Der Mord von Miranda (Margaret Millar)

millar mord miranda

Zürich 1981 (Druckfassung derzeit nur antiquarisch erhältlich)
Diogenes, ebook, Dezember 2016
Originaltitel: The Murder of Miranda (1979)
Übersetzung von Hans Hermann
€ 7,99 [D] | € 7,99 [A] | CHF 10,00
ISBN 978-3-257-60740-6

Genre: Mystery, Kriminalroman


Syndicate Books 2017

Die Rezension basiert auf der englischen ebook-Ausgabe von Syndicate Books (datiert 2017, erschienen 5.9.2017), aus der auch eine Passage übersetzt wurde.


Rezension

Die 52-jährige Miranda Shaw wartet darauf, das Erbe ihres Mannes Neville antreten zu können, der vor einem halben Jahr gestorben ist. Die Zeit vertreibt sie sich im Penguin Club, einem exklusiven Strandclub im kalifornischen Santa Felicia. Dort verliebt sie sich in den jungen Rettungsschwimmer und Weiberhelden Grady Keaton. Da Grady gerade solo und chronisch pleite ist, werden die beiden ein Paar. Rechtsanwalt Smedler, Neville Shaws Testamentsvollstrecker, benötigt von Miranda einige Unterschriften für die gerichtliche Bestätigung des Testaments. Smedler hat inzwischen herausgefunden, dass Neville zuletzt senil war und durch Fehlinvestitionen sein gesamtes Vermögen verloren hat. Da Miranda jedoch seit Wochen unauffindbar ist, beauftragt Smedler seinen Mitarbeiter, den Anwalt Tomás Aragon, sie zu suchen.

Aragon spürt Miranda in der Klinik von Dr. Ortiz im mexikanischen Pasoloma auf, wo sie sich zwecks Verjüngung Drüsenzellen von Ziegenembryonen injizieren lässt. Dafür hat sie ihren Schmuck verkauft. Aragon lässt sie die Papiere unterschreiben und erklärt, dass sie pleite ist. Unmittelbar nach dem Verlust des Geldes verschwindet auch der Liebhaber Grady. Er benutzt dazu den neuen Porsche, den Miranda von ihrem letzten Geld gekauft hat. Aragon fährt mit Miranda nach Santa Felicia zurück. Ein halbes Jahr später trifft Aragon sie zufällig auf der Straße. Sie hat Unterkunft und Arbeit gefunden bei dem pensionierten Vize-Admiral Cooper Young und dessen Frau Iris, die sie aus dem Penguin Club kennt. Sie soll den beiden erwachsenen Töchtern, Cordelia und Juliet, gesellschaftlichen Schliff beibringen.

Miranda liebt Grady immer noch. Als er nach Santa Felicia zurückkommt und seinen alten Job im Penguin Club wieder aufnimmt, träumt sie von einer gemeinsamen Zukunft. Da sie kein Geld hat, entwickelt sie einen Plan, in dem der alte Young eine wichtige Rolle spielt. Doch nicht nur Miranda hat einen Plan. Kurz darauf gibt es einen Toten…

Margaret Millars Roman ist von einem Panoptikum exzentrischer Charaktere bevölkert: eine von Jugendwahn und eingebildeter Liebe besessene Fünfzigerin; zwei debile Schwestern; eine launenhafte Halbinvalidin; ein armer Schönling; ein reicher Geizkragen, der anonyme Briefe verschickt; ein Junge, der eine hate list führt, sein Umfeld terrorisiert, einen Hitman der Mafia bewundert; ein herzloser Anwalt. Sie alle begegnen sich im Penguin Club, einem Mikrobiotop der High Society, den Millar realen Strandclubs in Kalifornien nachgebildet hat. Weitere wichtige Schauplätze sind die protzige Kanzlei von Smedler, die Luxusresidenzen von Shaw und Young, die Klinik in Mexiko kurz hinter Tijuana; ein kleines Ladengeschäft. Die kulturellen Einflüsse Mexikos, die mexikanische Vergangenheit Kaliforniens, sind beinahe überall spürbar, am deutlichsten in der desillusionierten Anwaltsfigur Tom Aragon, die auch in anderen Romanen Millars auftaucht und in einer Fernbeziehung mit seiner Frau lebt, einer in San Francisco lebenden und arbeitenden Ärztin.

Von Beginn an liegt eine düstere, Unheil verheißende Atmosphäre in der Luft. Die Figuren begegnen sich mit Neid, Misstrauen und Gier, spionieren einander aus, sind fasziniert von Verbrechen, haben Geheimnisse und Pläne. Auch Miranda ist eine zwiespältige Figur, eine Mischung aus perfektem Opfer und Jezebel, wie der anonyme Briefschreiber sie nennt. Sie wirkt arglos und wehrlos mit ihrem Gehabe als feine Dame, ihren altmodischen Vorstellungen von gutem Benehmen. Alles Fassade, an deren Aufrechterhaltung sie so hart arbeitet wie am Erhalt ihres Gesichts. Sie weiß mehr über die Geschäfte ihres verstorbenen Mannes als sie zugibt, belügt ihren Geliebten in Gegenwart ihres Anwalts; und als Hinweis auf ihre fatale Leidenschaft stellt ihr Anwalt fest: „ihre Koffer sind so schwer, da hätte auch Gradys Torso drin sein können.“ Als es einen Toten gibt, ist sie die Hauptverdächtige. Alles deutet auf sie hin: Motiv, Gelegenheit und eine lange Kette von Indizien. Die Beweisführung ist von bestechender Perfektion, glatt wie eine Billardkugel.

Den Leser beschleicht ein unangenehmes Gefühl, ungefähr so unangenehm wie die Kluft zwischen Glauben und Wissen. Trotz zwingender Argumentation gibt es Raum für Zweifel, die zu Spekulationen darüber führen, ob man nicht doch einem Komplott auf den Leim geht, einem genialen Schachzug. Motiv und Gelegenheit hätten viele Personen. Sympathien kann man für niemanden entwickeln. Die meisten Figuren sind eitel, egoistisch und dumm. Allenfalls Tom Aragon ist eine Ausnahme. Als kleiner Anwalt mit mexikanischem Hintergrund betrachtet er die Welt der reichen WASPS aus Außenseiterperspektive, ein kühler Realist, der sich keine Illusionen macht. Er beweist Menschlichkeit, als er Miranda uneigennützig aus einer Notlage rettet, obwohl sie ihm auf die Nerven geht und seine Hilfe als Selbstverständlichkeit annimmt. Auch dem alten Gärtner der Shaws hilft er aus einer schwierigen Lage.

Man kann nicht reich und gemein genug sein, lautet das Credo der meisten Figuren. Dabei wird nicht differenziert. Dummheit und Gemeinheit kennen kein Alter, kein Geschlecht, keine ethnische und soziale Herkunft. Geld hat den höchsten Wert. Damit kann man alles kaufen, auch Menschen und Liebe; vielmehr: die Illusion von Liebe. Man könne Menschen nicht kaufen, mahnt Tom Aragon. Manche schon, widerspricht Miranda, die es besser weiß. Millar legt falsche Fährten, spielt absichtsvoll mit sprachlichen Doppeldeutigkeiten. Zumindest in der englischen Originalfassung. Auch der Titel löst sich erst am Ende auf, als sich die Handlung überraschend wendet. Was auch für den deutschen Titel gilt.


Fazit

Raffinierter, spannender Murder-Mystery und soziologisches Kaleidoskop der Reichen und Schönen im Kalifornien der 1970er Jahre. Boshaftigkeit versprühend nach dem Motto: man kann nie reich und gemein genug sein.


Pro und Kontra

+ großartig erzählt
+ psychologisch stimmiges Personal mit einigen echt schrägen und bösen Figuren
+ starke, doppeldeutige Dialoge, schneidender Witz, bitter und komisch zugleich

Wertung:sterne5

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5


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