Das Meer (Wolfram Fleischhauer)

das meer fleischhauer

Droemer Knaur (März 2018)
Hardcover
448 Seiten, 19,99€
ISBN: 978-3426198551

Genre: Thriller


Klappentext

Das Meer: Ursprung des Lebens.
Der Mensch: Ursprung der Zerstörung.
Mittendrin: zwei Frauen mit dem Mut der Verzweiflung

Eine junge Biologin verschwindet auf hoher See von einem spanischen Fischfangschiff. Eine Umweltaktivistin greift zu radikalen Mitteln, um endlich die Zerstörung der Meere zu stoppen. Drei Männer versuchen alles, um das Leben der beiden Frauen zu retten und das Schlimmste zu verhindern. Doch welche Chance haben sie gegen eine verantwortungslose Politik und die weltweite agierende, skrupellose Fischereimafia?


Rezension

Teresa, die auf einem Fischfangschiff sicherstellen soll, dass sich die Mannschaft an die EU-Richtlinien hält, wacht in ihrer Kabine ans Bett gefesselt auf. Man hat sie betäubt und sich an ihr vergangen und bald wird sie als vermisst gelten. Render, ihr Ausbilder und Geliebter, will sich mit der angeblichen Unschuld der Schiffscrew nicht zufrieden geben. Er weiß, dass sie umgebracht wurde, denn die kriminellen Strukturen im Fischfang kennt er nur allzu gut, und macht sich auf Spurensuche, um wenigstens die Wahrheit ans Licht zu bringen. Zur selben Zeit verzweifelt Ragna Di Melo an ihren Schuldgefühlen, denn sie hat Teresas Tot zu verantworten. Ragnas Vater, Alessandro Di Melo, versucht seinerseits seine Tochter ausfindig zu machen. Schon immer hat sie zu radikalen Mitteln gegriffen, um die Umwelt zu retten, doch dieses Mal ist sie zu weit gegangen und schwebt nun in Lebensgefahr. Er heuert Adrian an, Ragnas Jugendliebe, der ihm helfen soll, sie zu finden und in Kontakt zu treten, ohne dass er ihn in seinen vollständigen Plan einweiht.

Wolfram Fleischhauer taucht in bester Thriller-Manier unmittelbar in finsterste Abgründe ein. Teresas Leidensweg zieht einen sofort in eine düstere Welt, die leider allzu real ist. Die ersten Kapitel sind so bedrückend und finster, wie es sonst nur die Schweden in ihren Romanen und Filmen beherrschen. Besonders Render, der in seiner Ohnmacht, Teresas Spuren verfolgt, um an die Wahrheit zu kommen, geht einem an die Nieren. Während Alessandro Di Melo den Leser in die Welt der Täter führt. Als Lobbyist kennt er einige finstere Gestalten, die ihm jetzt die Möglichkeit gewähren, seine Tochter aus der Schusslinie zu nehmen, denn Teresa scheint nicht nur Opfer zu sein. Sie soll sich am Fisch in den Lagerräumen vergriffen haben und mit Ragna Di Melo in Kontakt stehen. Alessandro ist das alles egal, aber er wird seine Tochter nicht den Kriminellen überlassen und einfach zu sehen.
Bis dahin ist „Das Meer“ ein intensiver Ökothriller, der einen, trotz der vielen Figuren und verstrickten Handlungsstränge, mit seinen kurzen Kapitel in den Bann schlägt. Die angedeuteten „radikalen Mittel“ tun ihr übriges. Leider kann die zweite Hälfte des Romans, weder die Spannung noch die Atmosphäre auf diesem Level halten. Besonders die Figur des Adrian, mit seinem Umherschweifen in Bangkok und seinem eingestreuten Sexleben, nehmen dem Roman an Geschwindigkeit. Außerdem ist er die einzige Figur, deren Kapitel in der Ich-Perspektive verfasst sind. Manch einem Leser bringt das Adrian womöglich näher, in erster Linie sind diese Kapitel aber nicht so spannend verfasst wie der Rest.
Irgendwann werden auch noch Handlungen begangen, die zwar zum Showdown führen, aber in ihrer Fehlerhaftigkeit schwer zu glauben sind. Zu guter Letzt lässt Fleischhauer die spannendsten Fragen am Ende auch noch offen. Die eigentliche Klimax wird unterschlagen, was sich weniger wie ein bewusster Kunstgriff anfühlt als viel mehr Faulheit oder Ideenlosigkeit. Aber womöglich ist es nur die Enttäuschung über diesen „Kniff“.

„Wer meine früheren Werke kennt, weiß allerdings, dass bei mir das Genre immer nur eine Bühne für ein Stück ist, das im Grunde woanders gespielt wird.“, schreibt der Autor im Nachwort. Tatsächlich ist „Das Meer“ viel mehr als nur ein Ökothriller. Es ist sogar eher zweitrangig ein Ökothriller.
Der Leser bekommt eine Unmenge an Informationen über die Geschehnisse in der Fischfangindustrie präsentiert, dessen Großteil einem wenig bekannt sein dürfte und die einem den Kantinenfisch im Hals stecken lassen. Man bekommt Einblicke in die EU-Politik und ihr unmöglicher Spagat, die Meer zu retten, jedes Land und seine Interessen zu beherzigen und zur selben Zeit den gemeinen Bürger zu vertreten. Einen Bürger, der den Ökozid der Meere ignoriert, um günstig seine Fischstäbchen zu bekommen. (Was der Politik widerfährt, wenn sie dem Deutschen sein Fleisch wegnehmen möchte, fragt Die Grünen). Was auf den thailändischen Frachtern vor sich geht; warum wir wohl nicht immer das essen, was auf der Verpackung steht, und was für ein Geschäft der illegale Fischfang für Kriminelle ist, erfährt man ebenso, wie die Konsequenzen für die Länder aussehen, die von Tourismus und Arbeitsnomaden überlaufen ist.
Zugegeben, manch ein Dialog, der sich mit diesen Themen beschäftigt, ist nicht immer der natürlichste und fühlt sich zum Teil etwas bemüht an, um diese Informationen zu vermitteln, aber das fällt nicht zu sehr ins Gewicht. Ebenso verschmerzbar ist es, dass die persönlichen Geschichten zwischen Adrian und Ragna eher einfach gestrickt sind. Die enorme Komplexität findet man dafür überall drumherum.

Das Meer“ ist eine große Abrechnung mit dem Menschen und so ziemlich niemand wird sich nach diesem Roman gut fühlen können, denn an allem „normalen“ in unserem Alltag scheint Blut in irgendeiner Form zu kleben. Und während sich die Welt in „Das Meer“ einig sein wird, dass die Radikalen die Bösen sind, kommt man als Leser nicht umhin, als mit jeder neuen Information mit den rabiaten Mitteln zu sympathisieren


Fazit

Das Meer“ ist ein sehr spannender und düsterer Ökothriller, der gegen Ende ein wenig an Fahrt verliert und dessen Figuren nicht durchweg überzeugen können. Allerdings ist Wolfram Fischhauers Roman auch ein wichtiges und überaus aktuelles Werk, das Erschreckendes über die Fischfangindustrie zu Tage bringt und den Finger in all die Wunden drückt, die die meisten Menschen sich zu ignorieren entscheiden.


Pro und Contra

+ hoch interessante Fakten
+ überzeugende Charaktere
+ sehr spannender und düsterer Anfang
+ kritische Abrechnung mit dem menschlichen Handeln
+ könnte einige Leser bekehren
+ sehr schöne Buchaufmachung

- Spannung flacht gelegentlich ab
- Adrian und die Ich-Perspektive
- unnachvollziehbare Handlungen manch einer Figur

Wertung:sterne4.5

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4,5/5