Das Ende der Lügen (Sara Gran)

gran ende

Heyne Verlag, 2019
Originaltitel: The Infinite Blacktop (2018)
Übersetzung von Eva Bonné
Klappbroschur, 348 Seiten
€ 16,00 [D] | € 16,50 [A] | CHF 24,90
ISBN 978-3-453-27156-2

Genre: Kriminalroman


Rezension

Das Ende der Lügen ist Sara Grans dritter Roman mit der Ich-Erzählerin Claire DeWitt, der selbsternannten besten Detektivin der Welt, die, wie sie gerne sagt, immer gewinnt. Die erste von drei Erzählungen, "Spur zum Beinhaus", beginnt in Brooklyn 1985, Claire ist 15 Jahre alt. In ihrer Kindheit las sie gemeinsam mit ihren Freundinnen Tracy und Kelly die Comicreihe Cynthia Silverton, Teenagerdetektivin und Collegeanfängerin, sowie das Handbuch Détection des Franzosen Jacques Silette. Der tote Meisterdetektiv lehnte kriminalistische Arbeit ab, setzte stattdessen auf Intuition, Träume und die Welt der Zeichen. Das Trio löste mehrere Fälle, bis eines Tages Tracy spurlos verschwand. Dies ist der einzige Fall, den Claire bis heute nicht lösen konnte.

In "Das Rätsel des KBSE" lebt die 29-jährige Claire 1999 in Los Angeles. Für den Erwerb ihrer Detektivlizenz fehlen ihr noch 400 Stunden Ausbildung durch einen lizensierten Privatermittler, weshalb sie im Auftrag Adam Dubinskys den vier Jahre zurückliegenden Unfalltod des erfolgreichen Malers Merritt Underwood untersucht. Underwoods Freundin Ann Davidson kam zwei Jahre vor ihm angeblich auch durch einen Unfall zu Tode. In der Gegenwart, 2011, "Der Fall des Unendlichen Asphalts, wird Claire auf der Fahrt von San Francisco nach Las Vegas bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Der Unfallverursacher will sie töten. Claire verschwindet vom Unfallort, um den Mann zu finden. Vor dem Mordversuch stieß sie auf einen Band aus der Comicreihe Cynthia Silverton, in dem sie einen Hinweis auf Tracys lange zurückliegendes Verschwinden gefunden zu haben glaubt.

Sara Grant verbindet in ihren Krimis mit Claire DeWitt reflektierte Ermittlungsarbeit mit brutalem Noir und Mystik. Claire ist 40 Jahre alt, sexuell promiskuitiv, trinkt zuviel, nimmt Kokain und Pillen, die sie jedem stiehlt, der eine Art Hausapotheke hat. Sie leidet unter depressiven Schüben, ist zugleich gewalttätig und verletzlich, intelligent und naiv, und sie stellt viele Fragen, auf die sie keine Antworten findet. Sie raubt in einer Kneipe einer Frau, die ihr gegenüber freundlich und hilfreich war, die Handtasche. Claire gibt ihren Fällen Bezeichnungen, darunter Der Fall des Zerbrochenen Glases und Der Fall der Gestohlenen Muschelschale. Das erinnert an S.S. van Dine, der seinen Mystery-Krimis Titel gab wie Der Mordfall Drachen und Der Mordfall Skarabäus.

Silette folgend, geht Claire davon aus, dass ihre Klienten die Lösung des Mysteriums kennen, sie nur nicht wissen wollen und einen Detektiv engagieren, der ungewollt den Beweis erbringen soll, dass eine Auflösung nicht möglich ist. Wen wundert es da, dass Claire und ihre Methoden sie bei Polizei und Detektivkollegen zu einer Außenseiterin machen. Während Claire an der Auflösung eines Falls arbeitet, versucht sie das Wesen des jeweiligen Mysteriums zu verstehen. Sie geht auch der Frage nach dem Sinn des Lebens in einer Welt nach, die darauf ausgerichtet scheint, wieder und wieder die Menschen unglücklich zu machen. Natürlich sind die Fälle irgendwie miteinander verbunden, dies auch auf einer tieferen Ebene, vor allem als Bestandteile der Auseinandersetzung Claires mit dem Leben als Mysterium.

Die Welt von Claire DeWitt ist eine, in der die Menschen die Realität nicht besonders zu mögen scheinen. Sie schaffen sich deshalb ihre eigene, die wiederum mehr durch Lüge denn Ehrlichkeit bestimmt ist. Sie versuchen, in dieser eine gute Figur zu machen, was gelegentlich gelingt. In dieser Welt ist Claire jemand, der allein durch seine Gegenwart Unbehagen bereitet. Ein wenig exzentrisch wirkt sie auf ihre Mitmenschen, zu denen die Leser gehören, weil sie häufig Silette zitiert und sich auf die Comicfigur Cynthia Silverton bezieht. Claire erzählt in Das Ende der Lügen auch, wie Silette im Jahr 1956 sein Meisterwerk Détection geschrieben hat. Sollte das Leben Antworten auf existenzielle Fragen geben, wären sie bedeutungslos. Jeder Detektiv muss Fragen erneut für sich beantworten. Niemand kann dies für jemand anderen. Außerdem kennt der Auftraggeber die Lösung für sein Problem bereits. Niemand kann Detektiv werden. Man wird als Detektiv geboren. Was selbstredend nicht buchstäblich gemeint ist.

Das Ende der Lügen ist ein einfallsreicher Roman, in dem sich ein Kontrastprogramm zu S.S. van Dines Twenty Rules for Writing Detective Stories aus dem Jahr 1928 sowie mancher Verweis auf Märchen und Filme wie Die fabelhafte Welt der Amelie und Der Tod kennt keine Wiederkehr findet.


Fazit

Claire DeWitt blickt auf ihre Kindheit in 1985/86 und das unaufgeklärte Verschwinden einer guten Freundin zurück. Claire bearbeitet 1999 einen unaufgeklärten Kriminalfall, um ihre noch fehlenden Stunden für den Erhalt der Detektivlizenz zusammenzubekommen. Claire versucht 2011 einen Mordanschlag auf sich aufzuklären. Das Ende der Lügen ist kein Mystery-Krimi, auch wenn ein umfassendes Mysterium mitschwingt. Mysteriöse Aspekte der Welt und der menschlichen Existenz werden thematisiert, aber stellen sich danach noch mysteriöser dar. Ein gutes Buch, aber man sollte vor dem Kauf lieber eine Probelesung absolvieren.


Pro und Kontra

+ verlässt sich vollständig auf die Stimme seiner Detektivin
+ amüsante Mischung aus klassischem Noir und mystischer Selbstanalyse

Wertung:sterne4.5

Handlung: 4/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5