Der Outsider (Stephen King)

king outsider

Heyne Verlag, 2018
Originaltitel: The Outsider
Übersetzung von Bernhard Kleinschmidt
Gebunden, 752 Seiten
€ 26,00 [D] | € 26,80 [A] | CHF 36,50
ISBN 978-3-453-27184-5

Genre: Horror, Krimi, Mystery


Rezension

Terry Maitland ist Familienmensch und Coach des Footballteams seiner High School. Die Bürger der Kleinstadt Flint City in Oklahoma schätzen ihn und vertrauen ihm ihre Kinder an. Bis er überraschend während eines wichtigen Spiels Aufsehen erregend verhaftet wird. Durch Beweise und Aussagen von Augenzeugen wird er zum Hauptverdächtigen in einem Mordfall. Er soll den elfjährigen Frank Peterson auf brutale Weise sexuell missbraucht und verstümmelt haben. Detective Ralph Anderson will Maitland in der Todeszelle sehen.

Aber Maitland kann beweisen, dass er zu der Zeit, als Bewohner von Flint City ihn blutverschmiert gesehen haben, weit weg auf einer Tagung war, was nicht nur Kollegen bezeugen können. Anderson ist nach wie vor überzeugt von Maitlands Schuld. Als guter Polizist geht er auch den Hinweisen nach, die Maitland entlasten. Kann Maitland zur gleichen Zeit an zwei Orten gewesen sein? Die Beweislage wie auch das Alibi legen dies nahe…

Der Outsider setzt fort, was King in seiner Hodges-Trilogie etabliert hat, primär eine Kriminalgeschichte zu erzählen, die sukzessive in die Phantastik hineingleitet. In den drei Bänden erhält das phantastische Element zudem wachsende Bedeutung. Der Outsider beginnt wie ein prozeduraler Kriminalroman. King wechselt zwischen einer Erzählinstanz in der dritten Person Singular und polizeilichen Ermittlungsdokumenten. Die Forensik spielt eine bedeutende Rolle.

Nach ungefähr einem Drittel und einem harten dramatischen Einschnitt wechselt King in die Horrorsphäre, und auch hier wird auf gewisse Weise prozedural vorgegangen: die Aufdeckung des Mysteriums erweist sich dabei als wesentlich interessanter als das Mysterium selbst. Dabei bleibt die Erzählung durchgehend konsistent, erstreckt sich über wenige Tage bis zum dramaturgischen Höhepunkt und endet mit einem Epilog, der die Handlung auslaufen lässt.

Die Kleinstadt positioniert sich überraschend schnell gegen Maitland, weil Anderson Augenzeugen hat, die Maitlands Anwesenheit in der Umgebung des Tatorts zur Tatzeit belegen. Genetische Spuren und Fingerabdrücke lassen den Fall wasserdicht erscheinen. Das interessanteste Moment ist die glaubwürdige Erzählung einer Mordermittlung, die auf zwei wasserdichte, in sich konsistente, einander jedoch widersprechende Auflösungen und Alibis führt. Während weiterer Ermittlungen werden Maitlands Frau Marcy und ihre Kinder von übereifrigen Journalisten bedrängt und belästigt.

Bezirksstaatsanwalt Bill Samuels erwartet von Anderson, dass der Maitlands Alibi neutralisiert, egal wie. Mit Unterstützung von Holly Gibney, die aus der Hodges-Trilogie bekannt ist, findet er Spuren, die die Handlung von Oklahoma nach Marysville in Texas führen und dem Fall eine Wendung geben. Bedeutung für das Verständnis des Mysteriums haben kulturelle Artefakte aus Mexiko, darunter die Lucha-Filme (las luchadoras) aus den 1950er Jahren. Ein Polizist mexikanischer Abstammung, Yune Sablo, und Lovie Ann Bolton, die in Texas lebt, aber anderer Herkunft ist, sind Nebenfiguren mit wichtigen Handlungsbeiträgen.

Der sogenannte Böse ist nicht das böseste Wesen im Roman. Diese Eigenschaft bleibt bestimmten Menschen vorbehalten. Nachbarn, die plötzlich den Kopf eines bislang respektierten Mitbürgers fordern. Vertreter der Fraktion, die, hier: auf Hüten, die Parole "Make America Great Again" ausstellt und nach Terrys Blut lechzt. In diesem Kontext passt es, dass Der Outsider sich ein Stück weit in das Terrain fabrizierter Informationen begibt, die sich bei Überprüfung als problematisch erweisen; oder Informationen, die nicht zielführend sind aber richtig, weshalb sie unterschlagen werden sollen.

Als ein Gegenwartsroman handelt Der Outsider auch von heutigen Problemen. Er spielt nicht in Maine, Kings angestammtem Handlungsort, sondern in einer Art Trump County. Die Menschen sind am ehesten zu erreichen, wenn man ihnen Emotionen verursacht, ihnen klarmacht, es seien ihre eigenen, und sie dann zum Überkochen bringt. King meldet sich schon seit langer Zeit zu politischen Themen von Aktualität zu Wort. Man denke nur an seinen Essay über Schusswaffen und Gewalt in den USA, Guns (2013), den er nach dem Amoklauf an der Sandy Hook Elementary School (14.12.2012) geschrieben hat.

Der Täter in Der Outsider ist jemand, den man als "Das Andere" bezeichnen, abjekttheoretisch betrachten kann. Und es stellt sich die Frage, wie weit er von uns entfernt ist und wieviel er mit uns zu tun hat. Er ernährt sich, wie Freddy Krueger in Nightmare und wie manche Politiker, von der Angst der Menschen.

Auch in Der Outsider thematisiert King die Ehe. Ralph Anderson bespricht den Fall Maitland detailliert und engagiert mit seiner Frau Jeannie, weil er Wert auf ihr Urteil legt und über ihre von seinen abweichenden Überlegungen nachdenkt. Sie hilft ihm sogar bei der Arbeit. Sie ist auch diejenige, die einen offeneren Zugang zu Sichtweisen hat, die sich ihrem Mann verschließen, bis ihm dies nicht länger einsichtig erscheint. Dadurch reflektiert er die mysteriösen Aspekte des Falls, was ihn schließlich zu Holly Gibney führt, der Ermittlerin mit Erfahrungen im Übernatürlichen.


Fazit

Stephen King geht in Der Outsider der Frage nach, ob ein Mensch gleichzeitig an zwei Orten sein kann. Die Antwort ist klar, die Kriminalgeschichte hochinteressant und spannend, die phantastische Geschichte ist unterhaltsam, aber längst nicht so gut wie der erste Teil. Als soziales Porträt eines Teils der US-Gesellschaft unter Trump eine lohnende Lektüre.


Pro und Kontra

+ eine kraftvolle Mystery-Geschichte
+ sehr starker Krimi
+ passender sarkastischer Humor

o etwas schwächerer Horror

Wertung:sterne4.5

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5


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Tags: Stephen King, USA