandsaufnahme der US-Gesellschaft und ihrer drängendsten Probleme, die er unter dem Begriff des größeren Bildes erfasst. Seine Agenda ist bestimmt durch nationale Themen, wie die Verteilungs- und Gesundheitspolitik, weiter durch globale Themen wie das Wachstum der Weltbevölkerung, den Druck auf die natürlichen Ressourcen und den Klimawandel. Seine Analyse ist folglich auf die USA und den Rest der Welt gerichtet.

Sehr gut ist der Text, wenn Frances untersucht, wie viele Menschen zwar Vorstellungen von dem entwickeln können, was er das größere Bild nennt, jedoch ihren Alltag und ihre verhaltensrelevante Wahrnehmung entlang kurzfristiger Kalküle gestalten. Er schreibt über gesellschaftliche Wahnideen und individuelle wie auch kollektive Wahrnehmungsverzerrungen und unterzieht diese einem „Realitätstest“. Oberflächlich, gleichwohl noch informativ und der Argumentation dienlich, wird es, wenn er sich beispielsweise zur Übernutzung natürlicher Ressourcen und zum Gesundheitssystem auslässt. Andererseits handelt es sich nicht um ein wissenschaftliches Fachbuch, in welchem diese Probleme aufgearbeitet und einer Lösung zugeführt werden sollen.

Frances weigert sich, den 45. Präsidenten der USA zu analysieren. Gleichwohl diagnostiziert er ihm einen der Steinzeit gemäßen Emotionshaushalt und mittelalterliche Glaubensvorstellungen. Und der US-Gesellschaft weist er tiefsitzende Dysfunktionalitäten zu, weil sie ihn gewählt hat. Mitunter treffen Aussagen in ihrer Allgemeinheit nicht zu, wie die, dass die Wohlstandsungleichheit in den USA die weltgrößte sei. Der Begriff der Wohlstandsungleichheit oder auch des Wohlstandsungleichgewichts ist nicht genau spezifiziert, aber Frances, darüber gibt der Kontext Aufschluss, meint die Problematik der Vermögensverteilung beziehungsweise der Einkommensverteilung. In der Einkommensverteilung mag Frances richtig liegen. In der Vermögensverteilung aber halten die USA seit langer Zeit den dritten Platz, während die erstplatzierten Länder aus dem Jahr 2000, Simbabwe und die Schweiz, in 2016 durch Indien und Russland ersetzt wurden und Deutschland seinen Abstand zu den USA in dieser Zeit dramatisch verkürzt hat.

Frances hat den Anspruch, Wege aus der Krise aufzuzeigen. Seine Lösungsvorschläge sind seit vielen Jahren Inhalt öffentlicher Diskurse. Damit diese Lösungswege überhaupt realisierbar sind, muss Frances sich von einigen seiner Annahmen verabschieden. Beispielsweise: Wäre der Mensch so, wie er zur (erfolgreichen) Umsetzung der Lösungsvorschläge sein müsste, hätten wir die Probleme nicht. Allein dem fortdauernden Wachstum der Weltbevölkerung und dem Ressourcenverbrauch ist ohne fundamentale und weltweite Veränderungen gar nicht beizukommen. Seit dem ersten Bericht des Club of Rome, Die Grenzen des Wachstums (1972), sind die Probleme ihrer Natur nach bekannt, wird diese Diskussion geführt und verändert sich nichts wirklich zum Besseren.

Soll man die Menschen über Moral Suasion oder Nudging zur Einsicht bringen? Will man es mit einem wohlmeinenden Diktator versuchen, der voraussetzt, dass die heterogenen Vorstellungen vom Leben geeicht werden auf von wem auch immer festgelegte Notwendigkeiten zur Problemlösung? Wie so häufig verliert eine grundsätzlich sympathische Sicht und Argumentation dadurch, dass die Argumente beziehungsweise Verbesserungsvorschläge nicht konsequent bis zum Ende durchdacht werden. Wie sieht es mit einer Abschätzung von Politikfolgen - insbesondere bei komplexen Problemen - aus?


Fazit

Allen Frances hat mit Amerika auf der Couch. Ein Psychiater analysiert das Trump-Zeitalter ein Buch zu einer Verbindung aus einem tagesaktuellen – Donald Trump - wie auch mittlerweile eher zeitlosen Themenfeld geschrieben. Frances arbeitet heraus, dass ein Ende der Präsidentschaft Trumps nur einen geringen, wenngleich notwendigen Beitrag zur Verbesserung brächte, weil das Kernproblem darin besteht, dass er ein Symptom und Spiegelbild der heutigen US-Gesellschaft ist. Ein gut geschriebenes und in die Tiefe gehendes Sachbuch zu einer Problemlage, die in ihrer Tragweite über die USA hinausweist.


Pro und Kontra

+ lesenswerte Bestandsaufnahme
+ Quellen auf 21 Seiten sehr gut dokumentiert
+ hilfreicher Index

o in den Lösungsvorschlägen für globale Probleme eher naiv

- kleinere Unschärfen

Wertung:sterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5