Berlin - Rostiges Herz (Sarah Stoffers / Noah Stoffers)

Amrûn Verlag (Oktober 2018)
Softcover, 424 Seiten, 14,00 EUR
ISBN: 978-3958693739

Genre: dystopische Steamfantasy


Klappentext

„Sie war das eine Mädchen, das ich nicht haben konnte, und das seit vielen Jahren schon.“

Berlin, die rastlose Stadt am Meer. Hier ragen die Türme der Zauberer bis in den Himmel. Im Schein der Glühlichter werden rauschende Partys gefeiert. Zucker wird in Gold aufgewogen und die Geheimpolizei wacht über den zerbrechlichen Frieden zwischen Zauberern und Erfindern.

Die Erfinderin Mathilda liebt ausgerechnet Rosa, die Tochter des magischen Großmeisters von Berlin. Genau wie der Zauberlehrling Fidelio. Beide wollen Rosa auf deren Geburtstagsparty ihre Gefühle gestehen, doch sie sind nicht die einzigen mit Plänen für den Abend. Ein Mörder hat sich unter die Gäste gemischt. Die Erfinder planen eine Rebellion gegen die Zauberer. Und tief unter der Stadt liegt ein uraltes Geheimnis verborgen.


Rezension

Erfinderin Mathilda hat das Rebellentum hinter sich gelassen und bemüht sich, eine brave Bürgerin zu sein. Ihre beste Freundin Rosa hat sie durch ihren Einfluss als Tochter eines magischen Großmeisters vor dem Kerker bewahrt, doch Mathilda empfindet viel mehr als Dankbarkeit und Freundschaft. Auf Rosas Geburtstagsparty will sie ihr endlich ihre Liebe gestehen, auch wenn sie sich dafür in einen Turm voller Zauberer wagen muss. Auch der Zauberlehrling Fidelio hat Gefühle für Rosa und plant, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Als Mathilda und Fidelio sich zum ersten Mal auf der Party begegnen, kocht die Eifersucht hoch. Beide kommen jedoch nicht dazu, zu sagen, was sie sagen wollten. Der Abend endet in einer Katastrophe und Mathilda wird eines Verbrechens beschuldigt, das sie nicht begangen hat. Dies ist der Beginn einer Kette von Ereignissen, die zu Unruhen in der Stadt und auf die Spur eines uralten Geheimnisses führen …

“Berlin – Rostiges Herz“ spielt in einer Zukunft, in der Zauberer die Menschheit nach einem verheerenden Krieg in ein friedvolles, neues Zeitalter geführt haben. Sie werden als Retter gesehen, während die Erfinder für die Beinahe-Auslöschung verantwortlich gemacht werden. Auch nach Jahrhunderten brodelt die alte Feindschaft zwischen Erfindern und Zauberern, da Menschen mit technischer Begabung unterdrückt werden. Erfinder sind Menschen zweiter Klasse und auch wenn viele ihrer Maschinen nützlich sind, so sind auch viele ihrer Erfindungen und selbst reine Ideen verboten. Nach den dunklen Jahren ähnelt die Welt nun dem späten 19. / frühen 20. Jahrhundert und Berlin wurde aus den Trümmern des ersten Zeitalters wieder aufgebaut. Die Stadt liegt nach dem Klimawandel am Meer und leidet unter der drückenden Hitze des Sommers, ehe der Herbst heftige Stürme bringt.

Berlin ist wieder eine geteilte Stadt, auch wenn es keine Mauer gibt. Auf der einen Seite leben die Zauberer in ihren majestätischen Türmen, auf der anderen die Erfinder in ärmlicheren Verhältnissen. Berlin ist aber auch eine multikulturelle Metropole, in der es keine Vorurteile gegenüber anderen Ethnien oder aufgrund der sexuellen Orientierung gibt. Mathildas Liebe zu Rosa erscheint dem Leser ganz selbstverständlich und ihre Gefühle sind absolut nachvollziehbar. Die beiden wären ein wunderbares Paar, doch auch Fidelio würde gut zu Rosa passen. Wer jedoch glaubt, dass „Berlin – Rostiges Herz“ eine Dreiecks-Liebesgeschichte ist, der irrt sich gewaltig. Viel mehr ist der Roman eine rasante Verfolgungsjagd und die Geschichte einer Rebellion, die nach Jahren der Unterdrückung wieder hochkocht. Auch wenn Erfinder und Zauberer in Frieden zusammenleben, beschimpfen sie sich als Rostfresser und Fingerschnipser.

Sarah Stoffers hat ihre Welt mit viel Liebe zum Detail gestaltet und schreibt dazu unheimlich stimmungsvoll. Elemente aus Postapokalypse, magischer Fantasy und Steampunk erzeugen eine vertraute und gleichzeitig fremdartige Atmosphäre, in der die Autorin ihre Charaktere wunderbar in Szene setzt. Sie haben ihre eigenen Schimpfwörter (wie „Drachenscheiße“), essen Algenchips und Heuschreckenspieße und duschen mit Regenwasser, das in einem Tank von der Sommersonne erhitzt wird. Zucker ist besonders wertvoll in dieser nostalgischen Zukunft und wer nicht zaubern kann, kann Instantmagie nutzen, sofern genug Geld vorhanden ist. Während die Zauberer in ihren Türmen dekadente Partys feiern, feuern die Erfinder bei illegalen Gleiterrennen unter der Stadt ihre Piloten an.

Die Handlung wartet früh mit einer großen Überraschung auf und erzeugt durch die Verfolgung Mathildas sofort Spannung. Die junge, dunkelhäutige Frau ist dem Leser mit ihrer leidenschaftlichen Art auf Anhieb sympathisch und ihr Erfindergeist erstreckt sich auch auf kreative Fluchtwege. Sie denkt sogar darüber nach, sich zu stellen, schließlich ist sie unschuldig, doch als Erfinderin wird sie vorverurteilt. Zudem ist ihr die skrupellose Zauberer-Wacht auf den Fersen – und Fidelio, der verbissen nach der Wahrheit sucht. Der charmante Illusionist ist der perfekte Gegenpart zur stürmischen Mathilda. Während sie ihr loses Mundwerk oft nur schwer zügeln kann, lächelt Fidelio selbst im Angesicht einer Verhaftung. Allein mit Freundlichkeit manipuliert er seine Mitmenschen, notfalls auch mit ein bisschen Magie. Als Illusionist kann er Gedanken lesen und die Wahrnehmung beeinflussen, sodass man Dinge sieht (und riecht und fühlt), die gar nicht da sind.

Zu diesen facettenreichen Protagonisten, deren Aufeinandertreffen stets einen hohen Unterhaltungswert besitzt, gesellen sich zahlreiche interessante Nebencharaktere, die Berlin Leben einhauchen. Da wäre Mathildas schweigsamer Vater, ihr rebellischer Cousin, eine geheimnisvolle Artistin, Fidelios rätselhafte Lehrmeisterin, eine hartnäckige Gendarmin oder auch ein opportunistische Zeitungsschreiber. Leider sind die Antagonisten ein wenig zu eindimensional geraten und während der Roman bis kurz vor Schluss ungemein spannend und unterhaltsam ist, sind ausgerechnet die letzten Kapitel recht vorhersehbar und dabei sehr knapp geraten. Auch gibt es hier und da ein paar kleine Unstimmigkeiten, über die man in Anbetracht der traumhaft inszenierten, magischen Steampunkwelt jedoch gerne hinwegsieht (auch über die zu vielen Tippfehler, die das Korrektorat übersehen hat).


Fazit

”Berlin – Rostiges Herz“ glänzt mit seiner lebendigen, magischen Steampunkwelt und facettenreichen Protagonisten, denen man gerne dabei zuschaut, wie sie sich gegenseitig herausfordern und austricksen. Sarah Stoffers schreibt unheimlich atmosphärisch und unterhaltsam, sodass die Seiten nur so dahinfliegen.


Pro und Contra

+ Mathilda Sturm macht ihrem Name alle Ehre
+ Hund Maximus (auch wenn er zu wenige Auftritte hat)
+ Fidelio als charmanter Gentlemanzauberer
+ viele interessante Nebencharaktere
+ lebendige, multikulturelle Steampunkwelt
+ wartet mit diversen Überraschungen auf
+ spannend, temporeich und stimmungsvoll erzählt
+ gelungenes Cover

- berechenbare Antagonisten und kleine Unstimmigkeiten

Wertung: sterne4.5

Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


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Tags: Dystopie, Steamfantasy, queere Figuren, nicht-binäre Autor*innen, progressive Phantastik, Berlin, Noah Stoffers