Im Schatten von San Marco (Martin Cruz Smith)

C. Bertelsmann (April 2018)
Aus dem Englischen von Rainer Schmidt
Originaltitel: The Girl from Venice
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
352 Seiten, 20,00 EUR
ISBN: 978-3-570-10192-6

Genre: Belletristik


Klappentext

Venedig, Januar 1945: Der Krieg findet langsam ein Ende, aber die Lagunenstadt ist noch immer besetzt und die Italiener fürchten die Macht des Dritten Reiches. Eines Nachts entdeckt der Fischer Cenzo in der Lagune eine junge Frau, die scheinbar leblos im Wasser treibt. Er zieht sie in sein Boot und erkennt, dass sie noch am Leben ist. Ihm wird klar, dass die junge Frau in großen Schwierigkeiten steckt. Giulia stammt aus einer wohlhabenden jüdischen Familie und versteckt sich auf der Flucht vor der SS. Anstatt sie den Nazis zu übergeben, beschließt Cenzo, die schöne junge Frau zu beschützen. Die Flucht führt die beiden in die gefährlich untergehende Welt des Duce. Rezension.


Rezension

Venedig gegen Ende des Zweiten Weltkrieg. Der Abessinien Veteran Cenzo hält sich fern von allem vermeintlichen Heldentum und verdient seinen Lebensunterhalt als einfacher Fischer, wie alle Einwohner des kleinen Dörfchens San Marco, nahe Venedig. Während um ihn herum immer noch der Krieg tobt, fechtet er seinen ganz eigenen Kampf mit seinen inneren Dämonen aus. Cenzos junge Frau hat ihn für seinen älteren Bruder verlassen und ist kurz danach bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen, während der jüngere Bruder bei einem Luftangriff gestorben ist. Cenzo scheint innerlich mit seinem Leben abgeschlossen zu haben, hat aber seiner betagten Mutter versprochen, die schöne Witwe seines jüngeren Bruders Ugo zu heiraten. Auch wenn Celestina als wahre Schönheit gilt, gab Cenzo dieses Versprechen nur halbherzig.

Eines Nachts sieht er wie scheinbar die Leiche einer jungen Frau im Wasser treibt. Cenzo zieht sie in sein Boot. Die vermeintliche Leiche erweist sich als ziemlich lebendiges junges Mädchen. Mit Giulia, der jungen Jüdin aus wohlhabenden Haus, wendet sich auch Cenzos Leben. Anstatt sie den Nazis zu übergeben, verhilft er der etwas eigensinnigen jungen Frau zur Flucht und mit dem Untergang des Dritten Reiches versöhnt sich Cenzo auch mit seinem eigenen Schicksal und beginnt ein neues Leben.

Martin Cruz Smith erzählt in diesem spannenden Roman eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der Wirren am Ende des Zweiten Weltkrieges. Er beschreibt einfühlsam aber dennoch schonungslos die Gräuel der letzten Kriegstage und verzichtet dabei gekonnt auf jegliche Klischees. Er erzählt eine wunderbar romantische Liebesgeschichte, bei der der Leser von Anfang bis Ende mitfiebert. Ohne jeden Pathos erfüllt Cruz Smith die hohen Erwartungen des Lesers und erinnert nebenbei auch an eine der dunkelsten Zeiten in der menschlichen Geschichte, jedoch ohne den strengen Zeigefinger zu erheben.

Besonders hervorzuheben sind die stillen Helden jenseits des Schlachtfeldes. Da ist zum einen Cenzo, der Protagonist und Abessinien-Veteran, der einst den Befehl Senfgas gegen Zivilisten einzusetzen, verweigerte und jetzt als einfacher Fischer arbeitet. Er kämpft zum einen mit den Erinnerungen an seinen Einsatz im Krieg und zum anderen mit der schwierigen Beziehung zu seinem älteren Bruder Georgio, der nicht nur Cenzos Frau verführte, sondern auch die seines jüngeren Bruders Ugo und - wie Cenzo im Laufe der Handlung erfährt- indirekt am Tod des jüngsten Bruders schuld ist. Cenzo, richtig Innocenzo (Unschuldig), bekämpft die Nazis ohne Waffe, indem er das jüdische Mädchen Giulia beschützt und ihr zur Flucht verhilft und damit letztendlich ihr Leben rettet.

Zum anderen ist da Oberst Steiner. Zu Beginn der Handlung als eiskalter Nazi-Offizier gezeichnet, der gar nicht genug Juden ermorden kann und auch mit Cenzo ein grausames Spiel zu seiner und der Belustigung der Kameraden zu spielen scheint. Ausgerechnet er ist derjenige, der maßgeblich daran beteiligt ist, den Verräter, der für die Ermordung von Giulias Familie verantwortlich ist, zu entlarven. Oberst Steiner genießt nicht die allergrößte Sympathie in "Im Schatten von San Marco", dennoch ruft er beim Leser eine widerwillige Achtung hervor.

Und nicht zu vergessen: Giulia, die weibliche Hauptperson. Ein junges Mädchen, gerade einmal achtzehn Jahre alt. Behütet in einer guten Familie aufgewachsen und mit einer entsprechenden Bildung. Dennoch ist Giulia pragmatisch veranlagt und das macht sie so sympathisch. Sie zögert nicht, sich die langen Haare abzuschneiden, um als Junge durchzugehen und erlernt auch von Cenzo die harte Kunst des Fischens. Ist sie zunächst noch sehr zurückhaltend, beinahe frostig, so taut sie im Laufe der Handlung immer weiter auf und die beiden erfüllen jegliche Wünsche des romantisch veranlagten Lesers.


Fazit

"Im Schatten von San Marco" lediglich als gelungene Liebesgeschichte mit spannender Handlung zu bezeichnen würde Cruz Smiths Werk nicht gerecht werden. Es ist viel mehr als das. "Im Schatten von San Marco" ist eine Erinnerung an ein dunkles Erbe, das nicht vergessen werden darf. Jüngere Geschichte trifft auf Liebesgeschichte, besser kann man die Wünsche anspruchsvoller Leser nicht bedienen.


Pro & Contra

+ geschichtlicher Hintergrund ist genau ausgearbeitet
+ sympathische Figuren
+ Wandlung des Hauptcharakters
+ überraschende Wandlung des vermeintlichen "Bösewichtes"
+ Spannung
+ keine Klischees, kein Pathos

Wertung: sterne5

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Lesespass: 5/5
Preis/ Leistung: 5/5