Altered Carbon – Das Unsterblichkeitssprogramm (Richard K. Morgan)

Heyne (Juni 2017)
Originaltitel: Altered Carbon
Übersetzer: Bernhard Kempen
Taschenbuch
608 Seiten, 9,99 EUR
ISBN: 978-3-453-31865-6

Genre: Cyberpunk, Thriller


Klappentext

Privatdetektiv Takeshi Kovacs kann sich über seinen neuen Auftrag nur freuen – denn der letzte hatte ihn das Leben gekostet. Aber in der Zukunft ist der Tod kein Problem mehr. Oder vielleicht doch?


Rezension

In der Zukunft sind ferne Planeten besiedelt und das Bewusstsein jedes Menschen wird immer wieder auf dem „Stack“ in seinem Nacken gespeichert. Solange der Stack nicht zerstört wird, sind eigentlich tödliche Verletzungen kein Problem. Wer es sich leisten kann, führt sein Leben in einem neuen Körper – einem neuen „Sleeve“ – oder in einer virtuellen Realität fort.

„Altered Carbon“ beginnt damit, dass Takeshi Kovacs (einst Mitglied einer interplanetar agierenden Elite-Einheit, der „Envoys“, jetzt gesuchter Krimineller) und seine Freundin Sarah von Kugeln durchsiebt werden. Gefühlt nur Tage später erwacht Takeshi auf einem anderen Planeten (der Erde) und in einem anderen Körper, dem des Polizisten Ryker. Eigentlich sollte er noch mehrere Jahrhunderte körper- und bewusstlos als eingelagerter Stack verbringen, doch der jahrhundertealte Multi-Milliardär Bancroft macht ihm ein Angebot: Takeshi soll herausfinden, wer Bancrofts Stack vernichtet hat, so dass er nur dank einer externen Speicherung seines Bewusstseins überleben konnte, aber die Erinnerung an die letzten 48 Stunden verlor. Wenn ihm das gelingt, muss er den Rest seiner Strafe nicht verbüßen und kann sich mit einer großzügigen Summe auf den Weg zurück zu seinem Heimatplaneten machen.

Takeshi überwindet den Kulturschock, der mit dem Wechsel von einem Planeten zum anderen einhergeht, überraschend schnell und hat auch verblüffend wenig Probleme damit, Technologien anzuwenden, die sich wahrscheinlich seit dem Beginn seiner Einlagerung weiterentwickelt haben müsste. Das Training der Envoys, dass ihn darauf konditioniert hat, effizient und ohne zu zögern zu töten, war zu einem Großteil auch darauf ausgerichtet, ihm den Wechsel zwischen Welten und Körpern zu erleichtern. Dennoch ergeben sich einige verwirrende Situationen und der Sleeve, in dem er nun gelandet ist, ist nicht nur mit biochemischen Upgrades, sondern auch mit einer konfliktreichen Vergangenheit ausgestattet: Takeshi bekommt es mit Leuten zu tun, die noch eine Rechnung mit Ryker offen haben, und er und die Polizistin Kristin Ortega, die mit Ryker zusammen war, wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen, wie ihre Körper aufeinander reagieren.

Takeshi wird von vielen Seiten gedrängt, seine Ermittlungen schnell zu beenden. Ortega glaubt fest an einen Selbstmord, Bancrofts Frau Miriam wünscht sich ebenfalls ein Ende seiner Nachforschungen, und dann taucht noch jemand aus seiner Vergangenheit auf, der ihn erpressen will. Dennoch tastet sich Takeshi stur voran, durchforstet Bordelle und virtuelle Realitäten, gerät immer wieder in brutale Auseinandersetzungen und kommt der Wahrheit Schritt für Schritt näher, bis sich schließlich alle Puzzleteile zusammenfügen.

„Altered Carbon“ ist ein düsterer, temporeicher Science-Fiction-Thriller, in dem neue Technologien faszinierende Fragen aufwerfen: Wie sind Körper und Identität miteinander verbunden? Welche Rolle spielt schiere körperliche Anziehung bei romantischen Beziehungen? Wie verändert Unsterblichkeit einen Menschen? Einige Szenen und Figurenkonstellationen lesen sich wie faszinierende Gedankenexperimente. Allerdings rast die Handlung meist zu sehr voran, als dass man viel Zeit hätte, über ihre philosophischen Implikationen nachzudenken. Stilistisch ist „Altered Carbon“ nicht herausragend, aber es gibt keine Formulierungen, die einen aus dem Lesefluss herausreißen.

Ich-Erzähler Takeshi Kovacs ist ein guter Protagonist für diese Art von Geschichte: ein ausgezeichneter Kämpfer mit trockenem Humor, einer sturen, widerspenstigen Persönlichkeit und festen Prinzipien. Dank seiner Konditionierung lassen ihn Erlebnisse, die die meisten anderen Menschen traumatisieren würden, lediglich schlecht gelaunt und ziemlich rachsüchtig zurück. Immer wieder erinnert er sich an Episoden seiner Vergangenheit bei den Envoys, wobei jedoch meist der Kontext fehlt. Hier hätte ich mir ein bisschen mehr Information gewünscht. Ansonsten funktioniert der sparsame Umgang mit Erklärungen über Welt und Figuren jedoch gut und trägt dazu bei, dass die Handlung kaum je abbremst. Nicht alle Figuren sind gleichermaßen gut entwickelt (z.B. ist Miriam Bancroft anfangs etwas nervig, da sie immer nur darauf aus zu sein scheint, alle um sich herum zu verführen), aber viele von ihnen setzen sich auf sehr spannende Weise mit den verwirrenden Erfahrungen einer Welt auseinander, in welcher Körper und Bewusstsein getrennt existieren können.


Fazit

„Altered Carbon“ ist ein unterhaltsamer, clever konstruierter Roman in einer gnadenlosen Science-Fiction-Welt. Richard Morgans Priorität ist eher Tempo als Tiefe, aber das Buch steckt dennoch voller spannender Fragen und Ideen.


Pro und Contra

+ philosophische Fragen nach Körper, Identität, usw.
+ spannender Weltentwurf mit vielen interessanten Details
+ Action & Tempo

- Takeshis Erinnerungen hätten von mehr Kontext profitiert
- ein paar mehr Moment der Reflektion wären nett gewesen

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5


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Tags: Cyberpunk, Richard K. Morgan