Die Stadt der träumenden Kinder - Die göttlichen Städte 3 (Robert Jackson Bennett)

Bastei Lübbe (2018)
Originaltitel: City of Miracles
Übersetzerin: Eva Bauche-Eppers
Taschenbuch
656 Seiten, 11,00 EUR
ISBN: 978-3-404-20890-6

Genre: Fantasy


Klappentext

Seit dreizehn Jahren wartet Sigrud je Harkvaldsson im Exil darauf, dass sein Name vom Vorwurf des Verrats reingewaschen wird und seine alte Gefährtin Shara ihn zurück in ihren Dienst ruft. Nun ist es dafür zu spät, denn Shara Komayd, ehemalige Premierministerin von Saypur, ist tot – ermordet von einem skrupellosen Attentäter. Dürstend nach Rache, schlägt Sigrud alle Vorsicht in den Wind und reist nach Ahanashtan, um die Fährte des Mörders aufzunehmen ...


Rezension

Dreizehn Jahre sind vergangen, seit Sigrud nach den Ereignissen in Voortyashtan untergetaucht ist. Er fristet als namenloser Holzfäller sein Leben, immer auf der Hut, damit niemand ihn mit dem Mann in Verbindung bringt, der wegen mehrfachen Mordes gesucht ist. Aber dann erreicht ihn eine Nachricht, die ihn alle Vorsicht vergessen lässt: Seine Freundin Shara wurde ermordet. Sigrud reist nach Ahanashtan, um Jagd auf die Schuldigen zu machen. So lernen wir eine weitere „göttliche Stadt kennen“. Allerdings ist Ahanasthan anders als in Voortyashtan und Bulikov, wo die Schatten der Vergangenheit allgegenwärtig sind. In dieser durch und durch modernen Metropole mit ihren Wolkenkratzern und einer futuristischen Seilbahn deutet nichts darauf hin, dass hier einst das Herz des Reichs einer Gottheit war. Dennoch findet Sigrud auf seiner Spurensuche in den Straßen Ahanashtans Hinweise auf übernatürliche Kräfte. Er findet heraus, wer Shara getötet hat, trifft auf einen Feind, dessen Namen niemand auszusprechen wagt, und auf ein geheimnisvolles Mädchen, das Macht über die Zeit zu haben scheint.

Stück für Stück setzt Sigrud das Puzzle um Sharas Tod und dessen Hintergründe zusammen. Er erfährt, dass es sich bei den Waisenkindern, für die sich Shara nach dem Ende ihrer politischen Karriere mittels einer Stiftung eingesetzt hat, keineswegs um gewöhnliche Kinder handelte, und erfährt schließlich auch von Sharas letzten Bitte an ihn: Er soll ihre Adoptivtochter Tatyana beschützen. Sigrud findet auch mehr über seinen Gegenspieler Nokov heraus. Nokov ist ein furchterregendes, mit göttlicher Macht ausgestattetes Wesen – und gerade deshalb so gefährlich, weil in ihm noch viel von dem verletzten Kind steckt, dass er einst war. Er verfolgt die Kinder, auf deren Schutz Shara so viel Mühe verwendet hat. Alles deutet darauf hin, dass Sigrud und Sharas einstige Schützlinge diesen übermächtigen Gegner konfrontieren müssen. Es geht um ihr Überleben und das der ganzen Welt.

Doch zunächst macht sich Sigrud auf die Suche nach Tatyana und begegnet auch einer alten Bekannten wieder: Ivanya, die strahlend schöne junge Dame der Gesellschaft, die er in Bulikov kennengelernt hat, hat sich seit ihrer letzten Begegnung verändert. Sie hat mit angesehen, wie eine Schlacht zwischen Göttern und Menschen ihre Heimatstadt verwüstet hat, und ist daraus als eine misstrauische, desillusionierte Frau hervorgegangen, die sich aus der Welt zurückgezogen hat. Sie und Sigrud kommen sich überraschend, aber glaubwürdig näher. Tatyana dagegen ist eine eher anstrengende Figur. Bei einer überbehütet aufgewachsenen Siebzehnjährige, die gerade ihre Mutter verloren hat, ist sprunghaftes Verhalten durchaus verständlich, aber Tatyana spricht und verhält sich mal, als wäre sie fünfundzwanzig, mal (und das ist tatsächlich häufiger) als wäre sie zwölf. Von allen Charakteren fühlt sich ihrer am wenigsten rund und überzeugend an.

Shara hat ihrer Tochter verschwiegen, dass sie einst eine Agentin für Saypur war und gegen Götter gekämpft hat und so lernt Tatyana sie erst nach ihrem Tod richtig kennen. In dieser verwirrenden Situation sucht sie Halt bei Sigrud und weckt in ihm beinahe elterliche Gefühle, obwohl Sigrud in der Vergangenheit daran gescheitert ist, nach den Erfahrungen, die er gemacht hat, den Weg zurück in ein friedliches Leben bei seiner Familie zu finden.

Die Stadt der träumenden Kinder“ hat actionreiche Passagen, in denen brachiale Gewalt oder welterschütternde Göttermagie zum Einsatz kommen. Besonders bemerkenswert ist eine Kampfszene in luftiger Höhe. Doch genau wie in den Vorgängerbände gibt es auch in „Die Stadt der träumenden Kinder“ viele ruhige Momente, in denen die Figuren über die Welt und ihr Leben reflektieren. Diesmal ist das Thema des Buches Zeit. Es geht darum, wie sie Menschen verändert, welche Entscheidungen ihnen alternative Möglichkeitspfade eröffnet hätten, und wie schwer es ist, eine schmerzhafte Vergangenheit loszulassen.

Gerade Sigrud muss sich fragen, wer er ist. Es wird immer offensichtlicher, dass er Verletzungen überlebt, die jeden anderen das Leben kosten würden, und dass er nicht altert wie ein normaler Mensch. Doch dieses Rätsel treibt die Menschen um ihn herum noch mehr um als ihn selbst. Sigrud ist vor allem dabei, auf ein langes, von Gewalt, Schmerz und Einsamkeit geprägtes Leben zurückzublicken, und seine Entscheidungen in Frage zu stellen. Sigrud bereut vieles, was er in seinem Leben getan hat. Er ist ein Mann, der mit einer Mischung aus vorausschauender Planung, selbstmörderischem Mut und absoluter Schonungslosigkeit sich selbst und anderen gegenüber meist erreicht, was er will, und dabei eine Menge Leichen zurücklässt. Zugleich ist er aber auch eine sehr reflektierte Figur und sehnt sich nach Frieden und Gemeinschaft. Er und die anderen zentralen Figuren sind gut entwickelte, vielschichtige Charaktere

Auch die Nebenfiguren, in deren Köpfe der Erzähler, obwohl er meist Sigrud folgt, gelegentlich Ausflüge macht, schreiben sich einem ins Gedächtnis. Zum Beispiel ist da das Mädchen Malwina, das mit sich nicht mit seiner Meinung zurückhält. Wie ihre Geliebte Talvaan verfügt Malwina über mächtige, übernatürliche Fähigkeiten und scheut sich nicht, die Konfrontation mit einem gefährlichen Feind zu suchen, um andere zu beschützen. Die Antagonisten in diesem Buch sind nicht einfach nur böse, sondern erhalten die Chance, ihre Seite der Geschichte zu erzählen. Nokov ist zweifellos eine Gefahr für alle um sich herum und scheint jedes Maß und Mitgefühl verloren zu haben. Dennoch ist es beim Lesen schwer, kein Mitleid mit ihm zu empfinden, da sein Charakter von einer tragischen Lebensgeschichte geformt wurde, und er an einer Stelle aufrichtig um eine Verbündete trauert. Auch seine Handlanger, desillusionierte Saypuri, kommen zu Wort und enthüllen ihre Motivation. Sie mögen nicht sympathisch sein, aber sind dadurch glaubwürdiger.

Die Stadt der träumenden Kinder“ ist ein Buch über Zeit und Erinnerung. Es ist daher sehr passend, dass die Handlung die Figuren – nachdem die Leser durch ihre Augen auch neue Orte wie Ahanashtan oder die saypurische Hauptstadt Ghaladesh kennenlernen konnten – nach Bulikov zurückführt, wo die Trilogie ihren Anfang nahm. Hier wird der entscheidende Kampf ausgetragen, hier erlangen die Figuren quälende, aber oft auch notwendige Erkenntnisse über sich und ihre Vergangenheit.

Der letzte Band der Trilogie um „Die göttlichen Städte“ ist spannende, charakterzentrierte Lektüre. Nicht jede Formulierung ist perfekt, aber die Sprache erlaubt einen angenehmen Lesefluss. Bennett arbeitet geschickt mit Nähe und Distanz, einige Szenen und Fakten werden sachlich, vielleicht sogar mit einer Prise Ironie beschrieben, dann sind wir wieder ganz nahe bei den Figuren und leiden mit ihnen mit. Auch wenn die originelle Göttermagie von Bennetts Welt hier häufiger etwas „normaler“ daherkommt als in den Vorgängerbänden, zeigt sie sich am Ende wieder von ihrer überraschenden, alle Logik hinwegfegenden Seite.


Fazit

Mit „Die Stadt der tausend Treppen“, „Die Stadt der toten Klingen“ und „Die Stadt der träumenden Kinder“ hat Robert Jackson Bennett drei sehr verschiedene, um sehr verschiedene Figuren und Themen kreisende, aber dennoch vielfach miteinander verbundene Romane in einer komplexen, originellen Welt geschrieben. Mit „Die Stadt der träumenden Kinder“ findet die Trilogie eine spannende, gleichzeitig tragische und versöhnliche Fortsetzung und ein befriedigendes Ende


Pro und Contra

+ Charakterzeichnung & -Entwicklung
+ Thema, das sich durch das Buch zieht
+ faszinierende, originelle Welt
+ gut gemachte, ungewöhnliche Action

Wertung:

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5


Rezension zu „Die Stadt der tausend Treppen“ (Bd. 1) in Phantast #18
Rezension zu „Die Stadt der toten Klingen“ (Bd 2)