Das Fleisch der Vielen (Kai Meyer, Jurek Malottke)

Verlag: Splitter-Verlag; (November 2018)
Gebundene Ausgabe: 96 Seiten; 19,80 €
ISBN-13: 978-3962192143

Genre: Horror


Klappentext

Bestseller-Autor Kai Meyer lockt in Deutschlands größtes Spukhaus!

Dreihundertfünfzig Zimmer, die seit Jahrzehnten leer stehen. Das Grand Hotel Astoria liegt im Herzen der Stadt, die Fenster blind, die Zugänge verriegelt. Bis zu seiner Schließung haben hier zehntausende Menschen übernachtet – und alle haben Spuren hinterlassen, die jetzt ein schleichendes, flüsterndes Grauen gebären. Als Jana und Tim in dem Gemäuer Zuflucht suchen, ahnen sie nicht, dass sie gerufen wurden. Bis sie eine Stimme aus den Schatten hören: „Das Fleisch der Vielen stillt den Hunger des Kollektivs.“ Die Vergangenheit erwacht zum Leben, und diesmal wird ihr niemand entkommen.


Rezension

Das Hotel Astoria in Leipzig. Früher eins der besten Häuser der Stadt und Deutschlands ist es heute mehr oder weniger verfallen. Seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt und leerstehend. Hierher flüchten sich Tim und Jana, als eine Demo furchtbar schief läuft und ausartet in einen offenen Kampf zwischen Rechten und Linken. Als die vorher offenstehende Tür ins Schloss fällt, müssen sie einen Weg nach draußen suchen. Anfangs voller Elan beschleicht vor allem Jana bald das Gefühl, dass noch etwas anderes in dem alten Gemäuer ist – und lauert. Ihre Ahnung stellt sich allzu bald als richtig heraus. Überall sind Haare, menschliche Haare, sie scheinen sich an Jana und Tim festzusetzen und eine seltsame Gestalt verfolgt sie. Eine Gestalt, die nicht fassbar, nicht greifbar, aber doch zu real ist. Und plötzlich geht es nicht mehr darum, dem Chaos vor dem Hotel zu entkommen, sondern nur noch einen Weg raus, in dieses Chaos zu finden. Denn alles ist besser, als das, was tief in den Kellern des Astoria auf sie lauert.

Das Fleisch der Vielen ist aus einer Zusammenarbeit zwischen Kai Meyer und der Band ASP hervorgegangen. Während ASP auf zwei CDs die Vergangenheit des Astorias in den zwanziger Jahren erkundete und die Vorgeschichte erzählte, hat sich Kai Meyer der Gegenwart zugewandt. Leider ist das aber nirgendwo im Comic vermerkt. Schade, denn die beiden Alben Verfallen Folge 1: Astoria und Verfallen Folge 2: Fassaden sind nicht nur an und für sich hörenswert, sondern erzählen sie eine Geschichte, die ebenso düster und gruselig und dabei auch tragisch ist, wie Kai Meyers Das Fleisch der Vielen. Und vor allem eignen sie sich ideal als Einstimmung auf den Comic und die Kurzgeschichte. Denn durch sie wird die Geschichte Kai Meyers abgerundet und es gibt eine Erklärung für die heutigen Ereignisse, denen Jana und Tim zum Opfer fallen. Wer sogar das Glück hat, ein Exemplar der Limited Editions der CDs zu finden, die eigentlich ausverkauft sind, der kann bereits im Booklet von Folge 1, Das Fleisch der Vielen lesen, da die Geschichte dort abgedruckt wurde und kommt bei Folge 2 auf der Bonus CD in den Genuss, einer Lesung der Geschichte durch Kai Meyer selbst lauschen zu können.
Das Fleisch der Vielen ist von Kai Meyer eine atmosphärisch dicht geschriebene Grusel/ -Horrorgeschichte, die eine dunkle Welt vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen lässt. Sobald Jana und Tim das Astoria betreten und die Tür zufällt, ist klar, dass die Geschichte kein gutes Ende nehmen kann. Ohne Blut oder mit viel Gewalt daher zu kommen, erschafft Kai Meyer in Das Fleisch der Vielen eine wahre Horroratmosphäre, in der ständig ein Gefühl der Bedrohung herrscht, welches sich immer weiter steigert, um den ganzen Wahnsinn, der sich immer weiter enthüllt, den größtmöglichen Schrecken verbreiten zu lassen. Allein in einem Zimmer die Geschichte lesend, erfasst einen ein Schauergefühl, welches sich erst nach beenden von Jana und Tims Geschichte abschütteln lässt. Das Schicksal von Jana und Tim geht einem trotz des geringen Umfangs nahe, da Kai Meyer sie mit wenigen Worten charakterisiert und dem Leser näher bringt. So entsteht eine effektvolle, spannende und düstere Horrorgeschichte, die mit neuen Ideen zu überzeugen weiß. An der Comicumsetzung ist Kai Meyer als Verfasser des Szenarios direkt beteiligt. Und er bricht seine Kurzgeschichte textmäßig auf das Notwendige herunter, nutzt aber direkte Zitate aus seiner Geschichte und verwendet sie für die Dialoge und Beschreibungen. Dadurch bleibt die sprachliche Wucht seiner Formulierungen erhalten und es wird einiges an Atmosphäre erschaffen, sofern der Text für sich betrachtet wird. Leider gibt es nun ein Aber – und das sind die leider unpassenden Zeichnungen.

Jurek Malottke nennt sich selbst „der skrupellose Illustrator“ und das passt. Denn man muss schon wirklich skrupellos sein, um der atmosphärisch dichten und unheimlichen Geschichte von Kai Meyer das anzutun, was Malottke hier abliefert. Die Zeichnungen wirken eher wie nebenbei entworfen und nicht als hätte er ernsthaft versucht eine Horrorgeschichte umzusetzen und sie mit der entsprechenden Atmosphäre zu versehen. Gerade die Geschichte um das Astoria, einem Ort, der seit Jahren leer steht und in dem etwas Böses haust, hätte sich angeboten zu dunklen, düsteren Bildern, die dem Leser hätten Angst einjagen können. Stattdessen geht bereits die Farbgebung mit ihren teilweise hellen Farben am Thema vorbei. Zwar kann ein solcher Kontrast zwischen Farben und Inhalt, die Wirkung an manchen Stellen verstärken, wenn es gut eingesetzt wird, nur wird es das leider nicht. Wirklich hässliche Zeichnungen und eine unpassende Farbgebung schmälern das Lesevergnügen beträchtlich. Dabei zeigen die Charakterstudien im Bonusteil, dass Jurek Malottke es viel besser gekonnt hätte. Den ganzen Comic in dem Stil und es hätte eine perfekte Comicadaption von Kai Meyers Geschichte werden können oder man hätte sich gleich an ASPs bevorzugten Künstler Timo Würz wenden sollen, der mehr als einmal bewiesen hat, dass er die ideale Wahl für solche Stoffe ist. So aber funktioniert Das Fleisch der Vielen nicht als Comic, da Zeichnungen und Text nicht Hand in Hand gehen, sondern qualitativ zu weit auseinander liegen. Jurek Malottke schafft es zu keinem Zeitpunkt Gefühle zu vermitteln und dem Leser die Charaktere  wichtig werden zu lassen. Hier hätte jemand ran gemusst, der das Gespür für den richtigen Stil hat, denn zeichnen kann Jurek Malottke, wie er im Bonusteil beweist, aber der gewählte Stil ist hier völlig fehl am Platz. Hier hätte es eines opulenteren Stils bedurft, dem Astoria und der Geschichte angemessen, die im Stil klassischen Horrors ist, wie er auf den Seiten von Poe, Mary Shelley oder anderen Autoren der damaligen Zeiten zu finden ist.

Der Bonusteil ist üppig ausgefallen und hat viel zu bieten. Vor allem die Kurzgeschichte Das Fleisch der Vielen selbst, die hier zum ersten Mal außerhalb des CD-Booklets abgedruckt wird und die ein absoluter Kaufgrund ist. Dazu gibt es desweiteren einen Einblick in den Entstehungsprozess durch den Abdruck von Skizzen, Tuschezeichnungen und Charakterstudien. Letztere zeigen, was möglich gewesen wäre, wenn sich Malottke für einen anderen Stil entschieden hätte.


Fazit

Kai Meyers Kurzgeschichte Das Fleisch der Vielen hat alles was eine Horrorkurzgeschichte braucht und ist ein großes Lesevergnügen und ebenso ein großer Pluspunkt und Kaufgrund für diesen Comic. Die Comicumsetzung versagt leider bei dem, was eigentlich ihre Stärke sein sollte, die visuelle Umsetzung! Vielleicht ist die Vorlage deswegen zum ersten Mal hier mit abgedruckt worden, was für Kai Meyer-Fans mit Sicherheit ein Grund zur Freude ist.


Pro & Contra

+ die Kurzgeschichte Das Fleisch der Vielen ist enthalten
+ Kai Meyer hat ein gutes Szenario geschrieben

0 die Zusammenarbeit Kai Meyers mit ASP wird nicht erwähnt

- Zeichnungen von Jurek Malottke sind einfach unpassend, zu grob und ohne Gefühl

Bewertung:

Charaktere: 4/5
Handlung: 5/5
Zeichnungen: 2/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5


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Tags: Kai Meyer