Interview mit Christian Günther
Literatopia: Hallo, Christian! Unser letztes Interview ist, zumindest für Internetverhältnisse, eine Ewigkeit her. Inzwischen schreibst Du Fantasy und hast mit „Faar“ eine eigene, düstere Welt erschaffen – wie kam es zu dem Genrewechsel?
Christian Günther: Hallo Judith! Tatsächlich ist es lange her und natürlich freue ich mich, seitdem nicht in Vergessenheit geraten zu sein. Mein Genrewechsel für die Welt von "Faar" war eigentlich lange vorgezeichnet, als langjähriger Rollenspieler hatte ich eine Menge Bilder und Geschichten vor Augen, die eben im Bereich der Fantasy angesiedelt waren. Ich habe dann versucht, eine eigene Welt zu kreieren, die zwar ihre Wurzeln in der klassischen "Pseudo-Mittelalter-Fantasy" hat, aber mit neuen Elementen kombiniert und auf moderne Weise erzählt wird. Wobei – gleichzeitig geht der Blick auch zurück in die Vergangenheit – H.P. Lovecraft oder Robert E. Howard (der Autor von "Conan") haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf mich und mein Werk.
Literatopia: Was erwartet die Leser im Auftaktband „Die Aschestadt“? Und was meinst Du genau mit dem Begriff „Fantasypunk“, mit dem Du „Faar“ beschreibst?
Christian Günther: Die Bezeichnung "Fantasypunk" entstand eigentlich aus einer Laune heraus, weil vor einigen Jahren alles einen Stempel bekam, der auf "-punk" endete. So entstanden dann Genres wie Atompunk, Biopunk oder Aetherpunk. Desweiteren wollte ich in der Erzählweise meine Wurzeln aus dem Cyberpunk behalten. In der Fantasy sind ja eigentlich vielbändige Epen mit mindestens 600 Seiten pro Band die Regel. Das entspricht aber nicht dem, wie ich schreibe (oder lese), ich wollte eine harte, düstere Welt, die mit der knappen, bildhaften Erzählweise des Cyberpunk beschrieben wird.
Der erste Roman "Die Aschestadt" spielt in Alaris, der Hauptstadt des Reiches Faar, und macht den Leser mit den Hauptfiguren bekannt, die (sofern sie überleben) auch in den nachfolgenden Bänden immer wieder eine Rolle spielen. Es wird jedenfalls nicht die Welt gerettet, es gibt keinen Auserwählten und keine Prophezeiungen.
Literatopia: Wie sieht die Welt von „Faar“ aus? welchen Bedrohungen sind die Menschen ausgesetzt?
Christian Günther: Faar ist ein Königreich, das von einer undurchschaubaren Bruderschaft regiert wird, deren Regeln die Menschen knechten. Insbesondere wird die Gefahr, die vom Ozean ausgeht, beschworen, es gibt tatsächlich Meermenschen, die das Reich bedrohen. Es ist unter Strafe verboten, ungeweihtes Wasser zu verwenden oder Fisch zu essen.
Das Land wurde in der Vergangenheit von schweren Naturkatastrophen heimgesucht, wovon es sich gerade erst wieder erholt. Die Menschen versuchen, sich damit zu arrangieren und trotzen den widrigen Umständen.
Literatopia: Der Seelenkrieger Gor ist einer der interessantesten Charaktere aus „Faar“, doch leider gibt es nur wenige Informationen zu dem Hünen. Was hat es mit den Seelenkriegern auf sich?
Christian Günther: Das kann ich noch nicht im Detail sagen, da es in den Romanen durchaus noch eine spannende Entwicklung zu diesem Aspekt gibt. Aber soviel sei verraten: Die Seelenkrieger sind künstlich geschaffene Wesen, die tausende menschliche Seelen in sich tragen. Diese verleihen ihnen ihre enorme Kraft und die Fähigkeit, wieder aufzuerstehen, wenn sie im Kampf fallen. Einst wurden sie geschaffen, um die Gerechtigkeit in der Welt zu beschützen, aber inzwischen haben viele ihre Bestimmung vergessen und verdingen sich in Söldnerarmeen oder als Arenakämpfer. Gor ist einer der wenigen, die versuchen, dem eigentlichen Sinn ihrer Existenz zu folgen.
Literatopia: In der Hauptstadt Alaris werden Vögel besonders verehrt. Wie kam es dazu? Warum bewundern die Menschen die Vögel so sehr? Hat es vielleicht damit zu tun, dass sie als fliegende Wesen quasi das Gegenteil der gefürchteten Meermenschen sind?
Christian Günther: Das trifft es recht gut, der Himmel ist, ähnlich wie bei uns, in Faar sehr positiv besetzt. Es werden auch keine Erdbestattungen durchgeführt, man äschert die Toten in traditionellen Grabfeuern ein. Trotzdem gibt es Katakomben und alte Grabkammern – natürlich sind die Bräuche nicht überall gleich.
Literatopia: Zu „Faar“ gibt es auch eine Novelle, „Herr der Wälder“. Kann man diese unabhängig vom Reihenauftakt lesen? Wovon handelt die Novelle?
Christian Günther: Diese Novelle kann man unabhängig von den Romanen lesen, sie lässt sich gut als Einstieg verwenden, um festzustellen, ob man meinen Stil mag und mit der Welt etwas anfangen kann. Chronologisch ist sie sozusagen der anderthalbte Band, die Handlung findet zwischen "Die Aschestadt" und "Blinde Wächter" statt. Als kleinen Bonus für "Allesleser" gibt es dann auch ein Wiedersehen mit Figuren aus der Novelle im zweiten Roman.
Literatopia: Mit Deiner „Edge of the World“-Tour warst Du dieses Jahr in Deutschland unterwegs. Wie kam „Faar“ bei den Lesern an? Gibt es ein Erlebnis, das Dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Christian Günther: Es macht mir großen Spaß, auf Buchmessen und Conventions unterwegs zu sein, dort meinen Stand zu haben und in Lesungen meine Welt vorzustellen. Natürlich ist es mühsam, gerade wenn man bei einem kleineren Verlag publiziert, neue Leser zu gewinnen, aber das geht ja den meisten so. Ich habe den Eindruck, dass sich Faar nach eher verhaltenem Beginn so ganz langsam herumspricht und seine Leser findet.
Besonders in Erinnerung blieb mir die Lesung auf der Fantasy-Leseinsel im Rahmen der Leipziger Buchmesse. An einem Freitagmorgen, kurz nach Öffnung des Geländes, rechnete ich nicht mit vielen Zuhören, doch plötzlich war es voll und fünfzig Zuhörer lauschten meinen Berichten aus Faar. Die Signierstunde danach, mit einer Schlange von Interessierten, setzte dem Ganzen dann die Krone auf.
Literatopia: Im Vergleich zu Deinen Cyberpunkromanen „under the black rainbow“ und „Rost“ – erhält die Fantasywelt von „Faar“ mehr Aufmerksamkeit?
Christian Günther: Das lässt sich tatsächlich schwer vergleichen, weil die Cyberpunk-Bücher ja schon vor zehn bzw. 15 Jahren erschienen sind. Damals stand ich mit meinem Stand noch relativ exklusiv auf Rollenspiel-Conventions, nur wenige andere Autoren waren dort anzutreffen. Es gab nicht einmal Social-Media-Plattformen! Heute ist das eine richtige Szene geworden, mit vielen Kleinverlagen, die richtig schöne und professionelle Bücher veröffentlichen.
Die Aufmerksamkeit für meine Bücher muss ich mir deshalb jetzt mit anderen teilen, gerade im Bereich der Fantasy gibt es ja zahllose Veröffentlichungen. Ich versuche deshalb, mich etwas vom "Fantasy-Mainstream" abzusetzen, um die Menschen anzusprechen, die meine Zielgruppe sind.
Aber um die Frage zu beantworten: Ja, die neue Reihe erhält mehr Aufmerksamkeit, was aber auch an der Aktivität von mir und dem Amrûn Verlag liegt.
Literatopia: In den letzten Jahren erscheinen vermehrt Romane, die sich mit typischen Cyberpunkthemen beschäftigen: Künstliche Intelligenzen, Virtuelle Realitäten, Körpermodifikationen etc. … ist das noch Cyberpunk? Und ist für Dich persönlich das Genre noch interessant?
Christian Günther: Der Cyberpunk ist zum Teil in anderen Genres aufgegangen, in modernen Thrillern beispielsweise werden oft Themen angesprochen, die man vor Jahren noch dem Cyberpunk zugerechnet hätte. Aber das Genre des CP hat sich aus meiner Sicht auch weiterentwickelt, viele Dystopien, die auch einmal ein großer Trend waren, bauen auf ähnlichen Szenarien auf und verwenden Elemente davon. Aber die bunten, verrückten und gleichzeitig düsteren Welten des Cyberpunks sind ja nach wie vor beliebt, nicht umsonst warten viele Spieler ungeduldig auf die Computerspielsensation "Cyberpunk 2077".
Ich persönlich mag das Genre immer noch, wobei ich in den vergangenen Jahren nicht mehr viel aus diesem Bereich gelesen habe. Dennoch werde ich mich demnächst wieder der Science Fiction zuwenden, was bei mir unweigerlich auch Streifzüge in die Welt des Cyberpunks beinhaltet.
Literatopia: Wenn Du an einem neuen Buch arbeitest – wer darf den Text zuerst lesen?
Christian Günther: Mein Hund hört ihn zuerst, wenn ich ihn in der Endkontrolle laut vorlese. Der gibt aber leider kein Feedback. Ansonsten sende ich ihn in der Regel direkt dem Verleger, der ihn an den Lektor weitergibt. Wichtig und interessant ist für mich aber z.B. das Urteil meines Bruders, der mit Fantasy eigentlich nicht viel Berührung hat. Wenn das Buch für ihn funktioniert, ist das ein gutes Zeichen.
Literatopia: Kommst Du neben Deiner Arbeit als Graphiker und Autor überhaupt noch zum Lesen? Welche Bücher haben Dich in den vergangenen Jahren besonders beeindruckt?
Christian Günther: Nicht so viel, wie ich gern würde, aber das sagt wohl fast jeder Buchinteressierte von sich. Ich habe aber auch festgestellt, dass ich schwerer zu beeindrucken bin als früher, ohne viel Leseerfahrung. Vielleicht, weil ich ein grantiger alter Sack geworden bin, vielleicht aber auch, weil ich mich viel mit Dramaturgie und Romanstruktur beschäftigt habe, derlei Wissen kann einem schon ab und an den Genuss eines Buches oder Films vermiesen.
Beim Nachdenken darüber, welche besonders beeindruckenden Leseerlebnisse ich in den letzten Jahren hatte, fallen mir interessanterweise lauter Horror-Romane ein, so z.B. Tim Currans "Blackout", "Kopfjäger" und "Die Wiedererweckten des Herbert West", Ronald Malfis "December Park" oder Danny Kings "Das Haus der Monster". Tolle Geschichten, die mir viel Lesevergnügen bereitet haben.
Darüber hinaus habe ich endlich einmal das Gesamtwerk von H.P. Lovecraft durchgearbeitet und auch die Geschichten um Kane, den Unsterblichen von Karl Edward Wagner erneut gelesen – die haben mich mit 14 oder 15 für die Fantasy entflammen lassen und gefielen mir noch immer sehr gut.
Literatopia: Wenn man Deine aktuellen Bilder auf Deiner Facebook-Seite anschaut, könnte man meinen, Du hast Dich der (digitalen) Landschaftsmalerei zugewandt?
Christian Günther: Das sind im Grunde nur Übungen. Ich intensiviere gerade meine Arbeit im Bereich des Zeichnens und Malens, und auch bei phantastischen Motiven geht es ja darum, die Landschaft realistisch zu zeigen. Ein Faar-Baum sieht einem echten Baum sehr ähnlich.
Literatopia: Auf Deiner Facebook-Seite gibt es auch eine Skizze zu Deinem neuen Projekt zu sehen, mit der Anmerkung „Die SF ruft nach mir …“ – kannst Du uns schon mehr darüber verraten?
Christian Günther: Die Skizze gehört zu einem Science Fiction-Roman, zu dem es bereits ein Exposé und ein paar Szenen gibt. Der liegt zusammen mit einigen anderen Konzepten auf dem Tisch und wird eines meiner nächsten Buchprojekte sein. Es geht um Kolonisten im Weltraum, in deren entstehender Gesellschaft viele Parallelen zu unserer Welt erkennbar werden. Durchaus anspruchsvolle SF, und ich hoffe, dem Thema gerecht werden zu können.
Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!
Autorenfoto und Illustration: Copyright by Christian Günther
Rezension zu "Die Aschestadt" (FAAR, Band 1)
Rezension zu "Blinde Wächter" (FAAR, Band 2)
Rezension zu "Am Seelenbrunnen" (FAAR, Band 3)
Rezension zu "Neon Samurai I - under the black rainbow"
Rezension zu "under the black rainbow" (Ausgabe von 2010)
Interview mit Christian Günther (2008)
Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.