Annette Juretzki (30.10.2018)

Interview mit Annette Juretzki

Literatopia: Hallo, Annette! Bereits letztes Jahr ist mit „Blind“ und „Blau“ Deine „Sternenbrand“-Dilogie beim Traumtänzer-Verlag erschienen. Was erwartet die Leser?

anette juretzkiAnnette Juretzki: Hallo Judith! Meine Leser*innen erwartet eine Space Opera mit queeren Figuren im Weltall, Techbrabbel, verrückte Aliens, alte Geheimnisse und gefährliche Intrigen, untergegangene Zivilisationen, PewPew, sarkastische Dialoge – und das alles abgerundet mit einem Schluck Wodka, aus Roggen natürlich ;-)

„Sternenbrand“ spielt in ferner, ferner Zukunft, (fast) alle Spezies der Milchstraße haben sich zu einer großen Allianz zusammengeschlossen, aber die zwischen„menschlichen“ Konflikte noch lange nicht überwunden. Politisch brodelt es, immer mehr Sekten und Splitterparteien sprießen aus dem Boden und sorgen für ein feindliches Klima in doch eigentlich friedlichen Zeiten. Doch das ist nur gesellschaftliches Hintergrundrauschen, denn im Vordergrund steht eine Raumschiffcrew und ihre Mission, die eine große Vorgeschichte hat:

Vor 150 Jahren gab es einen gewaltigen Krieg, der damalige Gegner hat sich unbekannt zurückgezogen und könnte jederzeit wiederkommen. Endlich wurde eine erste Spur gefunden, ein Raumschiff wird damit beauftragt, auf einem bisher unscheinbaren und weit entfernten Planeten dieser Spur nachzugehen – und mit der Landung des Shuttles fängt „Blind“ auch schon an.

Literatopia: Die Geschichte wird abwechselnd aus Sicht Xenens, Zeyns und Jonas‘ erzählt. Was zeichnet Deine Protagonisten aus? Mit wem hattest Du beim Schreiben am meisten Freude?

Annette Juretzki: Alle drei haben ihre einzigartige Sicht auf das Geschehen, weshalb sich jede Perspektive erst einmal anders schrieb. Xenen ist der Entdecker, er ist neugierig und aufgeschlossen, ist noch ganz neu in dieser intergalaktischen Welt, weshalb er häufig Fragen stellt, die auf andere naiv wirken können. Allerdings weiß er ziemlich genau, was er will und ist wohl von den dreien der mit den stärksten Prinzipien, von denen er nicht einmal abweicht, wenn es um sein Leben geht. Am meisten Freude an Xenens Perspektive hat mir gemacht, die ganze Welt als ein großes Wunder zu betrachten und selbst am Boden noch nach dem Positiven zu schauen – die perfekte Perspektive für schlechte Tage ;-)

Zeyn hingegen ist wütend und impulsiv, denn er wurde in der Vergangenheit ein paar Mal zu oft hintergangen. Außerdem ist er ein Ghitaner, ein Alien, weshalb er typisch menschliches Verhalten anders bewertet und auch eine leicht andere Wahrnehmung hat. So können Ghitaner beispielsweise Temperaturen sehen, haben einen perfekten Geschmackssinn bis fast auf die molekulare Ebene hinab, erkennen bei Farben jedoch weniger Nuancen – was manchmal dazu geführt hat, dass ich eine Szene komplett umschreiben musste, weil sie im ersten Schritt zu „menschlich“ geworden ist. Trotzdem war und ist Zeyn einer meiner absoluten Lieblinge, denn durch seine direkte Art hat er die Handlung eigentlich immer dominiert und ich konnte mich beim Schreiben „zurücklehnen“ und ihn einfach mal machen lassen – auch wenn das hier und da bedeutete, dass eine Szene ganz anders verlief, als ich das ursprünglich geplant hatte. Ghitaner sind eben schwer zu kontrollieren^^

Jonas hingegen hat sich als die herausforderndste Perspektive herausgestellt – was ihn aber gleichzeitig so interessant gemacht hat, denn er ist ein eher ambivalenter Charakter. Er wuchs in einer xenophoben Militärdiktatur auf, weshalb ihm von Kindesbeinen an Vorurteile gegenüber Aliens anerzogen wurden. Jedoch ist Jonas gleichzeitig ein sehr intelligenter und kontrollierter Mann, wodurch er sich dieser Vorurteile bewusst ist und versucht, ihnen nicht zu erliegen. Das gelingt mal besser, mal schlechter. Zusätzlich hat Jonas Schwierigkeiten damit, Freundschaften zu schließen, weil er Menschen nur schwer vertrauen kann, allerdings ist er gleichzeitig charismatisch, was es ihm leicht macht, andere zu manipulieren. Kurzum, Jonas wäre der perfekte Antagonist – wenn er nicht stets versuchen würde, das Richtige zu tun.

Literatopia: Wie bist Du dazu gekommen, eine Space Opera zu schreiben? Und was war dabei die größte Herausforderung für Dich?

Blind juretzkiAnnette Juretzki: Ich war schon immer ein großer Fantasy- und Scifi-Fan, weshalb für mich auch stets klar war, dass ich innerhalb dieser beiden Genres schreiben würde. Und da mich beim Schreiben vor allem die Charaktere interessieren, ich also eher figuren- statt handlungszentriert arbeite, bietet sich eine Space Opera einfach an. Denn da geht es um das Zusammenleben verschiedener Personen und weniger um Technik – wobei technische Spielereien natürlich nicht zu kurz kommen dürfen ;-)

Die Technik war es dann auch, die die größte Herausforderung für mich darstellte. Ich bin Geisteswissenschaftlerin und auch wenn ich schon immer ein Faible für Biologie und Astronomie hatte, spätestens bei Ingenieurswissenschaften bin ich raus. Das heißt aber nicht, dass ich einen Bogen um alles Naturwissen-schaftliche gemacht habe, ganz im Gegenteil, hier war dann eben die Recherche besonders ausufernd. Vor allem wenn es um Informatik, Programmierung und Künstliche Intelligenzen ging, habe ich sehr viele und lange Gespräche mit Spezialisten geführt. Denn ich bin Perfektionistin und wäre schlicht unzufrieden, etwas bewusst falsch darzustellen, nur weil es für mich so einfacher ist.

Literatopia: Xenens Heimatplanet gilt als rückständig – inwiefern? Was haben andere Alienspezies ihm voraus?

Annette Juretzki: Wie Jonas ist auch Xenen ein Mensch, doch sein Planet hatte (vermutlich?) nie Kontakt zur intergalaktischen Allianz der Milchstraßen-Spezies und ist auch ansonsten nicht sonderlich technikaffin. Darauf bezieht sich dann auch der Begriff „rückständig“ – statt die Arbeit Maschinen zu überlassen, arbeiten die Menschen auf Vissa noch selbst und wissen auch nicht, wie man Computer programmiert oder Raumschiffe fliegt.

Literatopia: Wie viele verschiedene Spezies beschreibst Du in „Sternenbrand“? Was sind Ihre physischen und kulturellen Besonderheiten?

Annette Juretzki: Na dann hol dir mal einen Tee, das wird jetzt ein wenig dauern ;-)

Also, in „Sternenbrand“ sind innerhalb der Milchstraße 28 biologische Spezies bekannt, dazu noch eine technische – sprich Roboter. Natürlich kommen nicht alle in den Romanen vor (noch nicht *g*), in „Blind“ und „Blau“ habe ich mich auf sieben beschränkt, Menschen eingeschlossen.

Die Ghitaner sind die wohl wichtigste Spezies in „Sternenbrand“, denn sie machen innerhalb der Allianz die größte Bevölkerungsgruppe aus und ihre Kultur ist auch diejenige, die als „normal“ angesehen wird. Körperlich sind Ghitaner etwas kleiner als Menschen, dafür aber breiter. Ihre Haut ist verknöchert und dient als Exoskelett, wodurch sie nur einen eingeschränkten Tastsinn haben. Sie sind zäh und stark, und ihr Organismus ist darauf ausgelegt, sich flexibel den Außenbedingungen anzupassen. So können sie zum Beispiel wenige Minuten im Vakuum des Weltalls überleben.

Im ersten Moment wirken Ghitaner meist unhöflich, da sie sehr offen und direkt sind und Zurückhaltung verpönt ist. Ein einzelner Schlag in einer Diskussion gilt bei ihnen nicht als Gewalttätigkeit und auch Sexualität wird nicht unterdrückt, sondern ausgelebt und hat in etwa den Stellenwert von Nahrungsaufnahme: Es ist ein völlig normales, körperliches Bedürfnis, das gestillt werden sollte, sobald es anschlägt, damit es einen nicht weiter beeinträchtigt. Sexuelle Treue ist ihnen unbekannt, darüber hinaus sind sie jedoch sehr familienverbunden. Ghitaner leben für gewöhnlich in Vierer-Bündnissen verschiedenen Geschlechts und die überwiegende Mehrheit ist bisexuell, weshalb so eine ghitanische Familie mit einer polyamoren Viererbeziehung vergleichbar ist.

Statt in Nationen, waren Ghitaner schon immer in Stämmen aufgeteilt und dies wirkt auch noch ins Raumzeitalter nach. Noch immer werden Ghitaner in einen Stamm hineingeboren, den sie niemals verlassen können, und dieser Stamm hat Einfluss auf ihre Sprache, Schrift und gesellschaftliche Regeln. Als erste raumfahrende Spezies der Milchstraße sind Ghitaner am längsten an Aliens gewöhnt und stehen gemeinsamen mit den Sumaten am stärksten hinter den Zielen der Allianz.

Die Sumaten sind die einzige technische Spezies, also künstliche Intelligenzen in Maschinenkörpern, vom humanoiden Roboter bis zum Raumschiff ist alles dabei. Sie waren die erste Spezies, auf die die Ghitaner bei ihrer Weltraumerkundung trafen und es ist nicht bekannt, wer sie erschaffen hat. Ihre und die ghitanische Kultur sind eng verwachsen, sie verbindet eine historische Freundschaft und sie werden als eigener Stamm in der ghitanischen Gesellschaft anerkannt. Manche würden behaupten, sie seien der ghitanische Verstand ;-)

Den Sumaten ist die Tradition zu verdanken, dass ein Raumschiff stets nach dem Piloten benannt wird, denn oftmals ist ein Sumat auch gleichzeitig der Pilot. Wobei diese Tradition durch die Pirax langsam aufgebrochen wird …

blau juretzkiDie Pirax sind die letzte Spezies, die zur Allianz hinzugekommen ist, da sie erst vor wenigen Jahrzehnten „entdeckt“ wurden. Sie sind etwas kleiner als Menschen, doch oft bekommt man sie nicht zu Gesicht, da andere Spezies (Ausnahme: Sumaten) nur im Schutzanzug mit ihnen im selben Raum sein können. Die Pirax leben in symbiotischer Verbindung mit einem Schimmelpilz, der als gewaltiges Netz ihren kompletten Heimatplaneten umgibt. Dieser ist ein eigenständiger Organismus, hegt jedoch keine feindlichen Ambitionen. Er verfügt aber über ein sehr starkes Wachstum, weshalb er sehr schnell komplette Räume einnimmt und bei Lebewesen meist auf Dauer Allergien oder gar einen anaphylaktischen Schock auslöst.

Da sich der Pilz auch im Gehirn der Pirax ausgebreitet hat, besteht eine stetige mentale Verbindung, jedoch kann ein Pirax auch immer zwischen Individuum und Kollektiv unterscheiden, indem von „ich“ oder „wir“ gesprochen wird. Diese dauerhafte Verbundenheit hat die Spezies sehr geprägt, weshalb es in der Allianz wohl niemanden gibt, der so stark auf einen Zusammenhalt und auf ein Gemeinschaftsgefühl pocht.

Tatsächlich ist es übrigens auch der Pilz, der sie zu so guten Piloten macht: Der Pilz wuchert in schmalen Schächten unter der Außenverkleidung des Raumschiffs, weshalb der Pirax ein „Gefühl“ für das Schiff im dreidimensionalen Raum bekommt, als wäre es ein eigener Körper. Gleichzeitig kann der Pilz bei Gefahrensituationen im Gehirn die Ausschüttung von Botenstoffen fördern, die die Konzentration erhöhen und so etwas wie Angst verhindern. Ob man nun einen Pirax oder einen Sumaten für den besseren Piloten hält, ist somit vor allem auch eine Entscheidung, ob man lieber von einer Maschine oder einem Lebewesen geflogen werden möchte.

Die Enqhus sind amphibische Lebewesen, die mit ihrer langen und beweglichen Zunge die ansonsten teilweise fehlende Gesichtsmimik ausgleichen. Sie können Visuelles schmecken und kennen keine Nostalgie oder überhaupt Bestattungsriten. An Vergangenem ist für sie nur entscheidend, was bis in die Gegenwart wirkt, der Rest lässt sich eh nicht mehr ändern, also kann er vergessen werden. Dadurch können sie teilweise sehr abweisend wirken.

Bei Kitilkas gibt es kein Geschlecht, sondern nur Phasen der Genmaterialabgabe und -aufnahme, die zyklisch wechseln. Sie verstehen das Konzept eines Geschlechts auch nicht so wirklich, aber nehmen es als eine kulturelle Besonderheit anderer Spezies hin.Ihre Haut ist ein wahres Farbenmeer, scheinbar wirr und auch recht schnell verlaufen verschiedene Farben ineinander, sodass vielen Nicht-Kitilkas schwindelig wird, wenn sie zu lange auf einen Fleck schauen. Dieses Farbenmeer ersetzt die nonverbale Kommunikation fast vollständig, weshalb Kitilkas nur eine sehr dezente Körpersprache haben und auch keine starke Stimmmodulation nutzen. Wenn sie dann noch mal versuchen, sich anderen anzupassen, wirkt das meistens eher verwirrend *g*

Die Junakta haben blauen Pelz und sind vierarmig – und dadurch wahre Multitasker. Allerdings ist es nicht leicht, mit ihnen zusammenarbeiten, denn sie leben anarchistisch, nur die Hälfte von ihnen erkennt überhaupt ihre eigene Regierung an. Sie wurden früh zu Weltraumnomaden, da nur noch ein Kontinent ihrer Heimatwelt bewohnbar ist, und waren die Konstrukteure der ersten Raumstation. Denn Junakata hassen zwar Befehle, aber wenn sie erst von einem Ziel überzeugt sind, verfolgen sie es bedingungslos.

So weit erst mal – ist noch Tee da? ;-) Nicht alle diese Infos werden direkt in den Romanen genannt, einige hatten beim Schreiben auch einfach bloß im Hinterkopf und habe versucht, sie durch Handlungen statt Beschreibungen rüberzubringen, was hoffentlich gelungen ist. Aber das müssen meine Leser*innen bewerten *g*

Literatopia: Inwiefern war Dein Studium der Religionswissenschaften bei der Ausarbeitung all dieser Spezies hilfreich?

Annette Juretzki: Tatsächlich war mein Studium für die Ausarbeitung erstmal sekundär, denn eine Spezies ist jetzt erst einmal eine biologische Dimension. Religion ist keine genetische Komponente, sondern eine kulturelle und individuelle Entscheidung. Dazu kommt, dass „Blind“ und „Blau“ etwas von einem Kammerspiel haben, ein Großteil der Handlung spielt auf dem Raumschiff Keora und die Mannschaft ist zur Hälfte menschlich. Dadurch stehen die Alien-Kulturen nicht so dominant im Vordergrund, wie sie es beispielsweise in städtischer Umgebung tun würde. Da wiederum innerhalb der Allianz die ghitanische Kultur die dominante ist, die Menschen also nur eine kleine Bevölkerungsgruppe unter vielen sind, ist der ghitanische Einfluss auf der Keora auch dann spürbar, selbst wenn sich grad kein Ghitaner im Raum befindet.

Mir war bei der Allianz in „Sternenbrand“ wichtig, dass sie ein positiver Zusammenschluss der Spezies ist, und dazu gehört für mich, dass sich Kulturen nicht abschotten, sondern miteinander interagieren und manchmal auch verschmelzen. Deshalb gibt es eben auch Menschen, die an Alien-Götter glauben und umgekehrt. Und wie die Menschheit verschiedene Religionen hervorgebracht hat, so gibt es auch nicht die eine Enqhu-Religion oder die eine Göttin, der alle Kitilkas folgen. Außerdem ist Atheismus weit verbreitet.

Was mir bei all diesen Religionen und Glaubenssystem besonders wichtig war, ist aber, dass es kein Gut oder Böse, kein Richtig oder Falsch gibt. In „Sternenbrand“ ist Religion Privatsache, ohne dass sie totgeschwiegen wird, niemand muss sich für seinen Glauben rechtfertigen oder gar schämen, und es macht niemanden zu einer guten oder schlechten Person, religiös zu sein. Ich glaube, diese Sichtweise habe ich dann doch sehr meinem Studium zu verdanken :-)

lesung annette juretzkiLiteratopia: Du hast zu „Sternenbrand“ einige positive Rezensionen erhalten – über was hast Du Dich dabei am meisten gefreut? Und gab es auch Kritik, die Dich geärgert hat?

Annette Juretzki: So platt das jetzt klingt: Ich freu mich über jede und jeden Leser*in, der oder die schreiben, dass ihnen meine Bücher gefallen haben – ganz egal ob es sich dabei um eine mehrseitige Analyse oder einfach ein „Toll!“ handelt. Da bin ich total einfach glücklich zu machen, sobald ich das lese, grinse ich den ganzen Tag *g* Natürlich gibt es da ein paar Rezensionen, die mir besonders in Erinnerung geblieben sind. Wohl nirgendwo hat man sich so tiefgehend mit der Aussage von „Sternenbrand“ beschäftig wie bei Neue Abenteuer, Honest Magpie konnte ich von meiner Geschichte überzeugen, obwohl ihr die ersten Kapitel so gar nicht gefallen haben und mit Tatty ist inzwischen sogar eine Freundschaft entstanden. Aber ich meine das wirklich ehrlich: Jedes Kompliment macht mich glücklich, niemand muss glauben, wenn er oder sie nicht gut formulieren kann, dann sollte man es lieber lassen. Ich kenne keine*n Autor*in, die sich nicht auch über ein schlichtes „Mir hat das Buch gefallen“ wahnsinnig freuen!

Ärgern tu ich mich inzwischen recht selten bei Kritik, denn wenn es jemandem nicht gefallen hat, dann ist das in Ordnung. Den perfekten Text gibt es nicht – und wenn doch, wäre er vermutlich sehr langweilig^^ Aber natürlich ist es blöd, wenn in einer Rezension Dinge stehen, die so schlicht nicht stimmen. In einer negativen Rezension heißt es zum Beispiel, dass fast die gesamte Raumschiffcrew schwul wäre. Von 25 Besatzungsmitgliedern sind es genau zwei (wobei der Rest dadurch natürlich nicht automatisch heterosexuell wird), aber die stehen halt im Vordergrund, anstelle bloß den Sidekick zu geben. Das kann halt schon wie eine Überpräsenz wirken ;-)

Literatopia: Du warst dieses Jahr auf der Frankfurter Buchmesse unterwegs und unter anderem bei der Podiumsdiskussion von „Think Ursula“ dabei – wie hast Du die Veranstaltung erlebt? Im Vergleich zu anderen Autoren bist Du leider wenig zu Wort gekommen …

Annette Juretzki: Natürlich lief bei Think Ursula nicht alles rund. Allein dass wir Autorinnen bei einer Veranstaltung, die nach einer feministischen Autorin benannt ist, nicht einmal auf dem Werbeplakat vorkamen und nur Theresa in der Pressemitteilung auftauchte, war selbstverständlich keine schöne Erfahrung. Ganz persönlich kommt man sich da im Vorfeld eher unerwünscht vor.

Trotzdem wurde es eine unglaubliche Erfahrung, auch wenn man uns Autorinnen auf der Bühne eher weniger Redezeit zusprach. Für mich war es aber die erste Podiumsdiskussion überhaupt und ich war wahnsinnig aufgeregt. Bisher kannte ich nur Lesungen vor vielleicht zehn Menschen – und dann das! Es klingt vielleicht übertrieben, aber ich hab die Woche davor beim Einschlafen an nichts anderes mehr denken können^^ Denn auch wenn ich auf Messen nicht so wirke: Ich bin ein wahnsinnig introvertierter Mensch, und wäre ich auf der Bühne in Ohnmacht gefallen, ich wäre nicht von mir überrascht gewesen ;-)

Umso schöner ist es, dass alles so glatt gelaufen ist. Beim nächsten Mal weiß ich jetzt: Ich kann es! – und vor allem: Ich will es wieder! ;-) Außerdem, bei allem, was bei Think Ursula so nicht in Ordnung war, hat es zu einem ganz wunderbaren Nebeneffekt geführt: Ich habe Judith Vogt und Theresa Hannig kennenlernen dürfen, und es war eine platonische Liebe auf den ersten Blick^^ Wer gern Science Fiction liest, sollte sich diese beiden Namen übrigens merken, es lohnt sich ;-)

Literatopia: In der Anthologie „In seiner Hand – Geschichten voller Männerlust“ ist Deine Kurzgeschichte „Als Hylios brannte“ erschienen. Fiel es Dir schwer, Dich kürzer zu fassen? Und was reizt Dich an Erotik zwischen Männern?

Annette Juretzki: Die Kurzgeschichte hat 8000 Wörter – so kurz musste ich mich gar nicht fassen *g* Wobei die erste Fassung trotzdem nochmal fast 1000 Wörter länger war, denn ich gebe zu, ich bin mies im kurzfassen – aber werde besser! Nächstes Jahr erscheint in einer Benefizanthologie eine Scifi-Kurzgeschichte von mir, die nur knapp über 4000 Wörter hat. Da bin ich schon ein wenig stolz, das geschafft zu haben^^

in seiner handAn Erotik zwischen Männern reizt mich weder mehr noch weniger als an Erotik zwischen Frauen oder zwischen Mann und Frau oder oder oder … „Als Hylios brannte“ entstand im Zuge einer Ausschreibung, die nun einmal eine schwule Erotikgeschichte voraussetzte, deshalb kommen eben zwei Männer vor. Es war meine allererste Erotikgeschichte, ein wenig bin ich aber schon auf den Geschmack gekommen. Das heißt jetzt nicht, dass ich in jeden Text Sex reinquetschen muss – meistens ist das sanfte Abblenden schlicht die stimmigere Variante –, aber ich habe keine Scheu vor Genitalien und das ist für mich als Autorin doch auch schonmal eine gute Erkenntnis *g*

Literatopia: Du hast Dich in Andrzej Sapkowskis Schreibstil verliebt – was fasziniert Dich so an seinen Büchern? Welches seiner Bücher hat Dir am besten gefallen?

Annette Juretzki: Ganz klar die Hexer-Reihe, die man selbstverständlich samt der Kurzgeschichten vollständig lesen sollte ;-) Low Fantasy ohne Pathos, dafür aber mit Humor, ohne dabei albern zu werden – sprich eine ernste Welt, die sich trotzdem selbst nicht zu ernst nimmt. Sowas ist voll mein Ding, denn ich empfinde Pathos meist unfreiwillig komisch und wunder mich dann, warum sonst niemand lacht …

An Sapkowskis Stil faszinieren mich ganz klar die Dialoge: schnell, dreckig und pointiert, ohne dabei künstlich zu wirken. Das mag jetzt seltsam klingen, aber es gar nicht so einfach, einen Dialog zu schreiben, der natürlich klingt. Denn als Autorin hat man dabei so viel im Kopf (Welche Informationen möchte ich preisgeben? Welche dürfen auf gar keinen Fall herauskommen? Wie starte ich einen Streit, ohne dass es wirkt, sie streiten sich jetzt nur, weil eine Figur unbedingt streiten will?), dass es schwer ist, die Figuren einfach mal reden zu lassen. Wobei das Gute ist: Das kann man üben, durch Praxis – und dem Lesen guter Dialoge ;-)

Literatopia: Du bist großer DSA-Fan und hast bereits Abenteuer dafür verfasst. Wie bist Du damals zum „Schwarzen Auge“ gekommen? Erinnerst Du Dich noch an die ersten Charaktere, die Du erschaffen hast?

Annette Juretzki: Meinen Erstkontakt hatte ich mit 14 durch einen Freund, der DSA zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, allerdings vergingen noch einmal fast 1,5 Jahre, bis ich wirklich zum Spielen kam. Meine erste Charakterin war eine Hexe – was jetzt niemanden, der schonmal mit mir gespielt hat, wundern dürfte^^ Damals durfte sie noch nicht aus Al’Anfa stammen, weil laut meinen Mitspielern dort nur „die Bösen“ herkommen … Meine nun älteste Charakterin ist ebenfalls eine Hexe, und diesmal stammt sie aus Al’Anfa – und das macht sie noch lange nicht bö… Genau genommen sind Kategorien wie Gut oder Böse viel zu subjektiv, als dass es sich lohnen würde, Charaktere darin einzuteilen.

Dieser Freund von damals war übrigens mein Berater zu den Sumaten in „Sternenbrand“ – Rollenspiel schafft also Freundschaften fürs Leben ;-)

Literatopia: Du hältst „Mask of the Betrayer“ für das beste RPG aller Zeiten (ich kenne es nicht einmal) – warum? Was hat Dich daran so begeistert?

Annette Juretzki: Das hängt damit zusammen, dass ich figurenzentrierte Geschichten liebe. Mir ist es also wichtig, dass die Charaktere die Handlung bestimmen, anstelle von ihr getrieben zu werden. Und das ist das Tolle an „Mask of the Betrayer“: Die Figuren haben nicht nur ihre übliche Sidequest, sie sind ein wichtiger Teil der Handlung und für diese quasi unersetzlich. Ohne sie wäre es eine andere Geschichte. Ganz besonders zeigt es sich dort an beiden Liebesgeschichten, die man eingehen kann (leider beide hetero), speziell zur Magierin Safiya: Sie ist so sehr mit der Geschichte der Hauptfigur verwoben, dass es völlig undenkbar ist, dass sich der Hauptcharakter nicht in Safiya verlieben könnte – obwohl man als Spieler*in natürlich die Wahl hat. Aber ohne diese Liebegeschichte wäre die Haupthandlung einfach nicht ganz.

Literatopia: Auf Deiner Homepage stellst Du zwei Fantasyprojekte vor, an denen Du gerade arbeitest. Wird eins davon demnächst erscheinen? Oder erwartet uns etwas ganz anderes?

Annette Juretzki: Das kommt ganz darauf an, was du unter „demnächst“ verstehst ;-) Tatsächlich hat „Von Rache und Regen“ bereits beim Traumtänzer-Verlag ein Zuhause gefunden und soll – so ich rechtzeitig fertig werde – im Herbst und Winter 2019/2020 erscheinen. Es wird also wieder eine Dilogie – aber diesmal habe ich von „Sternenbrand“ gelernt: Auch wenn beide Teile ganz klar zusammengehören, werden sie doch mehr in sich rund sein und ihren eigenen Handlungsbogen besitzen. Ob Teil 2 ohne Teil 1 gelesen werden kann, kann ich aber nicht versprechen, denn beide Teile wird dennoch eine große Handlung verbinden. Inhaltlich geht es übrigens um einen Deserteur, der in einer eisenzeitlichen Welt, die an Germanien unter römischer Verwaltung erinnert, nach seiner Verlobten sucht – mit Zombies ;-)

„Aus Schatten und Asche“ ist dagegen an slawische Märchen angelehnt und greift unter anderem Figuren wie Kochtschei und den Feuervogel auf. Der Roman muss aber noch etwas länger warten, um das Licht der Welt zu erblicken. Die Geschichte ist zu etwa 50% fertig, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Teile nicht doch noch einmal umschreiben will, da ich mittlerweile mit einem anderen Ende liebäugle, als ich ursprünglich vorgehabt habe. Das ist übrigens nichts Ungewöhnliches bei mir – bei VRR kann mein Verleger von einer nächtlichen Mail berichten, in der ich ihm mitteile, dass er mein Exposé vergessen kann, ich hatte da grad eine bessere Idee …

Die nächste Veröffentlichung von mir wird höchstwahrscheinlich die bereits erwähnte Kurzgeschichte sein, in der ich mich auf eine humorvoll-sarkastische Art an ein sehr ernstes Thema gewagt habe: selbstbestimmtes Sterben. Und das natürlich im Weltraum.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Annette Juretzki: Ich danke dir, dass du mir so lange zugehört hast^^


Autorenfoto: Copyright by Annette Juretzki (oben) und Julia Fränkle (unten)

Autorenhomepage: https://annette-juretzki.de/

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Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.