Die Morde von Pye Hall (Anthony Horowitz)

horowitz diemordevonpyehall

Insel Verlag 2018
Originaltitel: Magpie Murders (2016)
Aus dem Englischen übersetzt von Lutz-W. Wolf
Gebunden, 604 Seiten
€ 24,00 [D] | € 24,70 [A] | CHF 29,90
ISBN 978-3-458-17738-8

Genre: Kriminalroman


Rezension

Susan Ryeland ist Cheflektorin für Belletristik bei Cloverleaf Books, einem kleinen Verlag in Bloomsbury, London. Sie betreut den Autor Alan Conway, dessen Krimis um den Privatdetektiv Atticus Pünd Bestseller und die Cash Cow des Kleinverlages sind. Conway emuliert die Romane von Agatha Christie, insbesondere die um den belgischen Privatdetektiv Hercule Poirot.

Susan mag Conway nicht, liebt aber seine Bücher, klassische Whodunnits, die in der Nachkriegszeit auf dem englischen Land spielen und alles haben was ein guter Krimi braucht: überraschende Wendungen, falsche Spuren und Hinweise, zahlreiche Verdächtige, spleenige Charaktere, einen cleveren Detektiv, eine unvorhersehbare Auflösung, obwohl alles klar gezeigt wird und man sich am Ende sagt: da hätte ich auch selbst drauf kommen können.

Das Manuskript seines achten Pünd-Abenteuers, „Morde von Pye Hall“, beginnt mit einer Beerdigung. Mary Blakiston aus dem idyllischen Saxby-on-Avon bei Bath hat sich beim Sturz von der Treppe des Herrenhauses von Pye Hall, wo sie als Haushälterin arbeitete, das Genick gebrochen. Viele Dorfbewohner hassten sie, denn sie war dominant und spionierte den Leuten hinterher. Die Polizei meint, dass es ein Unfall war. Eine Woche später wird der Hausherr von Pye Hall, das Ekelpaket Sir Magnus, tot in seinem Haus aufgefunden, enthauptet mit einem antiken Schwert.

Atticus Pünd beginnt zu ermitteln, begleitet von seinem Privatsekretär und persönlichen Assistenten James Fraser. Pünd glaubt nicht an Zufälle. Er fragt sich, ob die beiden Todesfälle zusammenhängen, ob es einen oder zwei Mörder in dem Dorf gibt. Das Manuskript bricht nach 300 Seiten ab. Es fehlt das letzte Kapitel mit der Auflösung. Das ist besonders ärgerlich, da Conway überraschend stirbt. Er stürzt vom Turm seines Herrenhauses Abbey Grange in den Tod.

Selbstmord, meint die Polizei, denn Conway hat einen Brief mit der Ankündigung seines Selbstmordes an seinen Verleger Charles Clover geschickt. Susan begibt sich nach Grange Abbey auf die Suche nach dem letzten Kapitel und findet sich bald selbst in einer wahren Detektivgeschichte wieder. Ist etwas dran an ihren Verdächtigungen oder hat sie einfach nur zu viele Krimis gelesen?

Anthony Horowitz, der schon Ian Fleming in James Bond -Trigger Mortis und Arthur Conan Doyle in Das Geheimnis des weißen Bandes und Der Fall Moriarty emuliert hat, fertigt diesmal ein Pastiche der Rätselkrimis von Agatha Christie. Mit Conways cosy murder mystery fängt er das Goldene Zeitalter des englischen Kriminalromans ein. Der klassische Whodunnit spielt Mitte der fünfziger Jahre in einem Dorf in Südengland, es gibt einen komplizierten Mord, vielleicht sogar zwei, exzentrische Figuren, einen Detektiv, der als Außenseiter daherkommt, ein unentdecktes Verbrechen in der Vergangenheit, eine um ihr Recht betrogene Erbin, jede Menge Verdächtige und Geheimnisse.

Ein alter Kinderreim (auf den sich der Originaltitel Magpie Murders bezieht) bestimmt die Kapitelanordnung. Auch Agatha Christie verbaute Kinderreime in ihren Geschichten. Sie ist nicht das einzige Vorbild, Horowitz greift auch auf Arthur Conan Doyle zurück, der irgendwann seine Figur Sherlock Holmes hasste und in die Reichenbachfälle entsorgte, allerdings um ihn dann doch wiederauferstehen zu lassen. Wie übrigens auch Conway, der sein Anwesen Abbey Grange nach einem Holmes-Abenteuer benannt hat, wobei ihm das Abenteuer selbst als Inspiration für seinen achten Roman diente. Der Plot und eine der Figuren erinnern an Caroline Grahams Roman „Die Rätsel von Badger’s Drift“, der als Pilotfilm der BBC-Serie Midsomer Murders (Inspector Barnaby) verfilmt wurde, nach einem Drehbuch von Anthony Horowitz. Etc.

Horowitz variiert das Genre des Rätselkrimis originell nach dem Prinzip der russischen Matrjoschka, denn „Morde von Pye Hall“ ist nur ein Krimi in einem Krimi, der wiederum Die Morde von Pye Hall heißt - wobei der fehlende bestimmte Artikel eine nicht unwichtige Rolle bei der Lösung des Falls spielt, nur einer von vielen Hinweisen und Anspielungen in dem Manuskript. Conway benutzte seine Bücher, um darin versteckte Botschaften zu transportieren, und dazu gehört auch der Titel. Seine Texte sind angefüllt mit Sprachspielen, Anagrammen, Akrosticha, Abkürzungen, die es zu entschlüsseln gilt.

Der Leser begibt sich mit Susan nicht nur auf die Suche nach den schriftstellerischen Vorbildern, sondern auch nach den verborgenen sprachlichen Hinweisen, um die Morde von Pye Hall zu aufzuklären und die Umstände des Todes von Alan Conway zu enträtseln. Horowitz verbindet beides aufs Feinste, die fiktive Geschichte um Atticus Pünd mit der realen um Susan Ryeland. Alles wird verdoppelt, jede Figur hat irgendwie zwei Identitäten, es gibt zwei ähnliche Plots, zwei Detektivgeschichten und alles hängt eng zusammen.


Fazit

Anthony Horowitz’ Die Morde von Pye Hall ist ein kompliziert und aufwendig konstruierter Kriminalroman, der die cosy murder mysteries von Agatha Christie liebevoll kopiert und variiert.


Pro und Kontra

+ spannend, clever, mit einer guten Dosis schwarzem Humor
+ sorgfältig gearbeitet, schwierig, trotzdem locker und leicht zu lesen
+ wundervoll atmosphärisch
+ wird dem Vorbild Agatha Christie gerecht

Wertung:sterne4.5

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 3/5


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