Maja Ilisch (17.02.2019)

Interview mit Maja Ilisch

maja ilisch2019Literatopia: Hallo, Maja! Ende Februar erscheint mit „Das gefälschte Siegel“ der Auftaktband zu Deiner „Neraval“-Sage. Was erwartet die Leser?

Maja Ilisch: Wenn die Leser so ticken, wie ich das hoffe, bekommen sie erstmal einen ganz klassischen High-Fantasy-Roman … der dann auf den zweiten Blick doch nicht mehr so klassisch ist. Der Slogan, den der Verlag und ich fürs Marketing gewählt haben, beginnt nicht von ungefähr mit „Traue niemandem“ - und je mehr die Leser anfangen, die Figuren zu hinterfragen, den Plot, die ganze Welt, bis sie nicht mehr wissen, woran sie wirklich sind, desto glücklicher macht mich das.

Wir haben also Damar, den Helden, der vor tausend Jahren den Dämonenfürst bezwungen und in einer Schriftrolle eingesiegelt hat. Bloß, ist der Dämon immer noch in der Schriftrolle? War Damar wirklich so ein großer Held? Sagt hier überhaupt irgendjemand die Wahrheit? Ich kann jetzt tun, als wäre ich voll am Puls der Zeit, und behaupten, ich hätte den Fantasyroman für das postfaktische Zeitalter geschrieben, bloß, als ich mir die Geschichte ausgedacht habe, war das Wort „postfaktisch“ noch lange nicht erfunden.

Trotzdem, traue niemanden. Keinem noch so alten Siegel, keinen Gefährten, und erst recht nicht der Autorin …

Literatopia: Von der ersten Idee bis zum fertigen Buch vergingen ganze dreizehn Jahre. Warum hat es so lange gedauert, den Roman fertig zu stellen? Und hat sich von der ersten bis zur letzten Fassung viel verändert?

Maja Ilisch: Lieber Himmel, ja! Die erste Idee hat praktisch nichts mehr mit dem Buch, das jetzt herauskommt, gemein. Die Geschichte handelte von einer lesensmüden Buchhändlerin und einer Autorin, die erfahren muss, dass ihre großartige Fantasytrilogie nach dem ersten Band eingestellt und verramscht wird. Die Autorin versetzt die Buchhändlerin in die Welt ihrer Geschichte, damit sie dort den Dämon aufhalten kann, bevor der in die wirklich Welt ausbricht … Ehrlich, eine ziemlich wirre Geschichte.

Ich war damals arbeitslose Buchhändlerin, schaffte es nicht, in der Branche wieder Fuß zu fassen, hatte eine ziemlich traumatische Zeit im Vertrieb eines Zuschussverlags hinter mir und wollte eigentlich mit der ganzen Branche abrechnen. Dafür brauchte ich für die Geschichte-in-der-Geschichte einen ganz klassischen, aber trotzdem unverbrauchten, Fantasyplot. „Die Welt in der Wühlkiste“, so mein Arbeitstitel, ist nicht über die ersten zwanzig Seiten hinausgekommen - ich konnte meine Hauptfigur einfach nicht ausstehen.

Jahre später habe ich diese Ruine dann ausgeschlachtet und mir gedacht, aus dem Fantasyplot mit dem gefälschten Siegel kann man eigentlich was machen, und dann ist in relativ kurzer Zeit die erste Fassung der heutigen Geschichte entstanden. Bis zur Druckreife hat es dann aber nochmal Jahre gedauert, heftige Überarbeitungen - de facto habe ich das Buch dann im Lektorat nochmal komplett neu geschrieben. Es ist einfach viel Arbeit, bis aus einem Dämon mit dem Platzhalternamen “Gunnar“ der fürchterliche La-Esh-Amon-Ri werden kann.

Literatopia: Du hast mit Deinen Charakteren sehr viel Zeit verbracht – was macht Kevron, Lorcan, Enidin und Tymur so besonders?

Maja Ilisch: Meine Figuren, ihre Persönlichkeiten und Hintergründe sind für mich immer extrem wichtig. Ich gehöre zu den Autoren, die ihre Geschichten mehr über die Charaktere als über den Plot vorantreiben. Ich wette aber, jeder andere Autor betont genauso, dass die Figuren das Wichtigste sind, da bin ich sicher nicht die einzige.

Was meine Figuren von vielen anderen unterscheidet, ist, dass sie eigentlich alle irgendwie angeknackst sind. Ich tue mich schwer mit edlen Helden in strahlenden Rüstungen. Insofern ist Kevron eine für mich sehr typische Figur: Er ist kaputt, versifft, depressiv, feige und Alkoholiker. Im Verlauf der Geschichte entwickelt er sich, er wird auch, zumindest stellenweise, über sich hinauswachsen, aber er macht keine 180 Grad-Wendung durch, man schüttelt Depressionen und Abhängigkeiten nicht einfach so ab, nur weil der König einen Auftrag hat. Für mich ist er ein Sympathieträger, aber ich kann mir vorstellen, dass es einige Leser bei ihm schütteln wird, und andere werden stattdessen ihn schütteln wollen.

Tymur ist auf den ersten Blick Kevrons genaues Gegenteil, selbstbewusst, gutaussehend, charmant, aber er ist auch undurchsichtig, kann sehr tückisch sein und ist mehr ein kalter Fisch denn ein strahlender Held. Er hat seine eigene Agenda; er trägt seine Narben unter der Haut und verbirgt sich gut hinter einem Lächeln. Er tritt auf den ersten Blick auf wie ein hohler Schwätzer, aber dahinter tun sich bald Abgründe auf. Mit Tymur zu arbeiten hat mir besonderen Spaß gemacht, weil er so ein geschickter Manipulator ist - als Autorin bin ich dran gewöhnt, dass meine Figuren machen, was sie wollen, aber bei Tymur hatte ich mehr das Gefühl, dass ich machen soll, was er will.

Lorcan und Enidin hingegen haben es mir beim Schreiben schwerer gemacht. Ich habe zu ihnen nicht so schnell einen Draht gefunden wie zu Kevron und Tymur. Lorcan war mir einfach zu edel, und ich habe immer wieder versucht, ihn umzubiegen, ihn irgendwie anzuranzen, weil ich dachte, er ist so aufrichtig und ehrlich und vom Guten getrieben, dass ihn bestimmt alle Leser langweilig finden. Es hat eine Weile gedauert, bis ich selbst seine Kanten gefunden habe, ohne ihn korrumpieren zu müssen - das war vielleicht meine größte Erkenntnis bei diesem Buch: dass jemand heldenhaft sein kann, ohne platt oder langweilig sein zu müssen.

Das Problem bei Enidin wiederum war, dass sie einfach viel zu sehr mir selbst ähnelte. In der ersten Fassung war sie eine vierzehnjährige Klugscheißerin, zu sehr von sich eingenommen, um wirklich sympathisch zu wirken, und wirklich sehr ein Abziehbild von mir als Teenager, nur dass ich natürlich nicht ihre magischen Fähigkeiten hatte. Beim Überarbeiten habe ich sie komplett durch die Mangel gedreht, sie älter gemacht, sie ernster genommen, vor allem aber ihr erlaubt, ein Nerd zu sein, ohne die ganze Zeit dagegen ankämpfen zu wollen. Wirklich, wir brauchen mehr nerdige Zauberinnen in der Fantasyliteratur. Und nur weil ich auch ein Nerd war, heißt das nicht, dass sie genau so sein muss wie ich. Auch für Nerds gibt es Spielraum.

Was ich an den Figuren aber am meisten schätze, ist, wie sie als Gruppe funktionieren - sie halten nicht zusammen wie Pech und Schwefel, trauen sich erstmal nicht weiter, als Kevron sie werfen könnte, und müssen sich mühsam zusammenraufen, aber die Freundschaften, die sich nach und nach entwickeln, wirken auf mich sehr echt und natürlich. Auch wenn unterm Strich Kevron und Tymur die eigentlichen Hauptfiguren sind, ist es doch ein Ensemblestück, das vom Wechsel der Perspektiven lebt.

Literatopia: Wie sieht die Welt von „Das gefälschte Siegel“ aus? Ist sie klassisch mittelalterlich geprägt?

Maja Ilisch: Ja und nein. Neraval war für mich erst so eine klassisch mittelalterliche Fantasywelt, dass ich nicht viel Mühe gemacht habe, das Land näher zu beschreiben - ich dachte, der Leser setzt da einfach eine generische, tausendmal gelesene Fantasywelt ein und gut ist, und ich kann mich auf meine komplexen psychologischen Verstrickungen konzentrieren. Das hat mir mein Lektor komplett um die Ohren gehauen, und zu Recht. Ich habe da ein neues Wort lernen müssen: Die Welthaftigkeit fehlte – das Gefühl für Land und Leute, und wenn ein Dämonenfürst die Welt bedroht, muss überhaupt erstmal eine Welt da sein, damit der Leser auch etwas dafür empfinden kann.

Und weil man eine Welt nicht einfach so unter eine Geschichte drunterheben kann wie Eischnee, war das der Grund, warum ich das Buch dann nochmal komplett neu geschrieben habe - wovon dann auch die Figuren selbst profitieren durften. Anders als viele Fantasyautoren, die mit dem Weltenbau anfangen und dann die Figuren einziehen lassen, ist Neraval in der detaillierten Ausarbeitung erst viel später entstanden - ich habe mir die Geschichte angeschaut und dann die passende Welt drumherum erschaffen.

So mittelalterlich ist es dann tatsächlich nicht geworden. Architektonisch würde ich Neraval mit dem England des 16. Jahrhunderts vergleichen, und auch der technische Stand ist in vieler Hinsicht mehr Renaissance als Mittelalter. Aber man kann das nicht linear betrachten: In meiner Welt gibt es Magie, und wo der Mensch Magie nutzt, werden manche technischen Errungenschaften schlichtweg nicht nötig sein, dank Magie fehlt da der Leidensdruck zur Weiterentwicklung.

Ich habe also eine auf den ersten Blick irgendwie mittelalterlich anmutende Burg mit einem hinreichend altertümelnden Städtchen aus bezaubernden Fachwerkhäusern, aber man darf nicht das europäische Mittelalter nehmen, Magie hinzufügen und denken, dass sich das jetzt genau wie bei uns entwickelt, nur eben mit Magie.

Bedingt durch die Magierakademien ist ein Gutteil der Entdeckungen und Forschungen magischer Natur. Dabei ist meine Welt durch und durch sexistisch, aber auf andere Weise, als man das aus unserer Welt kennt: Frauen gelten als intellektuell und verkopft. Sie können keine Herrscher werden, weil ihnen nicht zugetraut wird, schnelle Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen, und gelten auch als nicht zum Kämpfen geeignet - dafür stellen sie die führenden Mathematiker und Naturwissenschaftler, was soweit geht, dass man Männern jedwedes intellektuelle Potenzial abspricht.

Männer lernen daher Elementarmagie, intuitiv und eindrucksvoll mit Feuerbällen und Co., während Frauenmagie aus herausfordernden theoretischen Konstrukten und der Manipulation der Wirklichkeit auf Basis komplexer Berechnungen besteht - kein Wunder, dass Enidin so nerdig geraten ist. Sie bemüht sich, einfache Worte zu finden, wenn sie den Männern erklärt, was sie gerade tut, tatsächlich ist sie aber auch nur ein Kind ihrer Zeit und Gesellschaft: Es ist nicht so, dass Männer diese Art vom Magie nicht lernen könnten. Man bringt sie ihnen nur nicht bei.

Es hat mir Spaß gemacht, eine Gesellschaft zu entwickeln, die nur auf den ersten Blick vertraut ist und dann doch ganz andere Wendungen nimmt. Insofern ist es eine mittelalterlich aussehende, aber dann doch nicht so mittelalterliche Welt geworden.

Literatopia: „Die Spiegel von Kettlewood Hall“ von „Das Puppenzimmer“ spielen beide um die Jahrhundertwende 19./20. Jahrhundert. Was fasziniert Dich am viktorianischen England?

Maja Ilisch: Es ist zum einen eine Epoche, in der ich mich sehr gut auskenne - gut erschlossen, es gibt viel Literatur über die Zeit, aber auch viele zeitgenössische Quellen, aus denen man sich ein eigenes Bild machen kann. Ich recherchiere fanatisch. Wo es um historische Fakten geht, muss alles stimmen, ich will mir nichts aus den Fingern saugen, und da habe ich mit dem späten 19. /frühen 20. Jahrhundert eine Zeit gefunden, zu der ich alles herausfinden kann, was ich suche - und wenn es der Preis für ein Hühnerei oder einen Pelzmantel im Jahr 1921 geht.

Ich liebe seit meiner Jugend die klassischen Schauergeschichten à la Wilkie Collins, und als ich dann selbst angefangen habe, mit gruseligen Herrenhäusern zu arbeiten, war es eine Selbstverständlichkeit, sie dann auch in der entsprechenden Ära anzusiedeln. Den genauen Zeitpunkt mache ich dann von verschiedenen Umständen abhängig:

So spielen bei den „Spiegeln von Kettlewood Hall“ Kinderarbeit und die Einführung der allgemeinen Schulpflicht eine Rolle, womit klar war, ich bin noch im 19. Jahrhundert - auf der anderen Seite brauchte ich eine bestimmte Schachregel, die erst in den 1880ern aufgekommen ist, so dass ich am Ende im Jahr 1886 gelandet bin. Beim „Puppenzimmer“ hingegen wollte ich mit klassischen Porzellanpuppen arbeiten - die sind aber längst nicht so lang auf dem Markt, wie viele denken, und da sie in der Geschichte dann schon ein paar Jahre alt sein sollten, bin ich 1906 ausgekommen.

Großbritannien als Schauplatz ergibt sich für mich aus den Gaslicht-Vorbildern - es ist aber auch ein Land, über das ich sehr viel weiß, das ich kreuz und quer bereist habe und sehr liebe. Ich war buchstäblich überall außer in London - und London lässt sich so gut recherchieren, dass bis jetzt noch keine Leser gemerkt hat, dass ich da noch nie war. Ich bin mal in der Victoria Station umgestiegen, das war es schon. Aber den Rest des Landes kenne ich wirklich gut.

Vom Schreiben her meine liebste Epoche sind tatsächlich die 1920er - eine Zeit der Umbrüche und Aufbrüche, in der Europa noch die Narben des Ersten Weltkriegs leckt und dabei auf die große Katastrophe zusteuert. Ich habe eine ganze Romanreihe geschrieben über einen Geisterfotographen im England der 1920er, für die es nur zur Zeit keinen Markt gibt - zu wenig Fantasy, zu viel Historik, das macht es schwer, die Titel zu positionieren. Vielleicht hören wir später nochmal etwas von Percy. Ansonsten bin ich froh, dass mein anderes Lieblingsgenre die High Fantasy ist und High Fantasy ist einfach nicht totzukriegen.

Literatopia: Was ist der Unterschied zwischen Steampunk und Gaslight-Fantasy/Mystery?

Maja Ilisch: Steampunk ist gewissermaßen historische Science-Fiction: Man setzt voraus, dass sich die Technik anders entwickelt hat als in der wirklichen Welt. So hat sich nicht Elektrizität als primäre Antriebskraft durchgesetzt, sondern Dampfkraft - daraus ergibt sich dann eine eigene Ästhetik mit viel Messing und Zahnrädern, wo jeder, der was auf sich hält, einen Zylinder plus Schweißerbrille trägt. Steampunk sagt aber erst einmal nur etwas über das Setting aus – es sind dort wirklich alle Arten von Geschichte zu erzählen.

Gaslicht hingegen definiert den Inhalt – es geht immer um Geheimnisse, Suspense, Mystery. Für die Gaslicht-Fantasy wird der tatsächliche Technikstand im irdischen 19. Jahrhundert vorausgesetzt - Gaslicht deswegen, weil damit zumindest eine Zeitlang Häuser und Straßen beleuchtet wurden, bevor sich die deutlich leichter zu verlegende Elektrizität durchgesetzt hat. Das ist zum Gattungsbegriff für trübfunzelige Herrenhäuser und dunkle Familiengeheimnisse geworden - das geht vom klassischen Wilkie Collins über den Film „Gaslicht“ aus den 1940ern hin zu einer gleichnamigen Groschenheftreihe aus den 1970ern.

Gaslicht-Fantasy habe ich es genannt, um keine falschen Steampunk-Hoffnungen zu wecken, das Gruselelement in den Vordergrund zu rücken, aber auch klar zu sagen, dass bei mir phantastische Elemente im Spiel sind und die Auflösung des Geheimnisses immer einen Hauch des Übernatürlichen beinhaltet.

Ich finde Steampunk absolut toll. Ich weiß nur zu wenig darüber, um mich dort als Autorin sicher zu fühlen. Allerdings arbeite ich gerade - ich habe immer sehr viele Bücher parallel in der Mache - an einer Fantasygesschichte mit einem Clockworkpunk-Setting, also in einer eigenen Welt angesiedelt, in der die technische Entwicklung nicht auf Elektrizität oder Dampf, sondern Federn und Zahnräder setzt.

Das war bei der ersten Idee eine ganz bezaubernd zerbrechliche Geschichte mit glänzendem Messing und bunten Glas - und je weiter ich die Welt ausarbeitete, desto kaputter, dreckiger, lauter und hässlicher wurde alles. Inzwischen spielt diese Geschichte also in einem buntgläsernen Überwachungsstaat, wo Scharfschützen auf allen Dächern liegen: Man darf mir echt nichts Schönes in die Hand geben, ich kriege alles kaputt.

puppenzimmerLiteratopia: Du liest gerne Rezensionen zu Deinen Büchern. Was ist das Wichtigste, das Du bisher daraus lernen konntest? Und hast Du Dich über manch unsachliche Kritik auch geärgert?

Maja Ilisch: Als ich „Das Puppenzimmer“ veröffentlicht habe, wusste ich, dass der Schluss kontrovers aufgenommen werden würde, und als genau das passierte, hat es mich nicht weiter geschockt oder getroffen. Ich wusste nicht, wie mein Stil bei den Lesern ankommen würde - ich habe eine sehr spezielle Art mich auszudrücken, ich mag lange, fließende Sätze, ungewöhnliche Bilder, und rechnete mit mehr Augenrollen bei den Lesern, aber tatsächlich kam meine Sprache bei den allermeisten Lesern wirklich sehr gut an.

Natürlich kommt dann immer mal jemand, der das grauslich findet, und das ist jedermanns Recht: Wenn ich sage, ich will nicht beliebig sein, ich will nicht nur anderen nach dem Mund schreiben, dann muss ich damit leben, dass das nicht jeder mag. Wenn also ein Rezensent meint, dass meine Sprache unerträglich ist, dann hat derjenige wohl insofern recht, als dass er oder sie meine Sprache nicht ertragen hat. Da muss ich durch.

Richtig getroffen haben mich dann Rezensionen, die meinten, meine Figuren sind flach und eindimensional. Siehe oben: Meine Figuren in ihrer psychologisch ausgefeilten Komplexität sind doch mein höchstes Gut, wie kann jemand es wagen, sie platt zu nennen? Meine Hauptfigur, Florence, wurde ausdrücklich ausgenommen, aber die Nebenfiguren kamen nicht gut weg: Wenn das ein Rezensent sagt, kann man das verschmerzen. Sagen das zwanzig, ist da wohl was dran.

Also habe ich das Buch selbst noch mal kritisch gelesen und musste letztlich zustimmen: Gerade weil ich in dem Buch so sehr mit allen Klischees des klassischen Gaslichtromans spiele, um den Lesern dann mit dem völlig unerwarteten Schluss den Boden unter den Füßen wegzuziehen, waren die Nebenfiguren tatsächlich solche Gaslicht-Archetypen, das es ihnen an Individualität mangelte: der düster-zynische Hausherr, der kernige Bursche, die freundlich-naive Küchemagd … Ich hing an den Figuren, aber wirklich, das hätte ich besser hinbekommen.

Für das „Puppenzimmer“ kam die Kritik zu spät, Buch fertig, Chance vertan, aber als ich danach die „Spiegel von Kettlewood Hall“ geschrieben habe, habe ich akribisch darauf geachtet, dass jeder, bis hin zur kleinsten Nebenrolle, seine eigene Agenda mitbringt, einen Hintergrund und Gefühle hat. Und das haben die Leser auch wahrgenommen. Diesmal haben die allermeisten Rezensenten die ausgefeilten Figuren gelobt.

Kritikpunkt bei „Kettlewood“: Die Liebesgeschichte. Ich bin, das muss ich zugeben, nicht die romantischste aller Autorinnen. Eher das Gegenteil. Ich kann Liebesgeschichten schreiben, aber sie fallen mir immer ein bisschen schwerer, als wenn es darum geht, wie und warum eine Figur sich betrinkt. Aber in einen klassischen Gaslichtroman gehört eben auch eine Liebesgeschichte, und weil meine Lektorin und ich uns einig waren, dass Iris kein Arschloch bekommen soll, ist ausgerechnet ihr Love Interest im Vergleich zu den anderen Figuren ein bisschen zu weichgespült worden.

Die Liebesgeschichte nimmt so oder so nicht den größten Teil der Handlung ein, aber auch hier gilt: Machen wir nächstes Mal anders - dann ist er eben ein Arschloch, und sie erkennt es, zeigt ihm den Stinkefinger und reitet allein in den Sonnenuntergang. Ich war froh, dass ich beim „Gefälschten Siegel“ keine solchen Vorgaben in Richtung Liebesgeschichte hatte. Liebe spielt eine Rolle, stellenweise, aber die Schwerpunkte liegen bei mir eigentlich immer anderswo.

Jetzt warte ich gespannt darauf, wie das „Gefälschte Siegel“ bei den Lesern und Rezensenten ankommt. Ich hoffe ja, sie mit ein, zwei Plotwendungen auf dem falschen Fuß zu erwischen, ich führe meine Leser einfach zu gern an der Nase herum, und sehe hinterher, ob und wie mir die Leser das danken. Persönlich werde ich als Leserin ja gerne überrascht, aber ein unerwartetes Ende bedeutet ebenso, dass es nicht unbedingt das Ende ist, das der Leser gerne gehabt hätte …

Im Moment folge ich mit Feuereifer den Leseeindrücken auf vorablesen.de, wo man sich die ersten fünfzig Seiten als Leseprobe herunterladen und dann eine Mini-Rezension dazu schreiben kann. Ich hatte wirklich Alpträume, das Buch würde völlig am Lesergeschmack vorbeigehen - ich glaube, es ist typisch für alle Autoren, sich unmittelbar vor der Veröffentlichung in zitternde Nervenbündel zu verwandeln - und bin jetzt heilfroh, dass der Tenor so positiv ist, die Figuren so gut ankommen und ausgerechnet der vermeintlich langweilige Lorcan schon dabei ist, sich seine eigene Fanbase aufzubauen.

Und dann … wir werden es sehen. Gegenwärtig arbeite ich am zweiten Teil der Neraval-Sage, die als Trilogie geplant ist, und habe dann die Möglichkeit, direkter auf Leserkritik zu reagieren als bei in sich abgeschlossenen Büchern, wo die Klappe zu und der Affe tot ist. Das heißt aber sicherlich nicht, dass ich die Geschichte dann per Mehrheitsbeschluss zu Ende bringe, eher im Gegenteil: Wenn ich das Gefühl bekomme, dass zu viele Leser den Plot knacken konnten, werde ich zusehen, dass ich dem stattdessen eine ganz andere, neue Wendung gebe.

Ärgern tue ich mich bei Rezensionen eigentlich immer nur dann, wenn ich das Gefühl habe, die Leser haben das Buch nur so überflogen: Wenn die Namen der Hauptfiguren falsch wiedergegeben werden. Wenn völlig falsche Sachen über die Handlung erzählt werden. Spoiler sind schon ärgerlich genug, aber wenn der Rezensent etwas erzählt, das im Buch überhaupt nicht passiert, dann frage ich mich, welches Buch da der überhaupt gelesen hat.

Grundsätzlich trifft mich aber eine Ein-Stern-Rezension zu einem Buch, das erst einen Lektor überzeugen konnte und dann einer Reihe anderer Leser gut gefallen hat, nicht. Da tut es viel mehr weh, wenn ein Manuskript, das ich über alles liebe und bei dem ich mir große Hoffnungen gemacht habe, bei allen Verlagen durchfällt. Verreißen kann man ein Buch erst dann, wenn es die übrigen Hürden mit Bravour genommen hat.

Literatopia: Du hast bereits verschiedenste Job ausgeübt – welche zum Beispiel? Und was konntest Du daraus für Deine Bücher mitnehmen?

Maja Ilisch: Eigentlich wollte ich immer Schriftstellerin werden, so ab dem Alter von zehn, elf Jahren, als ich schweren Herzens einsehen musste, dass die große Zeit der Seeräuber wohl vorbei war und meine Zukunftsaussichten in dem Beruf entsprechend schlecht. Ich habe aber nie wirklich geglaubt, dass das klappen würde, ich dachte, ich bekomme nie irgendwas veröffentlicht, und meinen Eltern war wichtig, dass ich was Richtiges lerne.

Ich habe in der Stadtbücherei gejobbt und Teddybären gemacht, mit denen ich in der Oberstufe und noch während des Studiums ganz gut verdient habe. Aber ich wollte Teddys nie hauptberuflich machen, und der große Hype hat die Jahrtausendwende nicht überstanden. Am liebsten hätte ich Chemie studiert und wäre Toxikologin in der Gerichtsmedizin geworden, alternativ Regisseurin oder Cutterin beim Film.

geigenzauberAber das alles war zu speziell, um mir realistisch zu erscheinen, und Bücher habe ich schon immer geliebt, also habe ich dann Bibliothekswesen studiert, und im Anschluss, weil ich keinen Job gefunden habe, noch eine Ausbildung zur Buchhändlerin gemacht und kann jetzt voll stolz sagen, dass ich schon in allen Bereichen des Buchwesens arbeitslos war. Buchhandel, Verlag, Bibliothek - alles mal gemacht und nichts für wirklich lange.

Zwischendurch habe ich auch mal Wärmflaschen verkauft oder im Rahmen eines Ein-Euro-Jobs als Langzeitarbeitslose einen Friedhof katalogisiert. Ich lerne schnell, ich finde mich in neue Aufgabenfelder gut ein, aber unterm Strich ist es immer auf eine Sache rausgelaufen: Ich liebe im Leben nichts so sehr wie das Schreiben. Selbst als ich endlich Arbeit als Bibliothekarin hatte und dachte, ich habe meinen Traumjob, war ich doch nicht so gut darin, wie ich gerne gewesen wäre, und als die Stelle dann kein drittes Mal verlängert werden konnte, habe ich Nägel mit Köpfen gemacht und mich zur selbständigen Schriftstellerin erklärt. Da bin ich jetzt, da will ich bleiben.

Gelernt habe ich aus meiner Berufslaufbahn vor allem das Hinfallen, aufstehen, wieder hinfallen, weiterträumen. Das war tatsächlich eine sehr gute Vorbereitung für das Leben als Berufsautorin: Man muss so dermaßen viele Rückschläge verkraften, so viel Zurückweisung erleben, so viel zähes, ungewisses Warten, dass es gut ist, darin schon Übung zu haben. Und darüber nie die Hoffnung zu verlieren, den Glauben daran, dass man es trotzdem schaffen kann. Ich habe mich 2006 auf fünf bis zehn Stellen pro Woche beworben – jeden einzelnen Bürojob, der im Umkreis von dreißig Kilometer ausgeschrieben war. Rumgekommen ist nichts. Wenn mich das nicht auf das Autorenleben vorbereitet hat, weiß ich es auch nicht.

Mitnehmen konnte ich mir davon aber auch viel Positives. Als Bibliothekarin habe ich das akribische Recherchieren gelernt. Ich will etwas wissen? Ich finde es heraus. Meine Erfahrungen als Buchhändlerin haben mich realistisch an meine Verkaufschancen als Autorin herangeführt - ich weiß, was die Leute lesen wollen, und dass sich das eben nicht immer mit meinem persönlichen Geschmack deckt, aber auch, dass es genau die richtigen Verlage für mich und meine Bücher gibt.

Aber egal, wo ich gearbeitet habe, ich hatte immer mit Menschen zu tun, allen Arten von Menschen, und ich denke, Menschenkenntnis und Empathie gehören zu den wichtigsten Dingen, die man als Autor beherrschen sollte. Egal in welchem Genre oder mit welchem Anspruch, egal ob realistische Literatur oder High Fantasy: am Ende handeln alle unsere Bücher von Leuten. Und selbst wenn diese Leute dann keine Menschen sind, sondern Zwerge, Orks oder, wie im „Gefälschten Siegel“, Alfeyn, es ist unsere eigene Menschenkenntnis, auf deren Basis wir sie zum Leben erwecken.

Literatopia: Wovon handelte die erste Geschichte, die Du geschrieben hast? Und wer durfte sie damals lesen?

Maja Ilisch: Meine erste Geschichte hieß „Zirkus in der Stadt“. Ich war sieben, acht Jahre alt und damals sehr extrovertiert, was bedeutete, dass jeder, absolut jeder, sie lesen musste – Eltern, Lehrer, Mitschüler und die gesamte Verwandtschaft. Die Geschichte ist nicht fertig geworden. Der Löwe ist entkommen und wurde im Schrebergartenhaus eingesperrt - dann hatte ich aber keine Ahnung, wie ich ihn da wieder rausgekommen sollte: Wenn man die Tür aufmacht, läuft der Löwe ja wieder raus. Also endete die Geschichte mit dem Löwen in der Laube. Wahrscheinlich ist er inzwischen verhungert.

Ich bin immer gut darin, meine Geschichten in so eine Sackgasse zu manövrieren und nicht mehr rauszukommen. Als ich 1993 meinen ersten richtigen Fantasyroman schrieb, habe ich in Rekordzeit achtzig Seiten handschriftlichen Text fabriziert - dann saßen alle meine Helden im Kerker und ich wusste nicht mehr weiter. Auch sie dürften inzwischen verhungert sein.

Und auch die Neraval-Sage ist betroffen: Ich habe schon 2011 angefangen, den zweiten Teil zu schreiben, und ihn vor die Wand gefahren, als meine Heldengruppe in eine geheimnisvolle Höhle wanderte und ich keine Ahnung hatte, was für eine Höhle das sein sollte. Es ist gut, dass ich dieses Buch jetzt nochmal komplett von vorn aufgezogen habe: Neu! Diesmal auch mit Plot!

Literatopia: Du warst schon als Kind süchtig nach Büchern. Welche Geschichten haben Dich nachhaltig beeindruckt? Hattest Du ein Lieblingsbuch, das Dir hundertfach vorgelesen werden musste?

Maja Ilisch: Das wäre dann wohl „Wo die Wilden Kerle wohnen“ von Maurice Sendak. Das habe ich so oft vorgelesen bekommen, dass meine Mutter den Text auswendig konnte, und als ich als Dreijährige überstürzt ins Krankenhaus musste, konnte meine Mutter mir die Geschichte „vorlesen“, ohne dass wir das Buch dabeigehabt hätten.

Dann die Mumin-Bücher von Tove Jansson. Mit denen bin ich aufgewachsen, habe erst nur die lustigen Geschichten geliebt und später die wundervolle Philosophie dahinter, und in diesen kleinen Trollen steckt so viel Herzenswärme und Menschenkenntnis, das ich niemanden kenne, den ich nicht irgendwo in diesen Büchern wiederfinde.

Als ich das Vorstellungsgespräch für meine Buchhandelsausbildungsstelle hatte, war ich ein Ausbund an Professionalität und natürlich völlig verkrampft - und dann fragte mich meine spätere Chefin abrupt, ob ich die Mumins kenne. Ich bin aufgeblüht vor Begeisterung. Sie fragte mich, mit welcher Figur ich mich da am meisten identifizieren würde, und ich sagte ihr ohne zu zögern, dass ich ganz sicher der Schnupferich bin. Sie meinte, das träfe sie gut, sie ist die Kleine My, und danach wussten wir beide, woran wir waren.

Dann noch natürlich „Alice im Wunderland“. Das Buch liebe ich, sammle ich, habe meine Diplomarbeit drüber geschrieben - diese Mischung aus Nonsens und Philosophie, Genie und Wahnsinn ist genau meins. Ich hasse jede einzelne Verfilmung. Aber ich liebe das Buch, und werde es immer lieben.

Ehrlich, ihr dürft mich doch nicht nach meinen Lieblingsbüchern fragen, da finde ich doch nie ein Ende! Shakespeare, immer großartig. Ich kann „Hamlet“ so ziemlich auswendig. Wir haben das im Studium gespielt, nicht auf der Bühne, sondern in meinem Zimmer, zu dritt, alle Rollen, ungekürzt … Ich liebe Shakespeare.

Und andere Klassiker natürlich auch: Dickens, Dostojewskij … Letzterer hat mich in eine schwere Schreibkrise gestürzt: Als ich mit Mitte 20 „Schuld und Sühne“ gelesen habe, bin ich schier gestorben vor Unglück, selbst nicht so gut schreiben zu können, und ich habe bestimmt ein Jahr lang überhaupt nichts mehr zu Papier gebracht, aber als ich es dann wieder angefangen hatte, war es, als wäre eine Tür aufgestoßen worden, und ich habe endlich Sätze schreiben können, die mich selbst berührten.

komnatakukolFantasy lese ich natürlich auch. Besonders geprägt haben mich da drei Bücher, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: „Das letzte Einhorn“ von Peter S. Beagle, William Goldmans „Brautprinzessin“, und Mervyn Peakes „Gormenghast“- Bücher, deren deutsche Übersetzungen alle bei Klett-Cotta erschienen sind, weswegen ich un-be-dingt zu diesem Verlag wollte, sobald ich meinen ersten Roman fertiggeschrieben hatte. Danach sind nochmal viele Jahre vergangen, bis es geklappt hat, aber zumindest habe ich es versucht.

Und dann habe ich noch eine ganz besondere Lieblingsautorin: mich selbst. Ich schreibe einfach genau die Bücher, die ich selbst gern lesen möchte, und wenn ich eine besondere Gabe habe, um die mich andere Autoren beneiden, ist es, dass ich meinen inneren Kritiker völlig ausschalten kann, wenn es drauf ankommt, und stattdessen mein eigener größter Fan sein kann. Überarbeiten kann, und muss, ich später immer noch. Aber solange ich mein Buch schreibe, ist es im Idealfall das beste Buch, das jemals geschrieben wurde. Wenn es fertig ist, sieht das natürlich ganz anders aus, dann ist es erstmal der letzte Mist … Aber ich kann mein Inneres Fangirl aktivieren. Meine Superpower.

Literatopia: Was liest Du heute gerne? Überwiegend Phantastisches? Oder darf es auch mal etwas Zeitgenössisches sein?

Maja Ilisch: Ich lese viel Fantasy, aber zugeben nicht mehr so viel wie früher. Ich fange ein Buch an, bekomme eine neue Idee, die üblicherweise überhaupt nichts mit dem Gelesenen zu tun hat, lege das Buch beiseite und fange an zu plotten. Das führt dazu, dass ich zwar Unmengen an Büchern kaufe, aber nur wenige davon zu Ende lese. Ich komme einfach mit dem Lesen nicht hinterher, weil es sich mit der Stimmung überschneidet, die ich zum Schreiben brauche - und dann im Zweifelsfall doch lieber schreibe.

Richtig gut lesen kann ich nach wie vor klassische Krimis. Agatha Christie, Dorothy Sayers, Margery Allingham … die lese ich rauf und runter. Ich bin nicht so zu haben für Psychothriller, aber Mördergeschichten zum Miträtseln sind absolut mein Ding. Ich kann einen Krimi zehnmal lesen, weil ich jedes Mal wieder vergesse, wer der Mörder war, dann ist das immer wieder aufs Neue spannend. Ich wollte immer Krimis schreiben, aber ich war nie in der Lage, meine komplexen perfekten Morde dann auch aufzuklären. Ab und zu versuche ich mich nochmal als Krimiautorin, scheitere, und nehme mir vor, es in zehn Jahren oder so wieder zu versuchen.

Ich lese auch Zeitgenössisches ohne Fantasy- oder Krimielemente, aber dann muss mich das Buch schon wirklich extrem ansprechen. Grundsätzlich stille ich mein Bedürfnis an Tagesaktuellem aus den Nachrichten, und die Dramen des Alltags erlebe ich auch im Alltag. Beim Lesen möchte ich etwas erleben, das ich so noch nicht kenne, deswegen lande ich dann doch immer wieder in der Phantastik. Da ist zwar auch vieles, was auf den Markt kommt, wirklich abgenudelt, aber es sind immer wieder neue Ideen dabei, die mich faszinieren und mitreißen.

Literatopia: Auf Deiner Homepage gibt es ein Bild von Deinem Puppenregal, in dem sich unter anderem diverse Köpfe tummeln. Wie bist Du dazu gekommen, nur die Köpfe zu sammeln?

Maja Ilisch: Das war effektiv eine Notlösung. Ich hätte unheimlich gern eine richtig schöne Sammlung alter Porzellanpuppen gehabt. Damals schrieb ich gerade das „Puppenzimmer“, und ich war so richtig auf gruselige Puppen eingestellt - nur, wir hatten keine so große Wohnung, und alte Puppen kosten Geld. Irgendwann hatte ich dann den Geistesblitz: Gruselig sind an den Puppen doch eigentlich nur die Köpfe! Und die gab es auf Ebay verhältnismäßig günstig, gut unter zehn Euro das Stück, und wenn sie schon ein bisschen kaputt waren, um so besser.

Die Sammlung kam dann relativ schnell zusammen. Über Wochen fluchte unser Paketbote, der mir ein winziges Päckchen nach dem anderen in den zweiten Stock tragen durfte. Ich habe ein altes CD-Regal in einen großen Setzkasten umfunktioniert und über meinem Bett angebracht, und mich danach von allen Leuten fragen lassen, wie zum Henker ich da noch schlafen kann.

Die Köpfe lagen immer alle gut und fest an ihrem Platz - es ist nicht ganz einfach gewesen, sie auszubalancieren, weil sie ja unten rund sind, teilweise musste sich sie Ohr an Ohr miteinander verkeilen, aber eigentlich hielt das bombenfest. Bis ich eines Nachts davon wach wurde, dass einer der Köpfe aus dem Regal fiel und mir direkt aufs Gesicht. Genau an dem Tag kam dann die Zusage, dass dotbooks das „Puppenzimmer“ machen wollte. Ich bin ja eigentlich nicht abergläubisch, aber in dem Moment passte doch alles zusammen.

Literatopia: Neben den Puppenköpfen besitzt Du diverse Gruselpuppen von einer italienischen Puppenmacherin. Was zeichnet diese aus? Und warum fertigst Du als Tochter einer Puppenmacherin eigentlich nicht Puppen für Dich selbst an?

Maja Ilisch: Über die Puppen von Horror Party - ich weiß ihren richtigen Namen nicht einmal - bin ich auf Ebay gestolpert, als ich eigentlich auf der Jagd nach Puppenköpfen war, und sie haben mich buchstäblich angesprungen. Ich habe einige direkt ersteigert und der Puppenmacherin dann eine Mail geschrieben, ob sie auch Auftragsarbeiten macht, und ihr beschrieben, was mir vorschwebt - dann hat sie mir Blanche aus dem „Puppenzimmer“ und Vivian aus den unveröffentlichten „Mohnkindern“ (das ist die erwähnte Sache mit dem Geisterfotographen) gemacht.

Als Puppenmacherin fehlt mir das Talent, mit meiner Arbeit zufrieden zu sein. Ich kann es, in der Theorie zumindest, aber dann nicht so umsetzen, wie es mir vorschwebt. Das gilt für viele künstlerische Sachen: Ich habe früher viel gemalt und gezeichnet, aber ich bin nie glücklich mit dem Ergebnis, also habe ich es irgendwann drangegeben, weil es mir einfach keinen Spaß macht, wenn das Erfolgserlebnis fehlt. Meine Mutter, die von Puppen auf Teddybären umgesattelt ist, hat sich mittlerweile zur Ruhe gesetzt, und gruselige Puppen sind so gar nicht ihr Ding.

Ich habe aber tatsächlich vor, wieder mit Teddybären anzufangen. Im letzten Herbst habe ich mir ein Handarbeitszimmer hergerichtet, in eine gute gebrauchte Nähmaschine investiert, und plane jetzt den Bär zum Buch - also Teddybären für Autoren (und natürlich auch Rollenspieler), die, bärig abstrahiert, den Lieblingsfiguren nachempfunden sind. Das ist noch nicht spruchreif, ich will erst sehen, ob ich es noch drauf habe, aber das Material ist da, und den Anfang machen will ich mit den Hauptfiguren des „Gefälschten Siegels“ - dann sehe ich, ob das als zweites Standbein taugt, oder ob ich doch besser bei meinen Leisten bleibe und mich aufs Schreiben konzentriere.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Maja Ilisch: Danke für die tollen Fragen!

 

puppenzimmer ilisch

 


Autorenfoto und Puppensammlung: Copyright by Maja Ilisch

Rezension zu "Die Spiegel von Kettlewood Hall"

Rezension zu "Das gefälschte Siegel"


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.