Interview mit Kathleen Weise
Literatopia: Hallo, Kathleen! In den letzten Jahren war es, abgesehen von einem Ausflug ins Krimigenre, relativ ruhig um Dich. Nun erscheint mit „Wenn wir nach den Sternen greifen“ wieder ein Jugendbuch von Dir – warum hat es so lange gedauert?
Kathleen Weise: Dafür gibt es mehrere Gründe. Ich bin Mutter geworden und natürlich hat sich dadurch mein Arbeitsalltag ziemlich verändert. Schreiben bis spät in die Nacht oder das ganze Wochenende hindurch hat sich auf unbestimmte Zeit erst einmal erledigt. Außerdem habe ich mit großartigen Lektoratskolleginnen die Plattform textwache.de gegründet, was mir ebenfalls viel Spaß bereitet.
Ich wollte mich bei meinem Herzensprojekt „Wenn wir nach den Sternen greifen“ auch nicht von einer Deadline hetzen lassen, denn ich bin davon überzeugt, dass es Texten gut tut, wenn sie eine Weile liegen. Geschichte und Text müssen reifen – im Autor und auf dem Papier. Also habe ich das Buch erst fertiggeschrieben und dann eine Agentur gesucht, die ich bis dato auch noch nicht hatte. So ist zwischen Schreiben und Veröffentlichen eine ganze Weile ins Land gezogen …
Literatopia: Wie bist Du auf das Thema Mars-Mission und Raumfahrt gekommen?
Kathleen Weise: Die Raumfahrt hat mich schon immer interessiert, schon als Kind. Ich habe innerhalb der Phantastik auch immer mehr Science Fiction gelesen als High Fantasy, es ist also kein ganz neues Thema für mich. Und gerade jetzt erlebt die Raumfahrtbegeisterung ja auch in der Öffentlichkeit einen Boom, weil wir eben „kurz“ davor stehen, zum Mars aufzubrechen. Das ist schon aufregend, wenn wir Glück haben, können wir das noch erleben.
Der andere Punkt, der mich interessiert hat, hängt mit meiner eigenen veränderten privaten Situation zusammen. Als Mutter bewertet man oft viele Dinge noch einmal anders. Es hat mich interessiert, wie die Familien von Astronauten mit den Herausforderungen umgehen, die dieser Beruf mit sich bringt. Das Buch ist quasi für meine Tochter, auch wenn sie es erst in einigen Jahren lesen kann.
Literatopia: Wie verbringen Ianthe und ihre Familie ihren letzten Urlaub, bevor der Vater ins All aufbricht, um den Mars zu erkunden?
Kathleen Weise: Auf einem abgeschirmten NASA-Gelände am Strand mit den anderen Familien. Aus Sicherheitsgründen ist eine eigene Urlaubsortwahl nicht möglich, da es Bestrebungen einzelner Gruppen gibt, das Projekt zu sabotieren. Der Roman spielt hauptsächlich in dieser einen Woche, bevor die Familien sich für drei Jahre von den Astronauten verabschieden müssen, weil diese in die Quarantäne vor dem Abflug gehen. Da herrscht natürlich eine merkwürdige Stimmung zwischen allen, irgendwo zwischen Aufbruchsstimmung und Abschiedsschmerz.
Literatopia: Was ist Ianthes großer Traum? Und was bedeutet dieser für ihre Familie?
Kathleen Weise: Ianthe möchte Sängerin werden. Sie hat das Angebot eines erfolgreichen Musikproduzenten auf dem Tisch, der mit ihr arbeiten möchte. Doch dafür müsste sie nach Seattle ziehen. Ihre Familie lebt jedoch in Florida. Der Abschied des Vaters bedeutet sowohl für Ianthe als auch für ihre Mutter und Ianthes kleine Schwester einen Neuanfang –, um diese ganze Situation zu meistern, müssen sie zusammenhalten. Deshalb fragt sich Ianthe, ob sie so kurz nach dem Start der Mission ebenfalls das Nest verlassen kann. Es ist einfach, sich hinzustellen und zu sagen: Folge deinen Träumen – doch was ist, wenn diese Träume auch das Leben von anderen beeinflussen?
Literatopia: Wie sieht die Welt im Jahr 2039 aus?
Kathleen Weise: Es ist ja gar nicht mehr so lange hin bis ins Jahr 2039. Mein Weltentwurf beruht also sehr auf dem Hier und Jetzt und den Prognosen für die nächsten Jahrzehnte. Dabei haben mich besonders die Alltagssachen interessiert, neue Textilfasern, neue Berufsbilder, neue Musik, welche Drogen ersetzen bei Partys Zigaretten und Alkohol etc. Natürlich wird der Klimawandel noch extremer, aber untergegangen sind wir bis 2039 noch nicht – es handelt sich also nicht um eine Dystopie. Das würde ich auch nicht schreiben wollen, ich muss einfach daran glauben, dass wir das Steuer noch mal rumreißen können.
Literatopia: Mit „Das falsche Grab“ ist kürzlich ein Krimi aus Deiner Feder erschienen. Inwiefern spielen Bienen dabei eine Rolle?
Kathleen Weise: Die Hauptfigur Dr. Klaas Hansen arbeitet als forensischer Entomologe mit sogenannten Sniffer Bees. Das bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass Bienen wie Spürhunde verwendet werden. Sie können ebenso auf Drogen, Sprengstoff oder eben Leichengeruch konditioniert werden, allerdings dauert ihr Training wesentlich kürzer. Ihr Einsatz hätte viele Vorteile.
Viele Leser glauben im ersten Moment, dass ich mir die Sniffer Bees ausgedacht habe, aber das ist nicht der Fall. Es gibt sie wirklich. Eine befreundete Biologin hat mich vor vielen Jahren auf einen Artikel aufmerksam gemacht, in dem es darum ging. Bienen sind wirklich erstaunliche Tiere. Mein Besuch bei einem Imker war eine beeindruckende Erfahrung, an die ich mich gern zurückerinnere.
Literatopia: Was für ein Mensch ist Dr. Klaas Hansen? Ist er ein typischer Wissenschaftler? Und wie kann er der Polizei helfen?
Kathleen Weise: Ich habe festgestellt, dass die meisten Wissenschaftler, die ich kenne, sich vor allem durch wissenschaftliche Neugierde auszeichnen. Insofern ist Hansen sehr typisch. Was ihn von anderen unterscheidet, ist sicher sein sozialer Hintergrund. Er ist Entomologe auf dem zweiten Bildungsweg geworden, vorher ist er zur See gefahren, genau wie sein Vater. Optisch hab ich ihn mir immer vorgestellt wie Éric Cantona in „Papillon noir“.
Als forensischer Entomologe erstellt er für die Polizei u.a. Gutachten zu Liegezeiten von Leichen. Allerdings betrachten ihn die meisten Polizisten zu Beginn des Romans keineswegs als Hilfe, da er mit seinen Sniffer Bees vermeintlich die Existenz der Hundestaffel bedroht. Damit macht er sich unter den Hundeführern keine Freunde.
Literatopia: Als Lektorin bei der Textwache beschäftigst Du Dich intensiv mit der Arbeit von Kollegen. Kannst Du an einem eigenen Roman arbeiten, während Du einen fremden lektorierst? Und bist Du durch das Lektorieren strenger zu Dir selbst geworden?
Kathleen Weise: Inhaltlich hat das Lektorat fremder Texte keinen Einfluss auf mein Schreiben, das kann ich gut trennen. Das muss ich auch, schließlich bin ich es den Autoren, mit denen ich zusammenarbeite, schuldig. Sie wollen ja keine Co-Autorin, sondern eine Lektorin, die ihren Text bearbeitet.
Allerdings ist es tatsächlich so, dass ich mich durch das Lektorieren mehr über meine eigenen Fehler ärgere, die Lektoren dann noch finden. Vor allem über Faselfehler, denn das heißt ja nur, dass ich als Autorin nicht sorgfältig genug gearbeitet habe. Für mich gehört die Beschäftigung mit der Sprache – also auch Rechtschreibung und Grammatik – genauso zum Schreibhandwerk wie schöner Stil und eine spannende Geschichte.
Literatopia: Was liest Du momentan gerne?
Kathleen Weise: Dünne Bücher. Nein, im Ernst, im Moment ist meine Zeit so knapp bemessen, dass ich das Gefühl habe, ich lese meinem Kind mehr Bücher vor als ich für mich lese. Daher wäre die ehrliche Antwort wohl: „Pettersson und Findus“. Ansonsten lese ich weniger ein bestimmtes Genre, sondern folge viel mehr einfach Autoren, die ich mag (von mir aus auch gern durch alle Genres). Autorinnen, auf die ich in den letzten Jahren neu gestoßen bin und die ich sehr mochte, waren Gillian Flynn und Alice Hoffman. Bei den Herren ist Watt Key meine neueste Entdeckung, dessen Jugendbücher wirklich toll geschrieben sind.
Literatopia: Als Cay Winter hast Du mit „Babel“ spannende Urban Fantasy geschrieben. Kannst Du Dir vorstellen, in das Genre zurückzukehren?
Kathleen Weise: In Babels Welt auf jeden Fall, die Figuren mochte ich einfach sehr. Da könnte ich mir immer wieder mal eine Episode vorstellen (sollte ich irgendwann mal wieder mehr Zeit haben). Im Moment interessiert mich (als Autorin) im Phantastik-Bereich ja eher die Science Fiction. Aber sag niemals nie, ich habe jedoch die Vermutung, dass ich bei einem Wechsel eher Richtung Horror gehen würde (so in die Richtung psychologicher Horror wie „Breed“ von Chase Novak).
Literatopia: Bei unserem Interview 2011 meintest Du, dass Du gerne mal wieder einen Comic machen würdest und dringend einen Zeichner suchst – ist jemand in Sicht? Hast Du schon mal überlegt, selbst zu zeichnen?
Kathleen Weise: Das gilt immer noch. Leider hat es bisher noch nicht wieder geklappt. Allerdings schaue ich mir sehr gern Bildbände von Illustratoren an, die gleichzeitig tolle Geschichtenerzähler sind. Shaun Tan ist großartig, ebenso wie Simon Stålenhag. Könnte ich richtig zeichnen, würde ich das sofort machen, leider reicht es nur für Kritzeleien auf Urlaubs- und Geburtstagskarten.
Aber was die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern anbelangt, so durfte ich für „Wenn wir nach den Sternen greifen“ mit zwei tollen Musikern zusammenarbeiten, die mir Ianthes Songs aus dem Buch vertont haben. Christina McAllister hatte ich von Anfang an beim Schreiben als Ianthes „Stimme“ im Kopf, und Martin Kraemer ist einfach ein Zauberer am Klavier.
Literatopia: Inzwischen bist Du auch bei Instagram – kann man es sich als Autor heutzutage überhaupt noch leisten, nicht auf den Social Media zu sein? Wie gestaltest Du den Kontakt zu Deinen Fans?
Kathleen Weise: Im Unterhaltungsbereich ist es sicher von Vorteil, wenn man irgendeinen der bekannten Social-Media-Kanäle bespielt. Die Kunst besteht darin, den richtigen für sich zu finden, denn es bringt gar nichts, wenn man sich dafür verbiegen muss, das merken die Leute ja auch. Auf Instagram habe ich im Moment noch eher Kontakt zu Kollegen, die Leser müssen nach vier Jahren Pause ja auch erst mal merken, dass ich bei Instagram bin … Daher findet der Kontakt mit Lesern nach wie vor hauptsächlich im „wahren Leben“ statt, auf Lesungen, Workshops, der kommenden Buchmesse, etc. Auch Leserbriefe (über E-Mail) sind noch immer ein Thema. Erstaunlicherweise sind es da oft Kinder und Jugendliche, die sich sehr viel Mühe geben, was mich immer wahnsinnig freut.
Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!
Kathleen Weise: Ich danke!
Autorenfoto: Copyright by Kathleen Weise
Autorenhomepage: www.kathleenweise.de
Interview mit Kathleen Weise (2011)
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Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.